Montag, 19. November 2018
Streifzüge des Bizarrologen, heute: Dekolonisierung durch Yoga, featuring Noah Sow
In hohem Maße verstehe ich mich als Antirassist. Nicht in dem Sinne dass ich eben gegen Rassismus bin sondern im Sinne eines konkreten politischen Engagements und auch einer Zugehörigkeit zu einer politischen Bewegung. So wie es Antifas gibt gibt es halt auch Antiras, was die auszeichnet ist der Anspruch gemeinsam mit Menschen die rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind und insbesondere Geflüchteten zu agieren. Initiativgruppen aus dem bürgerlichen und kirchlichen Spektrum handeln oftmals paternalistisch mit so einer Art wohlwollender Bevormundung, typische Antifas agieren als "Retter und Beschützer", die zur Stelle sind wenn Wohnheime angegriffen werden, entwickeln aber keine gemeinsame Perspektive mit Geflüchteten. Da sind unsere Ansprüche anders. Wir sind tief eingebunden in Netzwerke aus Geflüchteten, MigrantInnenselbstorganisationen und deutschen oder auch gemischten Soligruppen.


Insgesamt bin ich seit 23 Jahren Mitglied im Flüchtlingsrat und war insgesamt 8 Jahre in einer autonomen Antirassismusgruppe aktiv, habe also schon etwas auf dem Buckel.

Unser Antirassismus ist ein interventionistischer Antirassismus, das heißt es geht darum Abschiebungen zu verhindern, Geflüchteten Jobs oder Unterkünfte oder Sprachkurse zu vermitteln, Sport- und Schwimmkurse mit Flüchtlingskindern zu veranstalten und gewalttätigen Rassisten auf die Glocke zu geben.

Zu vielen von den Diskursen und Aktivitäten die im queerfeministischen Spektrum zum Thema Antirassismus laufen besteht hingegen eine ziemliche Distanz. Distanz insofern als dass es dort viel weniger um Flüchtlingssolidarität und um konkrete Interventionen im Alltag geht als um Theorie- und Awarenessarbeit der ein teilweise geradezu moraltheologischer Aspekt zukommt. Die Ansätze in unserem Spektrum sind hingegen eher pragfmatisch, zugleich aber immer noch, wenn auch eher theoretisch, in eine Klassenkampfperspektive eingebunden.

Die meisten mir bekannten bloggenden jüngeren (Queer) Feministinnen ihrerseits befassen sich nicht mit den Themen die im Feminismusdiskurs des Spektrums in das ich so gehöre wichtig sind, nämlich gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gegen sexuelle Diskriminierung am Arbeitsplatz, gegen Gewalt gegen Frauen und gegen Zuhälterei und Frauenhandel, sondern beschäftigen sich mit den Problemen von Queer- und Transmenschen, ästhetischen Fragen, neu vorzunehmenden Sprachregelungen und eher philosophischen Fragestellungen im Genderkontext. Etwa, inwieweit die Gleichsetzung der Frau mit der Natur für Frauenunterdrückung verantwortlich ist, ein Thema das ich in historisch-anthropologischer Hinsicht sehr spannend finde, von dem ich allerdings sagen würde dass es von seiner Wirkungsmacht her zwischen dem 18. Jahrhundert und der Lebzeit von Siegmund Freud relevant war, heute aber nur noch Geschichte ist. Auffällig ist dass in Bezug auf sexualisierte Gewalt Frauen in diesem Spektrum immer nur als Opfer auftauchen, Empowerment im Sinne von "Frauen schlagt zurück" scheinbar schon undenkbar ist.


Eine Aktivistin aus dem Spektrum der kulturalistischen Linken ist Noah Sow, die ich vor etlichen Jahren persönlich kennenlernen durfte und deren Buch "Deutschland Schwarzweiß" und deren gemeinsam mit Mutlu aka Sesparado veranstaltete Edutainmentattacke mein Bewustsein bereicherten. Noah hat es nun unternommen, ein Yoga-Training zu entwickeln das es People of Colour und BewegungsaktivistInnen ermöglichen soll neue Kraft zu schöpfen, Burn Out vorzubeugen und somatisierte Folgen von Kolonisierungserfahrungen (ein Problem das es bei Menschen die oder deren Vorfahren Opfer traumatischer Erfahrungen im Zusammenhang mit Kolonialismus geworden sind verbreitet gibt) zu überwinden. Alles erst mal sehr positiv.


