Donnerstag, 2. Juni 2022
Cannabis - Fluch und Segen
Ute Eppinger, Medscape


Seit März 2012 können Patienten bei schwerwiegenden Erkrankungen auf Antrag Cannabis zur Therapie erhalten. Als ?Meilenstein für die Versorgung von Schmerzpatienten? bezeichnete Dr. Johannes Horlemann, Kevelaer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), das Gesetz im Rahmen einer Pressekonferenz .

Die DGS habe das Gesetz begrüßt, erinnerte Horlemann: ?Wir waren alle froh und dankbar.? Wie gut und sicher ist die Versorgung mit Cannabinoiden dadurch geworden? Horlemann zog eine erste Bilanz und stellte eine Initiative seiner Fachgesellschaft vor, um die sichere Versorgung mit Cannabinoiden zu erleichtern.

Es hat sich herausgestellt, dass die Hauptindikation für Cannabinoide bei chronischen Schmerzen, meist neuro­pathischen Schmerzen liegt, besonders im Bereich von Rückenschmerz, Tumorschmerz und anderen Schmerzformen. Die Erkrankung muss ?schwerwiegend? sein: ein dehnbarer Begriff. Hinzu kommt, dass Ärzte zuvor alle anderen therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.

Die Ausschöpfung der Standardtherapie ist in vielen Anträgen ein Problem. Dr. Johannes Horlemann
Die meisten Verordner sind Hausärzte, Schmerzmediziner und Neurologen. Bislang gebe es keine Hinweise auf eine missbräuchliche Auslegung oder Anwendung des Gesetzes, so Horlemann. Die Versorgung mit Cannabinoiden bezeichnet er als ?segensreich für die allermeisten Patienten, die ich kenne ? sowohl aus eigener Praxis als auch aus den Berichten von Kollegen?.

Kassen bewilligen jeden 3. Antrag nicht
Allerdings wird ein Drittel der Anträge zur Versorgung mit Cannabinoiden abgelehnt. Manchmal sei die Bedingung, vorher alle anderen Therapien versucht zu haben, nicht erfüllt, berichtet Horlemann: ?Die Ausschöpfung der Standardtherapie ist in vielen Anträgen ein Problem. Unter dem Drittel der abgelehnten Anträge sind doch einige, bei denen die Berücksichtigung der Standardverfahren nicht ausreichend erfolgt ist.?

In anderen Fällen ist die Ablehnung nicht nachvollziehbar. Horlemann berichtet von einem Patienten, dessen Arm infolge einer Armplexusläsion nach einem schweren Motorradunfall bewegungsunfähig war und der sehr starke nervenabhängige Schmerzen aufwies. Der Patient war mit Opioiden, Antiepileptika und Antidepressiva erfolglos behandelt worden, auch nicht medikamentöse Möglichkeiten wie die transkutane elektrische Nervenstimulation waren ausgeschöpft.

Mit ärztlicher Unterstützung stellte der Patient einen Antrag bei seiner Krankenkasse. ?Zu unserem großen Erstaunen wurde der Antrag abgelehnt?, berichtet Horlemann. Das habe auch damit zu tun, dass man in Deutschland der Auffassung sei, dass Tumorpatienten eine größere Indikation für Cannabinoide aufweisen als Nicht-Tumorpatienten.

Horlemann betonte, dass auch Patienten, die nicht an Tumoren leiden, palliative Patienten sein können und eine Versorgung mit Cannabinoiden benötigten. ?Unsere Renitenz und die Verhandlungen mit der Krankenkasse haben dann dazu geführt, dass der Patient inzwischen Cannabis erhält. Vor einigen Monaten hat er mir gesagt, dass er dadurch ein völlig neues Leben geschenkt bekommt hat. Das ist eine wunderbare Erfahrung zwischen Arzt und Patient ? das wünsche ich allen Kollegen, die mit Cannabinoiden arbeiten.?

Selektivvertrag: Vorreiter auf dem Weg zur schnelleren Versorgung
Weil die Einschätzung zwischen verordnendem Arzt und Medizinischem Dienst der Kassen ? wie am Beispiel des Motorradfahrers gesehen ? gelegentlich abweicht, warten viele Patienten zu lange auf eine angemessene Versorgung. Um Abhilfe zu schaffen, hat die DGS Verhandlungen mit gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen.

Ziel der Initiative ist die Aufhebung des Genehmigungsvorbehaltes einer Erstverordnung durch die Kas­sen. ?Das bedeutet, dass die Therapieentscheidung ausschließlich beim Arzt in Absprache mit seinem Patienten liegen soll. Gleichzeitig soll ein nachvollziehbarer Qualitätsanspruch gewährleistet bleiben?, erklärt Horlemann.

Schule machen könnte dabei ein Selektivvertrag, den die DGS und die AOK Rheinland/Hamburg im Dezember vergangenen Jahres vereinbar haben. Ziel des Vertrages ist, den Patienten rasch eine gute Versorgung zukommen zu lassen.

