Sonntag, 5. Dezember 2010
Was heißt hier eigentlich politisch korrekt?
Es ist merkwürdig, mit welchen Konnotationen der Begriff der Political Correctness im deutschen Sprachraum inzwischen so verbunden wird: Fast nur noch pejorativ im Sinne einer behaupteten Meinungsführerschaft linker, feministischer migrantenfreundlicher Intellektuellenkreise. Also letztlich so, wie die Neue Rechte diesen Begriff für sich instrumentalisiert hat.

Dabei ist es gar nicht so lange her, dass der Begriff in der Linken mit positiver Wortbedeutung verwendet wurde. In den Neunzigern konnte "Voll PC" unter Linken sowas wie "richtig Klasse" heißen. Und bis vor noch nicht einmal 10 Jahren gab es auch eine eigenständige politische Strömung, die sich als "PC-Linke" bezeichnete. Ich legte mich mit denen ja öfter an und verstand mich selbst als politisch unkorrekt-aber das in einem ganz und gar anderen Kontext als der, in dem so etwas heute thematisiert wird. In der sehr stark moralisierten, persönliche Konsequenz im Lebensentwurf in den Vordergrund stellenden norddeutschen linken Szene der Neunziger bis frühen Nuller galten ja schon Fleisch essen, der Gebrauch des Wortes "Ficken" und bisweilen auch das Betreiben von Kraft-Kampf- und Actionsportarten als politisch unkorrekt. Unter dem Aspekt, das Linkssein keine Frage des Lifestyles oder einer moralinsauren Lebenshaltung ist, sondern es dabei um die Analyse und Kritik der gesellschaftlichen Widersprüche einerseits und um eine widerständige, mit den Gebeutelten dieser Welt solidarische Lebensweise andererseits gehen sollte verstießen Leute wie meinereiner oft, regelmäßig und gezielt gegen PC-Normen und machten uns meist auch lautstark über diese lustig. Was heute allerdings unter "politisch unkorrekt" daherkommt ist zumeist, auch jenseits des gleichnamigen Blogs, zumeist einfach nur rassistisch, frauenfeindlich, homophob und rechtskonservativ.

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"Voll pc" als "richtig Klasse"-Synonym,
das funktionierte (zumindest aus meinem nicht ganz so linken und süddeutscheren Blickwinkel beobachtet)allenfalls eine kurze Zeit lang, bevor der Begiff und was man so gemeinhin damit verband ins moralinsaure und verklemmt-euphemistische abdriftete. Zum Teil mag auch die Rezeption des Begriffs mit Umweg über die USA dieses Label bei vielen verbrannt haben.

Ich hätte es ja lieber gesehen, wenn undogmatische Linke die Begrifflichkeit "politically incorrect" erfolgreich okkupiert hätten, statt sie den xenophoben Rechtsauslegern zu überlassen, aber das politische Geschehen ist halt nun mal kein Wunschkonzert.

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Dein Wort in Bakunins Ohr;-)

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In den difus linken und später auch gemäßigt liberalen Kreisen meiner 20er kalauerte man darüber.
Es gab in der Kritik von liberaler Seite einen hysterischen Zug, indem die paar von niemanden ernst genommenen PCler auch mal zur Bedrohung des Denkens und der Sprache im speziellen aufgeplustert wurden. Aber das waren Einzelfälle. Eigentlich waren die 90er eine sehr ironische und auch unpolitische Zeit.

Aus einer Erwachsenen-Perspektive find ich meine damalige instinktive Ablehnung völig in Ordnung. Es ist die Sehnsucht die Probleme der Welt Bewußtseinsmässig top down durchzusetzen. Die Jesuiten agierten genauso.
Für mein persönliches politisches und auch ästhetisches Empfinden hat Links sowieso immer dann überhaupt nur die Möglichkeit großartig zu sein, wenn es aus einer Haltung des Zweifels an vielem mit einer Menge Schwarzen Humor daherkommt. Der großartige 33 jährige chilenische Anarchist Ariel Zúñiga etwa.

