Sonntag, 14. August 2011
Back to Basics: Vom Wert alter Debatten und meinem Unbehagen bei der Political Correctness
Wenn von aktuellen Diskursen um Diskriminierung die Rede ist oder eine Critical Whiteness eingefordert wird erlebe ich einerseits so eine Art Déja-vu-Effekt, andererseits ein gewisses Unbehagen in der Richtung, dass die Debattenkultur da schon mal viel weiter war und wir ein Rollback hinter uns haben. Stärker ist dieses Unbehagen für mich bei dem Begriff Political Correctness, denn der hat für mich eine andereBedeutung als im heutigen Sprachgebrauch, und bevor Stefan Herre sein rechtsextremes Blog PI gründete verstand ich selbst mich als politisch unkorrekt oder wie wir das nannten NonPC. Das allerdings nicht etwa, weil ich gerne Witze über Minderheiten reiße oder im Zweifelsfall meine Privilegien gegen die behinderte lesbische Gesamtsinta verteidigen mir vorbehalte, sondern aus Gründen, die etwas mit der Geschichte von Kämpfen um Emanzipation zu tun haben, die für eine Gruppe von Menschen, zu denen ich gehöre bis heute sehr präsent, ansonsten aber längst vom Sand der Zeit verweht sind.

http://metalust.wordpress.com/2011/08/09/pc-mal-wieder

So stimme ich den Kernaussagen von Momorulez in diesem Beitrag hier vorbehaltlos zu, sehe das aber zugleich gebrochen durch meine eigene Perspektive, diezugleich die der Theorieentwicklung in bestimmten Antirazusammenhängen ist.


Etwa um 1990 herum begann für linke Zusammenhänge in Deutschland mit der Diskussion der triple opression eine neue Art der Auseinandersetzung mit Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, Homophobie, aber besonders auch den Perspektiven einer Gesamtlinken, die sich von Haupt- und Nebenwidersprüchen, Prioritäten und Haupttendenzen verabschiedet hatte. Es waren zunächst frühere Mitglieder und SympathisantInnen von Guerrillaorganisationen, Feministinnen und Leute aus der Dritte-Welt-Soliarbeit, welche den Stein ins Rollen brachten. Die Erfahrungen des Scheiterns der bewaffneten Kämpfe sollten verarbeitet werden, zugleich die Frage nach einem "Was tun?" angesichts der Gleichzeitigkeit des Zerfallens des ehemaligen sozialistischen Blocks und der Neuen Linken (letztere aus ganz anderen Gründen, die vor allem etwas mit Sexismus und der Selbstauflösung von Subkulturen zu tun hatten) entgegengesetzt werden. Erstes sichtbares Ergebnis dieser Diskssionen war das Modell der triple opression, der Dreifachunterdrückung, die sich zusammensetzte aus Klassenwiderspruch, Sexismus und Rassismus, und zwar ohne dass dabei einer dieser Komponenten eine bestimmende oder vorherrschenden Rolle zukäme. Bestimmte GenossInnen sahen außerdem Imperialismus als etwas an, dass sich synthetisch aus den anderen drei Komponenten ergäbe.

Aus dem Modell der Dreifach- (eigentlich Mehrfachunterdrückung) wurde eine Matrix zur Analyse der Gesellschaft an sich abgeleitet, die etwa die Ansätze der Schriftenreihen Materialien für einen Neuen Antiimperialismus, Arranca! und Wildcat bis heute prägt und auch in der neueren Geschichtsforschung wirkungsmächtig wurde. Erscheinen Klassenwiderspruch bzw.soziale Frage, Hautfarbe bzw. Ethnizität bzw. mitunter auch Religionszugehörigkeit, Gender und sexuelle Präferenzen als die Fluchtpunkte, anhand derer sich Gesellschaftlichkeit insgesamt aber auch Individuation untersuchen lassen, so lässt sich das herrschaftliche Muster einer Normalität und davon abgeleiteter Abweichungen nicht mehr aufrechterhalten. Dann wird aus einer vermeintlichen Position der Mehrheitsgesellschaft plötzlich ein heterosexuell-männlich-weißer Partikularstandpunkt. Was umgekehrt weiterhin sichtbar bleibt ist die Klasse, die aber multipolar ist und sich ständig neu zusammensetzt.