Die Therapieentscheidung sollte ausschließlich beim Arzt in Absprache mit seinem Patienten liegen. Dr. Johannes Horlemann
?Ein solches Antragsverfahren aufzuheben setzt das besondere Vertrauen der Kassen in die Qualität der Versorgung voraus?, so Horlemann. Mit einem eigens entwickelten 40-stündigen Curriculum für die verordnenden Ärzte will die DGS das gewährleisten. Das Projekt soll von einer Studie begleitet werden. Horlemann hofft, dass sich der Selektivvertrag auf ganz Deutschland ausdehnen werde.

Um die Versorgung zu verbessern, hat die DSG auch ihre PraxisLeitlinie Tumorschmerz aktualisiert. Im 1. Quartal 2021 soll ein neuer Entwurf zur öffentlichen Kommentierung und Konsentierung publiziert werden.

PraxisRegister Schmerz unterstützt die Versorgungsforschung
Mit dem PraxisRegister Schmerz und der ihm zugrunde liegenden Online-Plattform iDocLive® bietet die DGS seit 2014 allen Mitgliedern und Schmerzpatienten eine Plattform zur vollelektronischen Do­kumentation.

Die Daten werden für die Behandlung der Patienten genutzt, sie ermöglichen aber auch Analysen für Versorgungsforschung und liefern Antworten auf epidemiologische Fragen.

PD Dr. Michael Überall, Nürnberg, Vizepräsident der DGS, stellte aktuelle Zahlen vor. Demnach beteiligen sich bundesweit 213 Einrichtungen mit 769 Schmerzmedizinern, 795 Ärzten anderer Fachrichtungen und 2.551 nichtärztlichen Schmerz­spezialisten am PraxisRegister Schmerz. Bis zum 31.12.2020 wurden über dieses System 302.617 Behandlungsfälle erfasst.

Neben der Dokumentation von Befunden wurde Ende 2020 erstmals auch ein Evaluationsalgorithmus in das System integriert, der anhand von Patientenangaben das Risiko für Morbus Fabry bewertet und den behandelnden Arzt informiert. So kann diese seltene Stoffwechselerkrankung möglicherweise frühzeitig diagnostiziert werden.

Mit dem PraxisRegister Schmerz unterstützt die DGS das weltweit größte Schmerzregister. ?Damit wurde erstmalig ein Weg gefunden, die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung gleichermaßen für den Einzelfall, wie auch für die Gemeinschaft der chronischen Schmerzpatienten zu nutzen und Daten­schutz sowie Gesunderhaltung und Heilung zu verbinden?, sagt Überall.

Unter dem Motto ?Sichere Ver­sorgung ? Versorgung sichern? findet der Deutsche Schmerz-und Palliativtag 2021 vom 9. bis 13. 2021 März online statt. Themen des Kongresses sind die interdisziplinäre Zusam­menarbeit mit anderen Fachgesellschaften, die koordinierte Übergabe von der Klinik in die ambulante Versorgung, die Implementierung von Komplementärverfahren und aktuelle PraxisLeitlinien.

Erstmals konkreter Nachweis im MRT: Cannabis-Konsum hinterlässt bleibende Schäden im Gehirn von Heranwachsenden

Anke Brodmerkel, Medscape


Für Jugendliche unter 25 Jahren, deren Gehirn noch nicht vollständig ausgereift ist, ist der Konsum von Cannabis besonders gefährlich. Das haben in der Vergangenheit bereits einige Studien gezeigt. Nun ist Wissenschaftlern mithilfe von MRT-Bildern erstmals der ganz konkrete Nachweis gelungen, welche bleibenden negativen Effekte die Droge im Gehirn von Heranwachsenden haben kann.

Wie das Team um Dr. Matthew Albaugh, klinischer Psychologe in der Abteilung für Psychiatrie am University of Vermont Medical Center, in JAMA Psychiatry berichtet, ist bei Jugendlichen, die Cannabis mehr oder weniger regelmäßig konsumieren, die Hirnrinde im Bereich des präfrontalen Kortex auffällig verdünnt [1]. Der beobachtete Effekt war umso stärker, je mehr Cannabis die Jugendlichen nach eigenen Angaben zu sich genommen hatten.

PET-Aufnahmen zeigten zudem, dass Veränderungen besonders deutlich an Stellen auftraten, die viele Cannabinoid-Rezeptoren vom Typ 1 (CB1) aufweisen. Hirnmorphologische Effekte von Cannabis beeinflussten der Studie zufolge auch das Verhalten der Jugendlichen. Ihre Aufmerksamkeit sei reduziert und die Impulsivität erhöht gewesen, schreiben Albaugh und seine Kollegen.

Ausdünnung der Hirnrinde im präfrontalen Kortex
?Das ist eine qualitativ hochwertige und somit auch verdient hochrangig publizierte Studie?, kommentiert Prof. Dr. Maximilian Gahr, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums Ulm, im Gespräch mit Medscape. Gahr, der sich ebenfalls wissenschaftlich mit den Folgen des Cannabiskonsums bei Jugendlichen beschäftigt, nennt vor allem 2 Stärken der Untersuchung: die Größe der Kohorte und der Einsatz bildgebender Verfahren.

