Donnerstag, 13. August 2009
Rückblick nach 2004
che2001, 14:31h
So analysierte ein kluger Mensch damals die Wirtschaftsstrategien der Herrschenden. Was sagt uns das heute?
"Applaus auf dem Zauberberg
Die Manager kündigen den Gesellschaftsvertrag
In Deutschland ist in diesem Jahr mehr passiert, als wir selbst im Lande wahrgenommen haben!" So beschrieb der Schweizer Thomas Straubhaar, Chef des von Steuergeld abhängigen Hamburger Weltwirtschafts Archivs, die derzeitige Lage und frohlockte, nun sei auch das Tarifkartell der Gewerkschaften de facto gesprengt worden. Tatsächlich sind die Tarifverträge nur noch für 7,9 Millionen Beschäftigte gültig, über 30 Millionen Arbeitnehmer fallen durch sogenannte Öffnungsklauseln aus den Verträgen heraus und arbeiten unter Tarif oder im Niedriglohnsektor. Hartz IV und die Arbeitsmarktreformen haben auch den Geschmack der französischen, italienischen und britischen Manager getroffen, die Deutschland in einer Umfrage gute Noten gaben. Deutschland ist wieder Vorbild im Europa der Manager, und im Index der globalen Wettbewerbsfähigkeit des World Economic Forum eroberte Deutschland den sechsten Rang dank der hohen Leistungsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Aber worin bestand diese Leistung? Die deutschen Konzerne haben im vergangenen Jahr soviel verdient wie noch nie, die Firmen des Frankfurter Börsenindex DAX haben gegenüber dem vorhergehenden Jahr 60 Prozent mehr verdient, und die Dividendenzahlungen wurden um 40 Prozent erhöht und lagen damit fast gleichauf mit zehnjährigen Bundesanleihen: "Das hat es noch nie gegeben", schrieb das Handelsblatt. Dass die Manager der deutschen Unternehmen trotz anhaltender Konsumschwäche ein solches Ergebnis erreichten, hat ihnen die Bewunderung der Kollegen eingetragen und zu ihrer Anerkennung durch das Weltwirtschaftsforum in Davos geführt. Wie haben sie das geschafft?
Es waren nicht die klassischen Rezepte der Kunst des Managements, die auf dem Einsatz für die Entwicklung und Förderung der Stärken der ihnen anvertrauten Unternehmen beruhte, sondern es waren Mittel aus den Ausbildungsprogrammen der Business Schulen, die sich seit einiger Zeit in deutschen Konzernen ausbreiten.
Ein beliebtes Mittel aus dem Instrumentenkasten dieser Programme ist das Steuersparen durch Transferpricing, bei dem die Tochterfirmen in Niedrigsteuerländern überhöhte Rechnungen an ihre Muttergesellschaften in Deutschland ausstellen, wodurch die Gewinne bei den Töchtern, die Kosten bei den Muttergesellschaften entstehen. Der Wiesbadener Wirtschaftswissenschaftler Lorenz Jarass errechnete, dass die Deutsche Bank, BASF, DaimlerChrysler, Infineon, Post und Deutsche Telekom durch solche Gewinnverschiebungen ihre Steuern auf unter zwölf Prozent senken konnten. Den politischen Organen entzogen die deutschen Konzerne dadurch nach Schätzungen der Entwicklungsorganisation Weed im Jahre 2003 etwa 14 Milliarden Euro an Steuern.
Ein Mittel zur Gewinnerzielung bot auch die Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer. In den kommenden drei Jahren planen etwa zwanzig Prozent der deutschen Manager Standortverlagerungen, zumeist in die EU-Länder Ostmitteleuropas. Die verlagerten Arbeitsplätze bedrohen vor allem die Geringqualifizierten, machen bei der Mehrzahl der befragten Firmen (36 Prozent) allerdings nur zwischen ein und fünf Prozent aus, und bei einem kleinen Teil der Unternehmen (13 Prozent) zwischen zehn und zwanzig Prozent.Statt der umständlichen und kostspieligen Produktionsverlagerung eröffnet nun die EU-Dienstleistungsrichtlinie auch die Möglichkeit der Beschäftigung von Subunternehmern aus Niedriglohnländern, durch welche hier Arbeitskosten eingespart werden. 26 000 Fleischer haben nach Angaben des Spiegel inzwischen dadurch ihre Arbeit verloren, aber bisher ist noch weitgehend unklar, in welchem Umfang diese Möglichkeit genutzt wird, und niemand kann vorhersagen, welche politische Bedeutung dieser Tarifkrieg auf dem Arb eitsmarkt annehmen wird.
Das Hauptinstrument der neuen Manager ist jedoch die Reorganisation der Betriebe. 82 Prozent der befragten Manager deutscher Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern haben in den letzten zwei Jahren Reorganisationen durchgesetzt, in keinem anderen europäischen Land wurde dieses Mittel häufiger eingesetzt, und im kommenden Jahr planen die deutschen Manager weitere Reorganisationen. Zwei Drittel dieser Maßnahmen dienen der Kostensenkung und Verschlankung. Es geht dabei hauptsächlich um die Aussonderung von zu wenig profitablen Betriebsteilen (Outsourcing) und um Fusionen, also um die Reduzierung der Konkurrenz durch Übernahmen und die dadurch möglichen "Synergieeffekte", nämlich Entlassungen und Preissteigerungen. "Wenn die Rahmenbedingungen nicht in Ordnung sind, weil etwa die Konsumneigung nachlasse, suchen die Firmen ihr Heil in der Kostensenkung", erklärte Juan Rigall von der Unternehmensberatung Droege & Comp.
Im letzten Jahr haben Konzerne wie Siemens, Volkswagen, DaimlerChrysler oder Opel bei ihren Belegschaften Kostensenkungen über zusätzliche Arbeit ohne Lohn oder über Massenentlassungen nach verschiedenen Modellen durchgeführt, bei Opel fiel jede dritte Stelle weg. Und da sie angesichts der Lohnsenkungen und der verbreiteten Unsicherheit nicht mit einer steigenden Nachfrage rechnen, planen große deutsche Unternehmen auch in den kommenden Jahren weitere tiefe Einschnitte. "Bis Mitte 2005 wollen wir 450 Millionen Euro einsparen", sagte etwa der Leiter von BASF, Albert Heuser. Die von Droege & Company befragten heimischen Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern wollen sich im kommenden Jahr mit Investitionen und Neueinstellungen noch stärker zurückhalten.
