Samstag, 4. Juli 2020
Elemente der Gegenaufklärung, heute: Die Corona-Leugner
Die Serie "Elemente der Gegenaufklärung" hatte ich 2005 gestartet anlässlich einer kruden Allianz aus Gutachslern, Wirtschaftsliberalen, Antideutschen, PI und Pädophilen, die sich damals gebildet hatte. Nachdem ich mich analytisch mit diesen verschiedenen Gruppen und Sekten auseindergesetzt hatte setzte ich die Serie mit den unterschiedlichsten obskuren und zum Teil bedrohlichen Ideologien, Organisationen und Machenschaften fort, von esoterisch-okkultistischen Geheimgesellschaften bis zur Counterinsurgency der CIA.

Heute nutze ich den gegebenen Anlass, mich mit einer besonders bizarren und lautstarken Fraktion zu beschäftigen: Den Corona-Leugnern.

Die Verschwörologen an sich sind ja ein buntes Völkchen. Das reicht von Esoterikern und Ufologen über Leute, die an Chemtrails glauben - die Vorstellung, die Kondensstreifen der Jet-Abgase in der Tropopause seien in Wirklichkeit Nervengiftgas zur psychischen Beeinflussung der Bevölkerung - und solchen, die von einer Invasion der Reptiloiden fabulieren bis hin zu den Anhängern politisch-sozialer Verschwörungstheorien im engen Sinne und schließlich zu verkappten oder auch offen auftretenden Neonazis, LaRouchians, Islamisten und Geheimdienstlern. Sie alle eint eine Komplexitätsreduktion mit der Stichsäge, die zu einem höchst bedrohlichen, stark simplifizierten und meist schematisierten Weltbild führt. Sind Ufologen Leute die in anderen Jahrhunderten wahrscheinlich Marienerscheinungen gehabt hätten und sind Chemtrails und Reptiloiden barer Unsinn, so ist an den Elementen der politischen Verschwörungstheorien durchaus etwas dran. Ja, es gibt oder gab zumindest Treffen der Bilderberger, ja, Schweizer Banken waschen Gelder der internationalen Waffen- und Drogenmafia, einzelne Bankiers gehören dieser auch selber an, und es gibt hocheffektive Netzwerke der Superreichen, wie sie etwa Sandra Navidi in ihrem Buch Super-Hubs beschreibt.

Aber deswegen regieren die Bilderberger oder die "Gnome von Zürich" noch nicht die Welt, und dass es eine geheime Organisation gäbe, die hinter den Kulissen an den Regierungen vorbei oder über diese hinweg oder diese sogar lenkend das Weltgeschehen bestimme ist Unsinn.

Zu Beginn der Corona-Pandemie, als an Lockdown und Maskenpflicht noch nicht zu denken war und der Großteil der politischen Eliten von einer Art leichten Grippe redete phantasierten die Verschwörologen wahre Horrorszenarien herbei, von einer Pandemie mit pestartigem Ausmaß war die Rede.

Jetzt, nachdem wir nach einigen Monaten Corona-Erfahrung ein realistisches Bild von der Pandemie haben sind ihnen die Sicherheits- und Abstandsmaßnahmen viel zu weitgehend, und es wird in diesen Kreisen behauptet, die Regierungen manipulierten Messdaten.


Dass erhobene Daten ungenau, nicht aussagekräftig genung oder sehr unterschiedlich interpretierbar sind ist unstrittig, der Vorwurf einer - und dann letztendlich weltweit - vorgenommenen Datenmanipulation aber nicht nachweisbar und auch höchst unplausibel.

Zu Recht schrieb in konkret Lars Quadfasel: "So gern der Kleinbürger herumkrakeelt, bei der Gesundheit hört für die meisten der Spaß auf: In der Krise vertraut er doch lieber "denen da oben" als seinesgleichen. Die anfänglichen Versuche der Parteiführung (der AfD, Anm.d. Verf.), sich mit Forderungen nach hartem Durchgreifen gegen die "Globalisten-Seuche" zu profilieren endeten dementsprechend kläglich. So versucht sie es jetzt halt umgekehrt. Statt die "Systemparteien" für ihre zu zögerliche Umsetzung von Schutzmaßnahmen zu geißeln, fordert die AfD nunmehr deren sofortiges Ende; besonders gewitzte Landtagsabgeordnete tragen Masken mit der Aufschrift "Merkel-Burka. Auf breite Resonanz stößt das zwar auch nicht, den harten Kern aber scheint es immerhin bei Laune zu halten.... Nazis gegen Ausnahmezustand: Das ist immerhin mal originell." und identifiziert den Wahn als extreme Ausprägung kleinbürgerlicher Ideologie (des Schizophrenisten Wortschöpfung "Kleinstbürger" passt hier richtig gut): "Der Kunde ist König, auch und erst recht in der Krise: Das sind die Koordinaten des autoritären Charakters im spätesten Spätkapitalismus. Nichts schmeichelnder und dekadenter als die Wahnvorstellung, Bill Gates, die Pharmaindustrie und die Rotchinesen hätten sich gemeinsam verschworen, dafür zu sorgen, dass ich keinen anständigen Haarschnitt bekomme."