Das ist eine qualitativ hochwertige und somit auch verdient hochrangig publizierte Studie. Prof. Dr. Maximilian Gahr
?Frühere Studien hatten bereits darauf hingedeutet, dass der Gebrauch von Cannabinoiden insbesondere bei Adoleszenten möglicherweise zu anhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen führt ? die selbst dann weiter bestehen, wenn der Konsum beendet wird?, sagt Gahr. Die aktuelle Studie bestätige dies nun und zeige darüber hinaus die wahrscheinliche Ursache der geistigen Veränderungen auf: eine Ausdünnung der Hirnrinde im präfrontalen Kortex.

?Dieser Bereich des Gehirns ist ganz wesentlich an kognitiven Fähigkeiten wie Impulskontrolle, Planen, Problemlösen, Priorisieren und Fokussieren beteiligt?, erläutert Gahr. Zugleich sei das Frontalhirn ein Bereich, dessen Entwicklung erst sehr spät abgeschlossen sei ? bei Frauen mit Mitte 20, bei Männern vermutlich noch später. ?Das ist möglicherweise der Grund, warum das Gehirn von Heranwachsenden so besonders empfindlich auf Drogen und andere Störungen von außen reagiert?, sagt der Psychiater.

Weitere Argumente für Ärzte
Gahr selbst veröffentlichte Ende 2020 gemeinsam mit seinem Ulmer Kollegen Prof. Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona im Journal of Clinical Psychopharmacology eine Studie, der zufolge die Zahl cannabisinduzierter Psychosen bei Jugendlichen in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist ? vermutlich aufgrund des immer höheren THC-Gehalts moderner Cannabiszüchtungen. THC (Tetrahydrocannabiol) ist der wichtigste psychoaktiv wirkende Inhaltsstoff der Hanfpflanze.

Dieser Bereich des Gehirns ist ganz wesentlich an kognitiven Fähigkeiten wie Impulskontrolle, Planen, Problemlösen, Priorisieren und Fokussieren beteiligt.

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NSCLC: Rauchen mit längerem Überleben nach Pembrolizumab-Erstlinientherapie assoziiert
Patienten mit fortgeschrittenem nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC), die zum Zeitpunkt der Diagnose rauchten und routinemäßig in der klinischen Praxis eine Erstlinien-Monotherapie mit dem PD-1-Inhibitor Pembrolizumab erhielten, überlebten länger als Nie-Raucher.

Dieser Befund deutet darauf hin, so die Schlussfolgerung der internationalen Autorengruppe in JAMA Netw Open , dass bei Nichtrauchern mit fortgeschrittenem NSCLC eine Erstlinientherapie mit Pembrolizumab möglicherweise nicht optimal ist und dass bei ihnen entsprechende Tests für eine optimierte Therapieauswahl sinnvoll sein könnten.


https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4911219?src=WNL_mdplsfeat_220602_mscpedit_de&uac=389796AZ&impID=4296666&faf=1#vp_2
Die retrospektive Kohortenstudie erfasste 1.166 Patienten mit fortgeschrittenen NSCLC aus einer nationalen Real-World-Datenbank mit den Daten von mehr als 280 US-amerikanischen Krebszentren. 1.075 Patienten (92,2%) waren Raucher, 91 Patienten (7,8%) hatten nie geraucht. Nie-Raucher waren älter, häufiger weiblich und litten öfter unter einem Nicht-Plattenepithelkarzinom als frühere oder aktuelle Raucher.

Nach Adjustierung an verschiedene Parameter ergab sich für Raucher ein signifikant längeres Gesamtüberleben von 12,8 Monaten im Median im Vergleich zu 6,5 Monaten bei Nie-Rauchern (HR: 0,69). Dieser Trend wurde bei allen Sensitivitätsanalysen in der Kohorte mit Pembrolizumab als Erstlinientherapie gesehen. Bei Patienten mit einer initial Platin-haltigen Chemotherapie zeigte sich bei Rauchern jedoch ein signifikant kürzeres OS als bei Nie-Rauchern (HR: 1,2).

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Schlechtes Zeugnis für Antidepressiva
Patienten haben laut einer Umfrage auch mit Medikamenten nur mäßige Lebensqualität
Dr. Angela Speth, Medscape


Die Wirksamkeit von Antidepressiva ist unter Experten umstritten, doch wie beurteilen die Anwender selbst ihr Befinden? Eine Umfrage ergab: Sie stufen ihre Lebensqualität als mäßig ein, und zwar als genauso mäßig wie depressive Menschen, die diese Psychopharmaka nicht nehmen. Und auch 2 Jahre später hat sich an dem Nulleffekt nichts geändert. Dieses Resultat einer Studie in den USA hat Aufsehen erregt und Kritik geerntet, vor allem kreiden Psychiater methodische Mängel an.

Über eine Arzneimittel-Datenbank ermittelten die Forscher, dass insgesamt 57% der Teilnehmer Antidepressiva genommen hatten. Bschor merkt an: ?Wer diese Wirkstoffe erhielt und wer nicht, beruht keineswegs auf Zufall, sondern auf Unterschieden in vielen Merkmalen ? wie Zugang zu medizinischen Angeboten, Krankenversicherung, Schweregrad der Depression, Bildung und Einstellung zu Medikamenten.?