Dieser Ansatz ermöglichte vor allem auch wieder die Zusammenarbeit von Teilbereichsbewegungen (Frauen-Schwulen-Antifa-Anti-AKW-Häuserkampf) miteinander und im Rahmen eines linken Gesamtkonsens, ohne dass ihnen ein übergeordnetes Allgemeines übergestülpt wurde. Besonders fruchtbar erlebte ich den Wert des Ansatzes in der Antirassismusarbeit, wobei ich schwerpunktmäßig in zwei Gruppen aktiv war, die beide sehr heterogen zusammengesetzt waren. Eine war mehrheitlich deutsch, hatte ein leichtes Frauenübergewicht, die wenigen Migranten, die dabei waren waren ausnahmslos politische Flüchtlinge mit Knast-und Foltererfahrungen und z.T.stark prägend für die Gruppe, obwohl vom Auftreten her eher zurückhaltend. Die soziale Zusammensetzung reichte vom Dauersozialhilfeempfänger über den Baggerfahrer bis zur Ärztin. Die geführten politischen Diskussíonen hatten dabei aber ein höheres Niveau als zeitgleich in studentischen Zusammenhängen, und zugleich war dieser Zirkel sehr viel hierarchiefreier als in Unikreisen üblich.


Die andere Gruppe war überwiegend kurdisch geprägt, bestand vor allem aus Ex-Peshmergas und deutschen Kurdistan-Aktivistinnen, und ich war der einzige deutsche Mann dort. Auch hier funktionierten Theoriediskussion und Praxis hierarchiefrei und geprägt von tiefer gegenseitiger Achtung. Beide Gruppen führten ihre Diskussionen im oben skizzierten Rahmen durch.


Auf der anderen Seite gab es aber auch ganz andere Weisen, mit dem Drei-zu-Eins-Widerspruch umzugehen, wie sich etwa in dem Reader "Metropolengedanken-soziale Revolution" zeigte und ähnlichen Publikationen, in denen tatsächlich Opferkonkurrenzen hergestellt und Hierarchien errichtet wurden, demzufolge dann halt wahre revolutionäre Subjekte nur noch schwarze Frauen oder ähnlich Marginalisierte sein könnten. Neben unseren heterogenen Antirazusammenhängen bildete sich eine Richtung, die sich manchmal PC-Linke nannte und eine sehr moralisierende formale politische Korrektheit in den Mittelpunkt stellte.Da war es dann wichtig, klein mensch und das große I noch im breitesten Biertischgespräch mitzusprechen und sich vegetarisch zu ernähren, die Bereitschaft zu Debatten mit gesellschaftsanalytischer Ausrichtung war wenig bis nicht vorhanden.Ein klassisch antiimperialistisch geprägter Genosse meinte damals, PC mache in Deutschland gar keinen Sinn, das sei eigentlich ein Phänomen der US-Ostküstengesellschaft, in der Antidiskrimierungsprogramme und Sonderrechte für bestimmte Ethnien mit dem Gedankengut eines politischen Protestantismus begründet werden, der in voraufklärerischen Traditionen wurzele. Dies kommt mir immer häufiger in den Sinn, wenn Momorulez Vergleiche zwischen dogmatischen Linken und Evangelikalen zieht.


Die härteste Richtung unter den politisch Korrekten nannte sich Straight Edge und forderte, dass Linke Veganismus und Abstinenz bei Drogen, Alkohol und Zigaretten zu verbinden hätten, sie kamen mit Parolen we "Go vegan or bloody".

In meiner engsten Umgebung herrschte eher ein lockerer Selbstverarsche-Humor, und so reagierten wir auf derartige Entwicklungen mit Iran-Vergleichen, Putenessen in der veganen Volksküche,der Proklamation des Currywurst-Kommunismus oder der mit moralischem Tremolo vorgetragenen Frage, ob ich mal darüber nachgedacht hätte, ob meine kurdischen Freunde nicht als Muslime Sexisten seien der passenden Antwort: "Ich bin mit der Rasse befreundet, da denke ich über sowas nicht nach."

Das alles kommt bei mir heute hoch, wenn ich bestimmte Reizwörter lese, und ihr Inhalt ist heute völlig anders.

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Im Reich der Falken
Das dritte Mal durchquere ich das Revier des Falkenpärchens. Vor einigen Tagen kamen wir von einem Gipfel hinab in ihr Reich, gestern ich alleine von einem Klettersteig absteigend, heute stieg ich auf: Mit vollem Gepäck in der Augustsonne 1000 Höhenmeter in zwei Stunden, eine Konditionsübung. "Klikliklikli!", da ruft er (oder sie). Mit unglaublich eleganten Flugbewegungen fliegen die Falken hin und her. Dann überholt mich einer und setzt sich etwa zehn Meter vor mir in eine Krüppellärche und schaut mich an, fragt wahrscheinlich "was ist das für einer?". Als ich mich nähere fliegt er wieder mit unglaublicher Eleganz davon. Hatte auch noch eine Nahbegegnung mit einer Hirschkuh. In einer paar Tagen geht es hinein in den Granit, 1500 m Anstieg, davon 600 freie Kletterei. Das Reich der Adler und Steinböcke...

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