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Sonntag, 7. November 2021
Die Zeichen der Zeit und ihre Interpretation
che2001, 20:31h
In letzter Zeit sind die Inzidenzen massiv am Ansteigen. Auch bei uns wurde jetzt die 100-Marke geknackt, vor 10 Tagen waren wir noch bei 46. Vor einem Jahr, als noch nicht geimpft wurde, war 35 Anlass für den Wellenbrecher-Lockdown.
Ein Kollege von mir hat Krebs und kriegt Chemo. Das ist eine adjuvante Chemo, d.h. sie soll den Tumor drastisch verkleinern, damit der dann in einer minimalinvasiven OP entfernt werden kann. Ich will nur hoffen, dass bei uns keine OPs wegen Corona verschoben werden müssen. Falls mein Kollege deswegen sterben sollte, was zum Glück bislang sehr unwahrscheinlich ist hätte ich aber einen ganz konkreten Grund zur Wut auf die Impfverweigerer.
Dazu gehört auch die Zugehfrau, die bei uns zweimal die Woche die Wohnung feudelt. Ungeimpft, ungetestet und ohne Mundschutz. Wir sollten es nicht mehr akzeptieren dass die es so macht.
<edit: Was natürlich nicht bedeuten soll, dass die Ungeimpften die Schuld an der Misere tragen oder irgendetwas in der Richtung. Es wird ja gerade viel repressiver Mist dieser Art verzapft, der durchaus Züge von strukturellem Antisemitismus annimmt.>
Unabhängig von solchen Tagesaktualitäten treiben mich Überlegungen politisch-historischer und medizinhistorischer Art um.
Die Entwicklung der Impfstoffe wurde von privaten Pharmaunternehmen durchgeführt, die dafür mit Milliardenbeträgen von Regierungen subventioniert wurden, wobei sie für etwaige Risiken nicht haften.
Das ist einer der Höhepunkte des Spätkapitalismus. "Neoliberal" kann man das schon gar nicht mehr nennen. Denn Neoliberalismus, das war die Welt der Eisernen Lady und der Reaganomics. Angebotsökonomie im Geiste Milton Friedmans, durchgeführt in Form von Reprivatisierung von Konzernen mit einer damals hohen Staatsquote bei gleichzeitiger Streichung staatlicher sozialer Leistungen und Konjunkturankurbelung durch Investitionen in den Rüstungssektor und Hochzinspolitik, verbunden mit einem Krieg gegen die Klasse, etwa in Form massiver Aufrüstung der Polizei und Zerschlagung von Streiks durch deren Einsatz. Im innenpolitischen und staatsrechtlichen Sinne war der Neoliberalismus überhaupt nicht liberal. Zu dessen Ideologie gehörte der "Nachtwächterstaat", in dem die Regierung sich aus dem Wirtschaftsleben zurückzieht.
Heute hat der auf diese Weise deregulierte Staat es nötig, staatliche Gelder an die private Wirtschaft zu vergeben, weil, anders als im vergangenen Halbjahrhundert, die staatlichen Forschungseinrichtungen dafür nicht mehr ausreichen.Gleichzeitig verschmelzen durch Private Public Partnership staatliche und private Organisationen bis hin zur Untrennbarkeit. Und das unter den Bedingungen von Null- und Minuszinsen. Neoliberalismus ist das schon lange nicht mehr, sondern ein neues Stadium des Kapitalismus, das Detlef Hartmann und Karl Heinz Roth als Postfordismus bezeichnen, ein Terminus der sich bisher nicht durchgesetzt hat.
Mein eigenes Verständnis von Sozioökonomie ist geprägt von Marx und Engels, Max Weber, Schumpeter und Norbert Elias. Vor diesem Hintergrund stellt für mich das aktuelle Modell so eine Art Mischung aus Neoliberalismus und einem "entarteten" Keynesianismus dar, ich bin mir allerdings unsicher, wie weit dieser Ansatz trägt. Hartmann und Geppert hatten in ihrem hier rezensierten Cluster-Buch das Modell u.a. am Beispiel von VW durchanalysiert. Da beschäftigt ein Weltkonzern einerseits seine Kernbelegschaft zu den Bedingungen eines weltweit als vorbildlich angesehenen Tarifvertrags und lagert andererseits Produktionsprozesse innerhalb des eigenen Werkverbundes unter Beschäftigung von Billigarbeitskräften zu entgarantierten Beschäftigungsbedingungen aus.
https://che2001.blogger.de/stories/1285136/
https://che2001.blogger.de/stories/1295889/#1296588
Mit den Hartz-Gesetzen und der Einführung eines Billiglohnsektors ist in den Grundzügen dieses Modell auf weite Bereiche der deutschen Volkswirtschaft und Großindustrie übertragen worden. Damit fiel zugleich die Zulieferproduktion im benachbarten europäischen Ausland, die vom Lohngefälle zwischen diesen Ländern und Deutschland lebte weg. Während in Deutschland durch Lohndumping und Intensivierung der unmittelbaren Ausbeutung nahezu Vollbeschäftigung in der Großindustrie erreicht wurde gingen die entsprechenden Arbeitsplätze in den Ländern der "verlängerten Werkbank", Polen, Italien, Slowenien, Kroatien zum Teufel.
