Montag, 6. August 2007
PRO ASYL: Die Menschenrechtsdefizite sind Folgen gezielter Diskriminierung
Im Oktober 2006 hat Thomas Hammarberg, der Menschenrechtskommissar des
Europarats, Deutschland besucht. Sein jetzt vorliegender Bericht
beschäftigt sich auch mit der Frage, wie es mit der Umsetzung
menschenrechtlicher Verpflichtungen im Bereich Asyl und Einwanderung
steht. Trotz aller diplomatischen Formulierungen: Hammarbergs Bericht
ist eine massive Kritik insbesondere an der deutschen
Flüchtlingspolitik, die er in vielfacher Hinsicht als nicht
menschenrechtskonform ansieht. Nach Auffassung von PRO ASYL muss
Hammarbergs Kritik Folgen haben. Die kritisierten Defizite sind das
Ergebnis einer langjährigen Ausgrenzungspolitik.

*Widerrufsverfahren*: Der Menschenrechtskommissar ist besorgt über die
deutsche Politik bei der Aberkennung des Flüchtlingsstatus und fordert
eine Überprüfung der Praxis. Es müsse geprüft werden, ob sie überhaupt
mit der Genfer Flüchtlingskonvention übereinstimme, was auch UNHCR
bezweifelt. Hammarberg weist darauf hin, dass die Gewährung
internationalen Schutzes Flüchtlingen ein Sicherheitsgefühl vermitteln
soll, dass nicht durch eine permanente Überprüfung ihres Status
gefährdet werden darf. Damit reagiert Hammarberg darauf, dass
Deutschland die europäische Spitzenposition bei der Zahl der
Widerrufsverfahren gegen anerkannte Flüchtlinge hat.

*Duldung und Bleiberecht*: Der Kommissar vertritt die Auffassung, dass
Duldungen für kurze Zeiträume gerechtfertigt sein können, stellt jedoch
fest: „Werden sie jedoch über mehrere Jahre, ja sogar Jahrzehnte
angewendet, so kann aus diesem Unsicherheitsstatus eine Verletzung der
Würde des Menschen erwachsen.“ Er begrüßt die von der
Innenministerkonferenz im November 2006 beschlossene
Bleiberechtsregelung, kritisiert aber die geforderte Aufenthaltsdauer
und weitere Beschränkungen als zu rigide. Deutschland sei besonders
restriktiv bei der Anerkennung des Flüchtlingsstatus gewesen, so dass
viele der derzeit Geduldeten deswegen keinen Zugang zu einem
Flüchtlingsstatus gehabt hätten. Das ist eine Diagnose, die PRO ASYL in
vollem Umfang teilt.

*Rechtsmittel/Rechtsberatung*: Hammarberg empfiehlt, dass Asylbewerber
zu Beginn ihres Antragsverfahrens eine obligatorische kostenlose
Rechtsberatung erhalten, was bislang nicht der Fall ist. Der Kommissar
setzt sich dafür ein, dass Asylsuchende, die wegen der Zuständigkeit
eines anderen Staates im Rahmen des sogenannten Dublin II-Verfahrens in
einen anderen Staat verbracht werden sollen, einen Rechtsschutz gegen
diese Entscheidung haben. PRO ASYL kritisiert, dass die jüngste Änderung
des Zuwanderungsrechts in die Gegenrichtung geht.

*Flüchtlingslager und Residenzpflicht*: Der Kommissar hat im Oktober
2006 ein Sammellager für Flüchtlinge in München besucht und begründet
von den dort gemachten Erfahrungen ausgehend seine Kritik. Die
Unterbringung in Lagern sei dem Wohlbefinden der Betroffenen abträglich.
Würden sie mit Sachleistungen in Form von Nahrung und Kleidung versorgt,
so sei die Achtung ihrer Privatsphäre in Frage gestellt.
Aufnahmebedingungen dürften nicht zur Marginalisierung von Asylsuchenden
führen. Besorgt ist der Kommissar auch über den jahrelangen
obligatorischen Aufenthalt von Asylbewerbern in
Gemeinschaftsunterkünften und die strengen Einschränkungen ihrer
Bewegungsfreiheit. Wenn diese Beschränkungen über Jahre andauern,
entspreche dies möglicherweise nicht in vollem Umfang den einschlägigen
Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention.