In Deutschland wird also die Arbeitslosigkeit weiter steigen: die von den neuen Managern besetzten Konzerne werden weiterhin outgesourct und abgebaut, sie werden weiter Steuersenkungsprogramme von der Regierung fordern, und weitere Einsparungen an den Löhnen vornehmen, doch sie werden keine Arbeitsplätze schaffen. Die Gewinne werden also nicht in die Unternehmen reinvestiert, sondern verstärkt in kostspielige Fusionen gehen - 71 Prozent der Manager erwarteten auch in den nächsten drei Jahren Fusionen - oder werden an die Aktionäre als Dividenden ausgeschüttet. "Viele Firmen investieren weniger in Anlagen und Produkte und schütten ihre Gewinne an ihre Anteilseigner aus", sagte Andreas Hürkamp von der Landesbank Rheinland Pfalz. Es sind seiner Ansicht nach die Investmentfonds, welche die Unternehmen zu höheren Ausschüttungen drängen.
Was den Aktionären an Dividenden abgeliefert wurde, haben die deutschen Manager also nicht "am Markt" verdient, denn dort war das Geschäft trotz Exportbooms eher flau, sondern hauptsächlich aus dem Lohntopf abgeschöpft durch Reorganisationen und Lohneinsparungen.
Man kann also feststellen, dass die Massenentlassungen zu Gunsten der Aktionäre und der Investmentfonds stattfanden - und die deutschen Manager haben endlich das Niveau erreicht, das ihnen den Applaus der Managerkollegen, der Berater und Investmentbanker von Davos zuteil werden lässt, deren Schelte sie fürchteten und deren Bewunderung sie so lange ersehnt hatten.
Was ist das für eine neue Wirtschaftselite, die nach der Anerkennung der Versammlung der eitlen Männer auf dem Zauberberg von Davos giert? Was wissen wir über die Lenker der Kernorganisationen unserer Gesellschaft? Merkwürdigerweise widmet man diesen Fragen mitten in der demokratischen Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit, und kaum jemand weiß, wie sie auf ihre Positionen gelangen oder welche Ausbildung sie genießen. Einen Einblick in die Ausbildung und Denkweise unserer Wirtschaftseliten gewährt uns jetzt eine Studie des kanadischen Managementlehrers Henry Mintzberg, der die nordamerikanische Managerausbildung zum MBA (Master of Business Administration) untersucht hat ("Manager statt MBAs", Campus). Der MBA stellt eine Art Eintrittsbillett in die amerikanische Wirtschaftselite der Manager, Berater und Investmentbanker dar.
Der MBA ist das, was man im Fachjargon als "dominant Design" bezeichnet, eine Art Markenartikel, der auch weit über die USA hinaus marktbeherrschend ist und zu einer starken Vereinheitlichung "zwischen Boston und Bukarest" beigetragen hat. Die zweijährigen MBA-Lehrgänge beruhen auf einem standardisierten Lehrplan, auf einer etablierten Weltanschauung und werden durch den Verband der Business-Schulen reguliert. MBA-Lehrpläne stellen Budget, Finanzberichterstattung und Instrumente zur Kostenkontrolle in den Mittelpunkt. Die Lehre beruht auf einer Mischung aus Fallstudien und scholastisch mathematisierten Marktmodellen, losgelöst vom beruflichen Kontext. Die angehenden Manager lernen in der kurzen Zeit ihrer Ausbildung vor allem, analytisch zu denken und anhand von Papieren und Zahlen rasche Entscheidungen zu treffen. Soziale Situationen kommen nicht vor, da sie sich nicht in Zahlen darstellen lassen, und der gesellschaftliche Rahmen, in dem sie arbeiten, entgleitet daher ihrem Blick völlig, sie erwerben weder volkswirtschaftliche, noch politische oder soziologische Kompetenzen.
Einer Umfrage der American Economic Association zufolge besitzen die MBA-Absolventen zwar hervorragende Fähigkeiten zum Problemlösen, können diese Fähigkeiten jedoch in der Regel nur für formale Techniken der Modellierung nutzen, nicht aber zum Lösen realer Probleme. Die Studenten waren sogar der Meinung, dass eine vertiefte Kenntnisnahme der "wahren" Probleme sie bei der Anwendung ihrer üblichen Techniken eher hemmen würde, da deren vereinfachende Annahmen über die Wirklichkeit auf einmal viel schwerer von ihnen zu akzeptieren waren. Wenn die Probleme, die die Modelle verstecken, plötzlich ans Tageslicht kommen, neigen die Studenten also dazu, den Kopf einzuziehen. Dementsprechend hielten auch 68 Prozent der Befragten eine Kenntnis der Wirtschaft in der Ökonomie für "überflüssig" - mit der Realität wollten sie nichts zu tun haben, sie bleiben lieber in ihrem ideologischen Modellbaukästchen, und der amerikanische Ökonom Robert Kuttner sah daher schon "eine Generation von graduierten Idioten heranwachsen, die über eine Reihe von Techniken verfügen, aber nichts von Ökonomie verstehen".
Gerade weil also hier analytische Brillanz mit sozialer Inkompetenz kombiniert wird, führt die MBA-Ausbildung zu zwei scheinbar gegensätzlichen Ergebnissen: Zur Zunahme von Kontrolle und Bürokratie und zur Zunahme von raschen und für die Belegschaften unberechenbaren Veränderungen. Die Manager, die darauf getrimmt sind, einsame Entscheidungen zu treffen, verzichten darauf, aus der Kenntnis der Stärken und Schwächen der Mitarbeiter, Zulieferer und Kunden zu schöpfen. Da sie auf rasche Wechsel eingestellt sind, sitzen sie in den Büros und basteln an Kontrollen, um Daten für ihre Reorganisationstrategien zu bekommen. So entstehen bürokratisch-hierarchische Strukturen, Systemwelten, in denen Entscheidungen aus formalisierten und zahlenmäßig erfassbaren Sachverhalten getroffen werden. Trotz aller Reden vom Netzwerk als neuer Form der Unternehmensorganisation sind deshalb heute viele Großunternehmen hierarchischer und bürokratischer als noch in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren.