Die Umsetzung allerdings nimmt Formen an die eher ans Sektiererische erinnern und eine überhaupt nicht mehr emanzipatorische Selbstethnisierung betreiben. Es wird ein gewillkürtes Kollektiv geschaffen aus PoC die dazugehören und deren ebenfalls durch willkürliche Einladung befugten Adlaten. Die Fachschaft Philosophie der Uni Oldenburg hat hierzu eine Kritik verfasst der ich vollinhaltlich zustimme - wobei ich sagen muss dass ich beim ersten Lesen vor Lachen vom Stuhl purzelte.

https://uol.de/fileadmin/user_upload/fachschaften/fsphilo/Hochschulpolitik/_Postmoderne_Rassentrennung_an_der_Uni__-_Stellungnahme_FS_Philo.pdf

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Bleiberecht vs. Abschiebung und die Absurditäten des Asylrechts
wieder ein Beispiel für die Fragwürdigkeit der Dublin III-Verordnung:

https://www.nds-fluerat.org/35451/aktuelles/abraham-sohou-darf-bleiben/

Abraham Sohou war ursprünglich über Italien nach Deutschland eingereist. Er lernte in kürzester Zeit Deutsch. Nach einem Praktikum in einem Kindergarten und einer Seniorenwohnanlage hat Herr Sohou eine Ausbildung in der Pflege, einem Mangelberuf, begonnen. Außerdem hat er sich sehr in der Kirchengemeinde Wendthagen engagiert und viele Freundinnen und Freunde gewonnen. Herr Sohou ist ein Beispiel für gelungene Integration, der sich laut Dublin III-Verordnung aber gar nicht in Deutschland aufhalten dürfe. Ihm drohte seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die Abschiebung nach Italien. Die Bitte des Flüchtlingsrats Niedersachsen e.V. den sogenannten Selbsteintritt freiwillig wahrzunehmen lehnte das Bundesamt ab. Es drohte weiterhin die Abschiebung in die Perspektivlosigkeit. Nach Intervention durch den CDU-Bundestagsabgeordneten Beermann, den SPD-Innenminister Pistorius und die Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe Schröder-Köpf, konnte das Bundesamt schließlich doch noch dazu bewegt werden ein öffentliches Interesse für den Verbleib von Abraham Sohou in Deutschland zu erkennen (siehe Schaumburger Nachrichten).

Es erscheint absurd, dass gut integrierte Geflüchtete in Arbeit und Ausbildung in ein anderes europäisches Land zurückkehren müssen.

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Dienstag, 13. November 2018
Schikane des Landkreises Lüchow-Dannenberg gegen Flüchtlinge
Der Landkreis Lüchow-Dannenberg ist in jüngster Zeit dazu übergegangen, an Flüchtlinge, denen im Rahmen der sog. Dublin III – Verordnung eine Überstellung in andere Vertragsstaaten droht, wieder Gutscheine auszugeben. Diese Praxis hat es aus gutem Grund und nach langen Protesten ab 2013 in Niedersachsen nicht mehr gegeben und erfüllt uns mit Sorge.

Die Ausgabe von „Berechtigungsscheinen“, wie sie der Landkreis Lüchow-Dannenberg praktiziert, erscheint uns nicht nur wegen der damit verbundenen Diskriminierung der Betroffenen, sondern auch aus rechtlichen Gründen zweifelhaft: Die Gutscheine müssen vom „Lieferanten“ wie vom „Empfänger“ persönlich unterschrieben werden, was schon datenschutzrechtlich nicht zulässig sein dürfte. Auch dürfen nur Hygieneartikel und Lebensmittel eingekauft werden, also z.B. auch keine Socken, keine Mütze, kein Handy-Guthaben, keine Busfahrkarten. Ein Taschengeld wird den Betroffenen nach den uns vorliegenden Informationen gänzlich verweigert.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert das niedersächsische Innenministerium dringend auf, von seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen und diese willkürliche Strafaktion des Landkreis Lüchow-Dannenberg zu unterbinden.

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Montag, 12. November 2018
Abschiebungsflug stoppen!
Tausende zivile Opfer in diesem Jahr zeigen, wie unsicher Afghanistan ist
Gewalt gegen die afghanische Zivilbevölkerung hat allein in diesem Jahr mindestens 2854 Todesopfer gefordert. Auch zahlreiche Anschläge während der Parlamentswahlen im Oktober haben erneut bewiesen, dass Afghanistan kein sicheres Land ist, in das Menschen abgeschoben werden dürfen.

