In meiner Jugend, die in die späten 70er/frühen 80er fällt war sexuelle Promiskuität etwas, das positiv mit linken Idealen korrespondierte. Als meine Schwester 20 war kam es vor, dass sie in einer Woche mit drei verschiedenen Männern ins Bett ging, und da galt sie nicht als Schlampe, sondern als sexuell sehr aktive, besonders emanzipierte Frau, die für ihre Freizügigkeit bewundert wurde. Auf unseren Parties musste mensch damals außerhalb der Tanzfläche darauf achten, nicht auf die aufeinanderliegenden Pärchen zu treten. Die erste Kommilitonin, mit der ich an der Uni was hatte machte mich dergestalt auf ihr Interesse aufmerksam, indem sie mich auf einem Antifaplenum an den Eiern streichelte. Das brauchte ich Stoffel auch, weil ich normale Flirtsignale gar nicht wahrnahm. Ich finde es sehr schade, dass es solche Frauen in meiner heutigen Lebenswelt nicht mehr gibt. Nach jeder Semesteranfangs/Endparty waren in meiner Bezugsgruppe die Beziehungen neu zusammengesetzt. Parties wurden überhaupt ganz selbstverständlich von vielen Menschen hauptsächlich als Anbahnungen für One-Night-Stands betrachtet. Das Beziehungsmodell der linken Szene sah die offene Zweierbeziehung mit erlaubten Seitensprüngen als role model vor. Passend zum Welt-Aids-Tag heute: Die Aids-Hysterie in den 80ern, das gesellschaftliche Rollback unter Kohl und dann auch noch das Bekanntwerden von Vergewaltigungen in linken Szenezusammenhängen sollten diese schöne Welt der unverbindlichen sexuellen Abenteuer im Alltag unwiederbringlich und restlos zertrümmern. Ein – bürgerlicher – Abglanz dieses Klimas ist noch in den Anything-Goes-Beziehungskömödien der 90er spürbar, diesen ganzen Katja-Riemann- Heike-Makatsch-Til-Schweiger-Filmen, die das Neue Deutsche Kino konsumierbar machten.
Und heute? Der Rückmarsch in die Ära Adenauer hat nicht stattgefunden, aber es gibt auch keinerlei Anknüpfung an das lustige Szeneleben von vor nicht ganz 20 Jahren. Korrespondierend zum neoliberalen Gesellschaftsumbau sind Beziehungen und erotische Vergnügungen in einer Weise zweckrational geworden, die weder von der früheren Aufbruchstimmung im Sinne von Anders leben noch von anything goes etwas übrig gelassen hat.
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Daraufhin fragte ich sie, wie das meine, und sie erwiderte, der Duft, der von mir ausgehe sei wirklich fantastisch. Ich nannte die Marke meines Rasierwassers, da sagte sie dann aber, nein, das sei es nicht. Ich ließ es damit bewenden. Auf solche Komplimente reagiere ich ja eher verlegen, ich bin es nicht gewohnt, als attraktiver Mann wahrgenommen zu werden, eher als Nicht-Mann.
Als ich das dem G.erzählte meinte der, das wäre eine eindeutige Anmache gewesen, ich hätte sofort ein Flirt-Gespräch anfangen sollen, er hätte in meiner Situation alle Register gezogen. Auf solche Ideen komme ich ja nur selten. Für mich war das ein Gespräch auf Faktenebene über den Geruch einer Lotion. Ich könnte geradezu ein Lexikon der verpassten Chancen anlegen, weil ich bestimmte Dinge einfach nicht wahrnehme.
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Eine von der CSSR auf Ungarn, Jugoslawien und Rumänien ausstrahlende Balkan-Perestroika 15 Jahre vor Gorbatschow und damit verbunden eine Stärkung des Eurokommunismus, möglicherweise eine kommunistische Regierung in Italien?
Helsinki-Akte 1969 ratifiziert, SALT 1 1972, SALT 2 1974, START 1976, kein NATO-Nachrüstungsbeschluss? Wie sähe die Welt heute aus?
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http://blogs.faz.net/wost/2013/11/26/ich-habe-den-westen-entdeckt-wie-man-maerchenwelten-entdeckt-623/
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http://thevoiceforum.org/node/3405
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http://blogs.faz.net/stuetzen/2013/11/16/verkauft-die-kinder-uns-fehlt-das-geld-4060/
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http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article122213769/Flaschenwuerfe-und-Einsatz-von-Pfefferspray-bei-Spontandemo.html
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Die Lage der syrischen Flüchtlinge im Flüchtlingslager ATMA an der syrisch-türkischen Grenze soll durch den Erlös des Nachmittags unterstützt werden. Neben kulinarischen syrischen Spezialitäten wird Henna-Handmalerei angeboten. Zu erwerben sind neben orientalischen Dekorationsartikeln und Gewürzen Zeichnungen einer jungen syrischen Flüchtlingsmalerin. Eine Fotopräsentation zeigt aktuelle, authentische Bilder des Lagers und es besteht die Möglichkeit sich im Gespräch mit Besuchern des Lagers vor Ort über die Situation zu informieren.
Die Erlöse des Nachmittags werden neben einem privat angeschafften Krankenwagen und Spenden mit medizinischer Grundversorgung noch Ende November in privater Initiative in dieses Lager gebracht. Nähere Informationen: Mona Al-Masri: 214 5666 und Petra Ulbrich, Haus der Kulturen: 38 90 997 19
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Ich reiste am Mittwoch, den 13. November in den Iran um auch dieses Jahr diesen bitteren Tag in diesem Land zu verbringen, das der Ort der Erinnerungen, Bemühungen und Hoffnungen meiner Eltern gewesen ist. Ein Land, das sie mehr als ihr Leben geliebt haben. Wie immer reiste ich mit Beharrlichkeit und Hoffnung im Gepäck um in diesem Jahr vielleicht eine Öffnung in dieser permanenten Unterdrückungsmaschinerie vorzufinden und am Jahrestag des Verbrechens diesen beiden mutigen Menschen zu gedenken.
Zunächst gab es im Zusammenhang mit der Organisierung einer Gedenkveranstaltung gute Anzeichen. Die positive Reaktion der Verantwortlichen im Innenministerium und der Teheraner Stadtverwaltung auf unseren schriftlichen Antrag nährte den Optimismus. Am Samstag, den 16. November wurde ich nach einem Telefonat für den nächsten Tag zu einem der Büros des Geheimdienstministeriums der Islamischen Republik bestellt. Was mir bei dieser Besprechung mitgeteilt wurde, war so doppeldeutig und obskur, dass ich erst nach hartnäckigen und wiederholten Nachfragen den wahren Inhalt der Aussage erfahren konnte.
Zunächst hieß es, dass eine Gedenkveranstaltung zu Hause erlaubt sein würde. Nach einigen Ausführungen zur Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Ordnung, die von beiden Seiten akzeptiert wurde, fügte man hinzu, dass die „Teilnahme von Grüppchen von Konterrevolutionären und verdächtigen Elementen, die Verschwörung und Erzeugung von Spannungen im Sinne haben, verhindert werden wird“.
Da ich die Bedeutung solcher obskuren und mit Beschuldigungen aufgeladenen Begriffe nicht erschließen konnte, versuchte ich ihre Absichten durch konkrete Nachfragen zu verstehen. Schließlich begriff ich, dass sie mit den erwähnten Bezeichnungen eine ganze Reihe von politischen Persönlichkeiten und allgemein respektierten Angehörigen von politischen und kulturellen Institutionen unseres Landes mit großer Vergangenheit, die einen Großteil der Andersdenkenden unserer Gesellschaft ausmachen meinten. Ich erinnerte sie daran, dass meine Eltern als anerkannte politische Persönlichkeiten des Landes immer für die Rechte von Andersdenkenden eingetreten sind und dass ihre Gefährten und Sympathisanten zwangsläufig zu diesem Kreis gehörten und das Recht hätten an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Aber ich bekam keine Antwort darauf.
Als Antwort auf meine Frage, wer dann überhaupt, wenn die politischen Gefährten meiner Eltern und ein Großteil der Andersdenkenden an der Teilnahme gehindert werden, die Erlaubnis bekommen würde, unser Haus zu betreten, sagte man mir: „Verwandte und enge Freunde und Nachbarn“. Wahrscheinlich müsste dieser Personenkreis vor Betreten unseres Hauses den Beamten den Personalausweis, einen Stammbaum zum Nachweis der Verwandtschaft und Unterlagen zum Beweis der Nachbarschaft vorlegen. Schade, dass ich vergaß das zu fragen.
Was ich hier berichte ist der festgelegte, erlaubte Rahmen für die Durchführung einer Gedenkveranstaltung für Darioush und Parwaneh Forouhar, der mir offiziell eröffnet wurde.
