Mittwoch, 3. November 2021
Schweineniere versorgt klinisch tote Frau: US-Forscher testen erfolgreich gentechnisch verändertes Organ ? ohne Immunattacke
Ute Eppinger, Medscape



Dem US-Transplantationschirurgen Prof. Dr. Robert Montgomery, Leiter des Transplant Institute an der New York University Langone Health, ist es laut einer Pressemitteilung gelungen, eine gentechnisch veränderte Schweineniere für 54 Stunden mit dem Kreislauf einer Hirntoten zu verbinden ? ohne dass es zu einer Immunattacke kam. Noch gibt es keine wissenschaftliche Publikation dazu, USA Today und die New York Times berichten über die Operation.

Das gibt uns die Gewissheit, dass in den ersten Tagen immunologisch nichts schiefgehen kann. Prof. Dr. Robert Montgomery
Ziel des Experiments sei es gewesen zu beweisen, dass die außerhalb des Körpers über die Beinvenen mit der Hirntoten angeschlossene Schweineniere keine unmittelbare Immunattacke auslöse.

Die Niere war über 54 Stunden voll funktionsfähig. ?Das gibt uns die Gewissheit, dass in den ersten Tagen immunologisch nichts schiefgehen kann?, so Montgomery gegenüber USA Today. ?Das wird uns zum nächsten Schritt führen. Der besteht darin, dass Organe für jeden, der sie benötigt, jederzeit verfügbar sind?, so der Transplantationschirurg weiter.

Einen medizinischen Wendepunkt stellt die Operation aber nicht dar, dafür dauerte das Experiment nicht lange genug. Zudem ist das gentechnisch veränderte Schwein ? GALSafe der Firma Revivicor ? in der Xenotransplantation nicht mehr State of the Art. Und die akute Abstoßungsreaktion ist längst nicht mehr die entscheidende Barriere für die Transplantation von Schweineorganen in den Menschen.

Die Berichte aus den USA dürften deshalb darauf hindeuten, dass sich der weltweite Wettlauf um erste ethische vertretbare klinische Xenotransplantationsversuche verschärft. Derzeit publizieren mehrere seriöse Forscherteams zu möglichen regulatorischen Wegen, ersten Indikationen und klinischen Studien für eine Xenotransplantation von soliden Organen.

Schritt auf dem Weg zur Einführung der Xenotransplantation
Dr. Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin, wertet den Eingriff als ?weiteren Schritt auf dem Weg der Einführung der Xenotransplantation unter Verwendung von Schweineorganen in die Klinik? ? wenngleich 54 Stunden viel zu kurz seien, um Aussagen zur immunologischen Abstoßung oder zur möglichen Übertragung von Schweineviren zu treffen.


Die Xenotransplantation wurde aufgrund des Mangels menschlicher Spenderorgane entwickelt. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 1.909 Nieren transplantiert, auf der Warteliste für eine Nierentransplantation stehen aber 7.338 Patienten. ?In den USA stehen 90.240 Patienten auf der Warteliste für eine Spenderniere ? 12 sterben jeden Tag, ohne ein Organ erhalten zu haben?, erklärt Denner.

Generell sind wir in der Xenotransplantationsforschung sehr darüber erfreut, dass dieser Versuch beim Menschen durchgeführt wurde und offenbar erfolgreich verlaufen ist. Dr. Konrad Fischer
?Generell sind wir in der Xenotransplantationsforschung sehr darüber erfreut, dass dieser Versuch beim Menschen durchgeführt wurde und offenbar erfolgreich verlaufen ist?, kommentiert Dr. Konrad Fischer, Leiter der Sektion Xenotransplantation an der TU München, die Ergebnisse. Aus wissenschaftlicher Sicht falle es aber sehr schwer, eine klare Stellungnahme abzugeben, da die klare Versuchsbeschreibung, Durchführung und Auswertung fehlten, ebenso fehle eine pathologische Untersuchung der Niere.

Die Schweineniere war gentechnisch verändert, durch das Ausschalten bestimmter Gene wurde sie dem menschlichen Organ ähnlicher gemacht, um so eine Abstoßungsreaktion durch das menschliche Immunsystem zu verhindern.

