Montag, 27. Juli 2020
Corona-Patient-Nr. 1 erzählt im Interview seine Geschichte: „Ich habe seit April keine neutralisierenden Antikörper mehr.“
Auf den Tag genau, vor einem halben Jahr, am 27. Januar 2020, wurde der erste Mitarbeiter von Webasto in Deutschland positiv auf das neuartige Coronavirus getestet. Erst 2 Wochen später gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dem Virus und dem von ihm ausgelösten Lungenleiden offizielle Namen: „Sars CoV-2“ und „COVID-19“. Wie „Patient 1“ die Infektion erlebt hat und wie es ihm heute geht, berichtete er in einem intern geführten Interview, das die Firma Webasto Journalisten zur Verfügung stellte. Zum Schutz seiner Privatsphäre sind seine Antworten anonymisiert.
Hattest du dich mit dem neuartigen Virus beschäftigt, bevor du selbst betroffen warst?
Ich hatte nur die Nachrichten aus Wuhan (China) verfolgt. Damals erschien das Virus noch sehr weit entfernt. Ich hatte tatsächlich am Mittwoch, den 22. Januar, einen Termin bei unserem Betriebsarzt und dort nebenbei gefragt, wie er dieses Virus einschätzt, da ich für 2020 Dienstreisen nach Asien geplant hatte. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich gar nicht, dass ich das Virus schon in mir trage.
Wann und wie hast du erfahren, dass deine chinesische Kollegin positiv auf das neuartige Virus getestet wurde?
Dies geschah direkt am Morgen des 27. Januar. Ich habe es durch meinen Vorgesetzten erfahren.
Was ist dir als Erstes durch den Kopf gegangen, als du von der Infektion der Kollegin gehört hast?
Ich habe sofort an meine Familie gedacht. Am Wochenende hatte ich Fieber und Schüttelfrost, jedoch keine Atembeschwerden. Trotzdem war ich sofort um meine schwangere Frau und um meine kleine Tochter besorgt. Ich wusste, dass ich mich sofort auf das Virus testen lassen muss. Zu dem Zeitpunkt gab es leider noch keine offiziellen Hinweise dazu, wo man hingehen muss, um sich testen zu lassen.
War dir sofort klar, was das für dich und deine Familie bedeuten könnte?
Ja. Wobei meine Gedanken die ganze Zeit bei meiner Familie waren.
Bei welcher Gelegenheit hattest du die Kollegin getroffen?
Die chinesische Kollegin hatte ich bei einer einstündigen Besprechung am Montag, den 20. Januar, getroffen.
Gab es mehrfach Kontakt und wie sah der aus?
Es gab nur ein Meeting am Montagmorgen. Dort haben wir uns noch alle die Hand gegeben. Ich saß dann auch direkt neben ihr und habe nebenbei Kaffee getrunken.
Was hast du gemacht, als du am Montag von der infizierten Kollegin erfahren hast?
Auch wenn ich zu dem Zeitpunkt keine Krankheitssymptome mehr hatte, bin ich unverzüglich zu meinem Hausarzt gefahren und habe ihm meine Situation geschildert. Der hat mich – richtigerweise – direkt zum Tropeninstitut nach München geschickt.