Deutschland hat seine Arbeitslosigkeit gekillt und zugleich exportiert, andere Länder zu Bettlern gemacht. Empörung darüber bleibt hierzulande aus, ebenso wie Solidarität mit den in schikanösen Verhältnissen prekär Beschäftigten.
Auf der anderen Seite beobachte ich mit Faszination die Fortschritte in der Medizin. Einen Impfstoff entwickeln, das dauerte mal Jahre bis Jahrzehnte, nicht Monate. Zudem versprechen die MRNA-Therapien auch Durchbrüche in ganz anderen Bereichen: Die erfolgreiche Therapie von Herzinfarkten ganz ohne OP, nur durch Spritzen, Impfungen gegen Malaria und Aids, prophylaktische Behandlung von MS, Parkinson und Altersheimer. Und natürlich Krebs. Eine umfassende medizinische Revolution könnte uns bevorstehen.
Aus der Retrospektive betrachte ich, was in den letzten Jahrzehnten schon erreicht wurde, ich mache es an zwei Beispielen fest:
Chemotherapie und Vollnarkose.
Mein krebskranker Kollege bekommt eine Chemotherapie in vier Zyklen von jeweils zwei Wochen Abstand. Diese erfolgt ambulant. Für einige Stunden bekommt er eine Infusion mit Fluoruracil, Folinsäure, Cisplatin und Prednison, dazu oral Diclofenac in magensaftresistenten Kapseln. Er hat kaum Nebenwirkungen und geht ganz normal seiner Arbeit nach.
Ich erinnere mich an meinen Zivildienst in den Achtzigern im Göttinger Uniklinikum. Die ChemopatientInnen damals waren stationär untergebracht, weil die Nebenwirkungen viel zu schwer waren, um sie alleine zu lassen. Denen fielen büschelweise die Haare aus, sie hatten Brechdurchfall und Schmerzen. Sie bekamen Zytostatika auf Basis des Gelbkreuzkampfstoffes Lost. Damals ging es darum, das Leben um einige Jahre zu verlängern, heute darum, Krebs zu heilen.
Als meine Mutter in den Fünfziger Jahren eine OP mit Vollnarkose hatte bekam sie diese durch eine Äthermaske, ein Jahrzehnt später mit Lachgas. In beiden Fällen hatte sie hinterher tagelange Katerzustände und war bettlägerig, bei Äthernarkose bestand das Risiko des unverhofften Aufwachens mitten in der OP, weswegen zur Sicherheit eine Morphiumspritze bereit lag.
Ich hatte 2005 eine schwere OP mit Vollnarkose, da bekam ich eine Spritze Ketanest und ein paar Minuten hinterher eine Spritze Rohypnol. Das habe ich gut überstanden, hatte allerdings eine Amnesie. Der Zeitraum einige Minuten vor der Injektion bis zwei Stunden nach dem Aufwachen auf der Intensivstation war dauerhaft gelöscht. Ich war den ganzen Folgetag noch ziemlich apathisch.
Diesen Februar hatte ich wieder eine schwere OP, die viereinhalb Stunden dauerte. Ich bekam in 5 Minuten-Intervallen Injektionen mit Fentanyl, Propofol und Diazepam, nach der OP wurde ich mit Ephedrin geweckt. Ich war sehr schnell wieder fit, habe mich nach zwei Stunden selbst extubiert und konnte dann ohne fremde Hilfe aufstehen. Sogar die Schläuche und Drähte an denen ich hing, bis auf die Reddos, konnte ich mir selber noch am gleichen Tag entfernen. Ich verbrachte einen Tag auf der Intensiv, war dort aber munter wie ein Gesunder.
Wenn ich diese beiden Beispiele analog auf die zu erwartende Entwicklung in the long run übertrage, besteht in medizinischer Hinsicht viel Grund für Optimismus.
In gesellschaftspolitischer Hinsicht nicht so sehr. Aber es liegt in unserer Hand, was wir uns gefallen lassen wollen und wofür wir zu kämpfen bereit sind.