Ohne klare Nennung kann man hier keine verlässliche Auskunft geben. Dr. Konrad Fischer
Wie Denner berichtet, wurden derart modifizierte Organe bereits mit großem Erfolg in präklinischen Studien mit nichthumanen Primaten eingesetzt. ?In diesen Studien konnte gezeigt werden, dass Schweinnieren fast 500 Tage funktionieren können, Schweineherzen bis zu 195 Tage ? ein Rekord, der einem Team in München im Rahmen eines DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs gelungen ist. Wichtig für das lange Überleben war unter anderem, dass die Donorschweine frei von bestimmten Schweineviren waren, sogenannten PERVs.?

Zum Vergleich: Der Patient mit der weltweit ersten Herztransplantation eines menschlichen Herzens überlebte 18 Tage, der erste Patient in Deutschland 27 Stunden.

Schweinemodell nicht klar beschrieben
Fischer kritisiert, dass das Schweinemodell nicht klar beschrieben sei. ?Es handelt sich um ein Tier von Revivicor. Diese [Schweine] haben als genetische Modifikation meist eine Inaktivierung des Gens GGTA1 (alpha 1,3 Gal) und Expression von Thrombomodulin (hTM), das die Blutgerinnung verhindert. Sowie CD46, einen humanen Komplementregulator, der die Lyse und Abstoßung des Transplantats verhindert.?

Revivicor habe aber auch andere transgene Schweinelinien: ?Ohne klare Nennung kann man hier keine verlässliche Auskunft geben.? Sollte es sich um das GGTA1-hTM-CD46-Tiermodell handeln, sei das ?schon ein sehr alter Genotyp. Wesentlich bessere und modernere Genotypen sind bereits verfügbar ? auch von der TU München.?

Für uns handelt es sich momentan nicht um einen wirklichen Durchbruch. Dr. Konrad Fischer

Auch weitere Punkte, so Fischer, blieben unklar. Dass die hyperakute Abstoßungsreaktion überwunden werden konnte, sei zu erwarten gewesen, so Fischer, da ?notwendige Modifikationen in den vergangenen Jahrzehnten schon sehr ausführlich beschrieben wurden. Diese Modifikationen sind in den heutigen transgenen Schweinelinien bereits alle enthalten.?

Es träten aber anschließend noch zahlreiche weitere Abstoßungsreaktionen auf ? u.a. akut vaskuläre Abstoßungsreaktionen und zelluläre Abstoßungsreaktionen. ?Diese treten nach einigen Tagen bis einigen Wochen auf. Leider wurde der Versuch zu früh beendet, um Aussagen hierüber treffen zu können.?

Die Herausforderung liege gerade darin, auch diese Abstoßungsreaktionen zu überwinden und ein langzeitiges Überleben der Transplantate im Körper der Empfänger zu gewährleisten. Deshalb, so Fischer, würden die Schweinelinien ständig weiterentwickelt, was zusätzliche Geninaktivierungen sowie Expression weiterer Transgene beinhalte.

?Für uns handelt es sich momentan nicht um einen wirklichen Durchbruch. Dies kann sich jedoch schnell ändern, falls ein völlig neuer Genotyp, Immunsuppression etc. eingesetzt wurden. Dazu fehlen aber momentan die Daten?, sagt Fischer.

Er verweist auf die großen Erfolge im Bereich der Xenotransplantation: ?Gerade in den vergangenen Jahren waren die Entwicklungen atemberaubend, und wir stehen kurz vor einer klinischen Anwendung beim Menschen. Im Bereich der Inselzelltransplantation (Diabetes) ist dies schon Realität.?

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World Health Summit: Zu größten Bedrohungen für Kinder zählen Klimawandel, COVID und Marketing - was sich ändern muss
Von Dr. Klaus Fleck


Zu den klassischen Gesundheitsrisiken im Kindes- und Jugendalter, etwa Infektionskrankheiten, sind weitere Risiken hinzugekommen. Als neue Bedrohungen gelten der Klimawandel, COVID-19 und kommerzielle Werbung für gesundheitsschädliche Produkte. Im Englischen hat sich dafür die Abkürzung ?3C? (climate change, COVID-19, commercial marketing) eingebürgert.

