Dienstag, 30. Juni 2020
Immunitätsausweis Adieu?
Manche Patienten zeigen keine oder nur eine schwache Antikörper-Bildung nach SARS-CoV-2-Infektion
Michael van den Heuvel, Redaktion Medscape

INTERESSENKONFLIKTE 29. Juni 2020


Schweden setzt im Rahmen seiner umstrittenen SARS-CoV-2-Strategie auf die Herdenimmunität nach Infektionen. Und mit dem inzwischen verworfenen Plan, Immunitätsausweise einzuführen, hätte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Personen mit Antikörpern im Blut Sonderrechte eingeräumt.

Doch nun gibt es Daten, die solche Diskussionen sowieso ad absurdum führen. Denn Forscher um Quan-Xin Long von der Chongqing Medical University im chinesischen Chongqing stellen in Nature Medicine eine Studie vor, die sie zweifeln lässt, ob Infektionen tatsächlich zur langfristigen Immunität führen: Bei 37 Patienten hatten sich nach asymptomatischer Infektion mit dem neuen Coronavirus die Antikörper-Titer rasch wieder verringert. Nach 2 Monaten könnte vielleicht schon keine Immunität mehr bestehen, schreiben die Forscher [1]. Aufgrund von Erfahrungswerten von SARS oder MERS hatte man bislang vermutet, dass Antikörper zumindest 2 bis 3 Jahre im Blut zirkulieren.

Bisher stammten viele immunologische Daten zur Coronavirus-Pandemie von Krankenhaus-Patienten mit schweren Verläufen, kommentiert Prof. Dr. Danny Altmann vom Imperial College London, die neuen Daten. Die meisten Infizierten weltweit hätten aber nur leichte oder keine Symptome. Es sei daher eine entscheidende Frage, ob auch sie eine dauerhafte, schützende Immunität besäßen. „Obwohl es sich hierbei um eine recht kleine Stichprobe von Patienten handelt, gibt es zu Recht Bedenken, dass die natürliche Immunität gegen Coronaviren recht kurzlebig sein kann“, so Altmanns Schlussfolgerung aus der Veröffentlichung.

Obwohl es sich hierbei um eine recht kleine Stichprobe von Patienten handelt, gibt es zu Recht Bedenken, dass die natürliche Immunität gegen Coronaviren recht kurzlebig sein kann. Prof. Dr. Danny Altmann
Studie mit 37 asymptomatischen Patienten
Long und Kollegen untersuchten 37 asymptomatische und 37 symptomatische Personen, bei denen eine per RT-PCR-bestätigte SARS-CoV-2-Infektionen diagnostiziert worden war. Sie wurden gemäß chinesischer Richtlinien im Wanzhou People's Hospital überwacht. Die mediane Dauer des Virusausscheidens lag bei 19 Tagen.

Von den asymptomatischen Personen kam es bei 93,3% (28/30) bzw. 81,1% (30/37) während der frühen Rekonvaleszenzphase zur Verringerung der Spiegel an IgG bzw. an neutralisierenden Antikörpern im Vergleich zu 96,8% (30/31) bzw. 62,2% (30/31). 23/37) bei symptomatischen Patienten.

Immerhin 40% der asymptomatischen Personen wurden seronegativ für IgG, verglichen mit 12,9% in der symptomatischen Gruppe. Darüber hinaus zeigten asymptomatische Personen niedrigere Werte bei 18 pro- und antiinflammatorischen Zytokinen.


„Diese Daten legen nahe, dass asymptomatische Personen eine schwächere Immunantwort auf eine SARS-CoV-2-Infektion hatten“, schreiben die Autoren. „Die Verringerung der Spiegel an IgG und neutralisierenden Antikörpern in der frühen Rekonvaleszenzphase könnte Auswirkungen auf die Immunitätsstrategie und serologische Untersuchungen haben.“

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Wann lohnt es, auch Menschen ohne Symptome auf SARS-CoV-2 zu testen?
Eine einheitliche Strategie fehlt. Was Experten raten
Michael van den Heuvel

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INTERESSENKONFLIKTE 29. Juni 2020
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Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) hat am Sonntag in München eine „Corona-Testoffensive" angekündigt: „Allen Bürgerinnen und Bürgern Bayerns wird … zeitnah angeboten, sich bei einem niedergelassenen Vertragsarzt auch ohne Symptome testen zu lassen." Damit ist Bayern das erste Bundesland, das künftig Tests für jedermann vorsieht.