Gleichberechtigung ist oft noch ein Wunschbild
Relevant ist offenbar auch der Faktor Geschlecht, denn 2 Drittel der depressiven Frauen wurden behandelt, dagegen nur gut die Hälfte der Männer. Nicht-Versicherte und ebenso Angehörige anderer ethnischer Gruppen erhielten ebenfalls seltener Antidepressiva.

Nach den Worten von Dr. Rebecca Sheriff, Psychiaterin an der Universität Oxford, wirft die spezielle Studienpopulation ein Licht auf ?die äußerst missliche Tatsache?, dass große Teile der Bevölkerung ? besonders Minderheiten ? in der medizinischen Versorgung und der Forschung unterprivilegiert sind.

Auffällig ist die anhaltende Stagnation
Im ersten Jahr nach der Diagnose und erneut 2 Jahre später hatten die Patienten den Fragebogen SF-12 ausgefüllt. Sowohl bei den Teilnehmern mit Antidepressiva als auch bei jenen ohne die Medikation zeigte der Ausgangswert von rund 44 Punkten eine moderate Lebensqualität an ? der Durchschnitt liegt bei 50 Punkten, das Maximum bei 100.

Am Ende der Beobachtungszeit hatte sich das körperliche Befinden in beiden Gruppen geringfügig um 0,35 Punkte verschlechtert, das psychische Befinden ebenfalls marginal und übereinstimmend um gut einen Punkt gebessert. Bschor resümiert: ?Unter realen Bedingungen bleiben die Defizite an Lebensqualität offenbar gleich.?

Die Autoren selbst räumen als Schwäche ihrer Studie ein, dass sie Art und Ausmaß der Depression nicht berücksichtigen konnten, weil diese Angaben in den Unterlagen fehlten.

Doch gerade wegen dieses Mankos ziehen manche Fachleute die Resultate in Zweifel. Die Kommentare lauten: Das sei ein gravierender Fehler, weshalb man aus der Studie keine Erkenntnisse gewinnen könne. Es gebe es zu viele Unbekannte für klare Schlussfolgerungen. Aus methodischen Gründen lasse sich nichts über die Wirksamkeit von Antidepressiva aussagen. Die Studie sei nicht mehr als der Vergleich zweier Kollektive. Patienten, die davon profitieren könnten, sollten sich keinesfalls entmutigen lassen.

Machten die Patienten eine Psychotherapie?
Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier von der Universität Greifswald sieht eine weitere schwerwiegende Schwäche: In keiner der beiden Gruppen war nach einer Psychotherapie gefragt worden. Diese Methode jedoch sei in den USA sehr verbreitet und werde von sämtlichen Leitlinien als nachweislich wirksam und darum als erste Wahl empfohlen ? bei schweren Formen und chronischen Verläufen zusätzlich zu Antidepressiva.

Ein zusätzlicher Kritikpunkt: der Zeitrahmen von 2 Jahren. Er sei nicht angemessen, weil Depressionen meistens episodisch verlaufen, das heißt, sie verschwinden innerhalb etwa 9 Monaten von selbst.

Die Studie spiegelt die Praxisbedingungen wider
Bschor wiederum betrachtet gerade den langen Abstand als Qualität. Randomisierte Studien seien dagegen nur auf wenige Wochen angelegt und die Behandlung geschehe artifiziell, zum Beispiel mit der Zuteilung auf Verum oder Placebo. Sheriff hält die Daten ebenfalls für aussagekräftig, weil sie eine große Zahl von Menschen einschließen.


Doch was nun? Sollten Ärzte ihren Patienten Antidepressiva verschreiben oder nicht? Eine klare Antwort gibt es leider nicht, die Zustimmung oder Ablehnung der Experten spiegelt die widersprüchlichen Ergebnisse wider, auf die sie sich berufen.

Positionen kontra Antidepressiva
Almohammed und seine Kollegen zitieren Studien, wonach die Wirkung zu 80% auf Placebo-Effekten beruht und die Rückfallrate höher ist als mit Placebo. Sie empfehlen daher, depressiven Menschen zunächst Alternativen vorzuschlagen: Verhaltens- oder Gesprächstherapie, Angebote zu sozialer Unterstützung, Hilfe zur Selbsthilfe, Tagesstrukturierung oder Aufklärung.

Bschor pflichtet ihnen bei: Die Autoren plädieren zu Recht dafür, dass Ärzte mit der Verordnung zurückhaltender sein sollten ? auch weil sich Befunde mehren, dass Antidepressiva die Krankheit langfristig sogar verschlechtern. Es komme zu Chronifizierung und Rückfällen, was eine Dauerverschreibung notwendig macht. Einen ungünstigen Einfluss könnten auch die Nebenwirkungen haben, zum Beispiel starke Müdigkeit tagsüber oder Libidoverlust.

Sheriff verweist darauf, dass Aktivitäten gemeinsam mit anderen Menschen in Sport, Kunst und Kultur die gesundheitsbezogene Lebensqualität möglicherweise am meisten erhöhen.

Positionen pro Antidepressiva
?Wahrscheinlich waren die Menschen, die Antidepressiva verordnet bekamen, schwerer depressiv als nicht behandelte Teilnehmer?, argumentiert Prof. Dr. David Curtis von der Universität London. ?Daher hatten diese Medikamente offenbar sehr wohl eine Wirkung, ohne die Lebensqualität stärker zu beeinträchtigen. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Antidepressiva bei schweren Depressionen Symptome und Lebensqualität bessern.?

