Sonntag, 4. März 2018
Hemmschuhe der Revolte. Linke Selbstmarginalisierung, Selbstzerfleischung und die mögliche Rolle der Dienste, 2. Abschnitt
Auf Desinteresse stießen auch meine Informationen aus NATO-Stäben, immerhin klassifizierte Dokumente über die künftige strategische Ausrichtung des Bündnisses. Alles, was die eigene aktuelle Praxis mit ihrem ritualisierten Militanzfetisch in Frage stellte wurde ausgeklammert. Zu Personenkreisen wie den späteren Redaktionsgruppen Materialien für einen neuen Antiimperialismus und Wildcat-Zirkular hatte ich leider noch keinen Zugang (obwohl die Leute vor meiner Nase herumliefen, aber so ist das halt bei verdeckt arbeitenden Gruppen), meine damalige Umgebung interessierte sich nicht dafür. Überhaupt wurde auf Diskussionen die über den Binnenhorizont und Tellerrand der damaligen Antifaszene hinausführten eher verschnupft reagiert. Besonders deutlich wurde dies beim Thema gesamtdeutscher Neutralismus.

Es hatte in der Friedensbewegung (hiermit ist die Anti-Atomraketen-und-Störmanöver-Friedensbewegung gemeint, die ihre Aktionszeit 1978 bis 1985 hatte und damals Hunderttausende auf die Straße brachte) einen Diskussionsansatz in Richtung deutscher Friedensvertag-NATO-Austritt-Neutralität gegeben.

http://www.zeit.de/1981/47/deutsche-aus-der-front


Dies wurde nun ("nun" heißt ab 1984) von einigen Linksradikalen unter der Parole "Raus aus der NATO - rein ins Vergnügen!" aufgegriffen mit der Stoßrichtung, dass eine deutsche Neutralität mit einer strukturell nicht angriffsfähigen deutschen Armee und einer Synthese aus westlicher Demokratie und östlichem Sozialismus dem US-Imperialismus das wichtigste Standbein in Europa weghauen würde und dass ein solches Staatswesen, durchaus aus einer antietatischen Perskektive betrachtet, also ohne sich mit ihm zu affirmieren, Linken bessere Perspektiven bieten würde als die bestehende BRD. Mein damals engster Genosse vertrat diesen Ansatz ganz massiv.

Es wurde verunmöglicht, solche Thesen auf Plena zu diskutieren. Jeder Versuch wurde von Antideutschen, die es auch damals schon gab, mit Pfeifkonzerten zerstört. Mein Genosse musste sich anhören, ein in die linke Szene eingeschleuster Nationalbolschewist oder Nationalrevolutionär zu sein (den Unterschied zwischen Neonazis, Nationalrevolutionären und Nationalbolschewisten machten autonome Antifas damals noch). Dabei war das ein alter Haschrebell, 2. Juni-Umfeld. Seit dem "Bushfeuer", der Zusammenknüppelung des Internationalistischen Blocks auf der Anti-Bush-Demo in Krefeld 1982 waren die Grenzen der Massenmilitanz der Autonomen klar aufgezeigt worden. Dass die Szene eine neue Perspektive brauchte war offenkundig. Das änderte aber nichts dran dass die Autonomen zahlenmäßig im Verlauf der 1980er ständig mehr wurden. Der mit Glasnost und Perestroika verbundene Zerfall der moskautreuen kommunistischen Kräfte führte dazu dass viele von denen wenn sie sich nicht ins Privatleben zurückzogen zu den Autonomen überliefen. Um 1988 hatte die autonome Szene rein zahlenmäßig Hochkonjunktur und es gehörten Zehntausende Leute dazu. Die gemeinsame Tagung von IWF und Weltbank in Westberlin 1988 führte zu einer Mobilisierung zu Massenprotesten, und in diesem Kontext begann sich die in Teilbereichskämpfe (Anti-AKW-Häuserkampf-Arbeitslosigkeits-Neue-Armut-Antikriegs-Antigentech-und Frauenbewegung) aufgesplitterte Szene wieder mit einer Kritik kapitalistischer Herrschaftspraxis an sich zu beschäftigen. Es gab wieder eine systemkritische Gesamtperspektive, auch wenn das damals niemand Intersektionalität nannte.


Die "Autonomie Neue Folge 14" mit dem Titel "Klassengeschichte - soziale Revolution?", ein Klassiker der "anderen Arbeitergeschichte" erschien in einer Neuauflage und war neben Detlef Hartmanns Kultbuch "Leben als Sabotage. Zur Krise der technologischen Gewalt" Standard der Diskussion.


Es herrschte so etwas wie Aufbruchstimmung, dann aber führten zwei Ereuignisse schlagartig dazu dass weite Teile der Szene für Jahre nur noch um sich selber kreisten und hochdestruktive Selbstverständnisdebatten im Mittelpunkt des Diskurses standen. Das eine war die seit den tödlichen Schüssen an der Startbahn West 1987 geführte und allmählich immer mehr verhärtende Gewaltfragendebatte, das andere eine Sexismusdebatte. Die hatte es schon länger gegeben und sich ursprünglich mit Themen wie mackerhaftem Verhalten einzelner Männer auf Plena und in Arbeitskreisen und vor allem dem Heldengepose autonomer Fighter auf Haue-Demos beschäftigt, bekam aber eine völlig neue Dimension, als Vergewaltigungen von Szenefrauen durch Szenemänner bekannt wurden.

