Mittwoch, 11. Mai 2022
Kommerz stoppen: Hausärzte-Tagung verabschiedet 10-Punkte-Plan gegen Investoren-MVZ und zieht bittere Bilanz über Corona-Blindflug
Christian Beneker, Medscape


Rund 140 Delegierte trafen sich auf der Frühjahrstagung des Deutschen Hausärzteverbandes in Hannover und packten auch heiße Eisen an: namentlich die holperige Digitalisierung der Praxen und die Kommerzialisierung vieler Medizinsicher Versorgungszentren (MVZ).

In der Diskussion nach dem Bericht zur Lage durch den Vorsitzenden des deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, griffen mehrere Delegierte seine Worte zur Kommerzialisierung der Medizin vor allem durch Investorenbetriebene MVZ auf.

Um ihre Forderungen bei der Praxisdigitalisierung zu untermauern, hat der Hausärzteverband für seine Frühjahrtagung das ?Konzeptpapier Digitalisierung der hausärztlichen Versorgung? erstellt, das ?Idealbild einer digitalen hausärztlichen Versorgung?, so der Titel. Es zählt die digitalen Anwendungen von der digitalisierten Anmeldung über das digitalisierte Wartezimmer und Sprechzimmer bis hin zum Datenabruf durch die Patienten, wenn er wieder zuhause ist.

Eine neue Versorgungsebene ?digitale Medizin? lehnte Weigeldt ab. Die Schwierigkeiten in der Digitalisierung deckten die Strukturdefizite in der hausärztlichen Versorgung auf. Sie müssten vor einer Digitalisierung bereinigt werden. ?Noch immer gilt: Wer einen schlechten Prozess digitalisiert, hat einen schlechten digitalen Prozess?, sagte Weigeldt.

Deutschland im ?Datenblindflug?
Besonderes Augenmerk legten Weigeldt und die Delegierten auch auf den schleppenden Fortgang der Digitalisierung in den Praxen. ?Es hakt an allen Ecken und Enden?, so Weigelt. Beim Fortgang der Digitalisierung belege Deutschland im Europa-Vergleich einen Abstiegsplatz statt einen der vorderen Ränge, so Weigelt.

Für das e-Rezept, die e-AU oder die ePA verlangte der Vorsitzende funktionierende Produkte. Die Hausärztinnen und Hausärzte wollen die Produkte als fertige und funktionierende Anwendungen in der Praxis. So begrüßte das Plenum in Hannover die Digitalisierung, kritisierte aber, dass die Hausarztpraxen als Beta-Tester eingesetzt werden. Darüber hinaus forderten Weigeldt, ?dass zum Teil überzogene Sicherheitsanforderungen in der TI keine zusätzlichen Aufwände in unseren Praxen auslösen dürfen?.

Um ihre Forderungen bei der Praxisdigitalisierung zu untermauern, hat der Hausärzteverband für seine Frühjahrtagung das ?Konzeptpapier Digitalisierung der hausärztlichen Versorgung? erstellt, das ?Idealbild einer digitalen hausärztlichen Versorgung?, so der Titel. Es zählt die digitalen Anwendungen von der digitalisierten Anmeldung über das digitalisierte Wartezimmer und Sprechzimmer bis hin zum Datenabruf durch die Patienten, wenn er wieder zuhause ist.

Eine neue Versorgungsebene ?digitale Medizin? lehnte Weigeldt ab. Die Schwierigkeiten in der Digitalisierung deckten die Strukturdefizite in der hausärztlichen Versorgung auf. Sie müssten vor einer Digitalisierung bereinigt werden. ?Noch immer gilt: Wer einen schlechten Prozess digitalisiert, hat einen schlechten digitalen Prozess?, sagte Weigeldt.

Deutschland im ?Datenblindflug?

Obwohl die gegenwärtige Corona-Welle ausläuft, beschäftige das Infektionsgeschehen die Hausärztinnen und Hausärzte derzeit massiv, erklärte Weigeldt. 80% aller Corona-Patienten würden in den Hausarztpraxen versorgt. So stark die hausärztliche Versorgung sei, so schwach erscheine allerdings die Datenlage. ?Deutschland befindet sich nach über zwei Jahren Pandemie immer noch im Daten-Blindflug?, kritisierte Weigeldt.

So sei keine konsistente Strategie erkennbar: ?Da werden Zahlen über Infizierte verbreitet, deren Grundlage einzig und alleine positive PCR-Tests sind?, so Weigeldt. ?Eigentlich müsste jedem klar sein, dass sich nicht jede oder jeder Infizierte einem PCR-Test unterzogen hat.?

Es sei unklar geblieben, auf welchen Grundlagen das Infektionsgeschehen dargestellt und bewertet wird ? auf der Hospitalisierungsrate? Aufgrund der Inzidenzen? Die Auslastung der Intensivstationen? ?Nachvollziehbar ist das nicht wirklich?, so Weigeldt.

Ökonomisierung sei nichts Negatives, hatte Weigeldt gesagt, im medizinischen Kontext allerdings ein Begriff, ?der die Abhängigkeit medizinischer Entscheidungen von Renditeerwartungen der jeweiligen Investoren? beschreibe. Damit war das Problem markiert. ?Wir wollen und brauchen kooperative Formen der Berufsausübung von Hausärztinnen und Hausärzten, aber dabei muss klar sein, dass Ärztinnen und Ärzte das Sagen haben und nicht die Controller!?, so Weigeldt weiter.

MVZ: ?Mittelverschwendung und Überversorgung.?
Stimmen aus der Versammlung kritisierten unter anderem Mittelverschwendung und Überversorgung durch investorenbetriebene MVZs. Die Überweisungen in MVZs wiesen ein Plus von 20 Prozent auf, 70 Prozent davon führten die Patienten wieder zurück in Praxen des MVZ, hieß es. ?Wir sind nicht beleidigt, weil uns jemand etwas wegnähme, sondern wir fragen: Was machen solche Strukturen mit der Versorgung?? Man müsse verhindern, dass das Geld der Versichertengemeinschaft in andere Kanäle abfließt.


Die Delegierten beschlossen denn auch ein 10-Punkte-Programm, um die Übernahmen von MVZ durch Investoren zu beschränken. Darin fordern die Delegierten unter anderem, ein MVZ-Transparenzregister, dass auch die nachgelagerten Inhaberstrukturen abbildet.

Außerdem sollen Ärzte bei den Gesellschaftsanteilen und den Stimmrechte der MVZ-Trägergesellschaft in der Mehrheit sein. Die Delegierten forderten zudem, dass ein Krankenhaus-MVZ ?nur noch in räumlicher Nähe zu dem gründenden Krankenhaus? möglich sein soll.

Umstritten war Punkt 9 auf der Liste. Er verlangt, die Möglichkeit zu streichen, zu Gunsten eines MVZ auf eine Zulassung zu verzichten. Das wollten mehrere Delegierte so nicht durchgehen lassen. Denn eine Möglichkeit der lukrativen Praxis-Abgabe würde damit untergraben.

Digitalisierung: ?Es hakt an allen Ecken und Enden!?
Besonderes Augenmerk legten Weigeldt und die Delegierten auch auf den schleppenden Fortgang der Digitalisierung in den Praxen. ?Es hakt an allen Ecken und Enden?, so Weigelt. Beim Fortgang der Digitalisierung belege Deutschland im Europa-Vergleich einen Abstiegsplatz statt einen der vorderen Ränge, so Weigelt.