Obwohl neue Gefahren für Kinder auf den 1. Blick sehr verschieden zu sein scheinen, sind diese Bedrohungen miteinander verbunden und sollten gleichzeitig in Angriff genommen werden. Darüber diskutierten Experten auf dem diesjährigen World Health Summit, der als Hybrid-Veranstaltung über 3 Tage in Berlin und digital stattfand ? mit weltweit rund 6.000 Teilnehmern aus 120 Nationen, davon 1.100 vor Ort [1].

Expertenbericht kurz vor Beginn der COVID-19-Pandemie
Wenige Wochen bevor die WHO im März 2020 COVID-19 als Pandemie deklariert hat, stellte eine internationale WHO-UNICEF-Lancet-Kommission für Kindergesundheit die wichtigsten Herausforderungen zusammen: den Klimawandel und das Marketing für gesundheitsgefährdende Produkte wie gezuckerte oder hochgradig industriell verarbeitete Lebensmittel, Alkohol und Tabak.

?Als wir unseren Bericht schrieben, ahnten wir damals jedoch noch nicht, in welchem enormen Ausmaß dann auch die COVID-19-Pandemie die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen sollte?, sagte Helen Clark, Co-Chair der Kommission und ehemalige Premierministerin von Neuseeland, beim World Health Summit.

Keine adäquate Berücksichtigung von Kindern
Scharf kritisierte Clark die Politik: ?Wir leben in einer Welt, in der die Bedürfnisse, Stimmen und Meinungen von Kindern von ganz vielen politisch Verantwortlichen einfach nicht adäquat berücksichtigt werden. Kinder zahlen einen hohen, vielleicht sogar den höchsten Preis für Versagen bei Herausforderungen wie Luft- und Wasserverschmutzung, fortbestehender Armut, schlechter Ernährung und schlechten Wohnverhältnissen.?

Wir leben in einer Welt, in der die Bedürfnisse, Stimmen und Meinungen von Kindern von ganz vielen politisch Verantwortlichen einfach nicht adäquat berücksichtigt werden. Helen Clark
Dabei sei es die Politik mit ihren Bestimmungen, die etwa Werbung für ungesunde Nahrungsmittel erlaube und eine Städteplanung ermögliche, bei der Kinder keine sicheren Orte zum Spielen hätten. Eine zentrale Forderung des Kommissionsberichts sei deshalb, Kinder bei allen sie tangierenden politischen Entscheidungen in den Vordergrund zu stellen.

Ein generationsbezogenes Ungleichgewicht beim Umgang mit der Coronakrise sprach die südafrikanische Gymnasiastin und Klimaaktivistin Almaaz Mudaly an: ?Vor dem Beginn der Impfkampagne in Südafrika mussten sich Kinder streng an alle COVID-Regeln halten, um die Erwachsenen zu schützen, weil die Infektion für diese riskanter ist. Jetzt, wo die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung geimpft ist, sehen wir allerdings nicht die gleiche Verantwortung der Erwachsenen gegenüber den Kindern.?

Gefahren für die mentale Gesundheit nicht außer Acht lassen
Obwohl die Infektion mit SARS-CoV-2 bei Kindern mit deutlich weniger Risiken für ihre körperliche Gesundheit verbunden ist als bei Erwachsenen, gilt dies nicht für Corona-Regeln wie Lockdowns.

Lockdowns, Schulschließungen und eine Zunahme von Armut in der Pandemie haben die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt ? Dr. Aboubacar Kampo
?Diese sozialen Konsequenzen können schädlich oder sogar katastrophal für Kinder sein?, sagte Dr. Aboubacar Kampo, Direktor für UNICEF-Gesundheitsprogramme. So seien aktuell weltweit 168 Millionen Kinder immer noch nicht in regulären Schulunterricht zurückgekehrt. Das sei auch für die Mütter dieser Kinder ein sehr großes Problem, wenn sie ihre Arbeit aussetzten oder aufgeben müssten, um bei ihren Kindern zu Hause zu bleiben.