Dass das linkrsradikale Millieu den gleichen gesellschaftlichen Widersprüchen ausgesetzt ist wie die bürgerliche Gesellschaft war zwar keine neue Erkenntnis, in den Konsequenzen wurde diese nach dem Bekanntwerden der Vergewaltigungen aber besonders schmerzhaft. Hinzu kam eine Eskalation der Sexismusdebatte mit einer hohen Eigendynamik: Einerseits wurde der Hammer "Vergewaltigung" zum Indikator von Sexismus an sich, d.h. Männer die wegen sonstigem sexistischen Verhalten kritisiert wurden das bis dahin zu keinen Ausschlüssen geführt hätte wurden wie Vergewaltiger behandelt, d.h. mit Steckbrief geoutet und sozial geächtet. Zum anderen setzte sich nach und nach eine inflationäre Interpretation des Begriffs Vergewaltigung durch.



Dass die Definitionsmacht dessen was eine Vergrewaltigung ist beim Opfer zu liegen hat betrachte ich als unstrittig. In dieser Debatte wurde dies dann allerdings so ausgedehnt dass auch bei Fällen von Vergewaltigung die Rede war wo Einvernehmlichkeit geherrscht hatte oder schließlich sogar wo kein Sex stattgefunden hatte.

Am Anfang hatten unbestreitbare, von Schlägertypen begangene Vergewaltigungen gestanden. Was dann immer häufiger passierte mache ich an zwei Beispielen deutlich. Da hatten eine Frau und ein Mann um die 20 einen Onenightstand. Die Frau beklagte sich hinterher darüber dass er sie stumpf durchgerammelt hätte und dass sie wenig Spaß dabei gehabt hätte und äußerte das auf einem Plenum, auf dem eine weitere Frau sich darüber beklagte dass sie sich benutzt gefühlt hätte als ihr Freund - mit dem sie vorher gevögelt hatte - sich an ihrem Anblick einen runtergeholt hätte. Das Plenum beschloss für die beiden Männer eine Therapiegruppe zu bilden und eine MRT - Männerradikaltherapie - durchzuführen. Als die daraufhin dem Plenum den Vogel zeigten wurden beide ausgeschlossen, bekamen in den meisten linken Zentren Hausverbot und wurden im Nachhinein als Vergewaltiger bezeichnet.


In einem anderen Fall wurden zwei Männer aus einem linken Zusammenhang ausgeschlossen weil - übrigens fälschlicherweise - vermutet wurde sie hätten die Absicht gehabt in Räumlichkeiten eines ASTAs einen Pornofilm sehen zu wollen.

In der Konsequenz kam es bundesweit zu öffentlich gemachten Outings von "Sexisten", die von außen betrachtet den Eindruck erweckten es handle sich um einen regelrechten Wettbewerb - nur die Szenestadt ist hip in der Sexisten öffentlich gemacht wurden. Jahrelang drehten sich die Diskussionen großer Teile der autonomen Szene nur noch um das Selbstverständnis der Gruppen festgemacht am Thema Sexismus. Dem sich zu dieser Zeit vollziehenden weltpolitischen Paradigmenwechsel - Zusammenbruch des Ostens, Wiedervereinigung, New World Order - stand die Szene, obwohl sie dafür eigentlich theoretisch gut gerüstet hätte sein müssen, völlig hilflos gegenüber. Das Gleiche wiederholte sich 2001-2006, als die Bushkriege in Afghanistan und Irak erstmals ohne massive Straßenproteste einer zahlenmäßig größeren linken Bewegung in Deutschland stattfanden, weil die Szene gerade damit beschäftigt war "Antisemiten" in den eigenen Kreisen zu outen bzw. nach ihnen zu fahnden - die Auseinandersetzung Antideutsche vs. Antiimperialisten war prevailing theme. Ich hatte beide Auseinandersetzungen immer mit dem speziellen, teils sektiererischen Charakter der Szenestrukturen und einem seit etwa 1988 verbreiteten moralischen Fundamentalismus erklärt, zumal ich dies alles ja von innen erlebt hatte. Aus der Fernsicht stellt sich mir im Nachhinein eine andere Frage. Wurde da vielleicht von irgendwelchen Diensten nachgeholfen?

Ein einziges Mal versuchten Linksradikale tatsächlich eine konkrete Utopie zu formulieren die auf reale Veränderung staatlicher Strukturen abzielte und sich gegen die Westbindung richtete - und wurden mundtot gemacht. Ausgerechnet als der Osten zusammenbrach und es die Pflicht einer linken Bewegung gewesen wäre auf das Geschehen Einfluss zu nehmen, als die Autonomen rein zahlenmäßig auf dem Höhepunkt waren beschäftigt sich die Szene nur noch mit sich selber. Als im großen Stil Kriege zur Durchsetzung neoliberaler Strukturen im Mittleren Osten durchgeführt werden und es Aufgabe der Linken gewesen wäre der Militärmaschinerie in den Arm zu fallen passiert das gleiche. Alles Zufall oder reine Gruppendynamik? Ein Schelm, wer.....

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Schaut auf den Jemen!
Was dort geschieht ist nichts Anderes als die planmäßige Vernichtung überflüssiger Esser. Es könnte Modellcharakter haben für die Behandlung anderer nicht inwertsetzbarer Regionen.

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Afrin2018 ist wie Madrid 1939

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