Samstag, 12. Juni 2010
Das Auge isst ja mit

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Was ist das denn Leckeres?

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Langostinhos in Blätterteig an Spiegelei und eine Kräuter-der-Provinz-Vinaigrette.

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Alles nur Verzierung, mir als Proletarierkind liegt das Solide mehr.

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Erzähl das mal in Frankreich, Italien oder auch Japan, und die Leute werden sich schlapplachen.

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Ja, werden sie. Ist auch ok, ich erheitere gern Leute.

Aber ganz im Ernst: auch der italienische Arbeiter schätzt einen soliden Topf Tomatensuppe mit Würstchen.

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Vom italienischen Arbeiter kenne ich Essgewohnheiten, die weit eher stylish sind als die der deutschen Mittelschicht. Erinnere mich da an einen LKW-Fahrer, der auf einem Parkplatz über einem Primuskocher Gnocchi zubereitete mit dekadentester Soßenmischung, sowas in der Art


http://rebellmarkt.blogger.de/stories/1270503/#1271375,

und in der Werkskantine von Toyota gibt es akkurat nach allen Regeln des Za Zen und Feng Shui drapiertes Sushi. Der israelische Arbeiter streikt für sein Recht, nach dem kompletten Ritual koscher zubereitetes Essen vorgesetzt zu bekommen. Auch das nächtliche Grillen mit meinen proletarischen kurdischen Freunden im Wald war sehr stilecht (Döner auf einem 3m-Barbeque mit Handkurbel, Präsentieren der Speisen auf einem just-for-show-Buffet). Über die Reize der Fetischküche schweige ich lieber, sonst verlassen wir den jugendfreien Bereich;-)

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Wenn ich das nächste Mal in Gö bin werde ich mich dezent bei italienischen Malochern (Papa steht am Band, Mama geht putzen) erkundigen oder vielleicht sogar eine kurze Feldstudie betreiben.

In dieser barbarischen Stadt hier kenne ich bisher was ethnische und kulturelle Vielfalt angeht nur russische Lehrerinnen, indische Ärzte nebst Gattin und Tochter und Israelis samt palästinensischem Anhang. Das ist alles nicht sehr proletarisch fürchte ich, und die israelische Seite erklärte, kosher würde sie nicht essen, nur kein Schwein.

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Ich habe gestern noch mit dem Sarden telefoniert. Durch eine Reihe seltsamer Wendungen (der gestrige Tag ware voll davon) kamen wir auf vernünftiges Essen und er erklärte mir mal wieder, was er drunter verstehe.
Man nehme eine Handvoll Obst und tue sie in einen kleinen Vogel. Das wiederhole man ein paar Mal, bis man genug zusammenhat, um ein Huhn zu füllen. Man wiederhole diesen Vorgang. Dann lege man das Huhn in ein Schaf. Dann wiederhole man diesen Vorgang. Das Schaf wird wiederum in einen Ochsen gelegt und mit mehr Schafen aufgefüllt.

Dann hebe man eine Erdgrube aus, lege den Ochsen da rein, entfache ein Feuer und unterhalte es 2 Tage lang.

Dann beschwerte er sich über den Verfall sardischer Kulturgüter, wie der Viehentführung. Er behauptet, Viehdiebstahl sei eine höchst ehrenwerte Beschäftigung.


DAS nenn' ich dann mal wirklich solide!

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Was ist eigentlich an der tollsten Stadt Norddeutschlands barbarisch? Also, außer dass Barbara da wohnt?

Die sardische Methode ist sehr robust, aber auch wieder hochraffiniert. Das ist etwas völlig Anderes als die norddeutsche Sitte Schweinebauch oder Wurst auf den Grill und fertig.

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Barbara hab ich noch nicht getroffen.

Diese Stadt ist ein Dorf mit Strassenbahn. Hier sagen sich die Füchse gute Nacht.
Äusserst idyllisch, so mit Rehen auf der Weide, Fischreihern auf dem Nachbarhaus, Enten im Garten und so weiter. Aber es bleibt ein Dorf.

Während ich in der Gö mal eben zum Gemüsekurden ging wenn mir der Couscous ausgeht, muss ich jetzt zum Feinkostladen. Das dauert nicht nur etwa 4 mal so lange, sondern ist auch 4 mal so teuer. Ausserdem gibt es kein völkerverständigen Schwätzchen über Kinderzähne und was man gegen Rotznasen tut.