Meiner Ansicht nach ist diese Methode eine Tarnung all jener ungerechten, gegen uns verhängten Verbote der letzten sieben Jahre. Sie wollen das Verbot durchsetzen, es aber nicht offen aussprechen und dafür einen falschen Namen benutzen. Ich war in den vergangen Jahren immer und immer wieder mit diesen Begriffsverdrehungen und Verfälschungen konfrontiert. Die Verdrehung von Tatsachen seitens der Verantwortlichen der Justiz unter der Bezeichnung einer gerichtlichen Überprüfung der Akte des Mordes an meinen Eltern ist der offensichtlichste und schmerzlichste dieser Fälschungen gewesen.
Sich solchen Verdrehungen und befohlenen Zwängen zu unterwerfen, bedeutet eine Beleidigung der Überzeugungen und Werte, die Leben und Tod von Darioush und Parvaneh Forouhar geprägt haben. Eine dilettantische und gelenkte Veranstaltung zum Jahrestag der Ermordung der beiden ist eine Beleidigung ihres Mutes und ihrer Standhaftigkeit. Man kann ihrer gedenken, indem man gegen diese Tyrannei protestiert und nicht in dem man sich dem Zwang ausliefert.
Obwohl ich auch in diesem Jahr gegen die Sanktionen und Verbote für eine Gedenkversammlung protestiert habe, blieb dieser erfolglos.
Nun, sie haben die Macht und machen die Unterdrückung zu ihrem Profession. Wir haben Geduld und richten unsere Hoffnung auf die Zukunft.
Hätten wir doch auch gelegentlich den Mut und die Tapferkeit unserer getöteten Widerstandskämpfer.
Es lebe die Erinnerung an jene, die ihr Leben für die Freiheit Irans gegeben haben.
Parastou Forouhar
Teheran, den 18.11.2013
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Friedland ist eine kleine Gemeinde im Südosten Niedersachsens. Hier sieht es aus wie anderswo in der Provinz, es gibt einen roten Backsteinbahnhof und einen Einkaufsmarkt in der Ortsmitte, davor einen Kreisel: rechts geht es nach Göttingen, geradeaus ist das "Grenzdurchgangslager" ausgeschildert. Hier kamen nach dem Zweiten Weltkrieg Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten unter, später diente das Lager an der innerdeutschen Grenze als Anlaufstelle für DDR-Flüchtlinge. Heute sind hier vor allem Asylbewerber aus Krisenregionen im Nahen Osten und Afrika untergebracht.
Und auch der deutsche Geheimdienst hat hier ein Büro. Genauer, die "Hauptstelle für Befragungswesen" (HBW), eine Einrichtung, die eng mit dem Bundesnachrichtendienst zusammenarbeitet und direkt dem Kanzleramt unterstellt ist. In Keller von Haus 16 befragt die HBW Flüchtlinge und Asylbewerber aus Afghanistan, Syrien oder Somalia - und teilt die Informationen dann mit den Geheimdiensten der USA und Großbritanniens. Die lassen die Informationen in die Planungen militärischer Operationen einfließen. Das haben Recherchen des Norddeutschen Rundfunks und der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) im Rahmen des Projekts "Geheimer Krieg" ergeben.
Die HBW betreibt in Friedland nur eine Außenstelle. Die Zentrale der geheimen Organisation ist in Berlin, in der vierten Etage eines unauffälligen Gebäudes am Hohenzollerndamm. Von dort koordinieren die Deutschen das systematische Aushorchen von Asylbewerbern und pflegen den Kontakt zu den Partnerdiensten: Allen voran der US-Militärgeheimdienst "Defense Intelligence Agency" (DIA). "Tripartite Debriefing Programme", dreiteiliges Vernehmungsprogramm, heißt die Zusammenarbeit mit der DIA und dem britischen Geheimdienst intern. Die ausländischen Agenten werden Asylbewerbern nach Informationen von NDR und SZ als Praktikanten vorgestellt. Unter anderem sollen die Befragungen auch in Nürnberg, Chemnitz und Hannover, sowie in sechs Auffanglagern für Flüchtlinge durchgeführt werden.
Rund 40 Angestellte arbeiten bei der HBW, jedes Jahr führen sie 500 bis 1.000 Vorgespräche. Ungefähr eins von zehn Gesprächen ist für die HBW-Agenten von besonderem Interesse. Dann versenden sie eine weitere Einladung oder rufen den Asylbewerber an: Er könne Deutschland helfen, ob er bereit wäre, ein paar Fragen zu beantworten. Die HBW interessiert sich dann vor allem für die politischen Verhältnisse in der Heimatregion, aber auch für die Lebensumstände einzelner Personen, etwa mutmaßlicher Extremisten. Was mit den Informationen passiert, darüber werden die Befragten nicht aufgeklärt. Offiziell sind die Befragungen freiwillig, Anwälte haben dem NDR und der SZ allerdings berichtet, dass eine Teilnahme sich positiv auf die Bewertung des Asylverfahrens auswirke.
Besuch in der Hauptstelle für Befragungswesen
Die NDR Reporter statten der Hauptstelle für Befragungswesen einen Besuch ab. Die Behörde soll Informationen von Asylbewerbern abschöpfen und mit dem Bundesnachrichtendienst kooperieren.
Bundesregierung verweist auf Geheimhaltung
Die Bundesregierung äußert sich zu der Hauptstelle für Befragungswesen nur sehr zaghaft und verweist bei Presseanfragen auf die Geheimhaltung. Mit einer "Beantwortung der Fragen würden Einzelheiten zur Methodik bekannt, die die weitere Arbeitsfähigkeit und die Aufgabenerfüllung von HBW und BND gefährden würden", heißt es in einer schriftlichen Antwort. Auch gegenüber der Bundestagsfraktion der Grünen bemüht sich die Regierung, nicht zu viel zu verraten. In einer Kleinen Anfrage wird die Verbindung zwischen BND und HBW wortreich wie nichtssagend zugleich erklärt: "Dieses Verhältnis berührt das Staatswohl und ist daher in einer zur Veröffentlichung vorgesehenen Fassung nicht zu behandeln, was nicht bedeutet, dass die Behauptung, die Hauptstelle für Befragungswesen sei dem Bundesnachrichtendienst zuzuordnen, zutreffend ist oder nicht."
Victor Pfaff ist Asylrechtsanwalt in Frankfurt und Mitbegründer der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Für ihn ist das Vorgehen der Befragungsstelle ein "Missbrauch des Asylverfahrens und des Vertrauens, welches man von dem Antragsteller erwartet". Die verdeckte Informationssammlung verstößt nach Pfaffs Ansicht gegen deutsches und europäisches Asylrecht sowie gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Michael Hartmann, kritisiert das Vorgehen. NDR und SZ sagte er, "es wäre keinen Moment hinnehmbar, wenn auch nur indirekt gezielte Tötungen ermöglicht würden durch eine Befragung deutscher Sicherheitsbehörden".
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Und rufe ihm mit den Worten von Loriot nach: "Es ist der unerbittliche Schaffensdrang, dem wir die verwegene Stunde danken. Oder, wie einst Adorno zu Thomas Mann sprach: Ja ja, die Musik!"
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Am 27.11. im Kulturzentrum Lagerhaus:
Wir zeigen den Film "Duvarlar-Mauern-Walls" (s.u.) und zu unserer
besonderen Freude wird auch der Regisseur Can Candan aus Istanbul zu
Gast und zum Gespräch nach dem Film anwesend sein.
Film und Gespräch sind zweisprachig Türkisch und Deutsch.
Wir würde uns freuen, sie nächsten Mittwoch begrüßen zu können und sie
bitten, die Information an Freund_innen und Kolleg_innen weiterzugeben.
Herzliche Grüße,
Gruppe ARA
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Film & Gespräch mit dem Regisseur Can Candan (Istanbul)
27.11. - 20 Uhr - Lagerhaus (im SAAL), Schildstr. 12, Bremen
Duvarlar-Mauern-Walls
Regie: Can Candan
USA/Türkei 2000, 83 min
türk./engl./dt. mit dt. UT
(Film & Gespräch in Türkisch/Deutsch - Eintritt frei)
In der Zeit nach dem Mauerfall und der deutschen "Wiedervereinigung"
war 1991 das Jahr, in dem rassistische Gewalt alltäglich wurde und in
Hoyerswerda erstmals pogromartige Ausmaße annahm. 1991 ist gleichzeitig
das dreißigjährige Jubiläum des Anwerbeabkommens mit der Türkei.
