Donnerstag, 30. Dezember 2021
Vorbereitung auf die Omikron-Welle; Schutz durch BioNTech-Vakzin; Schnelltests bei Omikron wenig zuverlässig
Michael van den Heuvel, Medscape


Heute meldet das Robert Koch-Institut 42.770 Neuinfektionen innerhalb der letzten 24 Stunden. Vor einer Woche waren es 44.927 positive Tests. Die 7-Tage-Inzidenz steigt leicht auf 207,4 Infektionen pro 100.000 Einwohner. Am Vortag lag der Wert bei 205,5. Weitere 383 Menschen sind in Zusammenhang mit COVID-19 gestorben (Vorwoche: 425).

Als 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz nennt das RKI 3,18 Fälle pro 100.000 Einwohner, Stand 29. Dezember. Am Tag zuvor lag der Wert bei 3,25.


Die Politik gerät einmal mehr unter Zugzwang. Ein Ziel ist, kritische Infrastrukturen aufrechtzuerhalten ? z.B. durch verkürzte und veränderte Quarantäne-Regeln. ?Natürlich müssen wir die derzeitigen Quarantäne-Regeln überprüfen?, erklärt dazu Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). ?Wir können bei einer rasant wachsenden Epidemie nicht einfach das ganze Land von einem Tag auf den anderen lahmlegen.? Das gelte nicht nur für die kritische Infrastruktur, sondern für alle Bürger. Söder erwartet vom RKI und von der Bundesregierung rasch Vorschläge.

Die Regierung sieht aber dazu ? noch ? keinen Anlass. Andere Länder haben bereits auf Omikron reagiert. Beispielsweise empfehlen die US Centers for Disease Control and Prevention (CDC), bei Corona-Infizierten ohne Symptome die Quarantänezeit zu halbieren ? auf 5 Tage. Zuvor waren es 10 Tage. Bei den Erwägungen spielen auch wirtschaftliche Folgen von Omikron in den USA eine Rolle. Dies sei ein ?Kompromiss? zwischen der Kontrolle des Infektionsgeschehens und wirtschaftlichen Überlegungen, sagte der WHO-Notfallbeauftragte Michael Ryan. Er rechne dadurch nur mit einer ?relativ kleinen Zahl? zusätzlicher Fälle.

Eine wichtige Strategie der deutschen Politik ist auch, wie berichtet, möglichst viele Menschen in Deutschland zu impfen. Darauf haben Dänemark, Spanien und Portugal ebenfalls gesetzt. In den Ländern ist es zwar zu einem sprunghaften Anstieg der 7-Tage-Inzidenzen gekommen. Die Zahl an Krankenhauseinweisungen blieb jedoch bislang niedrig ? oft niedriger als von Experten prognostiziert.

Die Bundesregierung setzt zudem auf Paxlovid® von Pfizer, eine Kombination mit den Proteinase-Inhibitoren Nirmatrelvir und Ritonavir. Sie hat bereits 1 Million Packungen bestellt. ?Das Medikament ist extrem vielversprechend, weil es in der frühen Gabe den schweren Verlauf von COVID-19 deutlich abschwächen kann. Ich rechne damit, dass wir damit zahlreiche schwere Verläufe auf den Intensivstationen verhindern können?, erklärte Lauterbach. Zielgruppe sind Patienten ab 12 mit einem hohen Progressionsrisiko, etwa durch Vorerkrankungen.

FDA: Schnelltests erkennen Omikron nicht immer zuverlässig
Antigen-Tests gelten neben Impfungen und nicht-pharmakologischen Maßnahmen als wichtige Strategie der Pandemie-Kontrolle. Das könnte sich vielleicht schon bald ändern.

?Erste Daten deuten darauf hin, dass Antigen-Tests die Omikron-Variante zwar erkennen, aber möglicherweise eine geringere Empfindlichkeit aufweisen?, warnt die US Food and Drug Administration (FDA) in einer Stellungnahme. Grundlage seien Tests mit biologisch aktiven Viren, so die FDA. Zuvor habe man bei inaktiviertem Omikron keine Unterschiede gesehen. Wer trotz negativem Schnelltest Symptome habe, solle einen PCR-Test machen. Generell rät die US-Behörde jedoch nicht von Antigen-basierten Untersuchungen ab.