Dafür treffe ich Deutsche, die eine solide Tracht Prügel verdient haben. Vorgestern lernte ich, was in Deutschland das Problem ist: erstens diese ganzen zusammengerotteten Ausländer in bestimmten Stadtteilen (mein Kommentar: "Oh, da wohnt die Chefin meines Mannes auch!") und zweitens das wir den Krieg verloren haben. Deswegen traun wir uns nämlich nicht mehr, was zu machen wenn diese ganzen Ausländer sich daneben benehmen. ich daraufhin "Zum Glück haben wir den verloren!" Verdammtes Ei... ich hatte das Arbeitszimmer doch abgeschlossen, wie ist den das Nazipack enkommen?
"Na ja, ich weiss nicht, man weiss ja nicht wie das weitergegangen wäre"
Ich: "Mit noch mehr Leichen vielleicht? 10 Millionen waren ja noch nicht genug"
"Das deutsche Volk hätte sich ja vielleicht erhoben"
Oh Mann.
Dann erklärte sie mir, was der Russe sich so im WWII geleistet hätte- Mord, Raub, Vergewaltigung. Ihre Oma hätte erzählt...

Wahrscheinlich hätte ich nicht versuchen sollen "Geschichte für Dummdeutsche" zu unterrichten, sondern ihr einfach die Einkaufstüte über den Kopf zimmern. Leichte Schläge auf den Hinterkopf sollen ja das Denkvermögen erhöhen.

Ich habe es dem Antifa-Zivi im Kindergarten erzählt. Er will mal drauf achten, ob noch mehr Eltern so drauf sind.
Na ja, zum Spielen werde ich DIE unter Garantie nicht einladen!

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Na ja, Bremen ist halt ein Göttingen für Erwachsene. Eben eine richtige Großstadt. Strukturell eigentlich linker als GÖ, nur dass das bürgerliche Dumpfspackentum sehr viel wahrnehmbarer ist. Dafür rappen aber auch die Jungtürken "Ja, ich komme aus Gröpelingen, und ich weiß, das ist ein Ghetto". In meiner Göttinger Zeit war Bremen neben Kassel für mich das große Entkommen - keine Moralspacken weit und breit. Göttingen empfand ich als vor sich hin brütenden inzestuösen Sumpf, in der alle alle kennen und auf engstem Raum zusammenkleben.

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Das hier ist nicht Göttingen für Erwachsene, das ist ein DORF!
Mal abgesehen von den Enten, die in meinem Garten GESCHWOMMEN sind ist das hier auch strukturell ein Dorf.
Von den rappenden Jungtürken aus Gröpelingen (das ist da wo die Chefin wohnt- sie liebt es) bin ich etwa so weit entfernt wie Göttingen von Hannover. Genausolange brauche ich nämlich bis ich da bin.

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Nach der Logik wäre auch Berlin ein Dorf, wo man locker 6 Stunden im Bus sitzen kann. Mein Lebenshorizont wurde ja entscheidend durch das Ostertorviertel geprägt, wo das actionreiche pralle Leben abgeht, durch Walle und durch Findorff, die Bremer Arass- und Kurdinnenszene. Und das IST Göttingen für Erwachsene.

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Das mag Gö für Erwachsene sein. Bremen ist halt gross und hat eine Menge verschiedener Ecken wie mir scheint.

Du verstehst mich mal wieder falsch. Die Frage ist nicht, wie lange ich im Bus sitze, sondern aus welcher Welt der Bus mich in eine andere bringt.

Wie sonst als "Dorf" willst du etwas nennen, wo die Hasen hoppeln, die Kühe grasen, abends die Frösche quaken und sich generell Fuchs und Hase gute Nacht sagen?

Man kann in Berlin ewig U-Bahn fahren, aber da steht man auch nicht auf einmal auf dem Feld und lässt sich den Gülleduft um die Nase wehen! Wie "Großstadt" ist denn bitte Gülle?

Das hier ist zwar Bremen (wirklich), aber einfach nur ein Dorf. 3 Mal am Tag fährt der Polizeiwagen vorbei, nachsehen, ob niemand ein Haus geklaut hat. Wenn man gerade vor der Tür ist, darf der Nachwuchs das Blaulicht einschalten.
Die Post kam heute durch's Küchenfenster, begleitet von einem fröhlichen "Mojen!".

Wenn ich was "Urbanes" machen möchte fahre ich nach BORGFELD CITY (!!!) weil das das nächste ist.

MigrantInnen haben wir auch- indische Ärzte, russische Lehrerinnen und so weiter. ich glaub', hier wohnt auch ne türkische Familie- aber ich bezweifle, dass der Junge zum Rappen nach Gröpelingen fährt.