BERLIN, 12.11.2018 – Der nächste Abschiebungsflug nach Afghanistan ist für morgen (13.11.2018) angekündigt worden, obwohl Rückführungen aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage gegen Völkerrecht und die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Dazu sagt Anika Becher, Asien-Expertin bei Amnesty International in Deutschland:
„Die vergangenen Parlamentswahlen Ende Oktober haben erneut bewiesen, wie unsicher Afghanistan ist: Nach Angaben der Vereinten Nationen sind allein hier bei mehr als 100 Anschlägen mindestens 56 Menschen getötet und 379 verletzt worden – mehr als bei allen vier Wahlen zuvor.“

„Schon vor dem Gewaltausbruch rund um die Parlamentswahlen sind in den ersten neun Monaten 2018 laut den Vereinten Nationen 2798 Menschen in Afghanistan bei Anschlägen und Angriffen getötet worden, es gab 5252 Verletzte. Diese aktuellen Zahlen zeigen, dass sich das Ausmaß der Gewalt weiterhin auf einem katastrophal hohen Level bewegt.“

„Vor dem Hintergrund der hohen Zahlen ziviler Opfer ist nicht zu vertreten, dass weiterhin Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden. Amnesty International fordert den Bundesinnenminister und die Innenminister der Länder dazu auf, den für morgen geplanten Abschiebungsflug abzusagen und von allen weiteren Rückführungen nach Afghanistan abzusehen. Jede Abschiebung nach Afghanistan stellt eine Verletzung des Völkerrechts und der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Denn kein Mensch darf in ein Land abgeschoben werden, in dem ihm wie in Afghanistan ein gewaltsamer Tod droht.“

In einer Amnesty-Petition haben sich knapp 30.000 Menschen für einen sofortigen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan eingesetzt.

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Polat: Bundesregierung verschleppt Lösung für Flüchtlingspat*innen
Filiz Polat, integrationspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, kritisiert das Verhalten des Bundesinnenministeriums im Umgang mit Rückforderungen gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, die sich zur Übernahme von Kosten für die Aufnahme von Geflüchteten bereiterklärt hatten. Bereits am 3. September 2018 hatte das Ministerium auf Nachfrage mitgeteilt, dass sie sich ‚seit geraumer Zeit um eine Lösung der Problematik hoher Erstattungsforderungen an Verpflichtungsgeber‘ bemühe. Da aber noch keine abschließende Regelung gefunden werden konnte, sollten die Gespräche noch im September fortgesetzt werden. Aus der Antwort des Innenministeriums auf eine weitere schriftliche Anfrage der Abgeordneten geht nun hervor, dass die für September geplanten Gespräche immer noch nicht stattgefunden haben.

Polat: „Die Bundesregierung verschleppt das Problem der Rückforderungen gegenüber Flüchtlingspat*innen. Auf erneute Nachfrage erfahre ich nun, dass die für September geplanten Gespräche gar nicht stattgefunden haben und erst jetzt im November stattfinden sollen. Dieser Zeitverlust führt zu einer Hinhaltetaktik, die viele Verpflichtungsgeber*innen in ihrer existenzbedrohenden Situation alleine lässt.

Ich fordere das Bundesinnenministerium auf, endlich zu handeln und Lösungen mit den Ländern zu erarbeiten, bevor es zu weiteren hohen Rückforderungen der Jobcenter kommt. Verpflichtungsgeber*innen sind zutiefst verunsichert. Die Bundesregierung darf den Helferinnen und Helfern jetzt keinen Anlass bieten, im Nachhinein an ihrer Hilfsbereitschaft zu zweifeln oder sie gar zu bereuen. Ihr Einsatz für Geflüchtete in den vergangenen Jahren kann gar nicht genug gewürdigt werden.“

Polat thematisierte das Problem der Verpflichtungsgeber*innen in der vergangenen Woche auch in einem Gespräch mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der ihr eine Lösung noch für November zusicherte. Polat: „Ich hoffe, dass sich Arbeits- und Innenministerium hier nun umgehend auf eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung einigen werden.“

Immer noch sehen sich Bürgerinnen und Bürger, die sich zwischen 2013 und 2015 bereiterklärt hatten, Bürgschaften für die Finanzierung der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen abzugeben, mit Rückforderungen der Jobcenter konfrontiert. Hier geht es zum Teil um hohe Summen bis in den sechsstelligen Bereich. Dabei gingen sowohl viele der Verpflichtungsgeber*innen als auch der Behörden davon aus, dass eine Kostenerstattungspflicht der Verpflichtungsgeber*innen mit der Flüchtlingsanerkennung enden würde. Das Bundesverwaltungsgericht (BverwG) stellte in seinem Urteil vom 26.01.2017 fest, dass die Verpflichtungserklärung weiter gelten könne, jedoch sei dies im Einzelfall auf Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Mittlerweile haben auch einige Verwaltungsgerichte zu Gunsten von Verpflichtungsgeber*innen entschieden.