Ein Kollege von mir hat Krebs und kriegt Chemo. Das ist eine adjuvante Chemo, d.h. sie soll den Tumor drastisch verkleinern, damit der dann in einer minimalinvasiven OP entfernt werden kann. Ich will nur hoffen, dass bei uns keine OPs wegen Corona verschoben werden müssen. Falls mein Kollege deswegen sterben sollte, was zum Glück bislang sehr unwahrscheinlich ist hätte ich aber einen ganz konkreten Grund zur Wut auf die Impfverweigerer.
Dazu gehört auch die Zugehfrau, die bei uns zweimal die Woche die Wohnung feudelt. Ungeimpft, ungetestet und ohne Mundschutz. Wir sollten es nicht mehr akzeptieren dass die es so macht.
<edit: Was natürlich nicht bedeuten soll, dass die Ungeimpften die Schuld an der Misere tragen oder irgendetwas in der Richtung. Es wird ja gerade viel repressiver Mist dieser Art verzapft, der durchaus Züge von strukturellem Antisemitismus annimmt.>
Unabhängig von solchen Tagesaktualitäten treiben mich Überlegungen politisch-historischer und medizinhistorischer Art um.
Die Entwicklung der Impfstoffe wurde von privaten Pharmaunternehmen durchgeführt, die dafür mit Milliardenbeträgen von Regierungen subventioniert wurden, wobei sie für etwaige Risiken nicht haften.
Das ist einer der Höhepunkte des Spätkapitalismus. "Neoliberal" kann man das schon gar nicht mehr nennen. Denn Neoliberalismus, das war die Welt der Eisernen Lady und der Reaganomics. Angebotsökonomie im Geiste Milton Friedmans, durchgeführt in Form von Reprivatisierung von Konzernen mit einer damals hohen Staatsquote bei gleichzeitiger Streichung staatlicher sozialer Leistungen und Konjunkturankurbelung durch Investitionen in den Rüstungssektor und Hochzinspolitik, verbunden mit einem Krieg gegen die Klasse, etwa in Form massiver Aufrüstung der Polizei und Zerschlagung von Streiks durch deren Einsatz. Im innenpolitischen und staatsrechtlichen Sinne war der Neoliberalismus überhaupt nicht liberal. Zu dessen Ideologie gehörte der "Nachtwächterstaat", in dem die Regierung sich aus dem Wirtschaftsleben zurückzieht.
Heute hat der auf diese Weise deregulierte Staat es nötig, staatliche Gelder an die private Wirtschaft zu vergeben, weil, anders als im vergangenen Halbjahrhundert, die staatlichen Forschungseinrichtungen dafür nicht mehr ausreichen.Gleichzeitig verschmelzen durch Private Public Partnership staatliche und private Organisationen bis hin zur Untrennbarkeit. Und das unter den Bedingungen von Null- und Minuszinsen. Neoliberalismus ist das schon lange nicht mehr, sondern ein neues Stadium des Kapitalismus, das Detlef Hartmann und Karl Heinz Roth als Postfordismus bezeichnen, ein Terminus der sich bisher nicht durchgesetzt hat.
Mein eigenes Verständnis von Sozioökonomie ist geprägt von Marx und Engels, Max Weber, Schumpeter und Norbert Elias. Vor diesem Hintergrund stellt für mich das aktuelle Modell so eine Art Mischung aus Neoliberalismus und einem "entarteten" Keynesianismus dar, ich bin mir allerdings unsicher, wie weit dieser Ansatz trägt. Hartmann und Geppert hatten in ihrem hier rezensierten Cluster-Buch das Modell u.a. am Beispiel von VW durchanalysiert. Da beschäftigt ein Weltkonzern einerseits seine Kernbelegschaft zu den Bedingungen eines weltweit als vorbildlich angesehenen Tarifvertrags und lagert andererseits Produktionsprozesse innerhalb des eigenen Werkverbundes unter Beschäftigung von Billigarbeitskräften zu entgarantierten Beschäftigungsbedingungen aus.
https://che2001.blogger.de/stories/1285136/
https://che2001.blogger.de/stories/1295889/#1296588
Mit den Hartz-Gesetzen und der Einführung eines Billiglohnsektors ist in den Grundzügen dieses Modell auf weite Bereiche der deutschen Volkswirtschaft und Großindustrie übertragen worden. Damit fiel zugleich die Zulieferproduktion im benachbarten europäischen Ausland, die vom Lohngefälle zwischen diesen Ländern und Deutschland lebte weg. Während in Deutschland durch Lohndumping und Intensivierung der unmittelbaren Ausbeutung nahezu Vollbeschäftigung in der Großindustrie erreicht wurde gingen die entsprechenden Arbeitsplätze in den Ländern der "verlängerten Werkbank", Polen, Italien, Slowenien, Kroatien zum Teufel.