'Duvarlar-Mauern-Walls' ist ein dreisprachiger Dokumentarfilm über die
Jahre 1989-'91 aus der Perspektive türkischsprachiger Berliner_innen. In
dem Film sprechen sie über ihre Vergangenheit und Gegenwart. Sie stellen
sich Fragen über die Folgen von Mauerfall und Wiedervereinigung und
darüber, wie sich die steigende Feindseligkeit auf ihre Zukunft im neuen
Deutschland auswirkt. Die mehrheitsgesellschaftlichen Bilder vom
Mauerfall werden von 'Duvarlar-Mauern-Walls' neu ausgeleuchtet, die
ausgrenzende Gewalt der „friedlichen Revolution“ sichtbar gemacht.
Im Anschluss wollen wir mit dem Regisseur Can Candan und weiteren Gästen
über den Film, Entwicklungen und auch über Bremen in den Jahren nach dem
Mauerfall sprechen.
Can Candan ist Filmemacher und Akademiker und hat in den USA und der
Türkei unterrichtet. Er ist Gründungsmitglied des docIstanbul-Center for
Documentary Studies und lehrt und arbeitet im Moment an der
Boğaziçi-Universität in Istanbul. Seine aktuelle Dokumentation "My
Child" begleitet Eltern, die ihre queer lebenden Kinder unterstützen und
sich gegen Homo- und Transphobie engagieren.
Eine Veranstaltung der Gruppe ARA in Kooperation mit der
Rosa-Luxemburg-Initiative Bremen
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Romanes, die Sprache der Roma, ist eine geradezu unbekannte Sprache, und doch sprechen sie in Europa über 12 Millionen Menschen. Lange Zeit überlieferten die Roma ihr Romanes nur mündlich und hüteten ihre Sprache wie einen wertvollen Schatz. Nicht-Roma hatten kaum Zugang, nicht zuletzt wegen der Erinnerungen an den Genozid im Dritten Reich und dessen verheerender Folgen bis heute. Doch inzwischen gibt es viele Werke auf Romanes und die Sprache ist standardisiert.
„Offiziell ist der 5. November der ‚Internationale Tag der Roma-Sprache’,“ erklärt Ismeta Stojkovic, die Organisatorin und Moderatorin der Veranstaltung. „Romanes gehört zu unserer Identität. Aber wie ich, sprechen viele Roma inzwischen die Sprache ihrer Umgebungsgesellschaft. Wir möchten das Romanes pflegen und bekannt machen, um zu verhindern, dass es immer weniger gesprochen wird.“
Die „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ erkennt Romanes offiziell als schützenswert an. Damit ist die Roma-Sprache seit 1999 einzigartiger Bestandteil des kulturellen Erbes Europas. Die Charta schützt die Minderheitensprache vor dem Aussterben und fördert ihren Gebrauch im Bereich des Rechts, der Schulen, des öffentlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens sowie in den Medien. Dazu gehören der fremdsprachliche Unterricht – so wie er bereits jetzt im Rom e. V. angeboten wird – und das Studium in Romanes. Die Charta setzt explizit auf die Verbindung verschiedener Bevölkerungsteile, nicht auf eine Abschottung voneinander.
In diesem Sinne ist der Abend im Rom e. V. ein hoffungsvoller Schritt auf einem langen Weg.
Datum: Freitag, 29. November 2013
Zeit: 18-21 Uhr
Ort: Rom e. V., Venloer Wall 17, 50672 Köln
Veranstalter: Projektbüro Migovita und Rom e. V.
Moderatorin: Ismeta Stojkovic
Referent: Ruzdija Seidovic: „Roma-Sprache – Gegenwart, Geschichte, Zukunft“.
Es lesen auf Romanes mit deutscher Übersetzung:
Selam Pato aus Ungarn
Jovan Nikolic aus Serbien
Nedjo Osman aus Mazedonien.
Roma-Live-Music-Act: Enis
Wir freuen uns auf
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13.11.2013
Ansprechpartner:
Asuquo Udo: 0152-146 725 37
Friday Emitola: 0152 170 052 71
Kofi Anane Mark: 0152 170 045 94
Ahmed Ali: 0152 13239181
Offener Brief An die Nordkirche und die christlichen Gemeinden
Wir bedanken uns sehr für die große Unterstützung aus den christlichen Gemeinden in Hamburg. Insbesondere die Unterbringung und Versorgung in
St.Pauli aber auch in vielen anderen Stadtteilen. Besonders danken wir der afrikanischen Gemeinde der Erlöserkirche Borgfelde, die uns jede Woche
zweimal mit warmem Essens versorgt und stets den Kirchraum für unsere Versammlungen offen hielten.
Wir schätzen es so hoch wie ihr alle seit Monaten uns helft zu überleben und wie viele von Euch mit uns zusammen für unser Aufenthaltsrecht protestieren.
Auch deswegen konnten wir in unserem offenen Brief an den Senat sogar vorschlagen, dass eine Anwendung des § 23 – Gruppenanerkennung – auch
unter Ausschluss von Sozialleistungen für uns vorstellbar wäre. Viele von uns würden längst arbeiten, viele lernen seit Monaten die Sprache, die
jungen unter uns könnten Ausbildungen machen. Zusammen mit den vielen Menschen an unserer Seite könnten wir, diejenigen von uns, für die es
schwierig sein kann, Arbeit zu finden, weitere Zeit unterstützen. Dass dies möglich ist, hat uns die breite und andauernde Solidarität der letzten Monate gezeigt.
Aber es geht um alle von uns, es geht um eine Gruppenanerkennung. Wir haben alle eine gleiche traumatische Geschichte in gleicher Zeit, die von
Libyen nach Lampedusa und Italien geführt hat. Dort wurde dies bereits anerkannt. Wir sind Europas anerkannte Flüchtlinge und brauchen das Recht,
leben und arbeiten zu können. Seit fast 3 Jahren sind nicht nur wir, sondern auch unsere Familien in großer Not. Wir kämpfen für unser Recht,
unser Leben neu aufzubauen.
Dafür steht unsere Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in Hamburg“.
Das haben wir immer gesagt. Wir haben auch gesagt, dass jede Hilfe, Unterstützung und Rat willkommen ist. Aber wir mussten auch immer wieder
klar stellen, dass wir selbst über unser Schicksal und unsere Zukunft entscheiden, dass wir Opfer der Ungerechtigkeit und Kämpfer für Gerechtigkeit sind.
Immer mehr Menschen in der Stadt und darüber hinaus fordern mit uns das Aufenthalts- und Arbeitsrecht für alle. Die politische Führung der Stadt
will keine Lösung unseres Problems.
Der Senat setzte Polizeikontrollen gegen schwarze Menschen in Gang und hielt Menschen unserer Gruppe für Stunden in Polizeigewahrsam und erzwang
die Abnahme von Fingerabdrücken. Gleichzeitig erhielten wir über die Bischofskanzlei die Vorschläge des Senats mit der Ankündigung bei Annahme
der Bedingungen die Kontrollen einzustellen.
Die Vorschläge des Senats bedeuten für uns weitere Monate und Jahre der Unsicherheit. Wir sollen uns in individuelle Aufenthaltsverfahren begeben.
Unser von Italien anerkannter Flüchtlingsstatus wird gegen eine Duldung eingetauscht. Der Senat betont auch weiterhin, dass unsere Aufenthaltsgründe nicht anerkannt werden und dass wir dann gerichtliche
Klageverfahren betreiben können. Bis zum Abschluss dieser Verfahren sollen wir dann nicht abgeschoben werden. Und danach? Wir betrachten dies als
keine konstruktive Lösung, sondern als ein Spiel auf Zeit, um uns später einzeln abzufertigen. Eine faire und sinnvolle Lösung sieht anders aus.
Darüber wollen wir nach wie vor direkte Gespräche mit dem Senat führen.
Dies haben wir zuletzt in unserem offenen Brief an den Senat vom 28.10.2013 und auf der Pressekonferenz einen Tag später vorgestellt.
Gleichzeitig hat die Führung der Nordkirche über unsere Köpfe hinweg den Senatsvorschlag akzeptiert und in der Öffentlichkeit beworben. Der evangelische Pressedienst veröffentlichte die falsche Information, dass die 80 von uns in der St.Pauli Kirche bei der Behörde eine Duldung beantragen werden. Das hat viel Konfusion und Misstrauen erzeugt.
Wurde von Seite der Kirche immer wieder betont, dass sie in erster Linie rein humanitäre Hilfe leistet, heißt es jetzt, dass die Bischöfin der Nordkirche und der Innensenator Hamburgs eine Lösung besprochen haben, die ein faires Verfahren für alle darstellen würde. Dies sehen wir völlig anders und auch Vertreter_innen der Nordkirche haben uns gegenüber
wiederholt geäußert, dass mit dem vorgeschlagenen Verfahren nur einige wenige eine Chance haben werden.