Für das e-Rezept, die e-AU oder die ePA verlangte der Vorsitzende funktionierende Produkte. Die Hausärztinnen und Hausärzte wollen die Produkte als fertige und funktionierende Anwendungen in der Praxis. So begrüßte das Plenum in Hannover die Digitalisierung, kritisierte aber, dass die Hausarztpraxen als Beta-Tester eingesetzt werden. Darüber hinaus forderten Weigeldt, ?dass zum Teil überzogene Sicherheitsanforderungen in der TI keine zusätzlichen Aufwände in unseren Praxen auslösen dürfen?.


Mit Sorge blickte Weigeldt auf die Impfungen, die im Herbst schwere Corona-Verläufe verhindern sollen. Die Hausarztpraxen brauchen nicht nur ausreichend Impfstoff, sondern auch Unterstützung von der Politik, ?eine motivierende politischen Kommunikation?, so Weigeldt. Sie soll deutlich machen: ?Impfen ist cool, Impfverweigerung nicht!?

Im Übrigen müssten die Impfungen vor allem in den hausärztlichen Praxen stattfinden, forderte Weigeldt. ?Das sind Dinge, die müssen wir einfordern!? Die Praxen hätten ?den Impfturbo gezündet? und damit bewiesen, dass sie täglich hunderttausende von Menschen impfen können. Dies sei auch die kostengünstigste Variante. Stattdessen Impfzentren im Leerlauf weiter mit Steuergeldern zu finanzieren, sei absurd und teuer. Und: Dass Apotheken beim Impfen keine Alternative zu den Hausarztpraxen sind, zeigten schon die Zahlen: Bisher ?deutlich unter 50.000 Impfungen!?.

Was die Finanzierung des Gesundheitssystems angeht, verwies Weigeldt auf das jährliche Defizit von 17 bis 20 Milliarden Euro, die abgesichert werden müssen. Weigeldt forderte, in diesem Zusammenhang über die Reduzierung der Krankenhauszahl nachzudenken, etwa um den Fachkräftemangel zu lindern. Und: ?Ist es nicht vernünftig, die HZV stärker zu fördern und ihre strukturellen und qualitativen Vorteile zu nutzen??

Versorgung der Ukraine-Flüchtlingen: ?Nicht auf Honorarvereinbarungen gewartet?
Ungewöhnliches Lob sprach Weigeldt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aus. Anders als sein Vorgänger Jens Spahn sei Lauterbach zum Frühjahrsempfang des Verbandes gekommen. ?Die Anliegen der Hausärzte sind auch meine Anliegen?, hatte Lauterbach gesagt, ein Zitat, das Weigeldt ganz offensichtlich gerne wiederholte.

Die Anliegen der Hausärzte sind auch meine Anliegen. Karl Lauterbach
Schließlich forderte der Vorsitzende vom Gesetzgeber erneut eine steuerfreie Prämie für die von der Versorgung in Pandemiezeiten besonders belasteten MFA zu ermöglichen. ?Unsere Praxismitarbeitenden haben es verdient, und zwar ohne Steuerabzug!?, sagte Weigeldt unter großem Applaus der Delegierten, die einen entsprechenden Antrag einstimmig beschlossen.

Auch den Ukraine-Krieg ließ der Vorsitzende nicht aus. Er dankte den vielen Hausärztinnen und Hausärzten, die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine versorgt haben und dabei ?nicht aus Honorarvereinbarungen gewartet?, sondern einfach geholfen hätten, wo es ging.

https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4911152?uac=389796AZ&faf=1&sso=true&impID=4237911&src=WNL_mdplsfeat_220511_mscpedit_de#vp_3

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Freitag, 22. April 2022
Die Materialien für einen neuen Antiimperialismus zu den Hintergründen des Putinismus
Die Materialien für einen neuen Antiimperialismus hatten zur aktuellen russischen Herrschaftsideologie vor Jahren schon eine gute Analyse publiziert, die heute wahrscheinlich nur noch antiquarisch zu haben ist:

https://materialien.org/eurasismus-in-russland/


Hintergrund:

https://materialien.org/das-ende-des-sowjetischen-entwicklungsmodells/

Meines Erachtens das Beste, was je zum Nieder- und Untergang der Sowejetunion geschrieben wurde.

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Mittwoch, 13. April 2022
Habeck in Katar
Ist Hassan al Thani eigentlich ein lupenreiner Demokrat?

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Montag, 4. April 2022
Hartz 4 für Geflüchtete?
Von meinem Freund und Genossen Kai Weber
Wie die Zeit vom 02. April berichtet, gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, für Geflüchtete aus der Ukraine Hartz 4 ? Leistungen einführen. Zu den Unterstützer:innen der Forderung gehört auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die diese Linie beim Bund-Länder-Gipfel am Donnerstag durchsetzen will. Die Begründung, für Kriegsflüchtlinge seien die Jobcenter bessere Ansprechpartner als die Sozialämter, ist so berechtigt wie die Diskussion darüber fragwürdig:

Natürlich ist es unsinnig, Menschen aus dem System des Sozialgesetzbuches 2 herauszudefinieren, die in Deutschland einen Aufenthaltsstatus besitzen. Dazu gehören aber nicht nur ukrainische Kriegsflüchtlinge mit einem Aufenthaltsstatus nach §24 AufenthG, sondern z.B. auch Menschen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach §25.5 AufenthG besitzen, weil sie aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Sie sind ebenso dem Asylbewerberleistungsgesetz unterworfen wie Tausende Geflüchtete aus Kriegs- und Krisenländern wie Afghanistan, Syrien, Irak oder Somalia, die oft über viele Jahre in Deutschland geduldet werden, ohne ein Aufenthaltsrecht zu erhalten.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht vor zehn Jahren in seiner aufsehenerregenden Entscheidung vom 18.07.2012 festgestellt, dass die bis dato gewährten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ?evident unzureichend? waren, faktisch hat das Asylbewerberleistungsgesetz aber weiterhin den Charakter eines Leistungsrechts zweiter Klasse. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts musste die Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG zwar an die Höhe der Hartz 4 ? Leistungen angepasst werden, anschließend suchte die Politik aber doch wieder nach Wegen, an der einen oder anderen Stelle zu kürzen, etwa mit dem Konstrukt angeblicher Einsparungen in Gemeinschaftsunterkünften durch ?gemeinsames Kochen?. An der grundsätzlichen Beschränkung der Gesundheitsleistungen in den ersten 18 Monaten des Aufenthalts wurde weiterhin festgehalten. Auch im Bereich der Leistungen zur Arbeitsmarktintegration gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Fördermaßnahmen für Kund:innen der JobCenter und den Leistungen, die für dem Asylbewerberleistungsgesetz Unterworfene von den Arbeitsagenturen erhalten.