Der Teamgeist, bei dem die Manager die Arbeit der Mitarbeiter unterstützen und fördern, und die langfristige strategische Denkweise sind nicht mehr Teil des Instrumentenkastens, den die Business Schulen vermitteln. Wie kam es dazu, dass die meisten MBAs von der Praxis nichts mehr wissen wollen? Wie kam es dazu, dass all das verloren ging, was bislang noch in deutschen Mittelstandsbetrieben und in Japan zur Heranbildung von Führungskadern gehört - die Jahre der Ausbildung, in denen der ganze Betrieb durchlaufen wird, um am Ende aus lauter Netzwerken von persönlichen Beziehungen zu bestehen, die bei der Umsetzung von Maßnahmen helfen? Wie kam es bei den Managern zur Verwandlung des Bildes von der Unternehmung?
Hier spielte der wohl einflussreichste Managementlehrer dieser neuen Generation eine Rolle, Michael Jensen, der das Prinzipal-Agenten-Problem erfand. Seine Fragestellung war: Wie kann man jemanden dazu bringen, genau das zu tun, wofür man ihn bezahlt? Wie kann man verhindern, dass der Handwerker während der Zeit, in der man ihn bezahlt, gleichzeitig noch etwas für jemand anderen macht? Wie kann man verhindern, dass der Manager (der Agent), der von den Aktionären (Prinzipalen) eingesetzt ist, für etwas anderes, als den shareholder value, den Aktienkurs, arbeitet? Und weil man allen misstrauen muss, benötigt man überall eine Kontrolle - am besten einen Markt. So entstand die Legitimation des Marktes für Unternehmen aus einem negativen Menschenbild, aus einer Lehre der Angst reicher Leute vor Übervorteilung. Jensen hatte zusammen mit Meckling die shareholder-value-Theorie geboren: Aktionäre als Eigentümer der Unternehmen müssen den ungeteilten Gewinn erhalten, denn jeder Dollar, den die Manager in Arbeit, Umwelt und öffentliche Belange stecken, nimmt den Aktionären das Recht, über ihr Eigentum zu entscheiden und "ihre" Gewinne etwa in andere Unternehmen anzulegen, die ihnen rentabler erscheinen.
Manager, die sich zu sehr für die Belegschaft, die Gemeinden oder den Umweltschutz einsetzen, vergehen sich am Eigentum der Aktionäre! Diese Theorie legitimierte den von den Investmentbanken in den Neunzigerjahren geschaffenen Markt für Unternehmen, der die Gewinnmargen der Manager derselben Branche miteinander verglich. Manager wurden daran gemessen, ob sie mit den ihnen anvertrauten Firmen mindestens ebenso viele Gewinne erzielen, wie die Konkurrenz ("benchmarking"-Prinzip). Das benchmarking wurde zum Kontrollinstrument für die Investmentbanken und Berater über die Manager, und feindliche Übernahmen wurden an den Business Schools zur Reaktion des Marktes auf Manager erklärt, die nicht im Sinne des Aktionärswohls gehandelt hatten. Damit war eine rundum abgesicherte Theorie entstanden, die die radikale Kräfteverschiebung im Verhältnis zwischen Produktionssektor und Finanzsektor erklärte. Sie hatte nur zwei kleine Schönheitsfehler: Sie handelte nicht von Menschen und von lebendigen Unternehmen, sondern von reduzierten Abstraktionen und Modellen. Und weil sie nichts von wirklichen Menschen und Organisationen verstand, funktionierte sie nicht: Da die Manager zunehmend mit Aktien bezahlt wurden, partizipierten sie selbst an dieser neuen Art der Firmenbeherrschung (corporate governance), die die Firmen zu Objekten des Marktes für Unternehmen macht. Es handelte sich also nicht mehr um einen Markt, die Interessen fielen zusammen, die Manager trieben die Objekte der Begierde, die Betriebe, in dieselbe Richtung wie die Berater und Investmentbanker - sie wurden zu Söldnern, die umso mehr selbst an ihrem Geschäft verdienen konnten, je mehr Gewinn sie dem beherrschten Betrieb abnahmen. Sie haben die Lehren von Peter Drucker, dem Urvater der Managementtheorie, vergessen, für den die Erzielung von Gewinn nicht nur eine falsche, sondern auch eine irrelevante Aufgabe des Managers war: "Companies make shoes not money", Unternehmen stellen Schuhe her, nicht Geld.
Die heutigen Praktiken der Vorstandsvergütung, die Bilanzfälschungen (immer mehr Firmen müssen nach der Bekanntgabe der Quartalsergebnisse ihre Zahlen korrigieren), beiläufige Entlassungen von "Humankapital" bei fallenden Aktienkursen - das alles zeugt von dieser gewandelten Einstellung, die nicht für langfristige Planung und Entwicklung von Unternehmen, sondern für kurzfristige Kurssteigerungen der Aktien belohnt wird.
Die Manager-Söldner haben den Gesellschaftsvertrag aufgekündigt, und sie haben auch nicht ihr Versprechen eingehalten, dass die Globalisierung Gewinne für alle mit sich bringen werde. Während die Zahl der Dollar-Milliardäre in den USA von 66 im Jahre 1989 auf 268 gestiegen ist, hat sich die Armut nicht verringert, sondern verstärkt und ist im gleichen Zeitraum von 31,5 Millionen auf 34,5 Millionen gestiegen. In den USA tragen heute Lohn- und Sozialsteuern dreimal so viel zum Gesamtsteueraufkommen bei wie noch vor 30 Jahren. In Deutschland hat sich im Zeitraum zwischen 1970 und 2000 der Lohnsteueranteil beim Gesamtsteueraufkommen verdoppelt, die Körperschafts- und Gewerbesteuer halbiert. Auch Deutschland ist auf dem Weg zurück zum Klassenstaat, der Armutsbericht der Bundesregierung gibt darüber Auskunft. Schnell steigenden Spitzeneinkommen von Topmanagern stehen auch hier zu Lande stagnierende oder sinkende Effektivlöhne gegenüber. Armut ist kein vorübergehender Zustand mehr, sondern hat sich verfestigt, bei Langzeitarbeitslosen aus den früheren Bergrevieren, aus der Türkei und aus Russland und bei allein erziehenden Müttern. Der Anteil der armen Familien ist von 12,1 (1998) auf 13,9 (2004) gestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist von 2,9 Millionen im Jahre 1998 auf 5,2 Millionen (2005) gestiegen und auch die Zahl der überschuldeten Haushalte ist rapide angestiegen - von 2,77 Millionen 1999 auf 3,13 Millionen Ende 2004.