Wahrscheinlich waren die Menschen, die Antidepressiva verordnet bekamen, schwerer depressiv als nicht behandelte Teilnehmer. Prof. Dr. David Curtis
Dr. Gemma Lewis, ebenfalls von der Universität London, vertritt einen ähnlichen Standpunkt: ?Als die Studie startete, haben viele Menschen ihre Antidepressiva wahrscheinlich schon seit mehreren Jahren genommen. Zu Beginn der Einnahme hatten sie möglicherweise eine sehr schlechte Lebensqualität und waren schwer depressiv. In der ANTLER-Studie haben wir festgestellt, dass Antidepressiva langfristig das Risiko eines Rückfalls verringern und zum Erhalt der Lebensqualität beitragen.?


Nach dem Konzept der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sind für den Erfolg einer Behandlung nicht mehr nur medizinische Befunde maßgeblich, sondern außerdem direkt die Einschätzungen der Patienten. Eine anerkannte Messmethode ist der Gesundheitsfragebogen Short Form-12, der aus 12 Fragen zur körperlichen und mentalen Funktionsfähigkeit besteht.

Haben Sie sich ruhig und friedlich gefühlt?
So sollen die Befragten ihren Gesundheitszustand bewerten, außerdem für die vergangenen 4 Wochen ankreuzen, wie sehr sie durch Schmerzen, gesundheitliche und emotionale Probleme im Alltag, bei der Arbeit und bei sozialen Aktivitäten eingeschränkt waren und wie oft sie sich jeweils zufrieden, niedergeschlagen und voller Energie gefühlt haben.

Wie depressive Patienten diese Fragen je nach Medikation beantworten, haben Prof. Dr. Omar A. Almohammed von der Universität Riad in Saudi-Arabien und seine Kollegen ermittelt [1]. Es handelt sich um die sekundäre Analyse einer Umfrage, die primär zur Abschätzung von Kosten gedacht war. Der wissenschaftliche Recherche-Verband Science Media Center hat deutsche und britische Psychiater und Psychologen um eine Stellungnahme gebeten.

Saudi-Arabien strebt internationale Forschung an
Prof. Dr. Tom Bschor von der Universität Dresden wundert sich über die ungewöhnliche Herkunft: ?Interessanterweise besteht das Autorenteam aus nur einer US-Wissenschaftlerin, die anderen 5 Forscher stammen aus Saudi-Arabien.?

Vorbehalte äußert er auch gegen die Motivation für die Analyse. So rechnen die Forscher in aller Ausführlichkeit vor, welche enormen Kosten depressive Erkrankungen verursachen, zumal wegen ihrer stetigen Zunahme. Beispiele: In den USA belief sich allein die Behandlung im Jahr 2005 auf rund 66 Milliarden US-Dollar, 2010 schon auf 80 Milliarden. Auch die Patienten selbst kommt die Störung teuer zu stehen, nämlich geschätzt rund 6.600 US-Dollar jährlich.

Fokus auch auf den kranken Menschen
Bschor kommentiert: Mit Blick auf das Thema ? die gesundheitsbezogene Lebensqualität ? hätte man erwarten dürfen, dass die Forscher nicht nur die ökonomische Last für die Gesellschaft anführen, sondern auch das Leid depressiver Menschen erwähnen, etwa ihre eingeschränkte Teilhabe am allgemeinen Leben.

Als Quelle diente Almohammed und seinen Kollegen eine US-Datenbank zu Depressionen: Medical Expenditures Panel Survey MEPS. Sie analysierten die Krankenakten von 17,5 Millionen Menschen ? rund 2 Drittel Frauen ? aus dem Zeitraum von 2005 bis 2016.

Überwiegend weiß und wohlhabend
Das Durchschnittsalter lag bei 48 Jahren. Fast 90% hatten eine helle Hautfarbe, jeweils 2 Drittel waren privat versichert und kamen aus Haushalten mit mittlerem bis hohem Einkommen. ?Die Teilnehmer dürften nicht repräsentativ für die USA sein?, gibt Bschor zu bedenken. ?Auf Deutschland hingegen, wo zum Beispiel fast alle Bürger krankenversichert sind, lassen sich die Ergebnisse schon eher übertragen.?

https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4911225?src=WNL_mdplsfeat_220602_mscpedit_de&uac=389796AZ&impID=4296666&faf=1#vp_3

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COVID-Sommerpause: Wird die Pandemie zur Endemie?
Wo wir stehen und wie es weiter geht ? JAMA zeigt die Perspektiven auf
Michael van den Heuvel, Medscape


Im 3. Jahr der Corona-Pandemie sinkt die Inzidenz weltweit auf den niedrigsten Stand seit mehr als 6 Monaten. Deutschland ist hier keine Ausnahme. Doch wie könnte es weitergehen ? neigt sich die SARS-CoV-2-Welle ihrem Ende entgegen, wie viele Menschen hoffen? In JAMA Network Open beleuchtet Dr. Carlos del Rio von der Emory University School of Medicine den Status quo und mögliche Entwicklungen.