Die Perfidie des Systems liegt darin, dass Geflüchtete mit anwaltlicher Unterstützung oftmals Leistungen zur Krankenversorgung oder in besonderen Lebenslagen in ähnlicher Höhe durchsetzen können wie für HARTZ 4 ? Empfänger:innen, im Regelfall aber gravierende Leistungseinschränkungen hinnehmen müssen, wenn sie sich nicht gerichtlich dagegen wehren. Claire Deery, Vorsitzende des Flüchtlingsrats, weist auf den eigentlichen Kern des Problems hin: ?Das Asylbewerberleistungsgesetz ist eine repressive und einschränkende Norm.? Vielen Politiker:innen scheint das erst jetzt aufzufallen, wo diese Norm auf Ukrainerinnen und Ukrainer angewandt wird. Statt zu begründen, warum und worin Geflüchtete aus der Ukraine sich von Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern unterscheiden, sollten wir die Gemeinsamkeiten betonen. Wir wollen eine menschenwürdige Behandlung aller Geflüchteten. Das Asylbewerberleistungsgesetz, 1993 geschaffen als Ausgrenzungs- und Abschreckungsinstrument, muss endlich abgeschafft werden.
--
https://www.nds-fluerat.org/52815/aktuelles/hartz-4-fuer-gefluechtete/

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Dienstag, 15. März 2022
Vorher - Nachher, links geredet und rechts gelebt
Seit über 30 Jahren schlage ich mich mit der Tatsache herum, dass frühere GenossInnen die Seite wechseln oder zumindest sich von ihrer früheren Position aus betrachtet deutlich nach rechts entwickeln und dasskritische Diskussionen mit ihnen hierüber als weitgehend sinnlos sich erweisen.

Da ist der militante Antifa-Fighter, der später Tarnkappenbomber konstruierte oder der friedensbewegte Physiker, der dann an SDI forschte, ebenso wie die "Danger-Woman" genannte radikale Ausschluss-Feministin, die irgendwann ihre Foucault-Butler-und MEW-Bände auf den Müll beförderte und heute als Sub in einer BDSM-Beziehung mit ihrem früheren Psychotherapeuten auf Gomera lebt.

Oder die in Lack und Leder gekleidete Edelpunkerin aus dem JUZI, die in der Theorie Plündern gut fand und in der Praxis Ladendiebstähle beging.

Heute ist sie Firmenjuristin und damit beschäftigt, eiskalt als obsolet betrachtete MitarbeiterInnen loszuwerden.

Das sind die schillernden Gestalten. Weitaus weiter verbreitet sind die gefühligen Betroffenheitslinken, die heute auf ihren Lehrer- und Richterstellen sitzen und am knisternden Kaminfeuer romantisierend von früheren wilden Zeiten erzählen, aber eigentlich das System bis in die Haarspitzen affirmiert haben.

Detlef Hartmann hatte sich auf einer grundlegenden, makroökonomischen Ebene damit beschäftigt, wie Menschen so zugerichtet werden, sich dergestalt zu verhalten.

https://materialien.org/author/detlef-hartmann/

Ein anderes, relatriv neues Buch behandelt dieses Thema nun von einer anderen Perspektive her, nicht von der des Systems, die Menschen zur Anpassung treibt, sondern eher unter dem Aspekt, warum diese sich anpassen.

Michael Wengraf
Die rechte Revolution
Veränderte ein Masterplan die Welt?
Mangroven Verlag, Kassel, 2020

Hier eine Rezension, die ich bei jemandem gefunden habe, dem ich ansonsten wenig sinnvolle Einsichten zutraue:


"Die Antwort auf diese Frage wird im Grunde genommen schon im Titel gegeben und im Verlauf des Buches anhand der bekannten Entwicklung des Neoliberalismus begründet. Zwar kann man geteilter Meinung darüber sein, ob die von Michael Wengraf genannten Vordenker der neoliberalen Ideologie für die Ablösung des zumindest in Westeuropa hegemonialen Keynesianismus durch die neoliberale Variante des kapitalistischen Akkumulationsregimes unverzichtbar waren oder ob die Krise fordistischer Massenproduktion und -konsumption nicht so oder so einen die Verabsolutierung des Marktes betreibenden Paradigmenwechsel hervorgebracht hätte. Letzteres gesteht der Autor zu, folgt mit der These, daß neoliberale Ökonomen und Think Tanks für diese Weichenstellung verantwortlich waren, jedoch zugleich der, bei aller unterschiedlichen Gewichtung der maßgeblichen politischen Akteure und Kräfte, vertrauten Erzählung vom geschichtsbildenden Einfluß meist weißer männlicher Ideengeber.

Dabei ist ihm in der Kritik der antidemokratischen, den Menschen auf die Ratio der Kapitalverwertung reduzierenden und alle Welt der Verwertbarkeit um jeden Preis unterwerfenden Stoßrichtung des Neoliberalismus ohne weiteres zuzustimmen. Dieser in der Mitte der Gesellschaft längst angekommene Konsens erfüllt in der Mehrfachkrise des Spätkapitalismus jedoch vor allem die Funktion eines Trostpflasters, läßt sich so doch die Aussicht auf eine Rückkehr zur vermeintlich besseren Epoche keynesianisch-sozialdemokratischer Gesellschaftsordnung aufrechterhalten. Für die Bewältigung der anstehenden Aufgabe, die globale Krise anwachsender Verarmung, umfassender Naturzerstörung und neofaschistischer Restauration einzudämmen, ist das perspektivische Wechselspiel zwischen Neoliberalismus und Keynesianismus wenig hilfreich."......
Es geht bei der Analyse des Neoliberalismus aus marxistischer Sicht gerade um die Aufhebung des Ideologischen, Ökonomischen oder Politischen als isoliertes, unvermittelt Unmittelbares. Gegenstand muß vielmehr deren gegenseitige Bezüglichkeit und Widersprüchlichkeit innerhalb des Ganzen der rechten Revolution sein. Diese wiederum ist als jener (neoliberale) Prozess zu verstehen, der "Totalität als 'Vermittlung' des Gegensätzlichen und sich scheinbar Ausschließenden zur Einheit möglich macht".

Die mit einem Zitat Leo Koflers geübte Kritik am ideellen Gültigkeitsanspruch und Absolutheitscharakter neoliberaler Doktrin sollte die Verhinderung der titelgebenden "rechten Revolution" eigentlich beflügeln, wenn Wengraf dem damit gemeinten Neoliberalismus nicht zugleich eine Überzeugungskraft zuwiese, über die er angesichts seiner rapide erodierenden materiellen Basis längst nicht mehr verfügt. Allein den SachwalterInnen neoliberaler Ideologie den Begriff der Revolution zuzugestehen und damit die Absicht ihrer rechtsradikalen Fußtruppen, gesellschaftlich hegemonial zu werden und politische Macht auch mit dem Mittel des Putsches zu erobern, als eine Form grundlegender Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse anzuerkennen, wertet deren Einfluß unnötig auf. .....

Nicht von ungefähr unterbleibt eine Analyse der Bedeutung der französischen Gelbwestenbewegung bei aller Fürsprache für "Unterschichten" und "Marginalisierte" (S. 109) und dem häufigen Verweis auf Eribon fast vollständig. Dabei haben gerade die Gilets Jaunes gezeigt, daß ArbeiterInnen allemal zu sozialem Widerstand in der Lage sind, der sich rechtspopulistischen Vereinnahmungsversuchen als auch der Korrumpierung durch mediale und politische Angebote gegenüber resistent zeigt. Die dezentrale Selbstorganisation der Bewegung, ihre Militanz und Unbestechlichkeit, ihre spontane Bündnisfähigkeit wie ihre Öffnung für emanzipatorische Ziele aller Art sind Beispiele für gelungenen sozialen Widerstand, der nicht umsonst mit der ganzen Brutalität staatlicher Repression zerschlagen wurde. Während die Vereinnahmungsversuche der Rassemblement National unter Marine Le Pen fruchtlos blieben, ist der angeblich demokratische Widerstand der sozial eher mittelständisch aufgestellten Querdenken-Bewegung in der Bundesrepublik so rechtsoffen wie ein Scheunentor. Jener Populismus, den Wengraf als Antithese zur globalistischen neoliberalen Linken wertschätzt, hat daran nicht geringen Anteil.