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Samstag, 10. November 2018
Rage against Abschiebung
Abschiebehaftanstalt Büren in NRW: Am 21.11. und am 11.12. findet eine Sammelabschiebung nach Georgien statt. Leute, greift ein!

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Freitag, 2. November 2018
Entmündigung und Zermürbung von Flüchtlingen in Schwelm
Bericht der ersten Delegation des KARAWANE-Netzwerks aus Wuppertal
1. November 2018

Über Bekannte hörten wir, dass Flüchtlinge in Schwelm in einem „Flüchtlingsheim“ leiden und ihre Situation nicht mehr ertragen. Also besuchte eine erste Delegation die Freunde, um sich selbst ein Bild vor Ort zu machen.

In einer ehemaligen Schule in Schwelm sind seit Januar 2016 vornehmlich alleinstehende Männer von der Stadt Schwelm. Sie kommen unter anderem aus Afghanistan, Eriteria, Guinea, Iran und Nigeria. Neben den Flüchtlingen dient die mittlerweile zur Gemeinschaftsunterkunft umfunktionierte Schule auch als Übernachtungsstätte für obdachlose Menschen. Anfangs waren etwa 120 Flüchtlinge in dem Heim untergebracht. Mittlerweile leben dort zwischen 30 und 40 Flüchtlinge und fünf Obdachlose.
In das Heim kommt man über den Hintereingang. Dieser ist verschlossen. Klingelt man, öffnet die Security die Tür. Die Security wird von der Firma Matrix gestellt. Sie behält den Personalausweis und man erhält stattdessen einen Besucherausweis. Nicht nur die Besucher müssen klingeln, sondern auch die Bewohner. Kein einziger Bewohner hat einen Hauseingangsschlüssel. Die Gemeinschaftsdusche ist neben dem Gebäude auf dem Hof. Wenn ein Bewohner die Dusche benutzen will, muss er also das Gebäude verlassen, etwa 25 Schritte zur Dusche laufen und wenn er zurück kommt, muss er wieder klingeln, damit er reinkommt. Ist das anwesende Personal gerade auf Toilette oder im Keller oder anderweitig beschäftigt, steht man z.B. im Winter draußen und friert. In den Räumen darf nicht geraucht werden. Geht man zum Rauchen rein, muss man wieder klingeln, dass die Tür aufgemacht wird. Hier kommt das erste Mal der Verdacht auf, dass die Stadt hier unnötige Jobs beschafft, die absolut verschwenderisch sind. Es sei anzumerken, dass die Securities 24 Stunden, sieben Tage die Woche vor Ort sind. Auf jeder Schicht sind zwei Angestellte. Laut einem Freund, habe die Stadt behauptet, dass die Securities zum Schutz der Flüchtlinge vor Ort seien. Sie sollen die Sicherheit gewährleisten. Letztendlich sind sie aber nicht für das Öffnen der Tür zuständig, sondern überwachen auch die Anwesenheit der Flüchtlinge. Ist ein Flüchtling z.B. zwei Nächte nicht im Heim, weil er Bekannte oder Freunde besucht, werden ihm die Sozialleistungen gekürzt.

Die ehemaligen Schulklassen sind mit Trennwänden in kleine etwa 9 Quadratmeter kleine Bereiche aufgeteilt. In diesen gibt es jeweils ein Hochbett für zwei Personen und einen Schrank für diese. In einer Schulklasse sind Platz für etwa 12 bis 16 Personen. Obwohl die Zahl der Bewohner seit 2016 um das vierfache reduziert worden ist, müssen die Menschen trotzdem auf diesem beengten Platz zusammen wohnen, weil die anderen Zimmer einfach verschlossen sind. Die belegten Zimmer sind aber permanent auf. Die Bewohner leben dort auf engstem Raum zusammen und müssen nicht nur Rücksicht aufeinander nehmen, sondern auch versuchen, ihren Alltag gemeinsam zu organisieren. Mit Verweis auf den Brandschutz dürfen im Zimmer keine elektrischen Geräte an die Steckdosen angeschlossen werden. Die Securities laufen durch die Zimmer und kontrollieren die Einhaltung der Regeln. Privatsphäre gibt es in diesem Heim nicht. Die Türen zu den ehemaligen Schulklassen sind permanent offen.