Unter anderem auch nach den Vorgängen um den Schlachtbetrieb Tönnies in NRW fordern pünktlich zum Start der Sommerferien inzwischen auch mehrere Länder negative Tests vor der Einreise. Doch bislang fehlt für die Testung asymptomatischer Personen in Deutschland noch die gemeinsame Linie.

In seinem Lage- und Situationsbericht (Stand 24.06., 00:00 Uhr) erwähnt das Robert Koch-Institut (RKI) 6 Stadt- bzw. Landkreise mit 7-Tage-Inzidenzen über 25 Fälle pro 100.000 Einwohner:

Gütersloh, Warendorf und Hamm sind vom Ausbruch bei der Großschlachterei Tönnies betroffen. Mehr als 1.000 Mitarbeiter wurden positiv getestet.

In Göttingen ist eine Wohnanlage betroffen; hier gibt es laut RKI 100 Fälle.

Magdeburg musste mehrere Schulens schließen; Zahlen werden hier nicht genannt.

Und in Neukölln ist eine Glaubensgemeinschaft mit mehr als 100 Fällen betroffen.

Als 7-Tage R-Wert wird 1,17 (95%- Prädiktionsintervall: 1,08–1,25) angegeben. In Deutschland geht die Angst vor einer weiteren Corona-Welle um.

RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar H. Wieler stellt aber klar, die lokalen Ausbrüche seien noch nicht mit einer 2. Welle gleichzusetzen. Umso wichtiger wird es aber, Infizierte zu erkennen und zu isolieren. An der besten Strategie dafür scheiden sich aber die Geister.

Warum blieb der Ausbruch in Gütersloh lange unbemerkt?
Mit Blick auf Gütersloh kommentiert Prof. Dr. Gerd Antes von Cochrane Deutschland: „Wie ist es möglich, dass ein Infektionsgeschehen bis auf über 1.000 Infizierte laufen kann, ohne dass es rechtzeitig bemerkt wird? Dass hier Ämter und Behörden komplett versagt haben, steht wohl außer Zweifel.“


Antes moniert weiter: „Schlimmer ist jedoch das völlige Versagen bei der Entwicklung einer flächendeckenden Teststrategie, die solche Entwicklungen frühzeitig entdeckt.“ Eine solche Strategie müsse auch symptomfreie Komponenten haben, sprich Menschen ohne Beschwerden berücksichtigen, sagt er. Tests müsse man „intelligent“, etwa anhand eines bundesweiten Plans und an besonders sensiblen Orten, einsetzen.

Auf Nachfrage von Medscape ergänzt Antes: „Es ist methodisches Allgemeinwissen, für allgemeine Aussagen keine selbstselektionierten Kollektive zu nutzen. Genau das passiert, wenn Leute aus Risikogebieten kommen müssen, um einen Test zu erhalten.“ Noch schlimmer sei, wenn Tests sogar mit dem Einkommen verbunden würden, sprich wenn Personen, die Voraussetzungen für Untersuchungen nicht erfüllten, diese trotzdem erhielten, wenn sie dafür selbst die Kosten übernehmen.

Vage Strategie der Regierung
Zum Hintergrund: Bereits am 17. Juni trafen sich Vertreter der Bundesregierung und der Länder. In einer Pressekonferenz erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Die Länder haben begrüßt, dass Testungen nach der neuen Verordnung des Bundesgesundheitsministers jetzt in weit breiterem Maßstab möglich sind, als dies bisher der Fall war.“

Im Beschluss wird die bekannte Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in einem Landkreis innerhalb von 7 Tagen bekräftigt. Weiter heißt es: „Testungen sind von entscheidender Bedeutung für die Eindämmung, Rückverfolgung und Unterbrechung von Corona-Infektionsketten und damit die Verhinderung unkontrollierter Ausbruchsgeschehen.“

Im Rahmen einer deutschlandweiten Strategie gelte es, gezielt Testungen in Einrichtungen mit vulnerablen Personengruppen zu ermöglichen und hierfür die Testkapazitäten auszubauen. „Symptomatische Verdachtsfälle werden dabei wie bisher prioritär getestet“, so Bund und Länder. „Dort, wo zum Beispiel in einer Kinderbetreuungseinrichtung oder einer Schule ein Fall auftritt, müssen umfassende Testungen in der Einrichtung auf Kosten der Krankenkassen erfolgen.“

Detaillierter äußern sich Bund und Länder nicht. Wie schon zu Beginn der Pandemie liegt die Verantwortung bei Landesregierungen und nachgelagert bei Gesundheitsämtern.