Die Nordkirche mag ihre Gründe haben – wir haben oft gehört: der Druck des Senats auf die Bischöfin ist zu groß, der Druck auf die Pastoren der St.
Pauli ist zu groß. Aber dann wäre es fair und anständig dieses auch so zu sagen, anstatt einige der Gruppe zu überreden, dem zweifelhaften Vorschlag
zu folgen und der Gruppe damit in den Rücken zu fallen. Der ehemalige Sprecher der Schlafgruppe der St.Pauli Kirche sagte uns im Nachhinein, er
habe das Angebot angenommen, weil der Druck auf die Kirche zu groß war.
Einige andere haben eine Duldung beantragt, weil ihnen gesagt wurde, es gäbe keine Alternative.
Die absolute Mehrheit von uns lehnt diesen Weg aufgrund seiner Unsicherheit und aufgrund der gleichen ablehnenden Haltung des Senats ab.
Wir sind enttäuscht und verärgert über die Erklärung der Bischofskanzlei, mit dem Senat einen gangbaren Weg vereinbart zu haben.
Wir sollen diesen Weg gehen, aber wir wurden nicht in die Verhandlungen einbezogen. Wir haben niemanden beauftragt, in unserem Namen zu
verhandeln. Wir haben immer direkte Gespräche gefordert. Warum kann dies, was das normalste und natürlichste ist, nicht respektiert werden? Warum
entscheidet sich die Kirchenführung in einem Moment, wo eine riesige Solidarität mit uns entsteht, für eine Zusammenarbeit mit dem Senat gegen
unsere Interessen? Warum wird nicht akzeptiert, dass wir für unser Leben entscheiden? Warum ist es für die Kirchenführung nicht möglich, uns als
gleichwertige Subjekte zu sehen?
Warum wird eine Gruppenlösung von der Nordkirche nicht unterstützt? Warum soll die Solidarität zwischen uns, die aus unserer gemeinsamen traumatischen Geschichte rührt, gebrochen werden?
Wir haben alle das Gleiche erlitten und wir brauchen alle das Gleiche. Wie könnten wir Unterschiede zwischen uns machen?
Wir hoffen Ihr könnt uns verstehen – versucht Euch in unsere Lage zu versetzen und fragt Euch wie ihr handeln würdet. Wir sind jeder und jedem
dankbar, die/der uns aufrichtig unterstützt und akzeptiert, dass wir die Entscheidungen über unsere Zukunft treffen.
Wir wünschen allen eine schöne und glückliche Vorweihnachtszeit.
Die Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in Hamburg“ 13.11.2013
http://lampedusa-in-hamburg.tk/
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Wien / Lagos / Sokodé / München
Das Netzwerk Afrique Europe Interact (www.afrique-europe-interact.net) zeigt den Dokumentarfilm Da.Sein von Aylin Basaran und Hans-Georg Eberl über das Leben und die Erfahrungen von Menschen, die aus Deutschland und Österreich nach Togo und Nigeria abgeschoben wurden. Da.Sein wurde im Mai und Juni 2013 in Zusammenarbeit mit der Association Togolaise des Expulsés (togoische Vereinigung der Abgeschobenen) und anderen AkteurInnen der Kämpfe gegen Abschiebung und für Bewegungsfreiheit an Schauplätzen in Togo, Nigeria, Deutschland und Österreich gedreht.
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Screening-Termine im Rahmen von Afrique Europe Interact:
-Köln: 17.11., 15 Uhr 30,
Alte Feuerwache, Melchiorstraße 3, 50670 Köln
-Bochum: 18.11., 19 Uhr
Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg 108, 44894 Bochum
-Witten, 19.11., 19 Uhr
Trotz Allem, Augustastraße 58, 58452 Witten
-Münster: 20. November, 19.30
SpecOps, von-Vincke-Straße 5 - 7, 48143 Münster
Hannover, Do., 05.12.2013, 20.30 Uhr
"Kino im Sprengel", Klaus-Müller-Kilian-Weg 1, 30167 Hannover (Nordstadt)
Außerdem:
-Wien, 08.12. 14:00 Uhr
im Rahmen des "This Human World"-Festivals
Anschließend Workshop "politischer Dokumentarfilm": 16:00 bis 18:30
Top Kino, Rahlgasse 1, 1060 Wien
Kontaktadresse für weitere Screening-Anfragen und Anfragen wegen
DVD-Ansichtsexemplaren:
da.sein-film@gmx.at
Ausführliche Beschreibung und Trailer:
http://www.wienwoche.org/2013/de/225/da.sein
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Filmsynopsis:
Da.Sein
Wien / Lagos / Sokodé / München
Da.Sein erzählt in experimenteller Weise aus dem Leben von Menschen,
die aus Deutschland und Österreich nach Togo und Nigeria abgeschoben
wurden. Von der Fluchterfahrung über Leben in Europa bis hin zum
gewaltsamen herausgerissen Werden und Weiterleben werden
vielschichtige Aspekte und Narrative aufgegriffen und in subjektiven
Repräsentationsformen dargestellt. In Episoden verweben sich die
Erfahrungen der Protagonist_innen und eröffnen einen Ausblick auf
Versuche, selbstbestimmte Sichtweisen auf die gewaltsame Erfahrung der
Abschiebung, als Teil kollektiver Erinnerung und struktureller
Ausbeutung, stark zu machen. Dabei spielt der Film mit der
Unsicherheit des Ortes, der Präsenz von Menschen in Realität und
Erinnerung.
Kontakt: da.sein-film@gmx.at
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Meine Solidarität ist voll und ganz mit denen. Allerdings ist der Text selbst Zeugnis der Schwäche antirassistischer Bewegungen, ist dieser sich doch ihrer eigenen Kontinuität und Geschichte nicht bewusst. Hervorgehoben:
"Mit einem deutlichen Appell an ihre Unterstützerinnen, vor allem jedoch mit einem beeindruckenden Selbstbewusstsein hat die Gruppe Lampedusa in Hamburg auf das Umfallen der Nordkirche und das Schein-Angebot des Senates reagiert. Für mich beeindruckend vor allem, dass diese Menschen es schaffen, bei all der Anstrengung und erfahrenem Leid und offener Abweisung in Hamburg und Europa eine klare, eigene Stimme zu finden. Als Subjekte in diesem Diskurs zu bestehen und in unserer Stadt wahr genommen zu werden. Das ist vielleicht das erste Mal, dass dies in Deutschland so gelingt, (ich verweise hier auf den Diskurs bei Metalust zur Verquickung mit anderen linken Protesten).
Wir kämpfen für unser Recht, unser Leben neu aufzubauen.
Dafür steht unsere Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in
Hamburg“. Das haben wir immer gesagt. Wir haben auch gesagt, dass jede Hilfe,
Unterstützung und Rat willkommen ist. Aber wir mussten auch immer wieder klar stellen, dass wir selbst über unser Schicksal und unsere Zukunft entscheiden, …"
Das erste Mal, dass dies in Deutschland so gelingt, hmmm
Das Kurden-Zelt in Göttingen 1991, die Kirchenbesetzung in Norderstedt 1992, Save Me München 2008 bis heute, die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen in Permanenz seit nunmehr 17 Jahren, die Tätigkeiten der Iranischen Gemeinde Hannover/ Kargah und der Arbeitsgemeinschaft der Flüchtlinge und MigrantInnen in Niedersachsen in den letzten 2 Jahrzehnten, die Gründung der Zukunftswerkstatt durch bosnische Flüchtlinge die auf ihrem Recht zu Bleiben beharrten 1995, das alles scheint hier ja komplett unbekannt zu sein.
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Andrea Vogel: Ich sage erstmal, was ich nicht gesehen habe. Es gibt in Serbien Healthcare Mediators, die in informelle Roma-Siedlungen gehen sollen, um die Leute zum Beispiel über Impfungen aufzuklären, ihnen zu helfen, eine Krankenversicherung abzuschließen, und um sie zu ermutigen, zum Arzt zu gehen. Die wollte ich einen Tag begleiten.
Aber?
Die serbische Regierung, bei der die Mediatoren angestellt sind, hat kein Interesse daran. Zudem kommen auf je 10.000 Roma 1,25 Mediatoren. In Belgrad, wo es 100 bis 200 informelle Siedlungen, also Slums gibt, ist ein Mediator zuständig.
Sie waren auf eigene Faust unterwegs?
Ja, das war auch kein Problem, weil sehr viele Menschen Deutsch sprechen. Sie haben in Deutschland gelebt und wurden abgeschoben.
Was haben Sie erfahren?