Der in seiner ganzen Durchgeknalltheit eben auch vogelfreie Heinz Dieterich bezeichnete die aktuelle Bewegung der Weltsozialforen als "Summer Schools", zu denen er nicht mehr geht. An dieser Kritik am einem Kristallisationspunkt der heutigen Jung-Linken schwingt halt auch diese Kritik am Backfischhaften mit.

Revolution ist eine ernste Sache und wenn sie ständig von jungen, unerfahrenen Leuten adoptiert wird, stellt das ein strukturelles Problem dar. Mir persönlich ist das recht, weil ich nicht an Revolutionen glaube.

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@"Eigentlich waren die 90er eine sehr ironische und auch unpolitische Zeit." ---- Zu diesem Thema hatte ich ja schon mal ein eigenes Posting. Ich lese so etwas ausschließlich in der Bloggosphäre und habe diese Zeit anders erlebt. Da passierten so herrlich ironische und unpolitische Dinge wie Hoyerswerda, Rostock, Solingen, die Abschaffuing des Asylrechts und der Jugoslawische Bürgerkrieg. Das, und der Kampf dagegen bestimmte für mich die 90er Jahre.

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wobei auch schon damals vor rund 15 Jahren in HH seitens einiger Menschen aus der Punk- und der linken St. Pauli-Fanszene ziemlich schräge Provokationen gegen von diese als "PC-Maten" und "Automaten" denunzierten Menschen liefen, die durchaus an einen rechten "Anti-PC-Diskurs" anschlussfähig sind

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Man muß in der Tat unbedingt zwischen jenem Damals (80er Jahre) und dem Jetzt unterscheiden. Damals hatte das Lachen, diese Satire seine ganz eigene Berechtigung, gegen eine bestimmte verbiesterte, völlig humor- und lustfreie Linke, die in Dogmatismus und Fixierung erstarrte.

Wenn im Soziologischen Seminar irgend eine linke Esoteriktante faselte: ich bin Jungfrau (vom Sternzeichen her), dann war das für mich eine Steilvorlage. Manche mochten's, was ich sagte, andere nicht.

Mittlerweile sehen die Dinge jedoch anders aus. Begriffe wurden von einer Seite okkupiert, mit der man nicht viel zu schaffen haben möchte. Wenn, wie einstmals in einem Titanic-Cartoon, ein Weißer zu einem Schwarzen sagt "Du Schwarz" und der sagt "Ich weiß", so ist das ganz gut gemacht. Heute hat sich solcher Humor in Comedy und Bully Herbig transformiert, und das ist in der Regel nicht mehr so lustig.

Die 90er waren in der Tat sehr ironisch, was mir in einer bestimmten Form auch gut gefiel, bis dann allerdings so Schwachmaten wie Stuckrad-Barre, Joachim Bessing usw. auftauchten.

Nachtrag: Die von Dir, che, aufgezählten Ereignisse der 90er lassen sich in Form von Ironie nicht mehr bewältigen, das stimmt wohl. Für mich war die Ironie bzw. der Sarkasmus eine Haltung gegenüber bestimmten Aspekten.

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Das war für mich ein blinde Fleck, außer dem Frühstücksradiohumor bei Radio FFN habe ich davon nichts mitbekommen, bzw. die einzigen Ironiker, die ich da so erlebte waren zynische Börsenyuppies.

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Ja, der Begriff der Ironie ist erklärungsbedürftig, vor allem deshalb, weil er genau von solchen Radio/Medien-Typen und Yuppies (oder die, welche sich dafür halten) benutzt wurde, die damit ihrem Sozialdarwinismus, ihrem Wirtschaftsfaschismus ein ästhetisches bzw. ansprechendes Gewand verpassen möchten. Ich will bezüglich der Ironie gar nicht so sehr mit Rorty kommen, sondern eher aus der Praxis. Wenn irgendwelche Banker mit einem Lachen sagen, das verzocke Geld ist nicht weg, es ist nur woanders oder das Geld ist jetzt im Himmel, dann mag man das als Ironie, Sarkasmus oder Zynismus bezeichnen. Für mich ist das jedoch Arschlochhumor. Die Frage ist in solchen Fällen (der Ironie): Wer spricht? Solchen Typen ist dann entsprechen zu kontern, und zwar da, wo es ihnen weh tut. (Ist allerdings leichter gesagt als getan.)

