Donnerstag, 2. März 2017
Wohnungsbaugenossenschaft gibt sich völkisch, rassistisch und reaktionär
Reaktionäres politisches Pamphlet: Kommentar des Flüchtlingsrats Niedersachsen e.V. zum Geschäftsbericht 2015 der Wohnungsgenossenschaft Gartenheim (Hannover)

Der „Geschäftsbericht und Jahresabschluss 2015“ der Wohnungsgenossenschaft Gartenheim eG aus dem Februar 2016 lässt die Leser_innen fassungslos und bestürzt zurück. Zwischen den erwartbaren Zahlen und Daten verbirgt sich ein reaktionäres politisches Pamphlet, das nur mühsam als eine Skizze der „Risiken und Chancen der zukünftigen Entwicklung“ der Wohnungsgenossenschaft getarnt ist.

Es handelt sich um eklektische Zusammenstellung bewährter Versatzstücke rechter Diskurse. Es fehlt nicht das insbesondere bei der Reichsbürgerbewegung verbreitete Phantasma des besetzten Deutschlands („besetztes Land“, S. 10), die völkische Argumentation vom drohenden „Volkstod“ („niedergetrampelte, ausgestorbene Nation“, S. 10, „Niemand stirbt freiwillig aus“, S. 11) und eine kulturchauvinistische Haltung (die Toilette werde von „weiten Kreisen der restlichen Weltbevölkerung“ nicht verstanden oder benutzt, S. 13). Die in rechten bis rechtsextremen Kreisen verbreitete Behauptung eines bevorstehenden Bürgerkrieges wird, wenn auch indirekt, ebenfalls angedeutet (Versicherungen würden Schäden bald als „kriegerische oder bürgerkriegsähnliche Ereignisse“ bewerten, S. 13). Wenn der Autor von „Stammbevölkerung“ (S. 12) schreibt und die Flüchtlinge mit einer „große[n] Herde“ (S. 11) vergleicht, zeigt sich eindeutig das völkische Weltbild des Autors und das Denken in „Kulturkreisen“, in dem jedes „Volk“ seinen festen Platz habe. Selbst das Schlagwort vom „Lebensraum“ (S. 11), mit dem völkische und rassistische Vordenker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die nationalsozialistische Eroberungspolitik vorbereitet hatten, wird aufgenommen. Es wird hier nur umgekehrt: Ging es einst darum, einen neuen „Lebensraum“ im östlichen Europa zu erobern, weil nur so das Überleben des „deutschen Volkes“ gesichert werden könne, wird hier die Bundesrepublik als der „Lebensraum“ verstanden, der gegen den „Migrantenstrom“ (S. 11) verteidigt werden müsse.

Der Text reiht sich damit ein in die Untergangsphantasien, die in bürgerlich-konservativen bis rechtsextremen Kreisen seit über 100 Jahren verbreitet sind und in denen immer wieder ein drohender „Volkstod“ beschworen wurde (vgl. Thomas Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang. Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2007). Wie in Texten dieser Art üblich, soll den Ausführungen mit historischen Einordnungen, die lediglich scheinbar fundiert und wissenschaftlich nicht ernst zu nehmen sind, und eingestreuten Verweisen auf unverdächtige Quellen ein seriöses Gepräge gegeben werden. Ähnliche Argumentationsmuster finden sich etwa bei Thilo Sarrazin, Udo Ulfkotte oder im Heidelberger Manifest, in dem deutsche Hochschulprofessoren 1981 vor „Unterwanderung“ und „Überfremdung“ warnten.

Die Argumentation ist so sehr Bestandteil rechter Ideologien, dass das bloße Antippen der Schlagworte genügt, um den Eingeweihten zu verdeutlichen, was gemeint ist. Für die mit diesen Argumentationsmustern nicht vertrauten Leser_innen bleibt ein beklemmendes Gefühl der Angst und diffusen Bedrohung zurück.

Warum sich eine Wohnungsgenossenschaft anschickt, Ängste zu wecken und einen drohenden Untergang zu suggerieren, bleibt dabei völlig unklar. Womöglich bereitet der Autor hier seine Kandidatur für ein Mandat der AfD oder einer anderen rechtsextremen Gruppierung vor.

Als ein Beitrag zu den Schwierigkeiten des deutschen Wohnungsmarktes (die auch dann bestünden, wenn Deutschland keine Flüchtlinge aufnehmen würde) und den Erfordernissen des sozialen Wohnungsbaus kann der Text jedenfalls nicht verstanden werden.

Wenn sich die Wohnungsgenossenschaft diese Sichtweise zu eigen macht, zeigt sich womöglich, wie der formulierte Leitsatz „Wir sind anders.“ gemeint ist. In diesem Fall müsste man ergänzen: völkisch, kulturchauvinistisch, angstbesetzt, rechtspopulistisch.

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Die HAZ hat am 1. März 2017 über den Geschäftsbericht und unseren Kommentar berichtet.

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