In der gleichen Ausgabe schreibt Tomasz Konicz: "Nicht nur die traditionelle deutsche Rechte in all ihren Schattierungen will schnellstmöglich auf den ins Rollen gekommenen Zug aufspringen, auch die notorische deutsche Querfront von den "Nachdenkseiten" bis hin zu KenFM, die als ideologischer Transmissionsriemen rechte Ressentiments in die Linke hineinträgt, hat sich um die Verbreitung von Verschwörungstheorien bezüglich des Corona-Virus verdient gemacht. Wenn sich der Wahn infektionsgeiler, todessehnsüchtiger Verschwörungsideologen mit dem binnenrationalen Kapitalinteresse trifft, das es von Haus aus gewohnt ist, über Leichen zu gehen, sieht es besonders finster aus.", und Veronika Kracher konzidiert: "Es geht diesen Leuten aber natürlich nicht darum, die Maßnahmen des autoritären Staates zu kritisieren. In ihrem Trotz gibt sich der klassisch-autoritäre Kleinbürger zu erkennen, der es besser weiß, sich nichts vorschreiben lässt und die Unfähigkeit zur Einsicht mit kritischem oder gar widerständigem Geist verwechselt. In antikommunistischer Propaganda geschult, setzen sie jede Verordnung zur Pandemiebekämpfung mit einem Schritt in Richtung sozialistische Diktatur gleich, die natürlich - da haben sie im Geschichtsunterricht besonders gut aufgepasst - mit dem Nationasozialismus wesensverwandt sei."


Soweit konkret. Ich hatte vorgestern ein Gespräch mit einem Arzt, der meinte, er stelle sich darauf ein, auf Dauer mit Mundschutz zu behandeln und seine Praxis nur für Mundschutz tragende Patienten zu öffnen. Als ich erwiderte, ich denke, selbst wenn es im Herbst zusammen mit der Herbstgrippe noch eine zweite Welle gäbe, sähe es doch so aus, dass in Deutschland der größere Teil der Pandemie hinter uns liege erwiderte er, es kündige sich jetzt schon an, dass in China ein Ausbruch einer neuen Mutation der Schweinegrippe bevorstünde. Wir haben in den letzten Jahren mehrere Pandemien gehabt: Diverse Vogelgrippen und eine Schweinegrippe. Die waren an der Aufmerksamkeit der großen Masse vorbeigegangen, weil die seuchenhygienischen Vorschriften nur zu Maßnahmen in Tiermastbetrieben und einzelnen Orten mit humanpathogenen Befunden geführt hatten. Allerdings hingen einige der Gammelfleischskandale damit zusammen, weil durch Massenkeulungen betroffene Betriebe um ihre pure Existenz zu retten verdorbenes Fleisch auf den Markt gebracht hatten. Österreichische Geflügelzüchter und -mäster sind da besser dran: Sie schützt eine staatliche Pflichtversicherung vor dem Ruin.


Weitgehend unbeachtet ist in Deutschland auch, dass 2009 die Schweinegrippe in den USA und Mexiko gewütet hat, die Intensivstationen deswegen voll waren und man kurz davor war, den Lockdown auszurufen. Jetzt hat Europa etwas erreicht, was in China seit knapp 20 und in Amerika seit 11 Jahren das Leben in Wellen von einigen Jahren überschattet. Er meinte, es würde nie wieder so sein wie früher. Dinge, wie auf Parties mit Zufallsbekanntschaften zu knutschen sei dringend abzuraten, aus medizinischer Sicht dürften nur Leute Sex miteinander haben die vor der Corona-Krise schon eine Beziehung miteinander gehabt hätten.

Na prost Mahlzeit, das wird sich nicht durchhalten lassen. Ein bißchen verstehe ich die Corona-Leugner mit ihrer Sehnsucht nach dem Einfachen.

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