Mittwoch, 21. Oktober 2020
Schlechte Studien in Corona-Zeiten? Kleine Fallzahlen, vorschnell publiziert, dafür aber Open Access – wie sich Forschung ändert
Prof. Dr. Daniel Strech


Prof. Dr. Daniel Strech sieht die Einflüsse von COVID-19 auf die Forschungspraxis positiv – aber auch große Probleme. Hier diskutiert er 3 Vor- und 3 Nachteile sowie Auswirkungen auf andere Krankheiten.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Daniel Strech vom Berlin Institute of Health und der Berliner Charité:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Name ist Daniel Strech, ich bin Professor am Berlin Institute of Health und an der Charité Universitätsmedizin Berlin.

Ich wende mich heute an Sie wegen dem World Health Summit, der Ende Oktober in Berlin stattfinden wird. Dort werden wir ein Panel zu der Frage veranstalten, wie COVID-19 die biomedizinische Forschung verändert hat.

Was sind positive und was sind negative Einflüsse auf die biomedizinische Forschung? Das sind Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, weil wir als biomedizinische Forscher damit konfrontiert worden sind, möglichst schnell, möglichst dringlich, am besten in nationaler und internationaler Kooperation Ergebnisse zu liefern, wie man COVID-19 behandeln und diagnostizieren kann.

Hat sich die Forschungspraxis durch COVID-19 verbessert?

Ja, ich denke, es haben sich verschiedene Dinge verbessert. 3 möchte ich herausgreifen:

Open Access: Bei COVID-19 sind fast alle Fachartikel öffentlich zugänglich. Das hatten wir in dieser Form früher nicht. Jetzt sind sich alle Akteure einig, dass wir dies brauchen.


Die Geschwindigkeit der Ergebnis-Publikationen hat zugenommen. Normalerweise wissen wir, dass die Ergebnisse klinischer Studien nach Studienende, vielleicht nach 2, 3, 4 Jahren über Fachartikel verfügbar werden. Aktuell passiert das in Wochen oder Monaten nach Studienende. Und dazu kommt noch, dass viele ihre Ergebnisse auch vor Begutachtung als Preprint hochladen.


Sekundärnutzung von Patientendaten: Der Zugang zu Behandlungsdaten von COVID-19-Patienten, um sie dann für weitere Forschungsprojekte zu verwenden soll einfacher werden. Hier haben wir seit Jahren viele Debatten in Deutschland und überall in Europa. Aber in Großbritannien gibt es das Open Safely Projekt, was bei uns im Panel auf dem WHS vorgestellt werden wird. Dadurch wird es plötzlich möglich für Forschungsfragen zu allen Patientendaten im britischen Gesundheitssystem Zugang zu bekommen. In Deutschland wird das aktuell durch das Netzwerk Universitätsmedizin in ähnlicher Weise versucht, zu etablieren.


Was die problematischen Aspekte angeht, denke ich, werden wir über die nächsten Wochen und Monate noch mehr lernen. Wie viel davon wirklich in der Breite künftig relevant ist, müssen wir abwarten.

Es wurde zum Thema Robustheit, der Qualität klinischer Studien eben schon angemerkt, dass wir bei COVID-19 oft mit klinischen Studien konfrontiert sind, die kleine Fallzahlen haben. Und die vielleicht aufgrund der Dringlichkeit auf andere Maßnahmen wie Randomisierungen und Verblindungen im Studiendesign verzichten. Das kann dazu führen, dass wir am Ende vielleicht oft auch falsch positive oder falsch negative Ergebnisse haben. Also reine Zufallsbefunde, die bei höherer Fallzahl und besserem Studiendesign so gar nicht erst aufgetreten wären. Das müssen wir uns genauer anschauen und wollen dies auf dem WHS diskutieren.


Ein weiterer Punkt ist die Vollständigkeit der Ergebnispublikationen. Die Ergebnisse, die wir sehen, wurden schnell publiziert. Wir wissen aber aus zurückliegenden Pandemien und generell aus Untersuchungen zur Publikationspraxis, dass oftmals ein Drittel, vielleicht die Hälfte aller abgeschlossenen Studien gar nicht publiziert werden.

Das können wir natürlich aktuell für COVID-19 noch nicht so richtig absehen. Wir wissen wohl, dass es unglaublich viele Studien gibt, und wir wissen auch aus zurückliegenden Pandemien, wie bei der Schweinegrippe, dass dort bei ungefähr einem Drittel der Studien keine Ergebnisse veröffentlicht wurden. Welchen Einfluss das auf unsere Entscheidungen aktuell hat, werden wir wahrscheinlich erst rückwirkend beurteilen können.


Wir erleben eine Konkurrenz um Studienteilnehmende für die klinische Forschung. Dieser Aspekt ist im Grunde etwas ziemlich Neues, was wir in der biomedizinischen Forschung so bislang meines Wissens nicht kannten. Wenn wir so viele klinische Studien haben, mit denen zeitgleich zu COVID-19 geforscht werden soll und die auch alle von den Ethikkommissionen und Bundesoberbehörden genehmigt worden sind, aber gar nicht ausreichend COVID-19-Patienten zur Verfügung stehen, um in all diesen Studien teilzunehmen – wie gehen wir mit dem Problem aktuell eigentlich um? Gibt es eine Priorisierung der mehr oder weniger wichtigen Studien? Und wie gehen vor allem die Ethikkommissionen damit um? Ist das Teil ihres Begutachtungs-Prozesses? Dazu wollen wir auch auf dem Panel sprechen.

In wie fern werden die Entwicklungen durch COVID-19 auch die Forschung zu anderen Krankheiten verändern?

Das werden wir sehen, das wird spannend. Es gibt allerdings einen hohen Bedarf, die neue Praxis auch in andere Therapiegebiete und Forschungsgebiete zu übertragen, zumindest die positiven Aspekte.

Wir wissen jetzt, dass wir binnen eines Jahres eine Million COVID-19-Tote zu verzeichnen haben, weltweit. Das ist dramatisch. Wir haben aber auch jedes Jahr – seit vielen Jahren schon und wohl auch weiterhin – 2 Millionen Tote weltweit aufgrund von Tuberkulose und Malaria. Und wir haben überall auf der Welt Patienten mit Alzheimer-Demenz, die bislang nicht behandelbar ist, dazu viele Millionen Krebspatienten.

Die positiven Aspekte durch Corona zur Förderung der biomedizinischen Forschung sollten natürlich auch bei diesen Gebieten Anwendung finden. Deshalb lade ich Sie ein, unser Panel zu besuchen auf dem World Health Summit vom 25. bis 27. Oktober. Das können Sie auch digital tun und kostenlos. Vielen Dank.

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