*Abschiebungshaft*: Hammarberg empfiehlt den deutschen Behörden, das
Vorliegen von Haftgründen vor dem Antrag auf Abschiebungshaft sorgfältig
zu prüfen. Abschiebungshaft müsse umfassend gerechtfertigt sein und sei
nur dann zulässig, wenn die Abschiebung in unmittelbarer Zukunft
durchgeführt werden kann. Die deutschen Behörden müssten die Dauer der
Abschiebungshaft drastisch reduzieren. Eine weitere Empfehlung des
Kommissars: Abschiebehäftlingen soll eine kostenlose Rechtsberatung zur
Verfügung gestellt werden. Angesichts der im europäischen Vergleich
extrem langen Haftdauer hält PRO ASYL die Umsetzung dieser Empfehlung
für besonders dringend.

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Ein paar einfache Dinge zum Thema Freud, Marx und deren Rezeption
Was mich ab und an Staunen macht, ist die Tatsache, wie die Kritische Theorie bei manchen Leuten verarbeitet wird. Ihren Mißbrauch als Schlagworthalde für Antideutsche meine ich damit nicht, sondern durchaus seriöseres. Speziell bei bei schwulen Linken und solchen, die in Bereich Antipsychiatrie engagiert sind taucht häufiger ein distanziertes Verhältnis zur KT auf, das mit Freuds Neurosenlehre begründet wird, in der männliche Homosexualität als Krankheit bzw. "Devianz" (tendenziell pathologische Abweichung von einem als gegeben angenommenen biologischen Normalzustand) bewertet wird. Da der olle Sigi also abwertend über Schwule dachte, distanziert man sich von der politisch-philosophischen Umsetzung eines Teils seiner Überlegungen durch eine spätere Generation von Theoretikern und sucht sich als Theoriegebäude eher die Werke Foucaults, der als Selbst-Schwuler und Kritiker der psychopathologischen Denkschemata auch ganz gut als Identifikationsfigur taugt.


Und genau hier wird es problematisch: Einer Theorie wird der Nutzwert abgesprochen oder dieser nicht in Anspruch genommen, weil einer der Großväter ihrer Urheber der eigenen Identität feindliches Gedankengut vertreten hat und ein anderer Theoretiker gut ins eigene Identitätskonzept passt. Wunderbar das Territorium mit der Landkarte verwechselt, sage ich jetzt mal dreist als vom betreffenden Konzept unbetroffener Hetero. Und so unnötig. Wer glaubt denn heute noch an Freuds Neurosenlehre? Jedes Werk hat seine zeitgebundene und seine zeitübergreifende Komponente, und dazu gehören bei Freud seine im Geist der Zeit wurzelnden Vorurteile gegenüber Homosexualität (die sich auch umdrehen lassen: Für Linke aus meiner Umgebung gilt die Parole "Der polymorph-perverse Charakter als positives Ideal", der bisexuelle Mensch mit möglichst großer Varianzbreite an sexuellen Verhaltensweisen als Ideal des neuen Menschen), während das dialektische Modell des menschlichen Charakters mit Es, Über-Ich und Ich, das Konzept des Unbewussten, die psychoanalytische Symbolsprache und grundlegende kulturanthropologische Werke wie Totem und Tabu und das Unbehagen in der Kultur über Freuds eigenen Lebens- und Zeithorizont hinausreichen. Und genau diese Komponenten des Freud´schen Werkes sind es, die in der Kritischen Theorie zur Anwendung kommen. Umgekehrt ist Foucault für mich ein Philosoph, der mit seiner Geschichte des Strafens, Disziplinierens und Heilens wesentliche Ansätze der Körpergeschichte als historischer Hilfswissenschaft geliefert hat und dem große Verdienste als Diskurstheoretiker zukommen - da kann es mir aber persönlich egal sein, was er wiederum persönlich über die Psychoanalyse oder die Kritische Theorie gedacht hat - verwendbar sind Horkdornos und Foucaults Ansätze auch in Kombination, wenn man sie als Arbeitsmethoden und Materialsammlungen und nicht als dogmatische Behauptungen einer alleingültigen Wahrheit betrachtet. Ich dachte eigentlich, das sei arschklar.


Das ist es aber offensichtlich nicht für jeden, wie mich kürzlich auch der Standpunkt eines Freundes überraschte, der die marx´sche Lehre deswegen für überholt hielt, weil die neuere ur-und frühgeschichtliche Forschung einige der Grundannahmen im Geschichtsmodell des Historischen Materialismus nicht so gut aussehen lässt. Was aber sagen Engels´ Interpretationen des Völkerkundlers Lewis Henry Morgan, befangen im Wissenshorizont des 19. Jahrhunderts, über die Richtigkeit des Wertgesetzes oder die Akkumulation des Kapitals aus? Genau gar nichts.

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