Das BMG delegiert die Verantwortung an Gesundheitsämter
Laut „Verordnung zum Anspruch auf bestimmte Testungen für den Nachweis des Vorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) sollen symptomlose Personen stärker als zuvor getestet werden, falls zumindest ein Verdacht oder ein hohes Risiko besteht. Letztlich entscheidet der öffentliche Gesundheitsdienst darüber.

Spricht er sich für Untersuchungen aus, dabei geht es momentan nur um PCR-Tests, müssen gesetzliche Krankenkassen die Kosten übernehmen. Das gilt auch bei privat Versicherten und bei Personen ohne Versicherungsschutz.

Vorgaben für den ÖGD
Damit spielt das BMG den schwarzen Peter an die Gesundheitsämter weiter. Wissenschaftliche Grundlage ihrer Arbeit ist ein „Leitfaden für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zum Vorgehen bei Häufungen von COVID-19“ des RKI.

„Im Rahmen von Ausbrüchen ist es wichtig, dass auch asymptomatische Personen auf SARS-Cov-2 getestet werden“, so das RKI. Dies müsse je nach Situation auch sehr umfangreich erfolgen. Gerade in Alten- und Pflegeheimen oder in Krankenhäusern sei die Fallfindung von großer Bedeutung. „Daher sollen in solchen Situationen gezielt asymptomatische Personen getestet werden, bei denen die Fallfindung eine hohe Relevanz hat (inklusive medizinischen Personal und Personal in Alten- und Pflegeheimen sowie Personen im Bereich von Behinderteneinrichtungen).“ Auch hier bleiben die Formulierungen vage – es handelt sich nur um ein „Soll“.


Unterschiedliche Regelungen von Bundesland zu Bundesland
Auf Basis der BMG-Verordnung und der RKI-Empfehlung entwickeln manche Bundesländer jetzt eigene Verordnung. Ein Beispiel dafür ist Bayerns Ankündigung, alle Menschen im Freistaat testen zu wollen. Verdachtsfälle hätten aber Vorrang.

Wünschenswert wäre, einen Bundesrahmen über diese einzelnen Länderinitiativen zu setzen. Dr. Ute Teichert
Auch Baden-Württembergs Teststrategie bei symptomlosen Menschen geht deutlich über die RKI-Empfehlungen hinaus. „Im Rahmen von Ausbrüchen z.B. in Gemeinschaftsunterkünften oder Betrieben lassen sich Kontaktpersonen und die Intensität der Kontakte häufig nur schwer ermitteln“, schreibt die Landesregierung. Verschiedene aktuelle Ausbrüche hätten gezeigt, dass in solchen Szenarien ein hoher Anteil asymptomatischer Virusträger auftreten könne. „Durch breit angelegte Untersuchungen kann hier frühzeitig eine Isolierung von Virusträgern und Erkrankten erfolgen“, so die Vorgabe.

Einen ähnlichen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen lehnte Nordrhein-Westfalens Regierung Ende Mai allerdings ab. Bislang werden dort symptomlose Menschen nicht getestet, wobei es Gesundheitsämtern immer freigestellt ist, im Ernstfall weitere Maßnahmen zu ergreifen. Genau das ist im Gütersloher Raum ja geschehen.

„Wünschenswert wäre, einen Bundesrahmen über diese einzelnen Länderinitiativen zu setzen“, so Dr. Ute Teichert zu Medscape. Sie ist Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). „Man muss sich an der epidemiologischen Lage orientieren – Gütersloh unterscheidet sich momentan eben vom Rest der Republik“, erklärt Teichert. „Hier macht es Sinn, nicht nur Mitarbeiter von Tönnies, sondern auch die Bevölkerung zu testen.“ In einer Region mit wenigen Infizierten sei dies aber wenig zielführend.

Ein Test ist nicht mehr als eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt des Abstrichs – damit können sich Menschen auch in falscher Sicherheit befinden. Dr. Ute Teichert
Flächendeckende Untersuchungen sieht die Expertin kritisch: „Ein Test ist nicht mehr als eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt des Abstrichs – damit können sich Menschen auch in falscher Sicherheit befinden.“

Möglich seien aber regelmäßige Tests von Risikogruppen oder Einrichtungen, in denen gehäuft Ausbrüche auftreten würden, etwa bei Bewohnern eines Altenheims oder bei Mitarbeitern lebensmittelverarbeitender Betriebe. Dann könnten Infizierte isoliert werden. „Welche Strategie man vor Ort bei einem Ausbruch verfolgt, können Gesundheitsämter mit ihrer Fachexpertise am besten entscheiden“, sagt Teichert.

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