Im Grunde genommen bedient der Autor die alte Leier des Generalvorwurfes, die Neue Linke habe dem Neoliberalismus den Boden bereitet, indem ihre Intellektuellen 1968 damit begannen, "ihren Horizont - und damit gleich den der Gesellschaft - einfach in Richtung Gender, Gendergerechtigkeit, Feminismus, Multikulturalität und anderes mehr zu verschieben. Über den Antagonismus von Arbeit und Kapital schweigen sie seither verlässlich." (S. 109) Wen auch immer Wengraf damit meint und wie sehr dieser Vorwurf etwa auf einstmals linksalternative GrünenpolitikerInnen zutreffen mag, die von ihm favorisierte Methode, die politisch zweckdienliche Instrumentalisierung emanzipatorischer Ziele von scheinbar ideologiekritischer Warte zu verallgemeinern und zu diskreditieren, läuft auf die Bezichtigung hinaus, mit den Kämpfen gegen Patriarchat und Sexismus, gegen Rassismus und Kolonialismus werde so etwas wie Verrat an der Arbeiterklasse betrieben."


http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar729.html#seite2

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Freitag, 4. März 2022
Deutsches Rüstungsprogramm
Zu dumm, dass ich keine Aktien von Rheinmetall, Airbus und Colt habe. Wenn es dann richtig losgeht, bekommt der FC St. Pauli auch seinen Flugzeugträger Klaus Störtebeker?

Und gibt es dann auch eigene deutsche Atomwaffen?
Die sollte man dann Teutonenbomben nennen, finde ich.

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Montag, 17. Januar 2022
Oxfam: Corona-Pandemie verschärft soziale Ungleichheiten
dpa 17.01.2022, 15:49 Uhr

Die Corona-Pandemie verschärft soziale Ungleichheiten.
Das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre habe sich verdoppelt, über 160 Millionen Menschen lebten dafür zusätzlich in Armut.
Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht von Oxfam.

Mehr aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie hier

Die Corona-Pandemie hat aus Sicht der Organisation Oxfam soziale Ungleichheiten verschärft. Während sich das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre verdoppelt habe, lebten über 160 Millionen Menschen zusätzlich in Armut, heißt es in einem Bericht, den Oxfam kurz vor Beginn einer digitalen Konferenz des Weltwirtschaftsforums vorstellte. Auch in Deutschland habe die Konzentration der Vermögen weiter zugenommen.

Oxfam forderte von den Regierungen weltweit, Konzerne und Superreiche zur Finanzierung sozialer Grunddienste stärker zu besteuern, für globale Impfgerechtigkeit zu sorgen und die Wirtschaft am Gemeinwohl auszurichten.

Mittlerweile seien über drei Milliarden Menschen zweifach gegen COVID-19 geimpft, doch nur rund neun Prozent der Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen habe mindestens eine Impfdosis erhalten, so Oxfam: "Millionen Menschen, die hätten gerettet werden können, sind wegen der ungerechten Impfstoffverteilung an der Pandemie und ihren Folgen gestorben." Die Impfstoffe müssten als öffentliches Gut behandelt werden, auch weil Regierungen ihre Entwicklung mit viel Steuergeld gefördert hätten.
"Für Milliardäre gleicht die Pandemie einem Goldrausch"

Manuel Schmitt, Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland, kommentierte: "Für Milliardäre gleicht die Pandemie einem Goldrausch. Regierungen haben Milliarden in die Wirtschaft gepumpt, doch ein Großteil ist bei Menschen hängengeblieben, die von steigenden Aktienkursen besonders profitieren. Während ihr Vermögen so schnell wächst wie nie zuvor und Einige Ausflüge ins All unternehmen, hat die weltweite Armut drastisch zugenommen."

Von der Bundesregierung forderte Oxfam Deutschland, Konzerne und sehr Vermögende stärker in die Verantwortung zu nehmen. So müsse die Vermögensteuer wieder eingeführt werden und es brauche eine einmalige Abgabe auf sehr hohe Vermögen. Der Patentschutz für COVID-19-Impfstoffe müsse ausgesetzt werden.
Treffen in Davos war wegen Corona-Lage verschoben worden

Die für diese Woche geplante Jahreskonferenz des Weltwirtschaftsforums in Davos war wegen der Corona-Lage verschoben worden. Stattdessen bringt die Stiftung digital Spitzenpolitiker zusammen, so will Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch eine Rede halten.

Oxfam ist nach eigenen Angaben eine internationale "Nothilfe- und Entwicklungsorganisation", die weltweit Menschen mobilisiere, um Armut aus eigener Kraft zu überwinden. Dafür arbeiteten in einem Verbund 21 Oxfam-Organisationen Seite an Seite mit rund 4100 lokalen Partnern in 90 Ländern.

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Donnerstag, 6. Januar 2022
Internationale Heimatkunde: Was ist los in Kasachstan?
In gewisser Beziehung hat der Konflikt Ähnlichkeiten mit den "Brotpreisrevolten", die in den 1980ern und 90ern mehrere Entwicklungs- und Schwellenländer erschütterten und bei denen IWF-Diktate zur Aufhebung von Lebensmittelsubventionen in Zusammenwirken mit allgemeiner Verelendung und der Empörung über Korruption und Kleptokratie der Eliten jeweils das Fass zum Überlaufen brachten.

Es sind nun heuer nicht Nahrungsmittel- sondern Energie- und Rohstoffpreise und der IWF spielt auch keine Rolle, ansonsten mutet einiges vertraut an - und teilweise auch wie ein déja vu aus den letzten Monaten der Sowjetunion, wo es u.a. in Usbekistan zu schweren Unruhen gekommen war, die nur unter Einsatz von Panzern niedergeschlagen werden konnten. Und man muss auch an die blutigen Jahre 2011/12 denken, als die Macht des damaligen Präsidenten Nasarbajew kurzfristig zu wanken drohte.

"Dem Westen" fällt es nur ein zur Mäßigung aufzufen. Eine Verdammung des Regimes oder eine Bezugnahme auf legitime Gründe für Unruhen und Proteste gibt es natürlich nicht.

https://linksunten.archive.indymedia.org/node/54370/index.html

https://www.rnd.de/politik/proteste-in-kasachstan-polizei-toetet-dutzende-demonstranten-SO5QFKXDWHWTVH3UPC6LOPJDIU.html

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Mittwoch, 22. Dezember 2021
Elemente der Gegenaufklärung, heute: Scharlatane, Krisengurus und Covidiotenpriester
Mit prominenten Außenseitern der Biowissenschaften und Medizin versuchen die Querdenker Furore zu machen. Am prominentesten sind hierzulande Bhakdi und Wodarg, beides Exmediziner die schon lange außerhalb der wissenschaftlichen Diskurse stehen. Lieblingsautoren von Onlinemedien im Dunstkreis der FPÖ, Pegida, AfD und Vlaamse Belang sind außerdem Geert van den Bossche, Mike Yeadon und Astrid Stuckelberger. Grund genug, mich zunächst mit einem dieser Leute zu beschäftigen: Dem Herrn van den Bossche.