Es gab eine Frau, die hatte Darmkrebs und wusste überhaupt nicht, dass sie eine gute Prognose hat. Das habe ich ihr erst gesagt, nachdem ich die Arztberichte gelesen hatte. Das war ganz typisch: Selbst wenn sie behandelt werden, dann ist das ein Dienst nach Vorschrift, sie werden abgespeist und allein gelassen. Es gibt keine Weiterbehandlung, die Medikamente, die ihnen verschrieben werden, können sie nicht kaufen, weil sie etwas dazu bezahlen müssen. In die Gesundheitszentren trauen sie sich oft nicht, weil sie dort Diskriminierung erleben.
Waren Sie geschockt von dem, was sie erlebt haben?
Ja. Mit eigenen Augen zu sehen, wie die Menschen dort leben, in dieser unglaublichen Armut, das war erschütternd. Und das geschieht ganz in unserer Nähe. Wir waren im Sommer dort. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das im Winter werden soll. 19 Uhr, Gesundheitsamt Bremen, Rosenpavillon
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http://florableibt.blogsport.de/2013/11/02/21-12-2013-bundesweite-demonstration/
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Wir sind entsetzt! Doch wir werden nicht tatenlos zusehen, weil wir nicht warten dürfen, bis sich das Unfassbare wiederholt. Weil wir nicht warten dürfen, bis die Rassist_innen ihren Worten Taten folgen lassen, und der Hass wieder in Gewalt umschlägt. In diesem Moment ist es die verdammte Pflicht eines jeden Menschen, der auch nur einen Funken Anstand in sich trägt, sich an die Seite derer zu stellen, die mit der Fackel bedroht werden. Und es ist unsere Pflicht all jene mit allen Mitteln in die Schranken zu weisen, die mit verachtenswertem Hass geistige oder tatsächliche Feuer legen. In Rackwitz. In Berlin-Hellersdorf. In Greiz. Und jetzt auch in Schneeberg!
“Schneeberg kommt nicht zur Ruhe”: So, oder so ähnlich titelte eine sächsische Regionalzeitung in den Tagen nach dem zweiten Schneeberger “Lichtellauf”. Über 2.000 Bürger_innen, organisierte und unorganisierte Nazis, also doppelt so viele wie noch zwei Wochen zuvor, zogen mit Fackeln bewaffnet und unter “Wir sind das Volk!”-Rufen durch die Straßen der Stadt im Erzgebirge. Sie waren erneut dem Ruf der NPD gefolgt, die seit Wochen mit Hilfe der Bürgerinitiative “Schneeberg wehrt sich!” rassistische Hetze gegen die in der ehemaligen “Jägerkaserne” untergebrachten Menschen betreibt. Diese wurden in die einstige Bundeswehrkaserne gebracht, nachdem es in der “Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge”, kurz ZASt, in Chemnitz, aufgrund unmenschlicher Bedingungen und heilloser Überfüllung, zu Auseinandersetzungen kam.
Gestört wurde die Ruhe von einigen hundert Antifaschist_innen und Antirassist_innen, die sich das unsägliche Treiben in Schneeberg nicht länger tatenlos anschauen wollten. Doch nicht einmal das Bedürfnis nach Ruhe, das in Städten wie Schneeberg besonders ausgeprägt zu sein scheint, hält Teile der Bevölkerung davon ab, sich mit den Nazis gemein zu machen. Dementsprechend ruft die Bürgerinitiative für den 16. November ein weiteres Mal zum Fackelmarsch auf.
Die Bürgerinitiative betreibt ihre menschenfeindliche Stimmungsmache jedoch nicht allein auf Fackelmärschen, sondern vor allem über eine Vernetzung auf der social-media-Plattform Facebook. In der Gruppe “Schneeberg wehrt sich!”, die mittlerweile über 3.000 Mitglieder zählt, werden rege Gerüchte und Lügen ausgetauscht, die in erschreckender Weise an die 1992 verbreiteten “Geschichten” um die ZASt in Rostock-Lichtenhagen erinnern. Gleichzeitig wird sich über vermeintliche Intransparenz und angebliche Verschleierungstaktiken beschwert und man rückt überhaupt ganz nah zusammen gegen all jene, die die eigenen rassistischen Ressentiments nicht teilen oder ihnen gar zu widersprechen versuchen. Aus dieser Stimmung im Ort und in der Facebook-Gruppe heraus brüstet sich die NPD damit, einen Bürger_innen-Entscheid herbeiführen zu wollen. Sie weiß doch den rassistischen Mob hinter sich. So gelingt es der NPD die rassistischen Ressentiments der Schneeberger Bürger_innen zu bedienen und sich gleichzeitig als friedliebende, demokratische und besorgte Bürger_innen-Vereinigung zu inszenieren. Bislang scheinen Hartung und Illert dieses Bild auch aufrecht erhalten zu können, da sie ihre Fußtruppen, die aus ganz Sachsen nach Schneeberg reisen, ganz gut im bürgernahen Griff haben. Die Frage ist allerdings: Wie lange noch? In der Zwischenzeit gründete sich bei Facebook eine weitere Gruppe, die, nach eigenem Bekunden, den Asylsuchenden im nächsten Monat noch deutlicher zeigen will, dass sie in Schneeberg nicht toleriert werden.
Während der rassistische Protest immer weiter anwächst, sich in seinen Protestformen sogar ausdifferenziert, stehen Lokalpolitik und -presse immer noch vor der Frage, warum sich niemand von der Bürgerinitiative abwendet, wo doch mittlerweile klar sein sollte, dass es sich um eine von der NPD organisierte Vereinigung handelt. Dabei reicht ein Blick in die jüngere deutsche Geschichte im Allgemeinen und in die der Stadt Schneeberg im Besonderen um zu erkennen, dass es noch nie der Hilfe rechter Parteien bedurfte um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Wort und Tat sich Bahn brechen zu lassen. Bereits im Jahr 2010, als die “Jägerkaserne” schon einmal zeitweilig als Lager für Geflüchtete aus Mazedonien diente, formierte sich rasch Widerstand auf breiter Front: “Besorgte Bürger_innen”, Nazis und NPD sowie der damalige wie heutige CDU-Bürgermeister Schneebergs, Frieder Stimpel, standen schon damals Seite an Seite gegen die Asylsuchenden. Stimpel, der heute aus Angst um den Ruf seiner Stadt zu Besonnenheit und Menschlichkeit mahnt, warnte damals vor steigender Kriminalität und finanziellen Schäden für den Wirtschaftsstandort Schneeberg. Ganz so, wie es heute Hartung und Konsorten tun.
Doch auch wenn die Situation in Schneeberg, in der Größe des Fackelmarsches und in ihrer Nähe zu offensichtlichen Nazis, eine besondere ist: Schneeberg ist kein Einzelfall. Nachdem in Deutschland die Aufnahmekapazitäten für Asylsuchende, basierend auf dem damaligen Tiefststand von 2007, drastisch reduziert worden sind, eröffneten in der vergangenen Zeit vermehrt neue oder schon einmal genutzte Unterkünfte für Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen wollen. Dieser Umstand löste in vielen Bereichen eine, an die 1990er Jahre erinnernde, “Das Boot ist voll”-Rhetorik aus. In diesem Moment des bisher latenten, aber jetzt offen zu Tage tretenden Rassismus, sind sich NPD und andere Rassist_innen an vielen Orten einig. Ihre Strategie ist dabei stets dieselbe. Unter dem, mehr oder weniger gut zur Tarnung geeigneten, Deckmantel einer Bürgerinitiative machen Nazis gegen eine Asylunterkunft mobil und bedienen im Internet und bei Bürgerversammlungen die Ressentiments derer, die sich bis dahin dem gesellschaftlichen Tabu allzu offener Menschenfeindlichkeit unterworfen haben. Gegenargumente und Rufe zur Besonnenheit werden dann, mit dem Verweis auf “Volkes Stimme”, niedergeschrien, und als Lösung des Problems wird, wie in Rackwitz oder Berlin-Hellersdorf, schon mal das Niederbrennen der betreffenden Gebäude angeboten.
Diese Proteste sind, in all ihrer Widerwärtigkeit, leider nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs. Der strukturelle und institutionelle, der alltägliche Rassismus, der die Praxis der sogenannten Ausländerbehörden bestimmt, ist die Grundlage für das, was in Greiz, in Luckenwalde, in Essen, was gerade überall in Deutschland geschieht. Menschen, die in Deutschland um Asyl bitten, werden in alte Schulen, verlassene Kasernen, an entlegene Orte geschafft. Mit Unterkünften, die Gefängnissen gleichen, wird klar gemacht, dass man hier alles andere als willkommen ist. Dass sich die autochthone Bevölkerung, mit ihrem kleinstädtischen Charakter in Kopf und Vorgarten, gegen diese Menschen wendet, ist dabei vielleicht gewünschter, mindestens aber geduldeter Nebeneffekt. Alternative Konzepte wie die dezentrale Unterbringung oder gar ein selbstbestimmtes Wohnen schon während des Asylverfahrens kommen so selten oder nie zur Anwendung. Zu groß scheint die Gefahr, dass sich andere Menschen mit den Geflüchteten anfreunden, ihnen Rechtsbeistand verschaffen, versuchen ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen, kurz sich mit ihnen solidarisch zeigen.