?Lockdowns, Schulschließungen und eine Zunahme von Armut in der Pandemie?, so Kampo mit Verweis auf den im Oktober erschienenen UNICEF-Bericht The State of the World's Children 2021, ?haben die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt und zu mentalen Instabilitäten sowie einer Zunahme von Gewalt beigetragen?. Dabei könnte die Pandemie dem Bericht zufolge sogar nur die Spitze eines ?Mental-Health-Eisbergs? repräsentieren, der bereits zuvor zu lange ignoriert wurde.

Junge Menschen in den Fokus nehmen
Die Zunahme von Armut und Ungerechtigkeit bezeichnete die Kinderärztin Dr. Soumya Swaminathan, Chief Scientist der WHO, als eine der ?verheerendsten Konsequenzen der Pandemie?, die viele Millionen von Kindern betreffe, weil ihre Eltern z.B. ihren Lebensunterhalt verloren hätten. Sie verwies dabei u.a. auf den UN-Bericht The State of Food Security and Nutrition in the World 2021, wonach im Pandemiejahr 2020 rund ein Drittel der Weltbevölkerung (2,37 Milliarden Menschen) keinen Zugang zu adäquater Ernährung hatte ? eine Situation, die sich im Vergleich zu früheren zeiträumen verschlimmert hat.

?Egal, ob es sich um die Ernährung, die Umwelt, die Ausbildung oder andere soziale Determinanten wie die Wohnsituation handelt?, so die WHO-Wissenschaftlerin, ?sollten Regierungen und Behörden Kinder ins Zentrum von allem platzieren, das sie für eine Erholung der allgemeinen Situation planen?.

Digitalisierung als Risiko ?
Weltweit haben Corona-bedingte Lockdowns und soziale Distanzierung auch bei Kindern und Jugendlichen dazu geführt, dass sie noch deutlich mehr Zeit online mit Handys, Tablets und Computern verbringen. ?Das macht sich kommerzielles Marketing zunutze, um unter Zuhilfenahme von Big Data im Internet und über soziale Medien gezielt bei jungen Menschen für gesundheitsgefährdende Produkte zu werben?, sagte Margianta Surahman, Vertreter einer indonesischen Nicht-Regierungsorganisation, welche sich für die Gesundheit und Rechte junger Menschen engagiert.

? oder als Chance
Beim Meeting kamen aber auch positive Aspekte zur Sprache. Was die zunehmende Digitalisierung für das Gesundheitswesen bedeutet und welche Chancen sie für dieses bietet, hat die Lancet and Financial Times Commission on governing health futures 2030: growing up in a digital world untersucht. Ihr aktueller Bericht wurde während des World Health Summits veröffentlicht.

?Tatsache ist, dass digitale Transformationen bereits in vollem Gange sind?, sagte Naomi Lee von The Lancet. Dem Bericht zufolge entwickelt sich der Gesundheitsbereich im Rahmen umfassenderer digitaler Transformationen rasch zu einer hochrelevanten Branche ? etwa durch die wachsende wirtschaftliche Bedeutung von Gesundheitsdaten und die zunehmende Nachfrage nach digitalen Lösungen im Gesundheitswesen: Prozesse, welche durch COVID-19 stark beschleunigt worden sind.

Kinder und Jugendliche, so der Bericht weiter, sollten dabei in den Mittelpunkt gerückt werden. So müssten Prioritäten im Bereich der digitalen Gesundheit dringend bereits in jungen Jahren auf die Schaffung einer soliden Grundlage für Gesundheit und allgemeines Wohlbefinden ausgerichtet werden, damit alle Menschen von den digitalen Transformationen in Gesundheit und Gesundheitsversorgung profitieren können.

?Für die Zukunft unserer Kinder brauchen wir große Investitionen in die Gesundheit, große Investitionen in den Ausbildungssektor und große Investitionen, um dem Klimawandel zu begegnen ? und all das sollte gemeinsam mit jungen Menschen auch ständig überprüft werden?, sagte Kampo.

Und die senegalesische Infektiologin Dr. Awa Marie Coll-Seck resümierte: ?Notwendig ist eine verbesserte Planung, bei der Verteilungsgerechtigkeit im Fokus steht. Das gilt für Investitionen, für politische Entscheidungen und alles, was wir tun, sei es im Hinblick auf COVID-19, den Klimawandel oder kommerzielles Marketing.?

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