Die neue Manager-Söldnerkaste, die sich für global hält, weil sie sich mit den lokal gebundenen Betrieben nicht mehr identifiziert, scheint stets auf der Gewinnerseite, denn durch die Aktien, mit denen sie vergütet wird, gewinnt sie bei steigenden Kursen, und durch die "goldenen Fallschirme" der Millionenabfindungen, mit denen ihre von versierten Anwälten verfassten Verträge ausgestattet sind, ist sie gegen Scheitern und fallende Aktienkurse abgesichert. Die Aufkündigung des Gesellschaftsvertrags durch diese neue Manager-Söldnerkaste wird von Seiten der übrigen Vertragspartner ("stakeholder"), die aus Mitarbeitern, Umwelt und öffentlichen Organen bestehen, zunehmend als Verrat empfunden. In den Betrieben machen sich Verdruss und innere Abwendung bemerkbar: In einer Umfrage der Rutgers Universität zeigten sich 58 Prozent der Arbeiter davon überzeugt, dass Manager auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind - und wenn es zum Schaden des Unternehmens wäre. Zerstörte Betriebskulturen, brutale Konkurrenzkämpfe zwischen den Armeen der abhängig Beschäftigten der europäischen Länder statt gegenseitiger Unterstützung, Wählerapathie und neue nationalistische Reaktionen, das sind die schon heute sichtbaren Erfolge ihrer Politik.
Die neuen Manager fühlen sich nicht mehr verpflichtet, zum allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstand beizutragen. Sie wollen nicht mehr investieren, weil die erwarteten Gewinne niedriger sind, als die Gewinnmargen, die die Banken und Analysten erwarten. Der BDI-Präsident Jürgen Thumann hat daher sinnigerweise den Vorschlag gemacht, Unternehmen Steuern zu erlassen, die ihre Gewinne in die eigenen Betriebe reinvestieren. Das ist die Antwort der Manager auf den Vorwurf des mangelnden Patriotismus des Bundeskanzlers: Der Staat, den zu unterstützen sie nahezu aufgegeben haben, soll die Lücke zwischen dem Produktionsrisiko und dem Anlagerisiko schließen.
Dass ein Bedürfnis nach einer Neuausrichtung vorhanden ist, ist überall zu spüren, doch die Frage ist, wie und ob es sich durchsetzen kann. In der Führung einiger großer amerikanischer Pensionsfonds hat sich nach den Skandalen der Telekombranche und den hohen Verlusten für die Mitglieder der Fonds inzwischen die Erkenntnis herumgesprochen, dass es wenig Sinn macht, die Anlagegelder von Arbeitern und Lehrern in Firmen anzulegen, die durch volkswirtschaftlich sinnlose Fusionen und Reorganisationen die Pensionsansprüche der Beitragszahler reduzieren. Die neuen Manager der Fonds schwenken immer mehr auf langfristige Anlagestrategien um und ziehen ethische Investitionen vor - heftig bekämpft von der republikanischen Presse und der Wall Street. Main Street, das zeigen die bisherigen Schritte dieser Fonds, könnte sich auf diesem Wege wieder Gehör verschaffen, wenn sie ihr Kapital aus denjenigen Unternehmen zurückziehen, die Arbeitsplätze abbauen, oder Privatisierungen fördern. Die Beitragszahler, sagte Phil Angelides, der Vorstand des kalifornischen Pensionsfonds CalPers, "sollten ihre Rechte als Eigentümer wahrnehmen: Das Zeitalter der Kurzsichtigkeit ist zu Ende. Wir müssen uns wieder auf Dinge von nachhaltigem Wert konzentrieren."
CalPers ist einer der einflussreichsten Fonds und verfügt mit etwa 180 Milliarden Dollar über ein Potenzial von der Größenordnung des gesamten Weltcomputermarktes. Auch der Treuhänder des Pensionsfonds der Angestellten New Yorks (NYCERS), William Thompson, kündigte an, er werde "die Politik des Fonds nach Umweltgesichtspunkten und Menschenrechtsgesichtspunkten ausrichten", und dabei versteht er auch Arbeit als ein Menschenrecht."
"Applaus auf dem Zauberberg
Die Manager kündigen den Gesellschaftsvertrag
In Deutschland ist in diesem Jahr mehr passiert, als wir selbst im Lande wahrgenommen haben!" So beschrieb der Schweizer Thomas Straubhaar, Chef des von Steuergeld abhängigen Hamburger Weltwirtschafts Archivs, die derzeitige Lage und frohlockte, nun sei auch das Tarifkartell der Gewerkschaften de facto gesprengt worden. Tatsächlich sind die Tarifverträge nur noch für 7,9 Millionen Beschäftigte gültig, über 30 Millionen Arbeitnehmer fallen durch sogenannte Öffnungsklauseln aus den Verträgen heraus und arbeiten unter Tarif oder im Niedriglohnsektor. Hartz IV und die Arbeitsmarktreformen haben auch den Geschmack der französischen, italienischen und britischen Manager getroffen, die Deutschland in einer Umfrage gute Noten gaben. Deutschland ist wieder Vorbild im Europa der Manager, und im Index der globalen Wettbewerbsfähigkeit des World Economic Forum eroberte Deutschland den sechsten Rang dank der hohen Leistungsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Aber worin bestand diese Leistung? Die deutschen Konzerne haben im vergangenen Jahr soviel verdient wie noch nie, die Firmen des Frankfurter Börsenindex DAX haben gegenüber dem vorhergehenden Jahr 60 Prozent mehr verdient, und die Dividendenzahlungen wurden um 40 Prozent erhöht und lagen damit fast gleichauf mit zehnjährigen Bundesanleihen: "Das hat es noch nie gegeben", schrieb das Handelsblatt. Dass die Manager der deutschen Unternehmen trotz anhaltender Konsumschwäche ein solches Ergebnis erreichten, hat ihnen die Bewunderung der Kollegen eingetragen und zu ihrer Anerkennung durch das Weltwirtschaftsforum in Davos geführt. Wie haben sie das geschafft?