"Behauptung
Die aktuell eingesetzten Corona-Impfstoffe würden eine ?Immunflucht? und somit gefährlichere Mutationen des Coronavirus begünstigen. Diese seien daher unwirksam bei der Pandemiebekämpfung; Impfungen mit sogenannten ?NK-Zellen? seien dafür besser geeignet.
Aufgestellt von: Geert Vanden Bossche


Die Covid-19-Pandemie hat eine Schar von lautstarken Kritikern angezogen wie kaum etwas anderes in der jüngsten Vergangenheit. Sie sind alle nicht ohne wissenschaftlichen Hintergrund oder auch Verdienste, positionieren sich aktuell aber als mutige Aussenseiter, die aus der Mainstream-Herde ausbrechen, um die katastrophalen Folgen der öffentlichen Gesundheitsmassnahmen anzuprangern. Das jüngste Beispiel bietet der Belgier Geert Vanden Bossche, der kürzlich ein alarmierendes Manifest veröffentlichte. Darin stellt er eine Reihe falscher oder übertriebener Behauptungen über den Einsatz von Massenimpfungen auf und fordert die internationalen Gesundheitsbehörden auf, die Covid-19-Impfungen zu stoppen. Ansonsten drohe «eine globale Katastrophe ohnegleichen». Das ist beängstigend ? aber alles ziemlich falsch.

Antibiotikaresistenz ist nicht gleich Immunflucht
Vanden Bossche sagt über Impfstoffe, was bei Antibiotika durchaus zutrifft: Wenn sie übermässig eingesetzt werden, können Bakterien auf gefährliche Weise mutieren. Das ist Fakt. Beim Einsatz von Antibiotika überleben immer einige Bakterien, die zufälligerweise eine Mutation entwickelt oder ein Gen erworben haben, das sie gegen das Antibiotikum schützt. So entwickeln sie eine Resistenz gegen dieses Antibiotikum und können dann zum vorherrschenden Stamm werden. Solche resistente Bakterien-Stämme sind heute ein grosses Problem, sie machen Antibiotika wirkungslos. Vanden Bossche behauptet nun, dass das Gleiche mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 geschehen wird, weil die Impfstoffe unvollkommen seien. Dadurch werde das Virus trotz Impfung weiter von Mensch zu Mensch übertragen und habe so die Gelegenheit, zu mutieren bis eine gefährliche Variante entstehe.
«Völliger Unsinn ist das nicht», sagt Paul Offit, ein auf Impfstoffe und Immunologie spezialisierter Kinderarzt und Miterfinder des Rotavirus-Impfstoffs, in einem Faktencheck der McGill University. Bei der sogenannten Immunflucht verändern sich Oberflächenstrukturen des Erregers so, dass Antikörper, die bei Geimpften gegen das Ursprungsvirus noch wirksam waren, eine neue Variante schlechter bekämpfen können. Das Phänomen ist in der Corona-Variante, die zunächst in Südafrika aufgetreten war, sowie in der brasilianischen Variante, bereits aufgetreten.
Welche Coronavirus-Varianten sind derzeit die gefährlichsten?

Allerdings zeigen aktuelle Studien, dass die heute gebräuchlichen Sars-CoV-2-Impfstoffe auch gegen die britische Variante B.1.1.7 genügend wirksam sind.
Aber so oder so geht Vanden Bossches Argumentation von einer falschen Annahme aus: Antibiotikaresistenz und impfstoffbedingte Immunflucht sind nicht vergleichbar. Ein Impfstoff zeigt dem Körper einen kleinen Teil des Virus, so dass das Immunsystem neutralisierende Antikörper gegen das Virus bilden kann. Wenn allenfalls ein Mensch auf die Impfung nicht optimal reagiert, also zum Beispiel zu geringe Mengen Antikörper bildet, würde das Virus im Körper überleben und könnte sich dort verändern. Dabei könnte zufälligerweise eine bedenkliche Variante entstehen. Soweit liegt Vanden Bossche richtig. Aber bei einem Impfstoff, der zu einer hohen Zahl neutralisierender Antikörper führt, hat das Virus keine Möglichkeit, Varianten zu bilden.
Stellt sich also die Frage, ob uns die Covid-19-Impfstoffe niedrige oder hohe Werte an neutralisierenden Antikörpern geben. Obwohl noch nicht genau bekannt ist, welche Mengen an Antikörpern zur Abwehr von Covid-19 nötig sind, regen die zugelassenen Impfstoffe die Produktion von neutralisierenden Antikörpern in genügender Weise an, um für einen Impfschutz je nach Produkt im Bereich von achtzig bis 95 Prozent zu sorgen. Das heisst, von hundert geimpften Personen sind achtzig bis 95 vor der Krankheit geschützt. Bei anderen verhindert die Impfung zwar nicht die Infektion, aber doch einen schweren Verlauf oder gar den Tod. Eine Studie in der Fachzeitschrift The Lancet zeigte, dass Personen, die noch nie an Covid-19 erkrankt waren, nach einer einmaligen Gabe des Impfstoffs von Pfizer-Biontech ähnliche Mengen an Antikörpern bildeten wie Personen, die an Covid-19 erkrankt waren, aber noch nicht geimpft wurden. Eine Studie mit dem Moderna-Impfstoff zeigte eine hohe Zahl von neutralisierenden Antikörpern, die im Laufe der Zeit zwar leicht abnahmen, aber die bei allen Teilnehmern drei Monate nach der Auffrischungsimpfung erhöht blieben.
Aktuell sieht man denn auch in Ländern, die einen grossen Prozentsatz ihrer Bevölkerung geimpft haben, einen deutlichen Rückgang der Fälle und der Sterblichkeit. Auch in der Schweiz, wo besonders in der höchsten Altersklasse die Zahl der Infizierten ebenfalls deutlich zurück geht. Die Vorstellung Vanden Bossches, dass das Coronavirus einfach weiter von Mensch zu Mensch wandert und dass Impfstoffe nur schwere Erkrankungen verhindern, wird also durch die aktuell vorliegenden Daten widerlegt.

Auch «undichte» Impfstoffe bremsen eine Krankheit stark

Selbst wenn nach einer Covid-19-Impfung einige geimpfte Personen das Virus auf andere übertragen könnten, gibt es Hinweise darauf, dass die Impfstoffe die Ausbreitung der Krankheit wirksam eindämmen könnten. Dies zeigt Edward Nirenberg, ein Wissenschaftsblogger, der sich sehr ausführlich mit den Behauptungen von Vanden Bossche auseinandergesetzt hat. Er verweist auf die Marek-Krankheit, die durch ein Herpesvirus verursacht wird und in Hühnern eine Reihe von Gesundheitsproblemen, einschliesslich Krebs, auslöst. Es gibt zwar einen Impfstoff dagegen, aber im Laufe der Zeit sind neuere und virulentere Stämme des Virus entstanden. Wissenschaftler reden von einem «undichten» Impfstoff, der bei einem Huhn keine ausreichend gute Immunantwort auslöst. Trotzdem führte die Verwendung dieses «undichten» Impfstoffs bei Hühnern zu einem Rückgang der Häufigkeit der Marek-Krankheit um 99 Prozent.