In der Gesamtheit der Vorgänge, die sich gegen Asylsuchendenheime richten, zeigt sich ein unverkennbares Bedrohungspotential. Ob als Brandanschlag, als Demonstration und Fackelmarsch, oder in Form von Politiker_innen, die von Kapazitätsgrenzen und unzumutbaren Belastungen reden: Überall da wo sich ein Anlass bietet, bricht sich im Jahr 2013 die hässliche Fratze des Rassismus bahn. Und angesichts der Menge und der Artikulationsformen kommen wir kaum umhin, Parallelen zu den 1990er Jahren der Nachwendezeit zu ziehen, als anfängliche Proteste sich zu einem Flächenbrand entwickelten und schließlich in den Pogromen und tödlichen Brandanschlägen von Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen, Mölln, Leipzig und all den anderen Städten mündeten. Und deren Ergebnis die faktische Abschaffung des Asylrechts war. Ganz ähnlich dem, was gerade zu befürchten ist, wenn Sachsens Innenminister Markus Ulbig, als Reaktion auf die rassistischen Proteste, sich für eine restriktivere Handhabung des Asylverfahrens stark macht, und sich damit wieder einmal dem Druck der Straße beugt.
So wichtig es ist, in Schneeberg ein deutliches und konsequentes Zeichen gegen den rassistischen Mob zu setzen, um zu verhindern, dass das Schneeberger Beispiel Schule macht und sich die aktuelle Situation endgültig zu einem Flächenbrand entwickelt: Wir dürfen dabei nicht stehen bleiben! Unser Kampf muss all jenen gelten, die – ob in den Amtsstuben mit dem Stempel oder auf der Straße mit der Fackel in der Hand – den Einzelnen ihre Chance auf ein gutes Leben verweigern wollen. Aus diesem Grund rufen wir für Samstag, den 16. November 2013 zu einer bundesweiten Demonstration nach Schneeberg auf. Um uns dem rassistischen Mob in den Weg zu stellen. Und um deutlich zu machen, dass wir einer weiteren Verschärfung des Asylrechts nicht tatenlos zusehen werden.
Deshalb fordern wir selbstbestimmtes Wohnen für Asylsuchende und ein Bleiberecht für Alle! Die bundesweite Abschaffung der Residenzpflicht, des Arbeitsverbots und des Gutscheinzwangs. Ein Ende der Kriminalisierung von Antirassist_innen und der Solidaritätsarbeit. Eine deutliches Zeichen der Solidarität mit allen Geflüchteten und Schluss mit der rassistischen Hetze!
Bundesweite Demonstration
Samstag, 16.11.2013, 15:00 Uhr
Kobaltstraße Ecke Karlsbader Straße
Schneeberg/ Sachsen
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http://blog.katrin-roenicke.net/?p=2599#more-2599
stelle ich mal wieder fest, was für ein alter Dinosaurier ich bin. Wenn in meiner Firma die Laptops durch Touchscreengeräte ersetzt werden wird es für mich Zeit zu kündigen. Für die ganze Scheiße bin ich entschieden zu alt. Ach, was waren das für Zeiten, als man das ping-Signal senden musste um Online gehen zu können;-)
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Breite Solidarität mit “Lampedusa in Hamburg” – Tausende Demonstrieren für Flüchtlinge
Meldung vom Sonntag den 3.11.2013 - Abgelegt unter: Aktuelles
Mehrere Tausend Menschen haben am Sonnabend in der Hamburger Innenstadt friedlich gegen die EU-Flüchtlingspolitik und für ein Aufenthaltsrecht der sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge demonstriert. Neben einem breiten Unterstützerkreis hatten auch Pro Asyl und die Landesflüchtlingsräte zu der Kundgebung aufgerufen. Die rund 10.000 Demonstranten forderten ein Bleiberecht für die 300 afrikanischen Flüchtlinge, die sich seit Mai in der Hansestadt aufhalten. Die Protestaktion ist damit eine der größten der vergangenen Wochen. Der Zug war so lang, dass er beinahe um die ganze Binnenalster herum reichte – ein starkes Signal für den Flüchtlingsschutz und gegen die Ignoranz der europäischen Politik gegenüber dem andauernden Sterben im Mittelmeer.
Die vornehmlich aus Westafrika stammenden Männer lebten und arbeiteten vor ihrer Flucht in Libyen, wo sie nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs der “Kollaboration” mit dem syrischen Regime bezichtigt wurden und 2011 über die Insel Lampedusa nach Italien flohen. Im März dieses Jahres kamen sie nach Hamburg, nachdem Italien sie zwar anerkannt und mit einem Aufenthaltsrecht versehen, ihnen eine Wohnung und Existenzsicherung aber verweigert hatte.
Damit ist “Lampedusa in Hamburg” zu einem Symbol für eine nicht funktionierende europäische Flüchtlingspolitik geworden. Rund 80 der Flüchtlinge haben seit Juni 2013 Unterschlupf in der St. Pauli Kirche gefunden. Die meisten Flüchtlinge, deren befristete Aufenthaltserlaubnis für Italien inzwischen mehrheitlich abgelaufen ist, wehren sich gegen die Forderung der Innenbehörde, ihren Namen zu nennen und ihre Fluchtgeschichte zu erzählen. Sie haben Angst, weil der Hamburger Senat ihnen bislang jede Aufenthaltsperspektive verweigert, und wollen als Gruppe ein Aufenthaltsrecht bekommen. Lediglich 10 bis 15 der in der St. Pauli Kirche untergekommenen Flüchtlinge haben daher den Forderungen des Senats bislang entsprochen. Ein Sprecher der Gruppe erinnerte auf der Demo daran, wer für ihre Flucht nach Deutschland verantwortlich ist, und verlangte eine humanitäre Lösung. Er appellierte an die europäischen Staaten: „Hört endlich auf, in Afrika Kriege zu führen und Waffen zu liefern. Wenn ihr etwas tun wollt, schickt Bildung nach Afrika.“ Diese Kritik unterstützte die Vorsitzende des Flüchtlingsrats, meine liebe Mitstreiterin Dr. Gisela Penteker, die in ihrer Rede im Namen der Flüchtlingsräte unter anderem ausführte:
“(…) Niemand bestreitet, dass unser Wohlstand in Europa zulasten der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern gesichert wird. Die Politik stützt korrupte Regime und verkauft ihnen Waffen. Die Regeln des Welthandels zerstören die Lebensgrundlagen in Afrika und anderswo. Die derzeitige Entwicklungshilfe ist ein scheinheiliges dürftiges Mäntelchen, das den Schaden nicht mal verdeckt. Bis sich daran etwas ändert, dauert es viel zu lang, hören wir. Das stimmt, aber jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Bis sich die Bedingungen ändern, werden sich weiterhin viele Menschen auf den Weg machen, ein besseres Leben und Sicherheit für sich und ihre Familien zu suchen. Das ist kein Verbrechen.
Europa muss gefahrenfreie Wege für Flüchtlinge öffnen. Visa müssen eine legale Einreise ermöglichen, die Resettlementverfahren müssen ausgebaut werden. Flüchtlinge müssen aus Seenot gerettet und Schiffsbesatzungen für die Rettung nicht länger bedroht und bestraft werden. Flüchtlinge dürfen in Europa nicht länger hin- und her geschoben werden und auch nicht auf dem Abstellgleis mit Arbeitsverbot, Residenzpflicht und anderen Restriktionen landen.
Wir arbeiten dafür, dass Schutzsuchende in Deutschland und Europa Schutz finden, wie es in der Verfassung garantiert ist, und ein Leben in Würde führen können. Lampedusa in Hamburg und anderswo könnte eine Initialzündung sein.”
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Landeszeitung Lüneburg: Flüchtlingswelle ist nur ein Rinnsal / Kai
Weber, Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrates: Absurd
verengte Zuwanderungsdebatte
31 October 2013
Lüneburg (ots) – Weltweit werden die Grenzen dichtgemacht. Ein Zaun
trennt Erste und Dritte Welt zwischen den USA und Mexiko. Australien
vertrat in den 1990er-Jahren – und jetzt auch wieder – die “Pazifische
Lösung”, also die Abdrängung von Flüchtlingsbooten auf hoher See. Kai
Weber, Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrates, meint:
“Europa macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, wenn
Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken.”