Würden die Menschen dort nur kurzfristig bleiben, weil übergangsweise keine anderen Räume zur Verfügung stünden, könnte jemand auf die Idee kommen, dass dies noch erträglich wäre. Manche sind dort seit der Eröffnung als „Flüchtlingsunterkunft“, also schon fast drei Jahre, manch andrer etwa zwei Jahre. Einige der Flüchtlinge sind im Beruf und arbeiten oder befinden sich in einer Ausbildung. Die in Lohnarbeit befindlichen Flüchtlinge müssen der Stadt 300 Euro im Monat als Miete für die mit einer zweiten Person geteilten 9 Quadratmeter mit Plastik oder einer Decke abgetrennten Bereich zahlen. Die einzige Etagentoilette und die Gemeinschaftsküche sind natürlich in der Miete inbegriffen. 40 Euro pro Person werden abgezogen für Strom.
Mittlerweile gibt es auch einen Gemeinschaftsraum. Eine zweite Toilette ist geschlossen, weil es laut dem Betreiber angeblich nicht funktionsfähig ist. Im Gemeinschaftsraum ist dafür eine Steckdosenleiste zum Laden von Handys installiert worden. Im selben Raum ist auf Nachfrage der Flüchtlinge mittlerweile ein Fernseher aufgestellt. Die Fernbedienung für den Fernseher wird bei den Securities aufbewahrt. Will jemand Fernsehen schauen, muss er in das Büro der Securityfirma am Eingang und dort und darum bitten, dass der Fernseher eingeschaltet wird. Soll das Programm gewechselt oder die Lautstärke geändert werden, muss man wieder zum anwesenden Securitypersonal.

Der Waschraum ist im Keller und verschlossen. Den Schlüssel für den Waschraum wird beim Security verwahrt. Will jemand Wäsche waschen, muss er die Securities bitten, den Raum aufzuschließen. Dann wird die Wäsche in die Waschmaschine gegeben. Die Securities machen nicht nur den Flüchtlingen die Tür zum Waschraum auf, sondern beraten sie auch, wie die Wäsche zu waschen sei. Einer der Flüchtlinge erzählte, dass er seine dreckige Arbeitskleidung in die eine Waschmaschine und die andere Wäsche in die zweite Maschine geben wollte, die Securities aber darauf bestanden, dass er die Wäsche zusammenwaschen sollte.

Die in Ausbildung befindlichen Personen müssen morgens früh das Haus verlassen. Also müssen sie früh morgens draußen duschen, wieder rein und dann ab zur Arbeitsstelle. Abends zurückgekommen, schaffen es sie es manchmal nicht die Wäsche vor 22:00Uhr zu waschen, weil es entweder besetzt oder weil sie auch essen müssen, nach einer körperlich anstrengenden Arbeit. Vor allem das Lernen sei besonders schwierig in den engen Räumen. Der Rhythmus jedes Bewohners ist anders. Manch einer kommt erst spät von der Arbeit, während der andere früh schlafen will, weil er um 5 oder 5:30 Uhr aufstehen muss. Ein junger Mann sagte, ich habe hier keine Ruhe, um zu lernen. Deshalb sei er in der Schule vor allem in Deutsch sehr schlecht. Ein anderer behauptet, wie soll man hier Deutsch lernen, wenn man niemanden hier empfangen kann. Ein junger Freund erzählt, dass Freundinnen oder Freunde nie wieder kommen, wenn sie sehen, wie er dort lebt. Er sagte: „Alle die uns hier sehen, denken wir seien Wilde!“

Ein junger Flüchtling, der das Privileg hatte, einen „Integrationskurs“ zu besuchen. Hat die Schule abgebrochen, weil er abends sich nicht konzentrieren und lernen konnte. Als das Jobcenter ihn danach befragte, warum er nicht mehr zur Schule ginge, schilderte er die Situation. Als die Mitarbeiter des Jobcenters erfuhren, dass er den Raum mit vielen anderen Personen teilt, wunderten sie sich, warum das Jobcenter 300 Euro an die Stadt als Miete überweist und besuchten den jungen Flüchtling, weil sie dies nicht glaubten. Danach stellten Sie die Zahlung der Miete ein.