Daten aus Südafrika: Robuste Immunantwort nach Omikron-Infektion
Alex Sigal vom Africa Health Research Institute in Durban, Südafrika, und dem Max-Plank-Institut für Infektionsbiologie, Berlin, berichtet zusammen mit Kollegen in einem Preprint über neue interessante immunologische Daten zur Omikron-Variante.

Die Forscher haben Blutproben von geimpften und ungeimpften Personen aus Südafrika vor und nach einer Omikron-Infektion untersucht. Im Labor wurde nachgeprüft, ob Immunzellen Delta beziehungsweise Omikron neutralisieren.

?Die neutralisierende Aktivität gegen Omikron stieg um das 14-Fache an, was auf eine sich entwickelnde Antikörperreaktion gegen die Variante hinweist?, berichten Sigal und Kollegen. ?Wichtig ist auch, dass ebenfalls die Neutralisierung des Delta-Virus um im Mittel das 4,4-Fache zunahm.? Dies könne zu verminderten Risiken einer Delta-Infektion nach einer Omikron-Infektion und ? damit verbunden ? auch zu weniger schweren COVID-19-Verläufen führen.

?Wichtige Daten aus Südafrika (?): Infektion mit der Omikron-Variante verstärkt (=boostert) neutralisierende Antikörper gegen Omikron & Delta?, kommentiert der deutsche Impfexperte Sander dies auf Twitter. ?D.h. die Immunantwort verbreitert und verbessert sich gegen verschiedene Varianten.? Sander ergänzt: ?Geimpfte entwickeln nach Omikron-Durchbruchinfektion sehr gute Immunität gegen Omikron UND Delta, während Ungeimpfte nach Omikron-Infektion schlechte Immunität gegen Delta aufwiesen.?

USA: Mehr Kinder durch Omikron hospitalisiert ? doch die Gründe sind vielfältig
Doch wie gefährlich ist Omikron, vor allem für Kinder? Die New York Times berichtet von Trends aus den USA. Mehrere Bundesstaaten meldeten im Dezember einen Anstieg der Einweisungen von Kindern wegen COVID-19 um etwa 50%. Am dramatischsten war der Anstieg in New York City, wo in der vergangenen Woche 68 Kinder ins Krankenhaus eingeliefert wurden, was einer Vervierfachung gegenüber der Zahl vor 2 Wochen entspricht.

Doch trotz der Besorgnis über den deutlichen Anstieg der Krankenhauseinweisungen bei Kindern, ein Anstieg, der mehr als doppelt so hoch ist wie bei Erwachsenen, sagen die Forscher, dass sie bislang keine Beweise dafür haben, dass Omikron für Kinder bedrohlicher sei. Wie kann das sein?

Kleinere Kinder können auch in den USA noch nicht geimpft werden, und nur Kinder ab 16 Jahren kommen für Auffrischungsimpfungen infrage. Damit seien Kinder insgesamt schlechter vor dem Virus geschützt als Erwachsene, heißt es im NYT-Artikel. Die Wahrscheinlichkeit, dass infizierte Kinder erkrankten, sei im Vergleich zu Erwachsenen nach wie vor weitaus geringer. Auch handele es sich bei den jüngeren Patienten meist um COVID-19 mit leichterem Verlauf ? und eher präventive Hospitalisierungen.

Dennoch machen sich die US-Behörden Sorgen, wenn die Kinder nach dem 1. Januar wieder in die Schulen zurückkehren ? und es womöglich zu rapide steigenden Raten an Infektionen sowie an Hospitalisierungen kommen könnte.