Der Experte will keine falschen Hoffnungen wecken. Während es lange Zeit so aussah, als würde aus der Pandemie vielleicht eine Endemie werden, steigen die Infektionsraten in den USA seit Mai 2022 wieder an.

Solche Trends lassen sich durch mehrere Faktoren erklären, nämlich durch neue Subvarianten wie BA.2.12.1, durch die sinkende Immunität nach Impfungen oder nach früheren Infektionen sowie durch die Aufhebung etlicher Vorschriften aus Pandemie-Zeiten. Maskenpflichten oder Abstandsregeln gibt es immer seltener.

Subvarianten von Omikron gewinnen an Bedeutung
Zum Hintergrund: Nachdem die Omikron-Variante BA.1 im November 2021 erstmals in Südafrika identifiziert worden war, breitete sie sich weltweit aus und verdrängte in kurzer Zeit andere Varianten. Seitdem sind mehrere Linien und Sublinien entstanden. Die häufigsten sind derzeit BA.1, BA.1.1, BA.2 und BA.2.12.1.

Die Reproduktionszahl der BA.2-Variante ist 1,4-mal höher als die von BA.1.2. Solche Unterschiede lassen sich auf 53 Mutationen zurückführen, von denen 29 im Bereich des Spike-Proteins liegen. Klinische Symptome der BA.2-Infektion ähneln denen von BA.1, wobei leichte Symptome der oberen Atemwege wie Halsschmerzen und Pharyngitis häufig auftreten. Darüber hinaus berichten viele Patienten über gastrointestinale Symptome, etwa Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, sowie über unspezifische Symptome, beispielsweise Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, eine verstopfte Nase und Müdigkeit.

BA.2.12.1 wurde zuerst in New York nachgewiesen und ist jetzt die vorherrschende Variante in den USA. Bis zum 25. Mai 2022 war in etwa 5% der sequenzierten SARS-CoV-2-Isolate BA.2.12.1 zu finden. Diese Subvariante trägt zusätzlich die Spike-Mutationen S704L und L452Q. Die L452Q-Mutation wurde schon bei den Delta- und Lambda-Varianten beobachtet. Sie ermöglicht es dem Virus, stärker an den Angiotensin-Converting-Enzym-2-Rezeptor zu binden und dadurch kontagiöser zu werden.

Eine vorherige Infektion mit BA.1 scheint nur eine minimale Kreuzimmunität gegen BA.2.12.1 zu bieten, so dass sich Personen mit beiden Varianten infizieren können.

2 weitere Varianten, nämlich BA.4 und BA.5, sind vor kurzem in Südafrika und in Europa aufgetaucht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft sie als ?Variants of Concern? bzw. als ?Lineages under Monitoring? ein.

Wie andere Omikron-Subvarianten scheinen auch BA.4 und BA.5 deutlich kontagiöser zu sein als die Prä-Omikron-Varianten. Während Experimente darauf hindeuten, dass zumindest ein Teil des Wettbewerbsvorteils von BA.4 und BA.5 auf Unterschiede in der viralen Replikation zurückzuführen sind, gibt es Hinweise, dass andere Faktoren wie eine Immunevasion oder eine höhere Kontagiosität die rasche Verbreitung erklären könnten.

Wie bei BA.2.12.1 scheinen Personen, die zuvor mit einer früheren Omikron-Variante (BA.1) infiziert waren, nicht gut gegen eine Infektion mit BA.4 und BA.5 geschützt zu sein. Glücklicherweise verursachen BA.4 und BA.5 nach aktuellem Wissensstand keine schwereren Erkrankungen als frühere Varianten.

"Zusammenfassend lässt sich sagen, dass SARS-CoV-2 seit dem Auftreten von Omikron sehr viel effizienter übertragen wird und sich der Immunität eher entziehen kann. " Dr. Carlos del Rio


https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4911229?src=WNL_mdplsfeat_220602_mscpedit_de&uac=389796AZ&impID=4296666&faf=1#vp_2

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22.000 Tote in Mariupol - dagegen war Guernica ein Scharmützel
Gefunden bei Bersarin:

https://bersarin.wordpress.com/2022/06/01/notiz-zum-abend-und-zu-den-russischen-kriegsverbrechen/#comments

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Bleiberecht und Aufnahme jetzt!
Zivilgesellschaftliche Forderungen an die Innenminister*innen-Konferenz
PRO ASYL, Bundesfachverband UMF, Jugendliche ohne Grenzen, Bayerischer Flüchtlingsrat und Würzburger Flüchtlingsrat haben heute im Rahmen einer Pressekonferenz gefordert: ?Bleiberecht und Aufnahme jetzt!?

Gut integrierte Geflüchtete werden von den Landesinnenminister*innen und -senator*innen abgeschoben, obwohl für sie zeitnah ein Bleiberecht in Aussicht steht. Tausende Menschen in Afghanistan, die sich für Demokratie und westliche Werte eingesetzt haben, bangen seit vielen Monaten um ihr Leben und eine Aufnahme nach Deutschland. Zu diesen Missständen haben heute die Organisationen PRO ASYL, Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF), Jugendliche ohne Grenzen (JoG), Bayerischer Flüchtlingsrat und Würzburger Flüchtlingsrat Forderungen an die Innenminister*innen-Konferenz gestellt.

