Sonntag, 15. Juli 2007
Antifa im Fels oder zur politischen Geschichte des Klettersports
Als Alpinist und Historiker interessiere ich mich natürlich für die Geschichte des eigenen schönen Hobbys. Und die ist wirklich interessant. Ich meine damit nicht nur die abenteuerlichen Bergfahrten der frühen Pioniere wie Humboldt, Whymper und Payer, sondern auch gewisse politisch-sozial-kulturhistorische Dimensionen. Hier also mal ein kleiner Ausflug in die Geschichte des Sportkletterns.


Seit Menschen Berge besteigen wird auch geklettert, aber das Klettern als eigenständiger Sport kam später auf als der Alpinismus, und der Klettersport entwickelte sich in außeralpinen Regionen mit steilen Klippen, wie in den südfranzösischen Regionen Verdon und Vaucluse und in der Sächsischen Schweiz. Den Pionieren des Alpinismus war das Klettern Mittel zum Zweck, zur Überbrückung von Hindernissen nahm man oft auch zusammenklappbare Leitern mit, und die Fortbewegung im steilen Fels erfolgte unter Zuhilfenahme von Ring- und Mauerhaken, mit denen das Seil am Fels fixierte wurde, Dachüberhänge wurden mit Hilfe mitgebrachter Strickleitern überwunden. Im scharfen Gegensatz zu diesem sogenannten "Technischen Klettern", von Sportkletterern mit abschätzigem Unterton "Schlosserei" genannt, entwickelte sich seit der Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert das Sportklettern. In der Sächsischen Schweiz wurde hierzu eine eigene Kletterregel beschlossen, die vorschrieb, dass mit möglichst wenigen künstlichen Hilfsmitteln geklettert werden müsste und der Fels nicht durch ein Igelfell von hineingemeißelten Haken verschandelt werden dürfe. Um dies zu bewerkstelligen, wurden ein neues Sicherungsinstrument zur Seilfixierung erfunden, das die Mauerhaken in vielen Fällen ersetzte: Der Klemmkeil, der nicht nur ein Seil, sondern auch den Sturz eines Menschen zu halten vermag, aber mit Leichtigkeit aus dem Spalt, in dem er sitzt, abgezogen werden kann und so bei jeder Tour mit zurückgenommen wird. Die meisten sächsischen Bergsteiger der 1920er Jahre waren Kommunisten, Sozialdemokraten oder Gewerkschafter und nicht beim Alpenverein, sondern bei den Naturfreunden aktiv. Nach der Machtübernahme der Nazis gingen viele von ihnen ins Exil, vor allem in die USA, wo sie in Boulder/Colorado ein soziales Zentrum fanden. Die Buddhistische Universität in Boulder beheimatet bis heute einen beachtlichen Pool links-undogmatischen Denkens und Handelns. Hier wurde das wirklich freie Freiklettern ganz ohne Sicherung erfunden, das unter dem Namen Bouldern erst in den 1980ern weltweit populär werden sollte. Das Klettern nach der Sächsischen Kletterregel wurde von den innovationsfreudigen und sportlichen US-Amerikanern der Rockies und der Westküste begeistert aufgegriffen und "besiegte" am Al Capitan im Yosemite Valley schließlich das Technische Klettern, als Kletterenthusiasten mit Klemmkeilen eine Steilwand hochstiegen, um alle fixen Haken zu entfernen. Der Berg war gereinigt.

Ein neuer Typus von Kletterer entstand in Colorado und Kalifornien, anstelle der elitären Abenteurertypen der britischen oder der konservativen der deutsch-österreichischen Tradition ein eher freakiger, naturbewusster und unkonventioneller Typ. Die sächsische Kletterregel, der politisch-kritische Geist von Boulder, Hippietum und Fitness/Körperkultbewegung brachten einen Kletterertyp hervor, der den konservativen Bergsteigern im Geist Luis Trenkers den Gamsbart zu Berge stehen ließ: Langhaarig, tätowiert, hedonistisch, gesellschaftskritisch und vor einer schwierigen Kletterpassage sich auch mal mit einem Joint beruhigend. Als diese Bewegung nach 1980 als "Freeclimbing" Europa eroberte, waren die sächsischen Wurzeln kaum noch jemandem bekannt.

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Wobei der Luis Trenker ja auch nicht gerade ein Freund der fixen Haken gewesen sein soll. Und einer der Ersten, die gegen das "Expeditionsbergsteigen" mit Mauerhaken, Strickleitern, stehenden Drahtführungen usw. polemisierte, war Guido "von" List, zeitweilig Sekretär des österreichischen Alpenvereins und "Rassenmystiker" der übelsten Sorte (Begründer der Ariosophie).

Was ich meine: es ist m. E. nicht einfach, an einem Sport und an der Art und Weise, wie dieser Sport ausgeübt wird, "konservative", "reaktionäre" und "progressive" Lebeneinstellungen ablesen zu wollen.

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Das habe ich auch nicht behauptet und würde ich für eine ziemlich blödsinnige Vorstellung halten. Mich interessierte einfach eine bestimmte sozialgeschichtliche Verortung der Entwicklungsgeschichte dieses Sports in den Bereichen, mit denen ich mich selbst so halbwegs identifiziere. Wobei (in Richtung Momo) "identifizieren" für mich nichts mit Identitätskonzepten im Sinne von Verdinglichung usw. zu tun hat.

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Die sächsischen Felsen
stehen Dir jedenfalls offen. Hier ist aus den Wurzeln wieder neuer Klettergeist ausgetrieben ;-)

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Ich weiß. Vielleicht komme ich bei Gelegenheit mal nach Bad Schandau, da ließe sich dann wohl auch was Schönes machen ;-))

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