Für mich selber ist die Ironie (als milde Form) bzw. der Sarkasmus (als einen Gang schärfer) eine (individualistisch geprägte) Haltung zu Dingen und Menschen, die sich, wie der Humor oder eine gelungene Satire, von Fall zu Fall einstellt. Sie beruht auf einer Spontaneität im Vollzug. Zu Rostock-Lichtenhagen gibt es unmittelbar und auch mittelbar keine ironische oder satirische Haltung, die man einnehmen könnte, weil es dort nichts zu lachen gibt. Und insofern sind Aussagen wie „Die 90er sind eine ironische Zeit“, „die 80er eine politisch bewegte“ usw. Verallgemeinerungen, die in ihrer Allgemeinheit gar nichts aussagen. Es gibt derart viele Adjektive und Substantive, die die Jahre, die jedes einzelne Jahr beschreiben, daß diese vielfältigen Begriffe gut in ein Buch hineinpaßten. Es ist dies zudem eine Mentalität der Zuschreibungen, die dem Guido-Knopp-Geschichtsfernsehen geschuldet ist: die qualitativen Feinheiten zu unterdrücken. Persönlich mag einer diese Zeit so erlebt habe, der komplexe Geist dieser Zeit, das gesellschaftlich und politisch Allgemeine in seinen verschlungenen Ausprägungen übersteigt das Persönliche jedoch bei weitem.

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Danke, lieber Bersarin, für diese schöne Antwort, mit der ich endlich mal zu diesem Thema etwas anfangen kann!

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Für mich waren ja die Achtziger und Neunziger Jahre durchgängig eine essentialistische Zeit, in der man sich mit Haut und Haaren einer politischen Sache verschrieben hatte.

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Für mich waren ja die Achtziger und Neunziger Jahre durchgängig eine essentialistische Zeit, in der man sich mit Haut und Haaren einer politischen Sache verschrieben hatte.

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stimmt, kann mich erinnern teilweise eine politische 35 Stundenwoche gehabt zu haben ... unbezahlt natürlich

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Wie die zeitweise 3 Demos pro Woche zustande kamen ist wahrscheinlich heute jungen Leuten gar nicht mehr nachvollziehbar.

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Ach Che,
die Klage über ach so unpolitisch gewordene Studis und brachliegende Demo-Kultur gehörte schon 1985 zum Standardrepertoire älterer Semester (und auch mancher Dozenten) am Institut für politische Wissenschaften in HD.

Das klang in meinen Ohren damals schon ein bisschen nach Oppa erzählt vom Russlandfeldzug. Und aus der Perspektive könnte ich jungen Leuten von heute ein gewisses Augenrollen auch nicht verdenken. Wir hatten das Thema ja schon mehrfach, aber im Süden war linke Verbissenheit nach meiner subjektiven Beobachtung nie so stark ausgeprägt und kulturbildend wie nördlich der Mittelgebirge. Davon abgesehen, dass es im Raum Mannheim-Heidelberg-Ludwigshafen auch keine nennenswerte offene rechte Szene gab, der man hätte groß entgegentreten müssen. Solingen, Rostock, Mölln und Hoyerswerda war zweifellos schlimm und schockierend, aber irgendwie nicht so nah vor der eigenen Haustür, dass es da viel zu kehren gegeben hätte. Für die paar Spacken, die mal vor dem Asylantenheim im MA rumstressen wollten, reichte ein nachbarschaftliches Kleinaufgebot.

