Mittwoch, 1. Dezember 2021
Enzephalopathie bei COVID-19: Mögliche Pathomechanismen und Therapieoptionen
che2001, 13:27h
Dr. Linda Fischer
Enzephalopathien machen fast 50% der neurologischen Auffälligkeiten bei COVID-19-Erkrankten aus. Doch welche Prozesse könnten hinter den Enzephalopathien stecken? Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) ging Prof. Dr. Julian Bösel, Chefarzt der Neurologie in Kassel und amtierender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Intensivmedizin auf mögliche Pathomechanismen und Therapieoptionen ein.
Neuroinflammatorische Prozesse scheinen bei den Pathomechanismen eine Rolle zu spielen. So zeigten etwa Liquor-Analysen zweier Studien mit 30 und 10 COVID-19-Erkrankten mit unterschiedlichen neurologischen Manifestationen, dass Autoantikörper gegen neuronale und gliale Angriffspunkte gebildet wurden.
Einen diagnostischen Hinweis zur Pathophysiologie zeigten zudem Forschende im Rahmen der 18F-FDG-PET-Studie: Ein Hypermetabolismus frontoparietal bildete sich über Monate nur langsam zurück. Zudem wirkt er sich womöglich auf Komponenten des Post-Covid-Syndroms aus. Eine weitere Studie fand per Magnetresonanztomographie die Endotheliitis als einen potentiellen vaskulären Mechanismus hinter einer Enzephalopathie.
Wie häufig ist eine Enzephalopathie?
Doch wie häufig kommt es bei COVID-Erkrankten überhaupt zu einer Enzephalopathie? Von den vielen Kohortenstudien dazu greift Bösel 2 heraus: In einer großen gepoolten Datenanalyse fanden Chou et al. aus über 3700 untersuchten COVID-Erkrankten aus einem weltweiten und einem europäischen Register (GCS-NeuroCOVID und ENERGY) bei knapp 700 neurologische Auffälligkeiten. Die Enzephalopathie war mit 49% die häufigste dieser Auffälligkeiten und eine Neuro-Manifestation war mit einer 6-fach erhöhten Krankenhausmortalität assoziiert.
In der zweiten Studie untersuchte ein Autorenteam prospektiv systematisch und unter Verwendung strenger Diagnosekriterien über 3 Monate etwa 4.500 COVID-Erkrankte in New Yorker Zentren. Sie fanden Neuro-Manifestation bei 13,5% und Enzephalopathien bei 6,8%. Eine Manifestation war assoziiert mit erhöhter Krankenhausmortalität und einer reduzierten Wahrscheinlichkeit nach Hause entlassen werden zu können.
Immunmodulatorische Therapie
Enzephalopathien können immunmodulatorisch behandelt werden. Das zeigen Ergebnisse einer im Jahr 2020 veröffentlichten retrospektiven Fallserie. Forschende untersuchten hier die Wirksamkeit von IVIG (Intravenöse Immunglobuline) 0,4 g/kg über 3 bis 5 Tage bei insgesamt fünf COVID-19-Erkankten mit einer etwa 12 Tage nach Krankheitsbeginn aufgetretenen Enzephalopathie. Diese Behandlung führte zu klinischer Verbesserung und besseren Ergebnissen der Elektroenzephalographie, ohne Nebenwirkungen.
Bösel betont, dass es zunehmend Berichte zum Einsatz von Plasmapherese, IVIGs, Steroiden, und Tocilizumab gibt. Sie seien vielversprechend ? allerdings existieren bisher keine richtigen Therapie-Studien.
Intensivneurologie: Keine Antikoagulation ohne triftigen Grund
Zur Intensivneurologie geht Bösel auf 2 Leitlinien ein: zum einen die aktualisierte S3-Leitlinie der DIVI und DGIIN zur stationären Behandlung. Sie enthält laut Bösel ein gutes Stufenschema zur Beatmung mit dem relevanten Hinweis, dass bei Intensivpatientinnen und -patienten ohne triftigen Grund keine Antikoagulation empfohlen wird.
Zum anderen hebt er die Quintessenz der DGN Leitlinie NeuroIntensivmedizin hervor: Bei dominierend pulmonalen Intensivpatienten sind die Neuro-Manifestationen oft maskiert. Sie müssen folglich aktiv gesucht werden. Die Betroffenen müssen invasiv beatmet werden mit teilweise hohem PEEP (positiv-endexpiratorischer Druck).