Es waren nicht die klassischen Rezepte der Kunst des Managements, die auf dem Einsatz für die Entwicklung und Förderung der Stärken der ihnen anvertrauten Unternehmen beruhte, sondern es waren Mittel aus den Ausbildungsprogrammen der Business Schulen, die sich seit einiger Zeit in deutschen Konzernen ausbreiten.
Ein beliebtes Mittel aus dem Instrumentenkasten dieser Programme ist das Steuersparen durch Transferpricing, bei dem die Tochterfirmen in Niedrigsteuerländern überhöhte Rechnungen an ihre Muttergesellschaften in Deutschland ausstellen, wodurch die Gewinne bei den Töchtern, die Kosten bei den Muttergesellschaften entstehen. Der Wiesbadener Wirtschaftswissenschaftler Lorenz Jarass errechnete, dass die Deutsche Bank, BASF, DaimlerChrysler, Infineon, Post und Deutsche Telekom durch solche Gewinnverschiebungen ihre Steuern auf unter zwölf Prozent senken konnten. Den politischen Organen entzogen die deutschen Konzerne dadurch nach Schätzungen der Entwicklungsorganisation Weed im Jahre 2003 etwa 14 Milliarden Euro an Steuern.
Ein Mittel zur Gewinnerzielung bot auch die Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer. In den kommenden drei Jahren planen etwa zwanzig Prozent der deutschen Manager Standortverlagerungen, zumeist in die EU-Länder Ostmitteleuropas. Die verlagerten Arbeitsplätze bedrohen vor allem die Geringqualifizierten, machen bei der Mehrzahl der befragten Firmen (36 Prozent) allerdings nur zwischen ein und fünf Prozent aus, und bei einem kleinen Teil der Unternehmen (13 Prozent) zwischen zehn und zwanzig Prozent.Statt der umständlichen und kostspieligen Produktionsverlagerung eröffnet nun die EU-Dienstleistungsrichtlinie auch die Möglichkeit der Beschäftigung von Subunternehmern aus Niedriglohnländern, durch welche hier Arbeitskosten eingespart werden. 26 000 Fleischer haben nach Angaben des Spiegel inzwischen dadurch ihre Arbeit verloren, aber bisher ist noch weitgehend unklar, in welchem Umfang diese Möglichkeit genutzt wird, und niemand kann vorhersagen, welche politische Bedeutung dieser Tarifkrieg auf dem Arb eitsmarkt annehmen wird.
Das Hauptinstrument der neuen Manager ist jedoch die Reorganisation der Betriebe. 82 Prozent der befragten Manager deutscher Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern haben in den letzten zwei Jahren Reorganisationen durchgesetzt, in keinem anderen europäischen Land wurde dieses Mittel häufiger eingesetzt, und im kommenden Jahr planen die deutschen Manager weitere Reorganisationen. Zwei Drittel dieser Maßnahmen dienen der Kostensenkung und Verschlankung. Es geht dabei hauptsächlich um die Aussonderung von zu wenig profitablen Betriebsteilen (Outsourcing) und um Fusionen, also um die Reduzierung der Konkurrenz durch Übernahmen und die dadurch möglichen "Synergieeffekte", nämlich Entlassungen und Preissteigerungen. "Wenn die Rahmenbedingungen nicht in Ordnung sind, weil etwa die Konsumneigung nachlasse, suchen die Firmen ihr Heil in der Kostensenkung", erklärte Juan Rigall von der Unternehmensberatung Droege & Comp.
Im letzten Jahr haben Konzerne wie Siemens, Volkswagen, DaimlerChrysler oder Opel bei ihren Belegschaften Kostensenkungen über zusätzliche Arbeit ohne Lohn oder über Massenentlassungen nach verschiedenen Modellen durchgeführt, bei Opel fiel jede dritte Stelle weg. Und da sie angesichts der Lohnsenkungen und der verbreiteten Unsicherheit nicht mit einer steigenden Nachfrage rechnen, planen große deutsche Unternehmen auch in den kommenden Jahren weitere tiefe Einschnitte. "Bis Mitte 2005 wollen wir 450 Millionen Euro einsparen", sagte etwa der Leiter von BASF, Albert Heuser. Die von Droege & Company befragten heimischen Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern wollen sich im kommenden Jahr mit Investitionen und Neueinstellungen noch stärker zurückhalten.
In Deutschland wird also die Arbeitslosigkeit weiter steigen: die von den neuen Managern besetzten Konzerne werden weiterhin outgesourct und abgebaut, sie werden weiter Steuersenkungsprogramme von der Regierung fordern, und weitere Einsparungen an den Löhnen vornehmen, doch sie werden keine Arbeitsplätze schaffen. Die Gewinne werden also nicht in die Unternehmen reinvestiert, sondern verstärkt in kostspielige Fusionen gehen - 71 Prozent der Manager erwarteten auch in den nächsten drei Jahren Fusionen - oder werden an die Aktionäre als Dividenden ausgeschüttet. "Viele Firmen investieren weniger in Anlagen und Produkte und schütten ihre Gewinne an ihre Anteilseigner aus", sagte Andreas Hürkamp von der Landesbank Rheinland Pfalz. Es sind seiner Ansicht nach die Investmentfonds, welche die Unternehmen zu höheren Ausschüttungen drängen.
Was den Aktionären an Dividenden abgeliefert wurde, haben die deutschen Manager also nicht "am Markt" verdient, denn dort war das Geschäft trotz Exportbooms eher flau, sondern hauptsächlich aus dem Lohntopf abgeschöpft durch Reorganisationen und Lohneinsparungen.
Man kann also feststellen, dass die Massenentlassungen zu Gunsten der Aktionäre und der Investmentfonds stattfanden - und die deutschen Manager haben endlich das Niveau erreicht, das ihnen den Applaus der Managerkollegen, der Berater und Investmentbanker von Davos zuteil werden lässt, deren Schelte sie fürchteten und deren Bewunderung sie so lange ersehnt hatten.