Fortwährende Anpassung der Impfstoffe

Ein weiteres Argument Vanden Bossches Behauptung ist, dass die Impfstoffhersteller ihre Vakzine fortlaufend an neue Varianten anpassen können. Das tut man zum Beispiel beim Grippeimpfstoff, weil sich das Influenzavirus dauernd verändert. Er muss jedes Jahr neu formuliert werden, damit er zu den Viren passt, die in der nächsten Grippesaison voraussichtlich auftreten werden. Ähnlich verhält es sich, wenn eine neue Sars-CoV-2-Variante auftaucht, gegen die die aktuellen Impfstoffe allenfalls nicht mehr ausreichen. Die Impfstoffe werden angepasst, was natürlich keine sehr schnelle Lösung ist, aber es ist eine Lösung.
Gefahr von Mutation beim Nicht-Impfen viel grösser
Der Besorgnis Vanden Bossches über unvollkommene Impfstoffe, die es dem Virus erlauben zu mutieren, steht die viel grössere Gefahr gegenüber, dass das Virus in ungeimpften Menschen mutieren kann. Ohne Impfstoffe springen mehr Viren von Mensch zu Mensch und stellen leicht abweichende Kopien von sich selbst her. Dass unter diesen vielen Varianten auch gefährliche sind, ist nur schon aufgrund der Anzahl Möglichkeiten wahrscheinlicher, als wenn nur wenige Viren infolge eines «undichten» Impfstoffs mutieren.
Angeborenes und erworbenes Immunsystem sind nicht dasselbe.

Vanden Bossche hält die Impfungen auch aus einem anderen Grund für eher schädlich. Unser Immunsystem basiert auf zwei Strategien: Die eine ist die angeborene Immunantwort, die andere die erworbene. Das angeborene Immunsystem hat kein Erinnerungsvermögen. Es wird auch nicht stärker, wenn es mehrfach mit demselben Erreger konfrontiert wird. Im Vergleich dazu hat das erworbene Immunsystem ein eingebautes Gedächtnis. Es erinnert sich an Eindringlinge und bekämpft sie jedes Mal mit grösserer Kraft. Diesen Mechanismus machen sich Impfstoffe zunutze.
Vanden Bossche scheint ein grosser Fan des angeborenen Immunsystems zu sein und befürchtet, dass die Covid-19-Impfstoffe und sogar die Hygienemassnahmen unserem angeborenen Immunsystem bei der Bekämpfung des Coronavirus in die Quere kommen. Er behauptet, dass es dem angeborenen Immunsystem schade, wenn die Menschen während der Pandemie eingesperrt sind, denn es brauche den Kontakt mit Viren und Bakterien, um in Topform zu bleiben. Dies ist ein schlechtes Argument. Denn selbst wer zuhause bleibt, ist fortwährend Erregern ausgesetzt: Das Essen ist nicht steril. Auch nicht der Staub, den man einatmet, das Wasser, das man trinkt. Wir sind permanent Mikroorganismen ausgesetzt. Das angeborene Immunsystem hat also immer etwas zu tun. Und wie gesagt, an einen wiederkehrenden Erreger erinnert es sich ohnehin nicht.

Das Argument mit der angeborenen Immunität ist beliebt in Wellness-Kreisen, die auf «Natürlichkeit» schwören. Doch bloss mit gesunder Ernährung, Sonnenbaden und Waldspaziergängen kann man das Immunsystem nicht für die Abwehr von Sars-CoV-2 fit machen.

Allerdings sieht Vanden Bossche die Lösung nicht in langen Spaziergängen, sondern in einem angeblich neuartigen Impfstoff, der auf das Training des angeborenen Immunsystems abzielt.
Einer der Zelltypen dieses angeborenen Immunsystems sind die Killerzellen. Diese will Vanden Bossche mit einem eigenen, neu entwickelten Impfstoff gegen Sars-CoV-2 fit machen. Das ist vorerst eine These. Ob eine Killerzellen-Impfung funktioniert, belegt Vanden Bossche nicht.

Wie sollen Gesundheitsbehörden entscheiden?
Wenn in dieser Diskussion nun Entscheidungsträger des öffentlichen Gesundheitswesens vor die Wahl gestellt werden: Sollen sie den apokalyptische Warnungen Vanden Bossches glauben und alle Covid-19-Impfungen stoppen, oder den Warner ignorieren und den bisherigen Beweisen der Impfstoffforschung vertrauen?

In ersten Fall würden sie Vorsichtsmassnahmen und Impfungen abschaffen und dem Virus erlauben, sich ungehindert in der Bevölkerung auszubreiten, immer mehr Menschen zu töten und viele Opfer mit langfristigen gesundheitlichen Folgen zu hinterlassen. Während sich das Virus ausbreitet, mutiert es und es tauchen neue, gefährliche Varianten auf. Und vielleicht validiert Vanden Bossche dann irgendwann eine neue Art von Impfstoff, der auf eine völlig andere Art und Weise funktioniert. Vielleicht.

Im zweiten Fall werden so viele Menschen wie möglich geimpft, Infektionen und Todesfälle gehen zurück. So wie es aktuell zu beobachten ist. Und wenn in diesem Fall neue bedenkliche Varianten auftauchen, die dem durch die Impfstoffe gewährten Schutz entgehen, passen die Impfstoffhersteller die Vakzine den neuen Varianten an.

Diese Strategie basiert auf Impfstoffen, die auf den adaptiven Teil unseres Immunsystems abzielen ? das gleiche Prinzip, mit dem die Pocken ausgerottet wurden, sowie Polio und Masern im Schach gehalten werden. Bei der Abwägung dieser beiden Möglichkeiten besteht wohl kein Zweifel, wie sich die Gesundheitsbehörden entscheiden.

Seit 25 Jahren nicht mehr wissenschaftlich publiziert

Auch wenn viele wissenschaftliche Argumente gegen die Apokalypse des Geert Vanden Bossche und seine unbelegte Lösung sprechen, lohnt es sich trotzdem noch, einen Blick auf ihn als Person zu werfen.
Vanden Bossche ist ein Veterinärmediziner, der auch einen Doktortitel in Virologie hat. Auf seiner Website listet er mehrere Jobs in höheren Managementpositionen auf, darunter eine dreijährige Tätigkeit als Senior Program Officer für die Impfstoffentwicklung bei der Bill and Melinda Gates Foundation. Er ist also kein Unbekannter in Sachen Impfstoffe. Jedoch enden seine akademischen Veröffentlichungen 1995, mit Ausnahme eines Artikels aus dem Jahr 2017 über seine Idee eines natürlichen Killerzellen-Impfstoffs. Dieser erschien in einer Zeitschrift, die zu einer Verlagsgruppe, der OMICS Group Inc, gehört, die als «räuberisch» bezeichnet wird ? das heisst, der Autor bezahlt dafür, dass sein Text publiziert wird. Ausserdem hat die Federal Trade Commission den Verlag betrügerischer Praktiken verklagt.