#BleiberechtJetzt und Abschiebestopp erlassen

242.000 geflüchtete Menschen leben in Deutschland mit dem unsicheren Status der Duldung, der Großteil von ihnen schon seit vielen Jahren. Die meisten sind aus dem Irak, Afghanistan, Nigeria, dem Iran oder aus russischen Teilrepubliken wie Tschetschenien geflohen und können auf absehbare Zeit nicht in ihr Herkunftsland zurück. Ihr Alltag ist geprägt von Perspektivlosigkeit, Angst vor einer Abschiebung und der Einschränkung sozialer Rechte.

Wiebke Judith, Teamleitung Recht & Advocacy bei PRO ASYL mahnte: ?Die im Koalitionsvertrag angekündigten Verbesserungen beim Bleiberecht, gerade das Chancen-Aufenthaltsrecht, wären ein Rettungsanker für viele Menschen, die ständig mit der Angst vor Abschiebung leben müssen. Doch aktuell werden von den Bundesländern weiterhin Menschen abgeschoben, die zeitnah unter diese Bleiberechtsregelung fallen würden. Das muss ein Ende haben ? zunächst durch ein entsprechendes Abschiebungsverbot oder Vorgriffserlasse und dann durch zügige Umsetzung der Vorhaben auf Bundesebene.?

Lennart Scholz vom BumF berichtete von dem Alltag der Jugendlichen: ?Wir kennen viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die oft über Jahre in einem Schwebezustand gehalten werden, mit ständiger Angst vor der Abschiebung. Hier muss eine Kehrtwende vollzogen werden. Wir brauchen eine zeitnahe, großzügige und unbürokratische Umsetzung der angekündigten Änderungen der Bleiberechtsregelungen. Dabei müssen wir generell wegkommen von der engen Vorstellung einer ?guten Integration?. Anerkannt wird bisher meist nur Erfolg in der Schule und Lohnarbeit ? um jeden Preis. Wir fordern die Anerkennung von vielfältigen Arten, in dieser Gesellschaft anzukommen, sich zu engagieren und einzubringen.?

Johanna Böhm, Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrats, kritisierte insbesondere die Versuche des bayerischen Innenministeriums, die Bleiberechtsregelung zu unterlaufen: ?Seit Monaten diskreditiert Bayerns Innenminister die geplanten Verbesserungen beim Bleiberecht als Förderprogramm für illegale Migration und weigert sich, einen Abschiebestopp anzuordnen. Stattdessen forciert Bayern die Abschiebung von Geflüchteten mit Einzel- und Sammelabschiebungen in nahezu alle Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt. Zudem verweigern die bayerischen Ausländerbehörden immer häufiger die Erteilung der bereits jetzt schon bestehenden Bleiberechte. Auch der Vorsitzende der Innneminister*innenkonferenz muss solche Verfahrenstricks in seinem Bundesland abstellen, da sonst alle Verbesserungen ins Leere laufen würden! ?

#DontForgetAfghanistan: schnelle Aufnahme, jetzt!

Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 sind dort weiterhin Menschen, die zum Beispiel für deutsche Organisationen oder die Bundeswehr gearbeitet haben und deswegen von den Taliban verfolgt werden, in Lebensgefahr. Die versprochene Aufnahme durch die alte und neue Bundesregierung geht zu langsam voran und zu viele gefährdete Personen fallen nicht unter die eng gesteckten Kriterien.

Robina Karimi, Sprecherin bei JoG, forderte deshalb: ?Es braucht funktionierende und unbürokratische Bundes- und Landesaufnahmeprogramme, die schnelle Aufnahme besonders gefährdeter Afghan*innen, eine Reform und Beschleunigung des Ortskräfteverfahrens und die Berücksichtigung aller gefährdeter Familienangehöriger bei der Aufnahme. Jede Sekunde die wir hier verlieren, verbringen die Menschen in Afghanistan in Todesangst. Für manche bedeutet es den Tod. Menschen in Afghanistan dürfen nicht im Stich gelassen werden.?

Demonstration in Würzburg

Am heutigen Nachmittag wird zudem eine Demonstration am Würzburger Hbf um 16:30 Uhr starten, zu der ein breites Bündnis aus Geflüchteten- und Menschenrechtsorganisationen aufgerufen hat. Sie fordern ?Bleiberecht und Aufnahme jetzt!? und erklären: ?Wir stehen an der Seite aller Menschen, die bedroht sind ? egal ob sie aus der Ukraine oder aus anderen Krisenregionen der Welt vor Krieg, Not und Verfolgung fliehen. Wir sagen: Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben. Von den Innenminister*innen, die in Würzburg tagen, fordern wir daher: Vergesst die Menschen aus Afghanistan und anderen Ländern nicht!?

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Niedersachsen als sicherer Hafen
Pressemitteilung des Flüchtlingsrat Niedersachsen vom 02. Juni 2022 - https://www.nds-fluerat.org/53432/aktuelles/buendnis-niedersachsen-zum-sicheren-hafen-fuer-alle-veroeffentlicht-positionspapier-zur-niedersaechsischen-landtagswahl-2022/

Bündnis ?Niedersachsen zum Sicheren Hafen für alle? veröffentlicht Positionspapier zur niedersächsischen Landtagswahl 2022

Das Bündnis ?Niedersachsen zum Sicheren Hafen für alle? hat ein Positionspapier zur Landtagswahl 2022 veröffentlicht. Das Bündnis fordert von der künftigen Landesregierung einen Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik.