Die jungen Menschen sagten, sie werden hier nicht nur krank, weil sie im Winter zum Duschen in die Kälte rausmüssen, sondern seelisch werden sie alle langsam krank. Die fehlenden sozialen Kontakte, weil keiner sie vor Ort besuchen möchte, sind besonders schmerzhaft. Das enge Zusammengepferchtsein und die fehlende Perspektive nagen ständig an der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Erniedrigt fühlen sie sich zudem durch die Mitarbeiter des Sozialamts in Schwelm. Wenn sie fragen, ob sie in eine private Wohnung dürfen, wird ihnen gesagt, dass sie einen Nachweis, z.B. einen Attest, bringen müssen, dass sie seelische oder psychische Beschwerden haben. „Müssen wir den verrückt sein, um in eine Wohnung zu dürfen?“ sagte einer der Freunde. Ein anderer sagte: „Du wirst hier selbst verrückt, weil du hier entmündigt wirst. Keinen Hauseingangsschlüssel, keine Fernbedienung für Fernseher, kein Schlüssel für den Waschraum, keine Privatsphäre, keine Ruhe!“

Für das Asylverfahren von drei Flüchtlingen war es besonders einschneidend, weil sie die Briefe vom Bundesamt nicht erhalten haben. Sie können weder sagen, ob die Securities diese nicht gegeben haben oder ob es an die falsche Stelle im Heim abgelegt worden ist. Weil sie die Briefe nicht erhalten haben, konnten die Freunde nicht rechtzeitig Rechtsanwälte einschalten und Einspruch einlegen. Vielleicht ist das die Lösung für die Ankerzentren, dachte sich die Delegation. Einem die Möglichkeit nehmen, seinen Recht in Anspruch zu nehmen und dann behaupten, dass sie ihr Recht nicht wahrgenommen hätten.

Die Delegation versprach am Ende des Besuchs, die Informationen anderen Flüchtlingscommunities und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Weitere Treffen werden stattfinden, um die Isolation mitten im Schwelm Einhalt zu gebieten.

Wuppertal, 1. Novemember 2018

Araz Ardehali
im Namend des Wuppertaler Büros
der KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen


Kontakt:

KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
Marienstraße 52, 42105 Wuppertal
Telefon: 0049 (0) 202 27 27 95 34
E-Mail: wuppkarawane {ät] yahoo.de
Internet: http://thecaravan.org

Bankverbindung:
Förderverein Karawane e.V.
Kontonummer: 4030780800
Bankleitzahl: 43060967
IBAN: DE28 4306 0967 4030 7808 00
BIC: GENO DE M1 GLS
GLS Gemeinschaftsbank eG
_______________________

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Donnerstag, 25. Oktober 2018
Flüchtlinge in Griechenland: Warten ohne Hoffnung
http://www.migazin.de/2018/10/15/griechenland-warten-ohne-hoffnung/

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Rage against deportation - Kundgebung in Göttingen
Heute Morgen, am Donnerstag den 25.10, versammelten sich ab 7.30 Uhr
rund 50 Aktivist*innen vor dem Neuen Rathaus in Göttingen. Sie
protestierten gegen die rechtswidrige und überfallartige Verhaftung
einer Geflüchteten Person vor 2 Tagen, die nach Pakistan abgeschoben
werden soll. Die Abschiebegegner*innen versperrten symbolisch den
Eingang zum Rathaus mit Absperrband, verteilten Flugis und machten in
Redebeiträge auf die Schikanen, die Repression und den Rassismus
aufmerksam, denen Geflüchtete auf der Ausländerbehörde alltäglich
ausgesetzt sind.

Unten findet ihr unsere aktualisierte Presseerklärung zur Verhaftung und
Freilassung von Ali:




Erst schikaniert, dann eingesperrt!

Am Dienstag Morgen wurde Ali I. festgenommen. Nach einem Termin bei der
Ausländerbehörde wurde er auf dem Platz vor dem Neuen Rathaus in
Göttingen von drei Polizist*innen in Zivil abgefangen. Er sei zur
Ingewahrsamnahme ausgeschrieben um seine Abschiebung durchzuführen. Die
drei Beamt*innen schleppten ihn zu einem bereitstehenden Transporter,
führten eine Leibesvisitation durch und legten ihm Handschellen
an.Weitere Beamt*innen wurden zur Absicherung der Festnahme
hinzugezogen. Ali wurde gegen seinen Willen und unter offenkundiger
Angst in den Transporter gesetzt. Da noch überhaupt kein Haftbefehl
vorlag fuhren sie Ali zum Haftrichter. Es konnte aber keine Vorstellung
stattfinden, da es an einer Übersetzung mangelte. Daraufhin wurde Ali
auf die Polizeiwache in Northeim gebracht, wo er bis zum Gerichtstermin
grundlos im Gefängnis ausharren musste. Gestern stellte der Haftrichter
die Unrechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme Alis fest, was uns sehr freut.
Voller Wut sind wir aber über die weiteren Repressionen mit denen Ali
durch Auflagen des Haftrichters überzogen wird. Die Auflagen zwingen Ali
dazu Montags, Mittwochs und Freitags bei der Ausländerbehörde vorstellig
zu werden und die Nächte in der Massenunterkunft Siekhöhe zu verbringen.
Weiter ist die Gefahr der Abschiebung noch nicht gebannt und setzt Ali
weiter massivem psychischen Druck aus.