Apokalyptische Sprache, unwissenschaftliche Kanäle

Skeptisch stimmt auch die apokalyptische Sprache Vanden Bossches. Der selbsternannte Kämpfer für die Wahrheit schreibt und sagt Dinge wie: «Hören Sie auf meinen Schrei der Verzweiflung.»
Oder: «Ich fordere die WHO dringend auf, mich an ein öffentliches, wissenschaftliches Hearing einzuladen.»
Da muss man sich fragen, warum veröffentlicht er einen Aufruf an die WHO auf einer privaten Website und als Youtube-Video? Warum nicht auf einem wissenschaftlichen Kanal?
Die Antwort jener, die ihm Glauben schenken, geht schnell in die Richtung, dass der arme Mann eben von der Wissenschaftscommunity und der Weltgesundheitsorganisation gemobbt wird. Und schnell ist auch Galileo Galilei zur Stelle. Der am Schluss ja auch recht bekommen hatte.
Doch eben: Galileis These, dass die Erde um die Sonne kreist und nicht umgekehrt, konnte von anderen Wissenschaftlern überprüft werden und hat sich als richtig erweisen.
Wer hört ihm warum zu?
Nein, Angst machen braucht uns die Weltuntergangsprophezeiung des Geert Vanden Bossche nicht. Vielmehr müssen wir uns fragen, warum die Impfkritiker die ganze Fachliteratur ignorieren oder als Lüge abtun, gleichzeitig aber der selbstgefälligen Inszenierung eines Aussenseiters so viel Glauben schenken.


Ralf Bartenschlager ist Leiter der Abteilung für Molekulare Virologie an der Uniklinik Heidelberg und Präsident der Gesellschaft für Virologie. Er gibt ein ganz grundsätzliches Problem bei den Thesen von Geert Vanden Bossche zu bedenken: ?Es wird immer wieder der Eindruck erweckt, das Virus könne denken.?
Das sei aber gerade dann, wenn es um Mutationsvorgänge gehe, eine irreführende Sicht. Denn bei Mutationen handele es sich um Fehler bei der Vermehrung des Virus. Diese Fehler seien ?rein zufällige Ereignisse?. Einige davon könnten dem Virus besser dabei helfen, sich zu vermehren, andere könnten ihm aber auch schaden. ?Das Virus denkt sich nicht aus, wie es sich besser ausbreiten könnte, das ist ein reines Zufallsereignis als Ergebnis von zufälliger Mutation und entsprechender Selektion?, so Bartenschlager.
Mutationen seien immer dann zu erwarten, ?wenn sich das Virus ungehindert verbreiten kann? es also ?eine geringe gesellschaftliche Immunität? gebe, erklärt Carsten Watzl. Er ist Leiter des Fachbereichs Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Universität Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Diese Immunität sei aber durch Impfungen zu erreichen, insofern verhinderten die Impfungen sogar die Entstehung von neuen Mutationen. Vanden Bossches These, dass das Impfen zu gefährlicheren Mutationen führe, sei somit falsch.
Diese Sicht vertritt auch Virologe Björn Meyer vom Institut Pasteur in Paris, das zu Infektionskrankheiten forscht. Die Impfungen sorgten dafür, dass Menschen eine starke Immunität entwickelten, so sei dann auch ?die Hürde für Viren zu hoch, diese durch Mutationen zu überkommen.? Mutationen seien dann zu erwarten, wenn die Immunität ?eher schwach? sei und nicht ausreiche, um ?das Virus zu neutralisieren?.
Darüber, dass eine zu schwache Immunantwort oder zu schwache Impfstoffe eine Immunflucht begünstigen könnten, berichtete im Januar auch die Deutsche Welle.
Wie wahrscheinlich ist eine Mutation, die zur ?Immunflucht? führt?
Aktuell führt das RKI drei ?besorgniserregende SARS-CoV-2-Virusvarianten? auf, die besonders übertragbar oder ansteckend sind, oder der natürlichen Immunantwort besonders gut entgehen können: die britische Variante (B.1.1.7), die südafrikanische Variante (B.1.351) und die brasilianische Variante (P.1). Diese Varianten sind im September, Oktober und November 2020 erstmals nachgewiesen worden, also vor Beginn der ersten Covid-19-Impfungen.
Von diesen drei Virusvarianten konnte sich die britische bisher am stärksten in Deutschland durchsetzen. Laut eines Berichts des RKI war sie für 88 Prozent der Neuinfektionen in der Woche vom 22. bis 28. März 2021 verantwortlich. Diese Variante ist laut RKI vor allem ansteckender und vermehrungsfähiger, es gebe aber keine Hinweise darauf, dass die Wirksamkeit der bisher zugelassenen Impfstoffe gegen die Variante ?substantiell verringert? sei.
Molekularvirologe Bartenschlager erklärt die starke Verbreitung der britischen Variante mit der Tatsache, dass dass sie wesentlich effizienter übertragen werde. Eine Variante mit Immun-Escape (Immunflucht) habe in Deutschland bisher kaum einen Reproduktionsvorteil, weil in Deutschland bisher nur ein Teil der Menschen geimpft sei bzw. die Infektion durchgemacht habe. Die meisten Menschen in Deutschland hätten also keine Immunität, weshalb sich Varianten, die keine Immunflucht machen, genauso gut ausbreiten wie Varianten, die der Immunantwort entkommen.
Das sieht auch Marco Binder, Leiter der Forschungsgruppe ?Dynamik der Virusreplikation und der angeborenen antiviralen Immunantwort? am Deutschen Krebsforschungszentrum so: ?Aktuell dürfte das SARS-CoV-2 keinem extrem starken Selektionsdruck unterliegen, da es sich ja bereits hervorragend verbreitet.?
Wie wahrscheinlich sind noch gefährlichere Mutationen?
Das Auftreten von neuen Varianten von SARS-CoV-2, die der Immunantwort komplett entkommen, hält Virologe Bartenschlager aus mehreren Gründen für eher unwahrscheinlich. Einerseits sei zu beobachten, dass die Antwort des Immunsystems, die durch eine Impfung ausgelöst werde, in aller Regel besser sei, als nach einer natürlichen Infektion. Somit würden ?auch die Virusvarianten durch eine Immunisierung nach einer Impfung besser erfasst als nach einer vorher durchgemachten Infektion?.


Andererseits sei die Mutationsfähigkeit des Coronavirus begrenzt. Das könne man zum Beispiel daran erkennen, dass funktionsfähige Mutanten mit bestimmten Schlüsselmutationen, wie sie etwa in der britischen oder südafrikanischen Variante zu finden seien, an verschiedenen Orten auf der Erde unabhängig voneinander entstanden seien. ?Bisher sehen wir über die bekannten Varianten hinaus eigentlich keine, die einen noch stärkeren Immun-Escape machen?, sagt Bartenschlager. Seine optimistische Einschätzung sei, dass man bereits viele mögliche Virusmutationen gesehen habe, auch wenn nicht vorhersehbar sei, ob über einen längeren Zeitraum hinweg doch noch stärkere Immun-Escape Varianten entstehen könnten.


Auch Marco Binder erklärt, dass vor allem das Spike-Protein, mit dem das Virus an die Zellen im menschlichen Körper andockt, bereits sehr gut angepasst sei. Eine Studie (hier oder hier) spreche dafür, dass ?die aktuellen Varianten schon fast das Optimum? der Anpassung erreicht hätten. Er glaube nicht, dass sich dieser Bestandteil des Virus ?noch deutlich verbessern ließe?. Das Immunsystem greift das Virus außerdem an so unterschiedlichen Stellen an, ?dass ein gleichzeitiger Escape all dieser Angriffspunkte unwahrscheinlich? sei.