Deutschland hat seine Arbeitslosigkeit gekillt und zugleich exportiert, andere Länder zu Bettlern gemacht. Empörung darüber bleibt hierzulande aus, ebenso wie Solidarität mit den in schikanösen Verhältnissen prekär Beschäftigten.
Auf der anderen Seite beobachte ich mit Faszination die Fortschritte in der Medizin. Einen Impfstoff entwickeln, das dauerte mal Jahre bis Jahrzehnte, nicht Monate. Zudem versprechen die MRNA-Therapien auch Durchbrüche in ganz anderen Bereichen: Die erfolgreiche Therapie von Herzinfarkten ganz ohne OP, nur durch Spritzen, Impfungen gegen Malaria und Aids, prophylaktische Behandlung von MS, Parkinson und Altersheimer. Und natürlich Krebs. Eine umfassende medizinische Revolution könnte uns bevorstehen.
Aus der Retrospektive betrachte ich, was in den letzten Jahrzehnten schon erreicht wurde, ich mache es an zwei Beispielen fest:
Chemotherapie und Vollnarkose.
Mein krebskranker Kollege bekommt eine Chemotherapie in vier Zyklen von jeweils zwei Wochen Abstand. Diese erfolgt ambulant. Für einige Stunden bekommt er eine Infusion mit Fluoruracil, Folinsäure, Cisplatin und Prednison, dazu oral Diclofenac in magensaftresistenten Kapseln. Er hat kaum Nebenwirkungen und geht ganz normal seiner Arbeit nach.
Ich erinnere mich an meinen Zivildienst in den Achtzigern im Göttinger Uniklinikum. Die ChemopatientInnen damals waren stationär untergebracht, weil die Nebenwirkungen viel zu schwer waren, um sie alleine zu lassen. Denen fielen büschelweise die Haare aus, sie hatten Brechdurchfall und Schmerzen. Sie bekamen Zytostatika auf Basis des Gelbkreuzkampfstoffes Lost. Damals ging es darum, das Leben um einige Jahre zu verlängern, heute darum, Krebs zu heilen.
Als meine Mutter in den Fünfziger Jahren eine OP mit Vollnarkose hatte bekam sie diese durch eine Äthermaske, ein Jahrzehnt später mit Lachgas. In beiden Fällen hatte sie hinterher tagelange Katerzustände und war bettlägerig, bei Äthernarkose bestand das Risiko des unverhofften Aufwachens mitten in der OP, weswegen zur Sicherheit eine Morphiumspritze bereit lag.
Ich hatte 2005 eine schwere OP mit Vollnarkose, da bekam ich eine Spritze Ketanest und ein paar Minuten hinterher eine Spritze Rohypnol. Das habe ich gut überstanden, hatte allerdings eine Amnesie. Der Zeitraum einige Minuten vor der Injektion bis zwei Stunden nach dem Aufwachen auf der Intensivstation war dauerhaft gelöscht. Ich war den ganzen Folgetag noch ziemlich apathisch.
Diesen Februar hatte ich wieder eine schwere OP, die viereinhalb Stunden dauerte. Ich bekam in 5 Minuten-Intervallen Injektionen mit Fentanyl, Propofol und Diazepam, nach der OP wurde ich mit Ephedrin geweckt. Ich war sehr schnell wieder fit, habe mich nach zwei Stunden selbst extubiert und konnte dann ohne fremde Hilfe aufstehen. Sogar die Schläuche und Drähte an denen ich hing, bis auf die Reddos, konnte ich mir selber noch am gleichen Tag entfernen. Ich verbrachte einen Tag auf der Intensiv, war dort aber munter wie ein Gesunder.
Wenn ich diese beiden Beispiele analog auf die zu erwartende Entwicklung in the long run übertrage, besteht in medizinischer Hinsicht viel Grund für Optimismus.
In gesellschaftspolitischer Hinsicht nicht so sehr. Aber es liegt in unserer Hand, was wir uns gefallen lassen wollen und wofür wir zu kämpfen bereit sind.
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Action bringt Satisfaction
che2001, 19:52h
Heute haben wir Taekwondo im Rhythmus aktueller koreanischer Musik trainiert, ansonsten klassisches Boxen. Aber mit viel mehr Beinarbeit als die Jungs und Mädels im Ring. Eine dreiviertel Stunde unablässig tänzeln wie ein Retiarius schult die Psychomotorik und verbrennt Kalorien. 1000 davon gehen in einer Trainingsstunde weg, ich habe mir mein Gulasch also wohl verdient. Heute war eine Sportpädagogin dabei, die war hin und weg von unserer Performance. Eine Sportkameradin die selber Trainerin ist hat mich in ihren Kurs eingeladen, und mit dem Trainer habe ich mich über seine Dissertation unterhalten. Ist ja doch ein Kampfsportkurs mit Niveau;-)
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