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Ein wesentlicher Unterschied ist, dass Bildungsunterschiede stärker ins Gewicht fallen. Dieses anfängliche "Abklopfen" mit Fragen wie warum wir nach Bremen gezogen sind endet manchmal recht fix, wenn ich sage, was geliebter Ehemann macht.

Ich finde das hochgradig seltsam. Verdammt, der ist doch kein Scharfrichter oder so was!

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Zitat des Jahres von Che:
"Und das IST Göttingen für Erwachsene."

Bin ja nun beiden Städten auch sehr verbunden. Und jau, so ist das. Gilt aber noch viel mehr für HH, der dritten Stadt in meinem Leben.
Der Unterschied zwischen Städten wie HH einerseits und Gö andererseits ist schlicht der, dass man in Gö in Gemütlichkeit ertrinken kann. Man findet immer seine Ecke in der Szene. Man bekommt schon irgendwie seine Jobs. Und wenn es ernst wird, sind sie sogar aufm Amt meist recht nett. Gö kann gut sein. Aber auch verdammt langweilig. Bestenfalls. Schlimmstenfalls steckt es an, und man wird selber langweilig. Nirgendwo sagt man so gerne und so oft "man müsste eigentlich" wie im Leinetal.
HH ist das Gegenteil. Hier muss man sich echt den Arsch aufreißen um z.B. die Miete erarbeitet zu haben. Und wenn man weg vom Fenster ist kümmerts keine Sau. Auf der Habenseite erlebt man aber ne grosse Bandbreite unterschiedlichen Lebens. Alles um einen herum ist inspirierend. Man muss nur den Kopp aufmachen. So kenne ich das HB der Spätachziger und Neunziger auch noch. Wobei HH und HB immer auch ganz und gar dörfliche Ecken hatten. Mit den guten und den schlechten Seiten ebendieser.

Gö ist für mich ne Stadt für die man ganz jung oder ganz alt sein sollte.

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Göttingen ist ein Freikluftkindergarten. OK.
Aber Bremen ist auch nicht wirklich "für Erwachsene"

Gemütlicher als hier in der "Weserperle" KANN es kaum können wenn man nicht gerade in die bayrische Idylle zieht.
Hier beschweren sich Leute über "wirklich zu viele Autos"... da waren doch tatsächlich mal 2 hintereinander gekommen!

Nur für's Protokoll: mir sind weder die Junkies am Bahnhof noch die Sögestrasse entgangen. Und in Gröpelingen war ich auch schon. Aber trotzdem ist das einfach eine völlig andere Welt als hier, wo die Kids gerade Fussball auf der Strasse spielen.

Muss wohl am Stadtteil liegen.

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@"Wie sonst als "Dorf" willst du etwas nennen, wo die Hasen hoppeln, die Kühe grasen, abends die Frösche quaken und sich generell Fuchs und Hase gute Nacht sagen?" ---- Nun, in Berlin leben mehr Wildschweine als im Harz, in München gibt es Probleme mit Füchsen, die in Wohnungen eindringen und Kinder beißen, und längst richten sich die Horste der Milane an den wildunfallintensivsten Autobahnabschnitten aus. Am teuersten verkaufen sich in großstädtischen Lagen Baugebiete in fußläufiger Entfernung Naturschutzgebieten. Und in New York horstet auf fast jedem Skyscraper ein Wanderfalkenpärchen - die Tauben können in den engen Straßenschluchten nicht ausweichen.


Wo wohnt Ihr denn eigentlich? Etwa in Schwachmanien?

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Nein, wir wohnen in fußläufiger Entfernung zum Naturschutzgebiet. Deswegen auch die Fischreiher und Rehe.

Hollerland.

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Ah ja. Nach der Logik wäre dann Reinhausen oder die Knochenmühle typisch für Göttingen, New Dorp auf Staten Island charakteristisch für New York, Lübars so ein Paradebeispiel für Berlin und die Eilenriede die klassische Hannöversche Wohnlage, die Taunusanlage das nämliche für Frankfurt. Und Gezira Sports Park, das ist halt so richtig Kairo.

Übrigens, der Sarde oben: Das, was im Ausland so als typisch und klassisch italienisch wahrgenommen wird ist im wesentlichen ein Milanesisch-Bolognesisch-Venetisch-Toskanisches Komposit, noch mit einer ordentlichen Dosis Rom und Neapel untergerührt. Sardinien verhält sich dazu wie die Mongolei zu Japan.

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Das der Sarde kein Italiener ist weiss ich. Zumindest dieser konkrete Sarde würde mir eins auf die Mütze geben, wenn ich ihm unterstellte, er sei Italiener. Das Sardische ist ja auch kein italienischer Dialekt, weshalb der konkrete Sarde zweisprachig ist. Wenn ich in Cagliari einen Vermentino kaufe bekomme ich nicht das gleiche (es ist nicht mal die gleiche Traubensorte) wie in Rom.