Coronavirus kann nur begrenzt mutieren
Die Mutationsfähigkeit von SARS-CoV-2 sei auch deswegen geringer als bei anderen RNA-Viren, erklärt Ralf Bartenschlager, weil das Coronavirus ein großes Genom habe. Das heißt, dass die Erbinformation des Virus in einer großen Sequenz vorliegt. Das habe aber einen Nachteil: ?Je größer das Genom ist, desto genauer muss dessen Reproduktion sein.?
Würden bei der Genomvervielfältigung zu viele Fehler gemacht, also zu viele Mutationen entstehen, bestünde die Gefahr, dass dieses Genom nicht mehr funktionsfähig sei. Teilweise seien mehrere Mutationen notwendig, um eine Virusvariante mit neuen Eigenschaften hervorzubringen. Damit sinke aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Mutante auftrete.

Aktuell sei es vor allem wichtig, mit den Impfungen voranzukommen. Diese seien auch gegen die aktuellen Virusvarianten effektiv und verhinderten entweder die Infektion oder zumindest schwere Krankheitsverläufe. Insbesondere die mRNA-Impfstoffe seien ?schnell anpassbar, so dass man auch gegen neue Virusvarianten? immunisieren könne, betont Ralf Bartenschlager.
Insgesamt ergibt sich aus den Antworten der von uns befragten Experten: Ja, das Coronavirus steht durch die Impfungen unter einem gewissen Selektionsdruck, was die Ausbreitung von Virusvarianten mit Immunflucht begünstigen könnte. Aber das bedeutet nicht, dass die aktuellen Impfstoffe gefährliche Mutationen begünstigen oder unwirksam seien. Einig sind sich die Experten darin, dass die aktuelle Impfkampagne alternativlos sei ? selbst wenn Impfstoffe gegen einige Mutationen weniger wirksam sein könnten, verhinderten sie dennoch nach aktuellem Wissensstand schwere Verläufe der Erkrankung.


Wer ist Geert Vanden Bossche?
In den Medienberichten, die die Behauptungen Vanden Bossches aufgreifen, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass er bei namhaften Unternehmen und Stiftungen gearbeitet habe und daher ein Experte im Bereich der Impfstoffentwicklung sei.
Auf der Seite Connectiv Events heißt es beispielsweise, Vanden Bossche sei ?Entwickler von Impfstoffen?, außerdem ?ehemaliger Mitarbeiter bei der globalen Impfvereinigung Gavi? und beim Unternehmen Novartis. Er habe außerdem für die Bill and Melinda Gates Foundation gearbeitet und sei ein ?ausgewiesener Experte?. Alle Angaben finden sich auch im Lebenslauf des Belgiers, den er auf seiner Homepage veröffentlicht hat.

Alle genannten Stiftungen und Unternehmen bestätigten CORRECTIV.Faktencheck, dass Vanden Bossche tatsächlich für sie gearbeitet habe. Einzig das Unternehmen Novartis wies darauf hin, dass man aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft erteilen könne.

Die internationale Impfallianz Gavi schrieb uns, Vanden Bossche habe zwar von März 2015 bis März 2016 für die Allianz gearbeitet, er sei jedoch Koordinator eines Ebola-Impfprogramms gewesen. Mit der Entwicklung von Impfstoffen habe er nichts zu tun gehabt."

zitierte Quellen: https://www.higgs.ch/der-weltuntergang-gemaess-geert-vanden-bossche/41988/

https://correctiv.org/faktencheck/2021/04/21/beguenstigen-impfungen-corona-mutationen-wissenschaftler-widersprechen-den-behauptungen-von-geert-vanden-bossche/

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Montag, 13. Dezember 2021
Von der Freundlichkeit der Welt
Die Aufmerksamkeit der Linken wird zurzeit von zwei Themenkomplexen absorbiert: Zum Einen der Coronakrise und ihren Begleitumständen, wie den CoronamaßnahmengegnerInnen, und zum Anderen von der Klimakatastrophe.

Diese Wahrnehmungseinengung lässt leider andere, durchaus klassisch linke Themen aus dem Focus geraten.

Zum Beispiel den gesamten Bereich Flucht und Asyl und was sich an den Außengrenzen der EU abspielt - mit Ausnahme der Grenze Polen - Belarus, und auch darauf reagiert die Linke hilflos. Die Geflüchteten dort, wie auch anderswo, werden von den politischen Spitzen der EU und der BRD bewusst entmenschlicht, sie erscheinen nicht als Menschen in Not, sondern als "politische Waffe" Lukaschenkos und Erdogans, als "hybride Bedrohung" usw., nicht als Geflüchtete gleich mehrerer Kriege, die ohne Mitwirken der EU- und NATO-Staaten und Russlands nicht denkbar wären.


Vom Sterben im Mittelmeer ganz abgesehen. Wenn die Menschen dort in den Medien als etwas anderes erscheinen als Number Cases, dann als bemitleidendwerte Opfer, niemals als Menschen mit eigener Geschichte und Subjektivität.

So richtige Vollwertmenschen sind halt nur weiße Metropolenbürger.

Das zeigt sich auch im Umgang mit der sogenannten Covax-Initiative: Ländern wie Indien, Indonesien oder Südafrika wollen Biontech/Pfizer, Moderna, Astra Zeneca und Johnson&Johnsen und wollen die Regierungen der USA und der EU-Staaten die Patente der Medikamente nicht überlassen, obwohl deren Produktionskapazitäten ausreichen würden, im Nu die Welt zu verimpfen. Amnesty international, Oxfam und Brot für die Welt haben einen lesenswerten Bericht mit dem Titel: "Eine Dosis Realität. Wie reiche Länder und Pharmakonzerne ihre Impfversprechen brechen" herausgebracht. Danach sind bisher nur 7 Prozent aller Impfdosen an arme Länder gegangen, was die Behauptung, man könne die Patente aufgrund der technisch anspruchsvollen Produktionsbedingungen nicht Entwicklungs- und Schwellenländern überlassen, wolle denen aber helfen als billige Lüge erscheinen lässt.


Eine völlig andere Entwicklung nimmt gerade in den USA ihren Anfang. Seit Bidens "Wohltaten" - in den USA wurde tatsächlich ein moderat keynesianischer Kurs eingeschlagen, seit den Siebziger Jahren hat es nicht mehr dermaßen viele Projekte zur Unterstützung sozial schwacher und abgehängter Menschen gegeben, wenn auch nur in Form befristeter Nothilfeprojekte - fängt die Arbeiterklasse in den USA an sich zu wehren. Massenweise werden Billigjobs in Sweatshops von den Arbeitenden gekündigt, eine Streikwelle für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen überzieht das Land. Es zeigt sich wiedereinmal, dass Trotzkis Verelendungstheorie - "schlimmer ist besser" - falsch ist. Erst bessere Konditionen gewähren den Rückhalt für soziale Kämpfe.

Die überall, auf allen Ebenen und weltweit angesagt sind, angesichts einer Weltwirtschaftsordnung die auf Leichenbergen fusst. in diesem Sinne ist Klassenkampf alles Andere als altmodisch.

Und um das bestehende Gesellschaftssystem und seine MachthaberInnen für im höchsten Maße kritisierenswert und angreifbar zu halten muss sich wirklich niemand "Impfdrückerkolonnen" und einen "Großen Betrug" von weltweit verschworenen Pharmakonzernen, Oligarchen und Regierungen herbeifantasieren. Die Verhältnisse sind ohnehin beschissen genug, die Proteste der "Querdenker" erscheinen als Ersatzhandlungen, die von den wirklichen Widersprüchen ablenken.

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