Was ist das für eine neue Wirtschaftselite, die nach der Anerkennung der Versammlung der eitlen Männer auf dem Zauberberg von Davos giert? Was wissen wir über die Lenker der Kernorganisationen unserer Gesellschaft? Merkwürdigerweise widmet man diesen Fragen mitten in der demokratischen Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit, und kaum jemand weiß, wie sie auf ihre Positionen gelangen oder welche Ausbildung sie genießen. Einen Einblick in die Ausbildung und Denkweise unserer Wirtschaftseliten gewährt uns jetzt eine Studie des kanadischen Managementlehrers Henry Mintzberg, der die nordamerikanische Managerausbildung zum MBA (Master of Business Administration) untersucht hat ("Manager statt MBAs", Campus). Der MBA stellt eine Art Eintrittsbillett in die amerikanische Wirtschaftselite der Manager, Berater und Investmentbanker dar.
Der MBA ist das, was man im Fachjargon als "dominant Design" bezeichnet, eine Art Markenartikel, der auch weit über die USA hinaus marktbeherrschend ist und zu einer starken Vereinheitlichung "zwischen Boston und Bukarest" beigetragen hat. Die zweijährigen MBA-Lehrgänge beruhen auf einem standardisierten Lehrplan, auf einer etablierten Weltanschauung und werden durch den Verband der Business-Schulen reguliert. MBA-Lehrpläne stellen Budget, Finanzberichterstattung und Instrumente zur Kostenkontrolle in den Mittelpunkt. Die Lehre beruht auf einer Mischung aus Fallstudien und scholastisch mathematisierten Marktmodellen, losgelöst vom beruflichen Kontext. Die angehenden Manager lernen in der kurzen Zeit ihrer Ausbildung vor allem, analytisch zu denken und anhand von Papieren und Zahlen rasche Entscheidungen zu treffen. Soziale Situationen kommen nicht vor, da sie sich nicht in Zahlen darstellen lassen, und der gesellschaftliche Rahmen, in dem sie arbeiten, entgleitet daher ihrem Blick völlig, sie erwerben weder volkswirtschaftliche, noch politische oder soziologische Kompetenzen.
Einer Umfrage der American Economic Association zufolge besitzen die MBA-Absolventen zwar hervorragende Fähigkeiten zum Problemlösen, können diese Fähigkeiten jedoch in der Regel nur für formale Techniken der Modellierung nutzen, nicht aber zum Lösen realer Probleme. Die Studenten waren sogar der Meinung, dass eine vertiefte Kenntnisnahme der "wahren" Probleme sie bei der Anwendung ihrer üblichen Techniken eher hemmen würde, da deren vereinfachende Annahmen über die Wirklichkeit auf einmal viel schwerer von ihnen zu akzeptieren waren. Wenn die Probleme, die die Modelle verstecken, plötzlich ans Tageslicht kommen, neigen die Studenten also dazu, den Kopf einzuziehen. Dementsprechend hielten auch 68 Prozent der Befragten eine Kenntnis der Wirtschaft in der Ökonomie für "überflüssig" - mit der Realität wollten sie nichts zu tun haben, sie bleiben lieber in ihrem ideologischen Modellbaukästchen, und der amerikanische Ökonom Robert Kuttner sah daher schon "eine Generation von graduierten Idioten heranwachsen, die über eine Reihe von Techniken verfügen, aber nichts von Ökonomie verstehen".
Gerade weil also hier analytische Brillanz mit sozialer Inkompetenz kombiniert wird, führt die MBA-Ausbildung zu zwei scheinbar gegensätzlichen Ergebnissen: Zur Zunahme von Kontrolle und Bürokratie und zur Zunahme von raschen und für die Belegschaften unberechenbaren Veränderungen. Die Manager, die darauf getrimmt sind, einsame Entscheidungen zu treffen, verzichten darauf, aus der Kenntnis der Stärken und Schwächen der Mitarbeiter, Zulieferer und Kunden zu schöpfen. Da sie auf rasche Wechsel eingestellt sind, sitzen sie in den Büros und basteln an Kontrollen, um Daten für ihre Reorganisationstrategien zu bekommen. So entstehen bürokratisch-hierarchische Strukturen, Systemwelten, in denen Entscheidungen aus formalisierten und zahlenmäßig erfassbaren Sachverhalten getroffen werden. Trotz aller Reden vom Netzwerk als neuer Form der Unternehmensorganisation sind deshalb heute viele Großunternehmen hierarchischer und bürokratischer als noch in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren.
Der Teamgeist, bei dem die Manager die Arbeit der Mitarbeiter unterstützen und fördern, und die langfristige strategische Denkweise sind nicht mehr Teil des Instrumentenkastens, den die Business Schulen vermitteln. Wie kam es dazu, dass die meisten MBAs von der Praxis nichts mehr wissen wollen? Wie kam es dazu, dass all das verloren ging, was bislang noch in deutschen Mittelstandsbetrieben und in Japan zur Heranbildung von Führungskadern gehört - die Jahre der Ausbildung, in denen der ganze Betrieb durchlaufen wird, um am Ende aus lauter Netzwerken von persönlichen Beziehungen zu bestehen, die bei der Umsetzung von Maßnahmen helfen? Wie kam es bei den Managern zur Verwandlung des Bildes von der Unternehmung?
Hier spielte der wohl einflussreichste Managementlehrer dieser neuen Generation eine Rolle, Michael Jensen, der das Prinzipal-Agenten-Problem erfand. Seine Fragestellung war: Wie kann man jemanden dazu bringen, genau das zu tun, wofür man ihn bezahlt? Wie kann man verhindern, dass der Handwerker während der Zeit, in der man ihn bezahlt, gleichzeitig noch etwas für jemand anderen macht? Wie kann man verhindern, dass der Manager (der Agent), der von den Aktionären (Prinzipalen) eingesetzt ist, für etwas anderes, als den shareholder value, den Aktienkurs, arbeitet? Und weil man allen misstrauen muss, benötigt man überall eine Kontrolle - am besten einen Markt. So entstand die Legitimation des Marktes für Unternehmen aus einem negativen Menschenbild, aus einer Lehre der Angst reicher Leute vor Übervorteilung. Jensen hatte zusammen mit Meckling die shareholder-value-Theorie geboren: Aktionäre als Eigentümer der Unternehmen müssen den ungeteilten Gewinn erhalten, denn jeder Dollar, den die Manager in Arbeit, Umwelt und öffentliche Belange stecken, nimmt den Aktionären das Recht, über ihr Eigentum zu entscheiden und "ihre" Gewinne etwa in andere Unternehmen anzulegen, die ihnen rentabler erscheinen.