Ja, daran kann ich mich sehr gut erinnern: An diesem Montagabend habe ich zum ersten Mal meiner Tochter keinen Gutenachtkuss gegeben und war auch auf Distanz zu meiner Frau. Kurz nach 20 Uhr kam dann der Anruf, bei dem mir das Ergebnis mitgeteilt wurde. Mir wurde gesagt, dass ich mich sofort ins Schwabinger Krankenhaus begeben soll, zu einem bestimmten Gebäude und dort zu einer bestimmten Station. Ich sollte mich nicht an der Rezeption melden, sondern direkt auf das Gelände fahren, und man würde auf mich warten.
Über die Krankheit war zu dieser Zeit nicht viel bekannt. Hattest du Angst, richtig schwer zu erkranken?
Es war eine sehr surreale Situation. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Viele Gedanken schwirrten durch meinen Kopf, aber erst einmal habe ich nur noch reagiert und fühlte mich fremdgesteuert.
Was war das für ein Gefühl, als du erfahren hast, dass der Erreger von dir auf andere Kollegen übertragen worden war?
Zum Glück hat sich bestätigt, dass ich selbst das Virus nicht weiterverbreitet habe. In den Medien war inzwischen von „Superspreadern“ zu lesen, dazu gehörte ich nicht. Ich habe, soweit die Untersuchungen ergeben haben, nur einen Kollegen angesteckt, als dieser meinen Laptop bedient hat. Das tat mir natürlich sehr leid, dass dieser jetzt wegen mir ebenfalls ins Schwabinger Krankenhaus eingewiesen wurde. Die Krankheit ist bei ihm Gott sei Dank aber auch nicht stark ausgebrochen.
Haben sich auch Familienmitglieder oder Freunde bei dir angesteckt?
Nein, und das ist für mich bis heute nicht nachvollziehbar, da ich eine volle Woche unbewusst dieses Virus in mir hatte und ich normal mit meiner Familie und Freunden zusammen war. Es wurden aber alle zwei Mal getestet, und alle sind negativ gewesen.
Gab es Reaktionen auf dein Testergebnis, die dich positiv oder negativ überrascht haben? Kannst du Beispiele nennen?
Freunde und Familie waren natürlich erst einmal geschockt und besorgt. Ich habe täglich von Allen Anrufe bekommen, da sie sich große Sorgen um mich gemacht haben. Ich habe sie stets beruhigt und gesagt, dass es mir gut gehe.
Aber ich haben natürlich auch die Nachrichten verfolgt und war zum Teil erschrocken, welche Erkenntnisse man angeblich über mich und mein Privatleben „rausgefunden“ hatte. Das habe ich jedoch nicht an mich rankommen lassen. Was mich wirklich aufgeregt hat, waren Medien, die über frei erfundene Gespräche zwischen mir und meiner Frau berichteten oder solche, die meinten, sie müssten Reporter zu der Kindertagesstätte meiner Tochter schicken.
Wie lange warst du im Krankenhaus?
Ich war 19 Tage im Krankenhaus.
Wie ging es dir in der Zeit im Krankenhaus gesundheitlich?
Welche Beschwerden hattest du, und kannst du kurz den Verlauf beschreiben? Ich hatte zum Zeitpunkt meiner Aufnahme, außer leichtem Durchfall, keine Beschwerden mehr. Dieser war nach wenigen Tagen weg. In der dritten Woche hatte ich an einem Tag eine leichte Panikattacke, da ich keine Perspektive auf eine Entlassung sah und mir eingebildet habe, ich würde auf ungewisse Zeit festsitzen.
Wie hast du die Zeit im Krankenhaus sonst empfunden?
Was hat dich belastet, über was hast du dich gefreut? Das Krankenhauspersonal war stets freundlich, und ich habe mich dort gut aufgehoben gefühlt. Ich habe mich täglich auf die Anrufe von Freunden und Familie gefreut. Zudem habe ich auch Pakete erhalten. Nicht nur von meiner Familie, sondern auch eins von dem Task-Force und Management Team von Webasto. Inhalt waren ein Brief, Süßigkeiten, ein Puzzle, Gutscheinkarten, mit denen ich mir Filme anschauen konnte, und zudem weitere kleine Sachen zur Aufmunterung. Das fand ich eine sehr rührende Geste.


Ende Februar bist du aus dem Krankenhaus als geheilt entlassen worden. Konntest bzw. musstest du dann gleich wieder arbeiten?
Ich habe die ganze Zeit über gearbeitet, da ich meinen Laptop im Krankenhaus dabei hatte. Mir macht meine Arbeit sehr viel Spaß, und es war eine willkommene Abwechslung und auch Ablenkung zum recht eintönigen Alltag im Krankenhaus. Nach der Entlassung hatte ich weitere Auflagen vom zuständigen Gesundheitsamt. Erst nachdem auch die letzte tote Virus-DNA aus meinem Körper ausgeschieden war, durfte ich wieder zurück an meine Arbeitsstätte.
Wie geht es dir heute gesundheitlich?
Mir geht es bestens. Ich wurde öfter von Kopf bis Fuß untersucht, und es wurden keine Spätfolgen festgestellt.
Schützen dich Antikörper vor einer neuerlichen Infektion mit dem Virus?
Leider nicht mehr. Seit April habe ich keine neutralisierenden Anti-Körper mehr.
Als du die Anti-Körper noch hattest, hast du da trotzdem die hygienischen Schutzmaßnahmen eingehalten?
Ja, in vollem Umfang. Mir war klar, dass mein Körper zu dem Zeitpunkt immun gegen das Virus war, jedoch war mir auch bewusst, dass ich trotz Immunität ein Überträger auf andere hätte sein können. Ich habe stets Abstand gehalten, habe eine Maske getragen und Händehygiene beachtet, und dies tue ich bis heute noch genauso und rate es jedem eindringlich.
Hättest du gedacht, dass das Virus so gefährlich ist und es zu einer Pandemie kommt?
Nein, das habe ich nicht ahnen können. Im Nachhinein ist mir klargeworden, dass ich ein Riesenglück hatte, dass das Virus meinen Körper nicht so stark angegriffen hat und ich das Ganze glimpflich überstanden habe.
Haben dich die Erkrankung und die Erfahrungen, die du gemacht hast, verändert? Wenn ja, inwiefern?
Es hat mich gelehrt, dass einem auch das Unvorstellbarste widerfahren kann und, dass man das Leben nicht als selbstverständlich hinnehmen darf. Von heute auf morgen kann sich alles verändern.