Das kann wiederum den mittleren arteriellen Druck und damit den zerebralen Perfusionsdruck reduzieren oder auch gleichzeitig den intrakraniellen Druck steigern. Droht dies oder ist eine andere zerebrale Gefährdung zu befürchten, sollte der Patient einem Neuromonitoring oder einer Bildgebung, mitunter auch prophylaktisch, unterzogen werden.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de
Enzephalopathien machen fast 50% der neurologischen Auffälligkeiten bei COVID-19-Erkrankten aus. Doch welche Prozesse könnten hinter den Enzephalopathien stecken? Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) ging Prof. Dr. Julian Bösel, Chefarzt der Neurologie in Kassel und amtierender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Intensivmedizin auf mögliche Pathomechanismen und Therapieoptionen ein.
Neuroinflammatorische Prozesse scheinen bei den Pathomechanismen eine Rolle zu spielen. So zeigten etwa Liquor-Analysen zweier Studien mit 30 und 10 COVID-19-Erkrankten mit unterschiedlichen neurologischen Manifestationen, dass Autoantikörper gegen neuronale und gliale Angriffspunkte gebildet wurden.
Einen diagnostischen Hinweis zur Pathophysiologie zeigten zudem Forschende im Rahmen der 18F-FDG-PET-Studie: Ein Hypermetabolismus frontoparietal bildete sich über Monate nur langsam zurück. Zudem wirkt er sich womöglich auf Komponenten des Post-Covid-Syndroms aus. Eine weitere Studie fand per Magnetresonanztomographie die Endotheliitis als einen potentiellen vaskulären Mechanismus hinter einer Enzephalopathie.
Wie häufig ist eine Enzephalopathie?
Doch wie häufig kommt es bei COVID-Erkrankten überhaupt zu einer Enzephalopathie? Von den vielen Kohortenstudien dazu greift Bösel 2 heraus: In einer großen gepoolten Datenanalyse fanden Chou et al. aus über 3700 untersuchten COVID-Erkrankten aus einem weltweiten und einem europäischen Register (GCS-NeuroCOVID und ENERGY) bei knapp 700 neurologische Auffälligkeiten. Die Enzephalopathie war mit 49% die häufigste dieser Auffälligkeiten und eine Neuro-Manifestation war mit einer 6-fach erhöhten Krankenhausmortalität assoziiert.
In der zweiten Studie untersuchte ein Autorenteam prospektiv systematisch und unter Verwendung strenger Diagnosekriterien über 3 Monate etwa 4.500 COVID-Erkrankte in New Yorker Zentren. Sie fanden Neuro-Manifestation bei 13,5% und Enzephalopathien bei 6,8%. Eine Manifestation war assoziiert mit erhöhter Krankenhausmortalität und einer reduzierten Wahrscheinlichkeit nach Hause entlassen werden zu können.
Immunmodulatorische Therapie
Enzephalopathien können immunmodulatorisch behandelt werden. Das zeigen Ergebnisse einer im Jahr 2020 veröffentlichten retrospektiven Fallserie. Forschende untersuchten hier die Wirksamkeit von IVIG (Intravenöse Immunglobuline) 0,4 g/kg über 3 bis 5 Tage bei insgesamt fünf COVID-19-Erkankten mit einer etwa 12 Tage nach Krankheitsbeginn aufgetretenen Enzephalopathie. Diese Behandlung führte zu klinischer Verbesserung und besseren Ergebnissen der Elektroenzephalographie, ohne Nebenwirkungen.
Bösel betont, dass es zunehmend Berichte zum Einsatz von Plasmapherese, IVIGs, Steroiden, und Tocilizumab gibt. Sie seien vielversprechend ? allerdings existieren bisher keine richtigen Therapie-Studien.
Intensivneurologie: Keine Antikoagulation ohne triftigen Grund
Zur Intensivneurologie geht Bösel auf 2 Leitlinien ein: zum einen die aktualisierte S3-Leitlinie der DIVI und DGIIN zur stationären Behandlung. Sie enthält laut Bösel ein gutes Stufenschema zur Beatmung mit dem relevanten Hinweis, dass bei Intensivpatientinnen und -patienten ohne triftigen Grund keine Antikoagulation empfohlen wird.
Zum anderen hebt er die Quintessenz der DGN Leitlinie NeuroIntensivmedizin hervor: Bei dominierend pulmonalen Intensivpatienten sind die Neuro-Manifestationen oft maskiert. Sie müssen folglich aktiv gesucht werden. Die Betroffenen müssen invasiv beatmet werden mit teilweise hohem PEEP (positiv-endexpiratorischer Druck).
Das kann wiederum den mittleren arteriellen Druck und damit den zerebralen Perfusionsdruck reduzieren oder auch gleichzeitig den intrakraniellen Druck steigern. Droht dies oder ist eine andere zerebrale Gefährdung zu befürchten, sollte der Patient einem Neuromonitoring oder einer Bildgebung, mitunter auch prophylaktisch, unterzogen werden.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de
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