Manager, die sich zu sehr für die Belegschaft, die Gemeinden oder den Umweltschutz einsetzen, vergehen sich am Eigentum der Aktionäre! Diese Theorie legitimierte den von den Investmentbanken in den Neunzigerjahren geschaffenen Markt für Unternehmen, der die Gewinnmargen der Manager derselben Branche miteinander verglich. Manager wurden daran gemessen, ob sie mit den ihnen anvertrauten Firmen mindestens ebenso viele Gewinne erzielen, wie die Konkurrenz ("benchmarking"-Prinzip). Das benchmarking wurde zum Kontrollinstrument für die Investmentbanken und Berater über die Manager, und feindliche Übernahmen wurden an den Business Schools zur Reaktion des Marktes auf Manager erklärt, die nicht im Sinne des Aktionärswohls gehandelt hatten. Damit war eine rundum abgesicherte Theorie entstanden, die die radikale Kräfteverschiebung im Verhältnis zwischen Produktionssektor und Finanzsektor erklärte. Sie hatte nur zwei kleine Schönheitsfehler: Sie handelte nicht von Menschen und von lebendigen Unternehmen, sondern von reduzierten Abstraktionen und Modellen. Und weil sie nichts von wirklichen Menschen und Organisationen verstand, funktionierte sie nicht: Da die Manager zunehmend mit Aktien bezahlt wurden, partizipierten sie selbst an dieser neuen Art der Firmenbeherrschung (corporate governance), die die Firmen zu Objekten des Marktes für Unternehmen macht. Es handelte sich also nicht mehr um einen Markt, die Interessen fielen zusammen, die Manager trieben die Objekte der Begierde, die Betriebe, in dieselbe Richtung wie die Berater und Investmentbanker - sie wurden zu Söldnern, die umso mehr selbst an ihrem Geschäft verdienen konnten, je mehr Gewinn sie dem beherrschten Betrieb abnahmen. Sie haben die Lehren von Peter Drucker, dem Urvater der Managementtheorie, vergessen, für den die Erzielung von Gewinn nicht nur eine falsche, sondern auch eine irrelevante Aufgabe des Managers war: "Companies make shoes not money", Unternehmen stellen Schuhe her, nicht Geld.
Die heutigen Praktiken der Vorstandsvergütung, die Bilanzfälschungen (immer mehr Firmen müssen nach der Bekanntgabe der Quartalsergebnisse ihre Zahlen korrigieren), beiläufige Entlassungen von "Humankapital" bei fallenden Aktienkursen - das alles zeugt von dieser gewandelten Einstellung, die nicht für langfristige Planung und Entwicklung von Unternehmen, sondern für kurzfristige Kurssteigerungen der Aktien belohnt wird.
Die Manager-Söldner haben den Gesellschaftsvertrag aufgekündigt, und sie haben auch nicht ihr Versprechen eingehalten, dass die Globalisierung Gewinne für alle mit sich bringen werde. Während die Zahl der Dollar-Milliardäre in den USA von 66 im Jahre 1989 auf 268 gestiegen ist, hat sich die Armut nicht verringert, sondern verstärkt und ist im gleichen Zeitraum von 31,5 Millionen auf 34,5 Millionen gestiegen. In den USA tragen heute Lohn- und Sozialsteuern dreimal so viel zum Gesamtsteueraufkommen bei wie noch vor 30 Jahren. In Deutschland hat sich im Zeitraum zwischen 1970 und 2000 der Lohnsteueranteil beim Gesamtsteueraufkommen verdoppelt, die Körperschafts- und Gewerbesteuer halbiert. Auch Deutschland ist auf dem Weg zurück zum Klassenstaat, der Armutsbericht der Bundesregierung gibt darüber Auskunft. Schnell steigenden Spitzeneinkommen von Topmanagern stehen auch hier zu Lande stagnierende oder sinkende Effektivlöhne gegenüber. Armut ist kein vorübergehender Zustand mehr, sondern hat sich verfestigt, bei Langzeitarbeitslosen aus den früheren Bergrevieren, aus der Türkei und aus Russland und bei allein erziehenden Müttern. Der Anteil der armen Familien ist von 12,1 (1998) auf 13,9 (2004) gestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist von 2,9 Millionen im Jahre 1998 auf 5,2 Millionen (2005) gestiegen und auch die Zahl der überschuldeten Haushalte ist rapide angestiegen - von 2,77 Millionen 1999 auf 3,13 Millionen Ende 2004.
Die neue Manager-Söldnerkaste, die sich für global hält, weil sie sich mit den lokal gebundenen Betrieben nicht mehr identifiziert, scheint stets auf der Gewinnerseite, denn durch die Aktien, mit denen sie vergütet wird, gewinnt sie bei steigenden Kursen, und durch die "goldenen Fallschirme" der Millionenabfindungen, mit denen ihre von versierten Anwälten verfassten Verträge ausgestattet sind, ist sie gegen Scheitern und fallende Aktienkurse abgesichert. Die Aufkündigung des Gesellschaftsvertrags durch diese neue Manager-Söldnerkaste wird von Seiten der übrigen Vertragspartner ("stakeholder"), die aus Mitarbeitern, Umwelt und öffentlichen Organen bestehen, zunehmend als Verrat empfunden. In den Betrieben machen sich Verdruss und innere Abwendung bemerkbar: In einer Umfrage der Rutgers Universität zeigten sich 58 Prozent der Arbeiter davon überzeugt, dass Manager auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind - und wenn es zum Schaden des Unternehmens wäre. Zerstörte Betriebskulturen, brutale Konkurrenzkämpfe zwischen den Armeen der abhängig Beschäftigten der europäischen Länder statt gegenseitiger Unterstützung, Wählerapathie und neue nationalistische Reaktionen, das sind die schon heute sichtbaren Erfolge ihrer Politik.