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Das kann man trotzdem nicht vergleichen: Die 1985 so klagten waren zum überwiegenden Teil selbstgerechte 68er oder Deutscher-Herbst-geprägte Altspontis (bei uns oben, zu Heidelberg kann ich nichts sagen außer dass es da die ATOS-Klinik gibt und man gut Wein trinken kann), die über die Jüngeren ablästerten gerade zu einem Zeitpunkt, als die größten Demos der deutschen Geschichte stattfanden. Und in Göttingen war das damals so, dass jedesmal, wenn die USAF irgend ein Land bombardierte oder die Marines irgendwo landeten oder in Amsterdam ein Kraaker erschossen wurde oder IRA-Leute im Hungerstreik starben, also jedesmal wenn so etwas passierte die Banken, Kaufhäuser und US-Läden in der Fußgängerzone entglast wurden. Das passierte so alle 6-9 Wochen. Solche Verhältnisse sind heute wirklich nicht mehr vorstellbar.

Soziokulturell-politisch ist übrigens Süddeutschland für mich gefühltes Ausland. Ich glaube tatsächlich, dass Norddeutschland mit NL und Greater London da mehr Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte hat. Und umgekehrt Bayern, Tirol bis hin nach Südtirol, aber ohne das übrige Österreich eine Einheit bilden. Hieß früher mal das Oberland.

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Ja, diese geographisch-kulturelle Trennung
existiert durchaus. Wobei ich sagen muss, dass sich die Verdichtungsräume Rhein-Neckar und Rhein-Main (also mein Bezugsrahmen) auch nicht so ohne weiteres dem bayerisch-westösterreichischen-norditalienischen Lager zurechnen lassen. Die Kurpfalz war früh protestantisch und bot z.B. vielen Hugenotten Asyl, aber man war da auch nie so pietistisch drauf wie z:b: die Pietcong in Schwaben.

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dabei hattet ihr doch 1992 im Sommer in Mannheim-Schönau ein Pogromversuch

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Ja, da sind wir von Göttingen aus noch runtergefahrenn und wunderten uns, wie behäbig und dröge die dortige Antifa war und wie wenig Leuz.

Vor allem gibts da eine fette BASF, reichlich hochbezahlte Arbeit und keine prekär lebende sich politisch organisierende Flüchtlingsszene sondern stattdessen straff durchorganisierte Türkengangs.


Frankfurt und Wiesbaden sind dann allerdings noch ein ganz eigener Schnack.

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dafür ist auf der Ecke die betriebliche Linke traditionell relativ stark ... habt ihr damals auch die "Wildcat-Intervention" zu Mannheim-Schönau kritisiert?

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@ che
Von der Sache her im Sinne von Praktiken und Praxis geschah bei mir wenig. Die politische Sozialisation begann mit „konkret“ und „Titanic“, der taz, irgendwelchen Szene-Punkfanzines sowie einer bescheidenen, kleinen ersten Marx-Lektüre. Theoretisch richtig zur Sache ging es dann mit Hegel und anschließender DA von Adorno/Horkheimer. Ich gehörte bei Demos jedoch eher zum Fußvolk. Bei den Latschern, den Jusos, der SDAJ, den Lilalatzhosenträgern usw. war es mir zu öde und musikalisch-politisch Scheiße. Die Demos fingen bei mir ab 1980 an: Stoppt-Strauß-Demo mit 15, Hausbesetzer-Demos usw. Ja, die 80er Jahre waren auch bei mir eine demo-intensive Zeit. Da ich jedoch damit Schwierigkeiten habe, mich irgendwo zu binden und anzuschließen, blieb ich sozusagen außen vor. Auch durch das Photographieren sowie Philosophie bzw. Ästhetik geriet die Angelegenheit zunehmend theoretisch (solipsistisch), sieht man einmal von Studentenstreiks und irgendwelchen Besetzungen ab. Das Gerede in den Plenen war mir jedoch bald zu doof und zu zeitraubend.