Damit war Alis rechtswidrige Festnahme und Haft nur der vorläufige
Höhepunkt der staatlich organisierten Repression gegen ihn. Aus Pakistan
geflohen, seine Fluchtgründe vom BAMF für nicht ausreichend befunden,
wurde seine Abschiebung vor anderthalb Jahren anberaumt. Da der
Ausländerbehörde in Göttingen aber die nötigen Papiere zur Überstellung
fehlten musste er alle 2 bis 3 Tage in der Ausländerbehörde vorstellig
werden. Die Ausländerbehörde in Göttingen pflegt damit eine Praxis, die
an Boshaftigkeit kaum zu überbieten ist.

Es ist nicht das erste Mal, dass Geflüchtete direkt bei Terminen in der
Göttinger Ausländerbehörde festgenommen wurden, um sie abzuschieben. Wir
wollen an einen Fall von 2016 erinnern, in dem die rechtswidrige
Abschiebung einer Person im letzten Moment gestoppt werden konnte. Auch
hier wartete die Polizei im Rathaus auf ihn, um ihn festzunehmen. In der
öffentlichen Auseinandersetzung, die folgte, behauptete die
Ausländerbehörde, sie werde ab sofort niemanden direkt aus dem Rathaus
abschieben:

„Die Behörde selbst räumte inzwischen ein, die Abschiebung sei nicht
rechtmäßig gewesen. Es werde künftig bei Terminen in der
Ausländerbehörde keine Festnahmen zur Abschiebung mehr geben.“
(siehe taz vom 9.9.2016, oder http://www.taz.de/!5338143/)
Wir sind nicht überrascht, dass die Ausländerbehörde sich nicht an ihre
eigenen Regeln hält – aber wütend macht uns das trotzdem.

Ali ist nicht der Einzige, der mit dieser Repression von Seiten der
Ausländerbehörde leben muss. Es gibt weitere Menschen wie Ali, die
ebenfalls alle 2 bis 3 Tage bei der Ausländerbehörde erscheinen müssen.
An sie wurde nun mit der Festnahme Alis das Signal gesendet, dass sie
mit jedem Besuch der Behörde, auf den sie angewiesen sind, in eine Falle
laufen könnten. Dieses Signal versetzt viele in Angst und ist in seiner
berechnenden Art besonders menschenverachtend. Damit zeigt die Stadt
Göttingen erneut, was sie unter „Willkommenskultur“ und „Integration“
versteht und legt ein lebloses und nicht zur Empathie fähiges Getriebe
der Bürokratie frei. Ein Getriebe in dem alle nur ihren Job machen und
es nicht mehr um Menschen, sondern nur noch um Verwaltungsvorgänge
geht.

Wir fordern ein Bleiberecht und gleiche Rechte für alle.

Wir fordern einen sofortigen Abschiebestopp. Auch nach Pakistan.

Bündnis gegen Abschiebung Göttingen

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Donnerstag, 18. Oktober 2018
Über die Vermessenheit der angeblichen Vermessbarkeit von Intelligenz oder die Crux mit dem IQ
An anderer Stelle hatte ich ja schon meine Meinung zum Thema Messung des Intelligenzquotienten kundgetan.
https://bersarin.wordpress.com/2017/12/11/mitten-unter-uns-arabischer-antisemitismus/#comment-12919

https://bersarin.wordpress.com/2017/12/11/mitten-unter-uns-arabischer-antisemitismus/#comment-12958