Die neuen Manager fühlen sich nicht mehr verpflichtet, zum allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstand beizutragen. Sie wollen nicht mehr investieren, weil die erwarteten Gewinne niedriger sind, als die Gewinnmargen, die die Banken und Analysten erwarten. Der BDI-Präsident Jürgen Thumann hat daher sinnigerweise den Vorschlag gemacht, Unternehmen Steuern zu erlassen, die ihre Gewinne in die eigenen Betriebe reinvestieren. Das ist die Antwort der Manager auf den Vorwurf des mangelnden Patriotismus des Bundeskanzlers: Der Staat, den zu unterstützen sie nahezu aufgegeben haben, soll die Lücke zwischen dem Produktionsrisiko und dem Anlagerisiko schließen.
Dass ein Bedürfnis nach einer Neuausrichtung vorhanden ist, ist überall zu spüren, doch die Frage ist, wie und ob es sich durchsetzen kann. In der Führung einiger großer amerikanischer Pensionsfonds hat sich nach den Skandalen der Telekombranche und den hohen Verlusten für die Mitglieder der Fonds inzwischen die Erkenntnis herumgesprochen, dass es wenig Sinn macht, die Anlagegelder von Arbeitern und Lehrern in Firmen anzulegen, die durch volkswirtschaftlich sinnlose Fusionen und Reorganisationen die Pensionsansprüche der Beitragszahler reduzieren. Die neuen Manager der Fonds schwenken immer mehr auf langfristige Anlagestrategien um und ziehen ethische Investitionen vor - heftig bekämpft von der republikanischen Presse und der Wall Street. Main Street, das zeigen die bisherigen Schritte dieser Fonds, könnte sich auf diesem Wege wieder Gehör verschaffen, wenn sie ihr Kapital aus denjenigen Unternehmen zurückziehen, die Arbeitsplätze abbauen, oder Privatisierungen fördern. Die Beitragszahler, sagte Phil Angelides, der Vorstand des kalifornischen Pensionsfonds CalPers, "sollten ihre Rechte als Eigentümer wahrnehmen: Das Zeitalter der Kurzsichtigkeit ist zu Ende. Wir müssen uns wieder auf Dinge von nachhaltigem Wert konzentrieren."
CalPers ist einer der einflussreichsten Fonds und verfügt mit etwa 180 Milliarden Dollar über ein Potenzial von der Größenordnung des gesamten Weltcomputermarktes. Auch der Treuhänder des Pensionsfonds der Angestellten New Yorks (NYCERS), William Thompson, kündigte an, er werde "die Politik des Fonds nach Umweltgesichtspunkten und Menschenrechtsgesichtspunkten ausrichten", und dabei versteht er auch Arbeit als ein Menschenrecht."
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noergler,
Freitag, 14. August 2009, 00:26
Ist von wem?
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momorules,
Freitag, 14. August 2009, 11:17
Wow, das ist aber echt enorm auf den Punkt.
Habe ich auf Mikroebene gerade alles genau so erlebt bei meinem Ex-Arbeitgeber, und den Laden wieder aus dem Dreck gezogen hat dann der alte Patriarch, den alle schon auf den Schrottplatz der Wirtschaftsgeschichte geschoben hatten, "der alte Mann" hieß es wörtlich immer, der mit dem vor ganz langer Zeit mal 68er-Background, nachdem diese Fonds-Anhängsel-Manager ihn fast vor die Wand gefahren hatten ...
Habe ich auf Mikroebene gerade alles genau so erlebt bei meinem Ex-Arbeitgeber, und den Laden wieder aus dem Dreck gezogen hat dann der alte Patriarch, den alle schon auf den Schrottplatz der Wirtschaftsgeschichte geschoben hatten, "der alte Mann" hieß es wörtlich immer, der mit dem vor ganz langer Zeit mal 68er-Background, nachdem diese Fonds-Anhängsel-Manager ihn fast vor die Wand gefahren hatten ...
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blu_frisbee,
Dienstag, 25. August 2009, 05:17
Wandel im Berufsbild MBA
Da war mal was, ich glaube in der ZEIT, schon lange her, ich weiß nicht mal das Jahr, des Inhalts ungefähr der:
Während ursprünglich der MBA eine Weiterbildung für Manager nach einigen Berufsjahren zur Qualifikation für höhere Führungsaufgaben war wurde der MBA inzwischen herunterskaliert zur berufsqualifizierenden Ausbildung für Anfänger, maW ein besserer Buchhalter.
Heraus kommen Leute, die nur noch eindimensional auf Kennziffern sehen und verborgene Stärken & Schwächen des Unternehmens, die sich nicht quantifizieren lassen überhaupt nicht auf ihren Radarschirm bekommen. Die haben nur noch ihre Rezeptsammlung aber keinerlei Berufserfahrung.
Zuerst wurde die BWL selbst genormt, danach die MBA-Ausbildung und zu schlechter letzt die Firmen selbst. Damit verlieren sie auch ihre Alleinstellungsmerkmale.
Typischer Fall von "wer nur 'nen Hammer hat sieht die Welt als Nagel".
Während ursprünglich der MBA eine Weiterbildung für Manager nach einigen Berufsjahren zur Qualifikation für höhere Führungsaufgaben war wurde der MBA inzwischen herunterskaliert zur berufsqualifizierenden Ausbildung für Anfänger, maW ein besserer Buchhalter.
Heraus kommen Leute, die nur noch eindimensional auf Kennziffern sehen und verborgene Stärken & Schwächen des Unternehmens, die sich nicht quantifizieren lassen überhaupt nicht auf ihren Radarschirm bekommen. Die haben nur noch ihre Rezeptsammlung aber keinerlei Berufserfahrung.
Zuerst wurde die BWL selbst genormt, danach die MBA-Ausbildung und zu schlechter letzt die Firmen selbst. Damit verlieren sie auch ihre Alleinstellungsmerkmale.
Typischer Fall von "wer nur 'nen Hammer hat sieht die Welt als Nagel".
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che2001,
Dienstag, 25. August 2009, 12:44
Ganz recht, MBA war ursprünglich ein Studiengang, den man so mit Mitte 30 BEGANN, wenn man bereits Redakteur in unbefristeter Anstellung, Betriebsleiter oder Vorstandsassistent war und Chefredakteur mit Perspektive Programmdirektor, Geschäftsführer oder Vorstand werden wollte. Das hat sich heute ins völlig absurde gedreht: Man zimmert einen Dachstuhl, ohne dass ein Grundstein gelegt wurde.
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