Der historische Sarde hatte zwar keine Lust, sich vom Korsen im Namen Frankreichs von Italien befreien zu lassen, ist aber nichtsdestoweniger kein besonders treuer Untertan gewesen. Das lief wohl eher so wie "ich ignorier euch, ihr ignoriert mich". Und das ist der Unterschied zu Japan und der Mongolei: der histoische Japaner neigte zwar zu Eroberungen, aber bis zur Mongolei hat er es nicht geschafft. Korea war da lohnender- nicht so weit weg zB.

Und was man in Deutschland für italienisches Essen hält... wir waren mit meinem Schwiegervater (durch den wir den Sarden kennen) essen, er bestellte Carbonara. Als die Teller abgeräumt worden fragte der Kellner, ob es geschmeckt habe. Ja, war lecker, aber keine Carbonara. Der Kellner, verzückt ob der Tatsache, dass ein Tedesco den Unterschied erkennt, erbot sich eine vernünftige Carbonara zu ordern und "in Italien kriegt man dafür die Knie gebrochen".
Das passiert aber jeder Küche, sobald sie nach Deutschland kommt, sie wird eingebürgert.
Koreanisch sollte man in Deutschland nur essen gehen, wenn man zumindest auf koreanisch bestellen kann- sonst ist es eine herbe Enttäuschung.

Reinhausen ist ein Dorf NEBEN Göttingen, und nicht IN Göttingen.

Ich muss meine Schwägerin mal fragen, was "typisch New York" ist.

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Die Tatsache, dass Italien ein Vielvölkerstaat ist - Mehrheitsitaliener, Veneter, Rätoromanen, Südtiroler, Piemonteser, Napolitaner, Mezzogiorno-Italiener, Calabresi, Apulier, Sizilianer, Sarden, Liparier - wird außerhalb dieses Landes meist völlig ignoriert. Ist so ähnlich mit Spanien, wo die Unterschiede zwischen Castillanos, Basken, Aragonesen, Catalunyos, Andalusiern und Guanchen hierzulande nicht wahrgenommen werden.

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Bezeichne den Catalanen bloss nicht als Spanier.

Vor Jahren (in der "freien Wirtschaft" wie sich dieser mittelständische Betrieb stets selbst bezeichnete) kam ein Fahrer ins Büro. Der Mann verstand so viel Deutsch wie ich Spanisch, auf meine Frage "Espana?" verneinte er auf das heftigste. Klang aber wie Spanisch... etwas überfordert sah ich mich nach meiner Spanisch studierenden Kollegin um. Ja, Nationalität Spanisch, aber Catalane.

Ich versuche seit Beginn der WM ja auch meinem geliebten Ehemann zu erklären, dass da nicht "die Briten" sondern die englische Mannschaft spielt. Die Schotten haben es diesmal leider nicht geschafft... schade. Wenn die schottische Elf antritt wird ja auch nicht "God save the Queen" sondern "Scots have with Will Wallace bled" oder "Flower of Scotland" gespielt.

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Das musst Du mir nicht erzählen, ich wohnte eine Woche in der Calla Einstein bei den Ramblas in Barcelona in einem Hotel, dessen Wirte sich weigerten, Spanisch zu sprechen. Die Taxis haben da alle zweisprachige Schilder Liure/Libre, ebenso lauten die Klobeschriftungen Dones/Hommes und Senoras/Caballeros.

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die gängige Haltung in Schottland bei der Fussball-WM ist "anyone but England": http://news.bbc.co.uk/1/hi/scotland/north_east/8533791.stm

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Das die "Tartan Army" jeden unterstützt der gegen die Sassenachs spielt ist ja ein alter Hut.

Interessant ist, dass das jetzt zu stören scheint. Vor ein paar Jahren war noch ok.

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genauso hat sich noch vor vier Jahren niemand daran gestossen, dass in Wales eher Trinidad & Tobago als England unterstützt wurde (wegen eines Walisers, der für erstere spielte) ... eine Reihe von Celtic Glasgow-Fans hingegen sind gegen das "eigene Nationalteam" und unterstützen eher bspw. Irland oder Polen

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was dadran liegt, dass Celtic die Mannschaft die Mannschaft der irischen, polnischen und italienischen Einwanderer war.
Im Gegensatz zu den Glasgow Rangers ist man da katholisch. Die Rangers sind Presbyterianer.

Man könnte das die Spätfolgen von Bonnie Prince Charlie nennen.

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