Anlässlich der niedersächsischen Landtagswahl 2022 hat das Bündnis ?Niedersachsen zum Sicheren Hafen für alle?, dem sich bislang über 60 Selbstorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Menschenrechtsorganisationen und Initiativen angeschlossen haben, ein Positionspapier veröffentlicht.

Zu den Kernforderungen des Bündnisses an die künftige Landesregierung gehören:

ein entschlossenes Vorgehen gegen alle Formen von Rassismus,
die Durchsetzung eines Bleiberechts für alle, die in Niedersachsen ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben,
die Gewährung eines Rechts auf selbstbestimmtes Wohnen,
die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung für Alle statt nur für Einige,
die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit und Gewährleistung von Teilhabe,
das Herbeiführen von Geschlechtergerechtigkeit,
die Übernahme von Verantwortung auch an den Außengrenzen der EU durch ein Landesaufnahmeprogramm.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent der Geschäftsführung, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.

?Die künftige Landesregierung muss einen Paradigmenwechsel vollziehen: Weg von einer Asyl- und Migrationspolitik, die geprägt ist von Diskriminierung, Fremdbestimmung, Lagerunterbringung und Abschiebungen ? hin zu einer Politik der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe, die Chancen eröffnet und Bleibeperspektiven für alle Menschen schafft ? und zwar unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Aufenthaltsstatus. Die Aufnahme der Menschen aus der Ukraine zeigt, dass eine solche Politik möglich ist.?

Galina Ortmann, Niedersächsischer Integrationsrat e.V.

?Die nächste Landesregierung muss sicherstellen, dass Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte gleichberechtigt auf allen Ebenen der Gesellschaft mitwirken können und vor rassistischer Diskriminierung wirkungsvoll geschützt werden. Damit ihr dies gelingt, muss sie unter anderem ein Landes-Partizipationsgesetz und ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz erlassen.?

Roma Center e.V.:

?Wir fordern eine Bleiberechtsinitiative der neuen Landesregierung. Sie muss gewährleisten, dass insbesondere Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Niedersachsen haben ein Bleiberecht bekommen und nicht abgeschoben werden. Kettenduldungen müssen beendet werden. Wer nicht in sein Herkunftsland zurückkehren kann, weil die Lebensverhältnisse dort menschenunwürdig sind, muss eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Wer die Bedingungen eines Bleiberechts noch nicht vollständig erfüllt, muss beraten und unterstützt werden.?

Dr. Anwar Hadeed, Geschäftsführer, Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen - amfn e.V.:

?Die künftige Landesregierung muss die Bildungspolitik neu gestalten, um die Zusammenhänge von Herkunft und fehlenden Bildungschancen aufzulösen. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, ist eine umfassende Reform der Lehrer:innen und Erzieher:innen-Aus- und Weiterbildung erforderlich. Zudem müssen lernfeindliche Bedingungen in Lagern und Sammelunterkünften beseitigt werden.?

Armin Wühle, Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge Niedersachsen e.V.

"Wir freuen uns, dass ukrainische Geflüchtete direkten Zugang zu allen Gesundheitsleistungen der Krankenkasse haben. Dies wollen wir für alle Geflüchteten erreichen - strukturelle Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung ist in einer Solidargemeinschaft nicht hinnehmbar. Daher brauchen wir in Niedersachsen zumindest eine elektronische Gesundheitskarte für alle. Um Gesundheitsleistungen insbesondere bei der Versorgung psychischer Erkrankungen wirkungsvoll nutzen zu können, ist eine klare Regelung zur Kostenübernahme von Sprachmittlung erforderlich."

Hilke Brandy, Seebrücke Niedersachsen:

?Die zukünftige Landesregierung muss sämtliche Möglichkeiten ausschöpfen, um zur Schaffung sicherer Fluchtwege beizutragen und die Aufnahme von Geflüchteten ? aus Drittstaaten wie Afghanistan oder EU-Staaten wie Griechenland - auch in Niedersachsen zu ermöglichen. Wir dürfen nicht ignorieren, dass Menschen auf der Flucht nach Europa ertrinken, in Lagern unter katastrophalen Umständen festgehalten werden oder ihnen ihre Rechte an den Grenzen verwehrt werden.?

Adriana Pombo Abondano, Büroleitung, ?Migrant*innenselbstorganisationen-Netzwerk Hannover e.V.?

?Menschen werden zur Flucht gezwungen oder entscheiden sich zu migrieren. In beiden Fällen sind die Gründe vielfältig. In jedem Fall jedoch spielen insbesondere das Geschlecht einer Person oder Ihre Sexualität eine wichtige Rolle beim Prozess der MIgration oder der Flucht. Vor allem Frauen stehen im Vergleich zu Männern vor besonderen und vor allem unterschiedlichen Herausforderungen. Diese spezifischen Unterschiede müssen berücksichtigt werden.

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