Die UNO hat nach Lampedusa die Einwanderungspolitik der EU hart
kritisiert. Fällt der EU nichts anderes ein als die Zugbrücke hochzuziehen?
Kai Weber: Es sieht so aus. Wir hoffen zwar, dass wir eine
grundsätzliche Änderung erleben dürfen, also eine Politik, die die Augen
nicht schließt, sondern die Not lindert. Aber es ist zu befürchten, dass
die EU sich dazu nicht aufraffen kann. Seit längerem ist das Mittelmeer
eines der bestbewachten Meere der Welt. Kaum eine Bewegung bleibt
unbemerkt. Trotzdem ertranken und verhungerten Hunderte von Menschen
unter den Augen von Frontex. Es gab zwar Strafverfahren, doch diese
verlaufen im Sand, weil sich wegen der Informationspolitik der Agenten
des Grenzregimes die Verantwortlichen letztendlich nicht identifizieren
lassen. Das, was dort passiert, erfüllt den Straftatbestand der
unterlassenen Hilfeleistung.
Wer profitiert von der Abschottung der Grenzen?
Weber: Die EU verfolgt nicht das Ziel, Menschen umzubringen. Die EU hat
ein Interesse daran, die Kontrolle über die Struktur der Zuwanderung zu
behalten. Wir haben zum Beispiel in Deutschland 2012 eine Zuwanderung
von 1,08 Millionen Menschen gehabt. Davon waren 77·000 Flüchtlinge. Das
heißt, nur 7,1 Prozent der Zuwanderer waren Asylsuchende. Die Debatte
wird allerdings auf eine absurde Weise auf eben diese Minderheit
verengt. Das Gros der Zuwanderer sind ganz andere Gruppen. Das sind
Personen, die aus wirtschaftlichen Gründen erwünscht sind; das sind
Menschen, die im Rahmen des Familiennachzugs einwandern. Die
ungesteuerte Zuwanderung soll begrenzt, ja sogar bekämpft werden. Hier
müssen wir zu einem Umdenken kommen, weil davon letztendlich nur die
Schlepper profitieren. Es liegt auf der Hand, dass der Schnitt der
Flüchtlinge nicht das Maß an Bildung und beruflichen Fertigkeiten
mitbringt, das eine gezielte Auswahl unter den Zuwanderern erbringen
würde. Wir sollten unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen wahren,
indem wir die Fähigkeiten auch der Flüchtlinge frühzeitig fördern,
müssen aber gleichzeitig akzeptieren, dass wir ihnen auch humanitär
verpflichtet sind und manche dauerhaft Hilfe brauchen werden.
Müsste der alternde alte Kontinent nicht ein Interesse am Zuzug junger,
hochmotivierter Menschen haben?
Weber: Sicher. Und das passiert auch massenhaft. So hat Deutschland 2012
um die 180·000 junge Menschen aus Polen aufgenommen. Das wurde nicht
thematisiert, weil diese Zuwanderer uns nützen. Da fragt auch niemand,
was dieser Abfluss von fähigen Menschen aus der polnischen Gesellschaft
macht. Diese Zuwanderung wird begrüßt und also geräuschlos organisiert.
Die sehr viel weniger Asylsuchenden werden eigentlich nur deswegen
bemerkt, weil es bürokratische Formen gibt, diese Einwanderung sichtbar
zu machen. Hier sind der Flaschenhals der Erstaufnahmeeinrichtungen zu
nennen und Engpässe im Unterbringungsverfahren, die an neuralgischen
Punkten Probleme entstehen lassen. Man könnte hier vieles erleichtern,
wenn man die Tore ein wenig weiter öffnen würde und die bestehenden
Gesetze liberaler handhaben würde – auch bei der Teilhabe von
Flüchtlingen. Nach wie vor dürfen sie in den ersten vier Jahren nicht
oder nur eingeschränkt arbeiten, erhalten keinen Zugang zu Integrations-
und Sprachkursen. Diese Politik, Flüchtlinge zu isolieren, ist
anachronistisch. Die Kosten einer nachholenden Integration nach
mehrjährigem Aufenthalt sind entsprechend hoch. Ein afghanischer Arzt,
der erst nach fünf Jahren unsere Sprache erlernen darf, wird nicht
umstandslos auf dem Arbeitsmarkt Erfolg haben. Der kann auch nicht
einfach zurückgehen und helfen, sein Land wieder aufzubauen, wie es so
oft gefordert wird. Sowohl die Integration in Deutschland als auch die
Re-Integration im Herkunftsland setzen voraus, dass die Menschen
permanent lernen und nicht aus dem Prozess der Beschäftigung und des
Qualifizierens herausgerissen werden.
Sind Ihre Hoffnungen auf eine Kehrtwende in der Asylpolitik durch den
Regierungswechsel in Niedersachsen erfüllt worden?
Weber: Es hat einige positive, grundsätzliche Veränderungen gegeben, die
wir begrüßen. Aber noch fehlt eine organisierte Politik des
Willkommenheißens und der Integration der Flüchtlinge. Wir wünschen uns,
dass die Kommunen entsprechende Konzepte entwickeln, wie es sie etwa für
Aussiedler auch gibt. Das Land hat die Pauschalen, die den Kommunen
gezahlt werden, zwar erhöht, aber sie decken die Kosten noch nicht.
Allerdings haben die Kommunen die Chance, in die Menschen zu
investieren: Jeder Flüchtling, der seine beruflichen Fähigkeiten nutzen
und entwickeln darf, sich in die Gesellschaft einbringt und arbeitet,
verwandelt sich von einem Hilfeempfänger zum gewinnbringenden Mitglied
der Kommune. Einige Städte gehen hier voran: Bad Hersfeld etwa. Gute
Ansätze für ein Unterbringungs- und Aufnahmekonzept entwickeln auch
Osnabrück und Hannover. Dazu zählt auch, dass Flüchtlinge aus
Sammelunterkünften in eigene Wohnungen ziehen dürfen. Das würde den
Lagerkoller unterbinden.
Rechtspopulistische Bewegungen profitieren von der verbreiteten Angst
vor einer gewaltigen Flüchtlingswelle. Ist dieses Gefühl gerechtfertigt?
Weber: Diese Welle ist eigentlich nur ein Rinnsal, gemessen an der
Gesamtzuwanderung. Deutschland ist wie kein anderes europäisches Land
auf Migration angewiesen. Ministerin von der Leyen hat es deshalb jüngst
als “Glücksfall” bezeichnet, dass im Vorjahr 300·000 Menschen als
Migrationsüberschuss in Deutschland geblieben sind. Rund einer Million
Zuwanderern standen 700·000 Auswanderer gegenüber. Noch 2008 hatten wir
eine Netto-Abwanderung von Menschen. Flüchtlingspolitik lässt sich wegen
des humanitären Anspruchs nicht in Gänze unter Migrationsökonomie
fassen. Europa sollte etwa denjenigen stärker helfen, die dem
furchtbaren Bürgerkrieg in Syrien entkommen wollen.
Wie verhält sich der Anstieg der Flüchtlingszahlen gegenüber den Zahlen
von Anfang der 90er-Jahre?
Weber: Wir erwarten für dieses Jahr rund 100·000 Flüchtlinge. Auf dem
Höhepunkt 1992 hatten wir 438·000 Flüchtlinge. Es liegt auf der Hand,
dass die Kommunen nicht jahrzehntelang Wohnraum leer stehen lassen
konnten, obwohl sie wissen konnten, dass auch einmal wieder mehr
Flüchtlinge kommen würden. Zudem hatte die alte Landesregierung
signalisiert, alle Flüchtlinge in den landeseigenen Lagern lassen zu
wollen. In der Folge kommt es nun in einigen Städten zu Engpässen, die
nun kurzfristig organisiertes Verwaltungshandeln erfordern, aber keine
grundsätzliche Überforderung darstellen.
Lösen Auffanglager und Einkaufsgutscheine Probleme oder schaffen sie welche?
Weber: Zig Untersuchungen belegen, dass das Leben im Lager eine
eigenständige Lebensführung verhindert und zu Folgeschäden führt. Dass
Menschen, die widrigsten Umständen trotzten und sich durchgekämpft
haben, todunglücklich sind in Lagern, in denen das Arbeiten verboten
wird und in denen ihnen sogar das Kochen abgenommen wird, ist klar.
Dösen und Warten ist eine Strafe, das dequalifiziert die Menschen. Die
Gutscheine waren seit jeher ein Mittel der Abschreckung und wir sind
froh, dass wir dieses Kapitel so gut wie beendet haben. Nur Vechta hält
noch an den Gutscheinen fest.