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Forscher führen SARS-CoV-2-Ausbruch bei Tönnies auf Superspreader zurück – Übertragung im Abstand von bis zu 8 Metern
Der Schlachtbetrieb Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, Nordrhein-Westfalen, entwickelte sich ab Mai zum SARS-CoV-2-Hotspot (wie Medscape berichtete): Von 6.139 getesteten Tönnies-Werksmitarbeitern hatten sich Mitte Juni 1.413 infiziert. Hinzu kamen weitere 353 Personen im Umfeld dieser Beschäftigten. Alle Angestellten mussten in Quarantäne. Außerdem wurden Schulen und Kindertagesstätten im Kreis Gütersloh geschlossen.
Das Ereignis erklärten die Gesundheitsämter vor Ort mit der prekären Wohnsituation von Arbeitern, aber auch mit der Luftzirkulation durch Klimaanlagen: eine Theorie, die Forscher jetzt teilweise revidieren.
Dr. Thomas Günther vom Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie, und Kollegen haben die ursprünglichen Übertragungswege rekonstruiert [1,2]. Danach wurde – ausgehend von einem einzigen Mitarbeiter – das Virus auf mehrere Personen in einem Umkreis von mehr als 8 Metern übertragen. Das geschah in einem Bereich, in dem Rinder zerlegt werden. Die Luft wird dort ständig umgewälzt und auf 10°C gekühlt. Die Wohnsituation spielte – anders als anfänglich vermutet – in der untersuchten Phase des Ausbruchs keine wesentliche Rolle.
Unter diesen Bedingungen (in Fleisch- oderFischverarbeitungsbetrieben) ist ein Abstand von 1,5 bis 3 Metern alleine ganz offenbar nicht ausreichend, um eine Übertragung zu verhindern. Prof. Dr. Adam Grundhoff
„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Bedingungen des Zerlegebetriebs – also die niedrige Temperatur, eine geringe Frischluftzufuhr und eine konstante Luftumwälzung durch die Klimaanlage in der Halle, zusammen mit anstrengender körperlicher Arbeit – die Aerosolübertragung von SARS-CoV-2-Partikeln über größere Entfernungen hinweg förderten“, sagt Prof. Dr. Adam Grundhoff. Er arbeitet ebenfalls am vom Heinrich-Pette-Institut und ist Koautor der Studie.
Grundhoff weiter: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Faktoren generell eine entscheidende Rolle bei den weltweit auftretenden Ausbrüchen in Fleisch- oder Fischverarbeitungsbetrieben spielen. Unter diesen Bedingungen ist ein Abstand von 1,5 bis 3 Metern alleine ganz offenbar nicht ausreichend, um eine Übertragung zu verhindern.“
Untersuchungen anhand von Genomanalysen
Günther und Kollegen arbeiten in ihrer Studie mit Gensequenzen von SARS-CoV-2. Proben aus Abstrichen wurden aufbereitet, virale Nukleinsäuren amplifiziert und dann sequenziert. Aufgrund des zeitlichen Verlaufs vermuten sie, dass 2 Mitarbeiter, B1 und B2 genannt, die wahrscheinlichste Quelle des Ausbruchs waren. Sie sind früh getestet worden, durften aber weiterarbeiten, bis Ergebnisse vorlagen.

Beide hatten sich wahrscheinlich beim Fleischbetrieb Westcrown in Dissen, Niedersachsen, infiziert. Aufgrund von Mutationen im viralen Genom konnte B2 dann als Überträger ausgeschlossen werden. Damit scheint B1 der Indexpatient zu sein.
Kontakte von B1 zu anderen Mitarbeitern
Wie die Autoren weiter ausführen, arbeitete B1 in der Frühschicht der Fleischverarbeitung. In seiner Schicht sind gleichzeitig 147 Personen tätig, von denen die meisten feste Positionen am Förderband haben. 8 Klimaanlagen sind in der Nähe der Decke und Gebläse wälzen die Luft um.
Aufgrund dieser bekannten Konstellationen und aufgrund von Arbeitsplänen konnten die Forscher viele Personen im Raum relativ zum Indexpatienten lokalisieren. Zu den meisten Infektionen kam es innerhalb eines Radius´ von 8 Metern um B1. Auch hier legen genomische Daten nahe, dass SARS-CoV-2 vom Indexpatienten kam.
Weitere Infektionen im Wohnbereich können Günther und Kollegen zwar nicht ausschließen. Sie bewerten die Situation in der Fleischverarbeitung jedoch als entscheidend.
Tönnies ist kein Einzelfall
Die Autoren jedenfalls vermuten, dass spezielle Arbeitsbedingungen auch für weitere Ausbrüche in Betrieben der Fleisch- und Fischverarbeitung verantwortlich sein könnten. Deshalb müsse man Angestellte „häufig und systematisch überprüfen“. Im Falle einer Infektion seien Personen unter Quarantäne zu stellen, die Kontakte weit über die bekannten 2 m hinaus gehabt hätten.
Außerdem mahnen Günther und Kollegen eine verbesserte Belüftung, eine Installation von Filter- oder Ultraviolettlichtgeräten sowie eine Verwendung von Mund-Nasen-Schutz bei Arbeitern an, um das Infektionsrisiko zu verringer

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