Wirksamkeit des BioNTech-Vakzins gegen Omikron in Südafrika bei rund 70%
In einem aktuellen Artikel im NEJM versuchen Wissenschaftler, die Effektivität von 2 Dosen des Impfstoffs von BioNTech/Pfizer während der vermehrten Zirkulation von Omikron abzuschätzen. Als Endpunkt definierten sie eine stationäre Behandlung wegen COVID-19. Grundlage ihrer Arbeit waren Daten von Discovery Health, einer südafrikanischen Managed-Care-Organisation. Hier wurde auch der Impfstatus erfasst.


Die Forscher analysierten 133.437 PCR-Testergebnisse, die während einer früheren Vergleichsperiode erhalten wurden. 38.155 der Tests (28,6%) wurden mindestens 14 Tage nach der 2. Impfdosis durchgeführt. Hinzu kamen 78.173 PCR-Testergebnisse aus dem Omikron-Zeitintervall, von denen 32.325 (41,4%) mindestens 14 Tage nach der 2. Dosis erhalten wurden. In der Vergleichsphase waren 6,4% der Tests positiv, verglichen mit 24,4% während der Omikron-Periode. Die Hospitalisierungsrate, angegeben als Prozentsatz aus der Gesamtheit der positiven PCR-Testergebnisse, lag bei 10,8% bzw. 2,2%.

Während der Omikron-Periode fanden die Wissenschaftler eine Impfstoffwirksamkeit von 70% (95%-Konfidenzintervall: 62% bis 76%). In der Vergleichsperiode waren es 93% (95%-KI: 90% bis 94%), jeweils bezogen auf Hospitalisierungen wegen COVID-19. Das zeige eine ?Aufrechterhaltung der Wirksamkeit des BNT162b2-Impfstoffs (wenn auch auf einem reduzierten Niveau)?, resümieren die Autoren.

Schweres COVID-19: Welche Rolle spielen T-Zellen?
Eine schwere COVID-19-Erkrankung ist sowohl mit einer gestörten Immunantwort als auch mit einer unkontrollierten Immunpathologie verbunden; dies gilt als gesichert. Inwieweit T-Zellen zur Pathologie der Krankheit beitragen, war jedoch unklar.

Sander und Kollegen zeigen jetzt, dass T-Zellen bei schwerem COVID-19 durch Signale des angeborenen Immunsystems aktiviert werden und die Lunge beziehungsweise Gefäße schädigen. Sie haben Einzelzell-Transkriptomik und Einzelzell-Proteomik mit mechanistischen Studien kombiniert, um pathogene T-Zell-Funktionen und auslösende Signale zu bewerten. Die Forschenden verglichen Proben von Patienten mit schwerem oder leichtem COVID-19 und mit anderen viralen Infekten.

Bei Patienten mit schwerem COVID-19 fanden sie T-Zellen, die auf ihrer Oberfläche CD16 trugen: eine Überraschung, denn dieser Marker ist eigentlich auf Zellen des angeborenen Immunsystems zu finden, jedoch nicht auf T-Zellen, die zum erworbenen Immunsystem gehören.

In Laborexperimenten beobachteten die Wissenschaftler, dass CD16-positive T-Zellen bei Kontakt mit Antikörpern zytotoxische Moleküle freisetzten und Lungengefäßzellen schädigten. Auch in den Lungen von COVID-19-Toten fanden sich CD16-positive T-Zellen. Die Ursache sehen Sander und Kollegen im Komplementsystem, das im Verlaufe der Immunantwort aktiviert wird. Hierzu sind weitere Untersuchungen geplant.

?Die Studie ist wichtig, sie zeigt erneut und klar, dass schweres COVID-19 auch eine Gefäßkrankheit ist?, kommentiert Lauterbach auf Twitter. ?Bisher kann man nur hoffen, dass die schweren Verläufe bei der Omikron-Variante deutlich seltener sind. Gewissheit haben wir noch nicht. Im Zweifel muss man vorsichtig sein.?