Was in IQ-Tests erfasst wird ist nicht Intelligenz an sich, sondern sind sehr bestimmte Anwendungen von Intelligenz. Den verschiedenen Testarten entsprechend gibt es dann auch verschiedene Intelligenzquotienten: Manche Tests erfassen hauptsächliche mathematische Fähigkeiten, Orientierungsvermögen und logisches Denken, andere auch sprachliche, wenige soziale Fähigkeiten. So kann ein und derselbe Mensch bei zwei verschiedenen IQ-Tests völlig verschieden abschneiden. Bei mir selbst ist die Varianzbreite enorm groß: Irgendwann hatte ich in einem Test mal, ich meine, mit 140 abgeschnitten, in einem anderen Test mit unter 89. Spaßeshalber habe ich jetzt wieder an zwei IQ-Tests teilgenommen und kam bei einem zu dem Ergebnis „im Varianzbereich 96 – 112“ und bei dem anderen auf 67. Demzufolge bin ich also bei einem Testergebnis hochbegabt (wobei ich auch den Begriff der Hochbegabung ablehne, da er ähnlich wie der IQ von angeborenen Begabungen und der Erblichkeit von Intelligenz ausgeht was ich schlicht ablehne und was in rassistisch – sozialdarwinistischen Denktraditionen steht), bei einem anderen von eher unterdurchschnittlicher Intelligenz, beim nächsten absoluter Durchschnitt und beim letzten schwachsinnig. Es liegt mir fern mir eitel selbst etwas auf meine Intelligenz einzubilden, aber es ist nun mal so dass alle die mich kennen mich für überdurchschnittlich intelligent halten, ich mein Studium mit einem Prädikatsmagister beendet hatte, dann mit magna cum laude promoviert habe und seither immer in Berufen gearbeitet habe und arbeite die überdurchschnittliche Intelligenz zur Voraussetzungen hatten: Als PR-Referent, als Marketingmanager, als Pressesprecher, als Lehrer, als Dozent in der Erwachsenenbildung, als Reporter, als Finanzberater. Dass die Gesamtaussage die mit dem IQ 67 verbunden ist zutrifft erscheint da sehr unwahrscheinlich, die unterschiedlichen Ergebnisse sagen eher etwas über die Messmethoden aus.

So wie ein Persönlichkeitsinventar trotz seines Namens nicht die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen abbildet sondern nur ein Indikator für die Wahrscheinlichkeit bestimmter psychischer Erkrankungen darstellt so umfasst ein Intelligenzquotient nur bestimmte Anwendungsintelligenzen in bestimmten Umgebungen. Eigenschaften wie die Fähigkeit zu strategischem Denken, Empathie, Fantasie, Sozialkompetenz, Kreativität, Musikalität, Langzeitgedächtnis, die Fähigkeit schnell Fremdsprachen zu erlernen oder komplexes Abstraktionsvermögen werden hier überhaupt nicht erfasst, es könnte also sein dass ein Mozart oder Baudelaire als wenig intelligent eingestuft würde. Hinzu kommt die Fragwürdigkeit von multiple-choice-testings. Während meiner Studienzeit erfolgt die Prüfung wissenschaftlicher Kompetenz durch Klausuren in denen komplexe Fragestellungen zu erörtern waren, Referate und schriftliche Hausarbeiten von in der Regel mehr als 30 Seiten Umfang – niemand wäre auf die Idee gekommen, Qualifikationen in einem Falsch-Richtig-Fragebogen zu testen. Was unter Intelligenz zu verstehen ist ist auch sehr umgebungsabhängig, hängt schließlich damit zusammen, wie die eigenen Fähigkeiten zur Bewältigung des eigenen Lebens einsetzbar sind. Die üblichen IQ-Tests heben auf die Lebensverhältnisse in modernen Industriregesellschaften ab. Das Setting für ganz andere Umgebungen wäre also auf diese zuzuschneiden, etwa für den Bergregenwald am Ruwenzori oder Irjan Jaja in Papua Neuguinea auf Faktoren wie Fährtenlesen, Gerüche deuten und Tierstimmen interpretieren, und da könnte ein New Yorker Börsenmanager mit 30 eingestuft werden.

Erschwerend hinzu kommt dass sich je nach Kenntnis des Settings und der Bewertungskriterien das Bestehen eines IQ-Tests erlernen und trainieren lässt. Das Zusammenrechnen unterschiedlicher Teilbereichsintelligenzen zu einem Gesamtfaktor G in der Faktorenanalyse ist manipulierbar je nachdem welche Faktoren man hinzufügt oder wegfallen lässt- So bleibt letztendlich von einem quantifizierbaren Konzept von Intelligenz nichts übrig.





https://scholar.google.de/scholar?q=Debatte+um+Erblichkeit+von+Intelligenz&hl=de&as_sdt=0&as_vis=1&oi=scholart

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