Deutschland kann nicht alle Flüchtlinge der Welt schultern. Könnte es
aber mehr Menschen von der Flucht abhalten, indem es in taumelnden
Staaten präventive Sicherheitspolitik betreibt?
Weber: Es wäre schon viel gewonnen, wenn die europäische Außen- und
Wirtschaftspolitik nicht im Ergebnis dazu führt, dass die
Lebensgrundlagen der Menschen in den Herkunftsländern zerstört werden,
wie dies etwa für die industrielle Fischerei in großen Trawlern vor
afrikanischen Küsten nachgewiesen werden kann. Verschärfend wirken die
Wirtschaftsabkommen, mit denen die Europäische Union (EU) die
rohstoffreichen Länder zwingt, ihre Handelsbedingungen zu liberalisieren
und Exportsteuern abzuschaffen. Eine an der Erhaltung der
Subsistenzwirtschaften und Verbesserung der Lebensbedingungen
orientierte Ausgestaltung der Wirtschaftsbeziehungen zu Ländern, aus
denen Flüchtlinge nach Europa fliehen, wäre insofern langfristig eine
sinnvolle Orientierung. Die Menschen begeben sich auf die Flucht, wenn
sie nicht mehr weiter wissen. Oft bleibt ihnen keine andere Option, und
der Bürgerkrieg in Syrien lässt sich auch nicht kurzfristig beenden.
Aber es gibt Handlungsmöglichkeiten: Wer etwa sieht, wie Roma in Serbien
leben, ohne Bildung, in Slums ohne fließendes Wasser, ohne Heizung, der
kann ihnen keinen Missbrauch vorwerfen, wenn sie hierher kommen.
Natürlich muss man hier Perspektiven zur Teilhabe in der serbischen
Gesellschaft eröffnen. Dies erfordert auch eine kulturelle Sensibilität
im Umgang mit Menschen, die seit Jahrhunderten darin erprobt sind, sich
in der Randständigkeit einzurichten. Um hier etwas bewirken zu können,
bedarf es einer langfristigen Perspektive.
Gibt es die Einwanderung in das deutsche Sozialsystem insbesondere vom
Balkan?
Weber: Das ist von Innenminister Friedrich eine böswillige Formulierung
des richtigen Sachverhalts, dass Menschen Angst haben, zu erfrieren,
dass sich nicht wissen, wovon sie ihre Kinder ernähren sollen. Auch die
meisten Roma wollen arbeiten. Und wenn sie es könnten, würden sie es
tun. So haben wir unter den Gastarbeitern aus dem ehemaligen Jugoslawien
eine Vielzahl von Roma, die sich längst eingefügt haben.
Europa war Jahrhunderte lang ein Kontinent, der Flüchtlinge exportierte.
Hat die Wohlstandsinsel vergessen, dass Europäer einst überall Zuflucht
fanden?
Weber: Die Erinnerung an Deutschland als Auswanderungsland lebt nicht
mehr. Was aber noch virulent ist bei vielen Menschen, ist die Erfahrung
der Vertreibung. Mindestens in jeder dritten Familie gibt es Menschen,
die aus den deutschen Ostgebieten stammen. Sie haben die Erfahrung von
feindseliger Ablehnung, Missgunst, Aggressivität bis hin zu Rassismus am
eigenen Leibe erfahren. Viele von denen identifizieren sich heute mit
den Betroffenen, haben deshalb Mitleid. Andere ziehen die Grenze umso
strikter. Nach dem Motto: Wir gehören jetzt dazu und wollen mit den
Neuen nicht verwechselt werden. Ähnliches erleben wir auch bei
Migrantenfamilien, die ihren mühsam erarbeiteten Status durch die
Asylbewerber gefährdet wähnen. Hier der eigenen Verantwortung gerecht zu
werden, verlangt, sich der eigenen Geschichte bewusst zu sein.
Das Interview führte Joachim Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de
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364 Tote, 26 Vermisste. Das ist die schockierende Bilanz der jüngsten Tragödie im Mittelmeer, wo am 3. Oktober 2013 ein Flüchtlingsboot mit 500 Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa kenterte. Das Ereignis löste einen Aufschrei in Politik und Medien aus – endlich. Denn seit Jahr-zehnten ist klar, dass solche Katastrophen keine Einzelfälle sind. Nur neun Tage später kenterte erneut ein Boot vor der maltesischen Küste, 34 Menschen starben. Und nicht nur das Mittelmeer wird für viele Migrant_innen zur tödlichen Endstation: Auch im Osten, beispielsweise in der Evroz- Region zwischen Griechenland und der Türkei, sterben seit Jahren Menschen auf der gefährlichen Flucht.
Anstatt endlich die europäische Migrationspolitik grundlegend zu überdenken, fordert die Politik eine weitere Aufrüstung und Militarisierung der Außengrenzen der Europäischen Union. Der Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, weitere High-Tech Überwachung mit dem System Eurosur und noch stärkere Kontrollen sollen nun helfen Menschenleben zu retten. Doch was hier als Lösung verkauft wird, ist vielmehr Ursache des Problems. Die Idee, man könne Migration durch Abschreckung verhindern, sollte längst widerlegt sein. Die Migration passt sich stattdessen den Abwehrstrategien an und findet unter immer neuen Vorzeichen statt. Die verstärkte Überwachung mit bewaffneten Patrouillen, Drohnen und Satelliten sorgt erst dafür, dass immer gefährlichere Fluchtwege gesucht werden müssen. Die Aufrüstung der Grenze bedeutet dann vor allem eins: Lebensgefahr!
Und auch die verteufelten „Schleuser“-Netzwerke sind nicht die Ursache, sondern vielmehr Folge der Abwehrpolitiken. Auf Fluchthilfe und lebensbedrohliche Routen muss überhaupt erst zurückgegriffen werden, weil eine legale und ungefährliche Einreise in die EU mit allen Mitteln zu verhindern versucht wird. Dazu beginnt die Abschottung mittlerweile weit vor den Toren Europas. Durch Druck der EU auf angrenzende Nachbarstaaten wird die europäische Grenze immer weiter vor verlagert. In Transitstaaten wie Marokko, Tunesien oder Libyen werden Migrant_innen schon auf dem Weg nach Europa inhaftiert, misshandelt und in die Wüste geschickt.
Wer es dennoch bis Europa schafft, erreicht die nächste Hürde: die Dublin 2-Verordnung. Diese besagt auf Grundlage des „Verursacherprinzips“, dass der europäische Staat, den ein Flüchtli12ng zuerst betritt, zuständig für dessen Asylverfahren ist. Migrant_innen wird damit untersagt ihr Ziel wählen zu können, durch innereuropäische Abschiebungen werden sie zum Spielball des Systems und irren oft jahrelang ohne Perspektive in Europa umher. Das Einwanderungsgeschehen wird mit Dublin 2 an die Ränder Europas gedrängt. Die Zustände, die dadurch entstehen. sind katastrophal und menschenunwürdig. In Italien sind Asylsuchende mit Obdachlosigkeit und extremer Armut konfrontiert, in Ungarn erwartet viele monatelange Haft und in Griechenland ist es seit Jahren kaum mehr möglich überhaupt Asyl zu beantragen.
All dies sind keine vorübergehenden Schwächen, sondern offenbaren ein System, das von Grund auf nicht funktioniert. Das beweisen auch die massiven Proteste von Asylsuchenden in Hamburg, Berlin, München und andernorts. Auch hier reagiert die Politik mit Ignoranz und Kleinreden, anstatt endlich den Dialog aufzunehmen und Veränderungen auf den Weg zu bringen.
Lampedusa ist nicht in Rom zu verantworten, sondern in Berlin und Brüssel, wo die Grundlagen des menschenfeindlichen Umgangs mit Flüchtlingen geschaffen wurden. Die Lehre aus Lampedusa muss in einem grundlegenden Richtungswechsel der europäischen Migrationspolitik bestehen, um endlich das zu tun, wofür sie da ist: Menschen zu schützen und Migration zu ermöglichen.
Frontex muss abgeschafft werden! Frontex dient nicht dem Schutz der Migrant_innen, sondern vielmehr dem Schutz der „Festung Europa“ und befördert das Massensterben an den Außengrenzen!
Dublin 2 muss abgeschafft werden! Es treibt die Menschen in die Verelendung und menschen- unwürdige Zustände in den Staaten an den EU- Außengrenzen!
Fluchtwege müssen geöffnet und legale Einwanderung, auch ins Zentrum Europas, muss ermöglicht werden.
Der Schutz und nicht die Abwehr von Geflüchteten muss im Vordergrund stehen!
Demonstration : Samstag, 2. November 2013, 14 Uhr Hamburg, Hauptbahnhof
Zu gemeinsamen Abfahrt zur Demo treffen wir uns um 9:45 am Bhf in Göttingen
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