Patienten mit AML oder MDS werden von COVID-19-Vakzinen ausreichend geschützt
Bei der 63. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) haben Wissenschaftler Daten zur Immunreaktion hämatologischer Patienten auf COVID-19-Vakzine vorgestellt. Sie schlossen 30 Personen mit akuten myeloischen Leukämien (AML) und 16 mit myelodysplastischen Syndromen (MDS) in ihre Studie ein.

33% aller Teilnehmer erhielten zum Zeitpunkt der 1. Impfung eine Therapie der hämatologischen Erkrankung. Bei den restlichen 67% lag die Behandlung einige Monate zurück. 87% waren in Remission. Geimpft wurde mit dem Moderna-Vakzin. Insgesamt waren 69,6% der Patienten an Tag 29 (nach der 1. Impfdosis) und 95,7% am Tag 57 (nach 2 Impfdosen) seropositiv. Die durchschnittlichen Antikörpertiter lagen nach der 1. Impfung bei 315 und nach der 2. Dosis bei 3.806.

Alter, Geschlecht, Ethnie, Krankheitsstatus, die Zeit bis zur Impfung ab Diagnose der Krankheit, die Anzahl der vorherigen Therapien, Laborparameter oder eine allogene Stammzelltransplantation in der Vorgeschichte hatten keinen signifikanten Einfluss. Aufgrund der kleinen Stichprobe seien weitere Studien an größeren Patientenkollektiven erforderlich, schreiben die AutorInnen.

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) kritisiert, gerade die Dynamik der neuen Coronavirus-Variante Omikron sei ?in den offiziellen Zahlen nicht zutreffend abgebildet wegen der Testausfälle und Meldeverzögerungen?. Er verschaffe sich gerade ?mit dem RKI und zahlreichen Datenquellen aus ganz Deutschland ein Gesamtbild zur Lage?. RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar H. Wieler hatte bereits vor Weihnachten angekündigt, dass die Corona-Lage über die Feiertage unvollständig abgebildet werde.

Laut DIVI-Intensivregister waren am 29. Dezember 4.010 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, sprich 119 weniger als am Vortag. Aktuell sind bundesweit 948 Betten im Low-Care- und 2.004 im High-Care-Bereich frei. Hinzu kommen 258 freie ECMO-Behandlungsplätze.

Omikron: Deutschland ringt um eine Strategie

FDA: Schnelltests erkennen Omikron nicht immer zuverlässig

Daten aus Südafrika: Robuste Immunantwort nach Omikron-Infektion

USA: Mehr Kinder durch Omikron hospitalisiert ? doch die Gründe sind vielfältig

Wirksamkeit des BioNTech-Vakzins gegen Omikron in Südafrika bei rund 70%

Schweres COVID-19: Welche Rolle spielen T-Zellen?

Patienten mit AML oder MDS werden von COVID-19-Vakzinen ausreichend geschützt

Omikron: Deutschland ringt um eine Strategie
Auch in Deutschland breitet sich Omikron weiter aus. Das RKI ordnet 10.443 COVID-19-Fälle der neuen Variante zu, Stand 28. Dezember. In Schleswig-Holstein ist Omikron längst zur dominierenden Variante geworden. Prof. Dr. Leif Erik Sander von der Charité-Universitätsmedizin, Berlin, sagt voraus, in den nächsten Tagen werde Omikron in ganz Deutschland dominieren, die Inzidenz werde wieder steigen.

Auf Twitter macht Dr. Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation die Problematik solcher Vorhersagen deutlich: ?Das schwierigste in der aktuellen Situation (und wie so oft vorher) ist, das Verhalten der Menschen einzuschätzen. Wenn wir sehr stark warnen, sind viele Menschen vorsichtig, und im besten Fall wird die Welle deutlich ausgebremst.? Und weiter: ?Warnen wir nicht, dann kommt Omikron ungebremst, und eine Kontaktreduktion kommt dann so spät, dass die Überlastung der KH wahrscheinlich nicht vermieden werden kann.? Ihr Fazit: ?Egal, was wir vorhersagen, wir werden also mit unseren Szenarien falsch liegen.?

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