Auch nahm die Photographie überhand. Die Demos mit Gewalt gerieten zum Selbstzweck, weil ich süchtig nach diesem Kick beim Photographieren war. Um von der Knüppelgarde nicht umgenietet zu werden und um hinter die Polizeiketten zu gelangen, mußte ich mich kleidungstechnisch etwas verändern. Ich erhielt seinerzeit von einer Zeitung ein Angebot, nach Israel zu gehen, um die erste Intifada zu photographieren. Entweder wäre ich heute tot oder ein guter Kriegsphotograph geworden. Ich lehnte ab.

Die 90er waren dann viel von der Theorie (und wiederum von Frauen), aber wenig von Praxis geprägt. Mit einigen Frauen hat es nicht so gut geklappt, bei anderen gab es Scheitern und bei manchen merkte ich erst etwas, als es zu spät war. Bei einer jungen Filmemacherin war ich derart dämlich: wir haben Video-Filme geschaut, sie lag bereits auf einem Sofa, fragte, ob ich mich nicht zu ihr legen wollte. Da ich aber in den Film und in Gedanken vertieft war, sagte ich: „Später!“ Es wurde dann nur noch ein Godard-Abend mit anschließender Trunkenheitsfahrt nach Hause. Aber ich bin lernfähig.

Es waren diese 80er, 90er Jahre das, was ich in Anlehnung an Kunze „die wunderbaren Jahre“ zu nennen pflege. Eine intensive Zeit.

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Ach herrjeh, die Zeiten. Nein, die Wildcat-Intervention haben wir unterstützt. Es haben auch welche von uns am Zirkular mitgeschrieben.

Meine politische Sozialisation ging so richtig mit meiner Kriegsdienstverweigerung los. Ursprünglich um ein Engagement zum Nachweis einer humanistisch-pazifistischen Gesinnung vorlegen zu können trat ich bei ai ein, da ging es dann gleich in die Iran-Gruppe, und im Iran war gerade Revolution. Ich kleiner 17jähriger saß dann mitten unter lauter knallharten AntiimperialistInnen. Dann die Initiative gegen Ausländerfeindlichkeit, da war ich dann zusammen mit Leuten aus der Devrimci Yol, aus der später die PKK hervorgehen sollte. Gelesen habe ich damals Fromm, Reich, Mitscherlich, Bommi Baumanns "Wie alles anfing", Bakunin und Kropotkin, entsprechend verband ich Freudomarxismus mit Anarchismus, nur meine Sicht auf internationale Politik, Dritte Welt und Kriege der USA war eher Che Guevara-mäßig. Dann las ich noch die KIassiker der iranischen Linken: Said Soltanpur, Samad Behrangi, Marziah Ahmadi Ozkoii. Dann entdeckte ich im Buchladen, der von Genossen betrieben wurde die Autonomie Neue Folge Nr.1. Ich hatte meine Heimat gefunden.

An der Uni kamen dann die autonomen Seminare. Wir machten selbstorganisierte Seminare, die zu Themen arbeiteten, die an der Uni nicht gelehrt wurden: Anarchisten in der Russischen Revolution, Dialektik der Aufklärung, Das Kapital, Bourdieu, Baudrillard, Foucault. Und Sachen, die unseren Profs didaktisch gegen den Strich gingen, zugleich aber am Max-Planck-Institut für Geschichte, damals eine Hochburg der undogmatischen Linken gelehrt wurde: Alltagsgeschichte, Geschlechtergeschichte, Umweltgeschichte, Körpergeschichte, Historische Anthropologie. Damals verpönt, heute gehört es zum Curriculum der Gymnasien, zumindest in der Theorie. Der autonome Arbeitsstil hielt uns auch immer in kritischer Distanz zu unseren Profs, denen wir auf die Finger schauten uind auch mal Fehler nachwiesen. Zweimal pro Semester große Fachschaftsfete, einmal pro Semester Klausurseminar in einem Tagungshaus oder einer Berghütte, da wurde nachts durchdiskutiert, gesoffen und gekifft, hinterher war das Beziehungskarrussello weiterrotiert. Auch ausnahmslos nach jeder Semesteranfangs- und Abschlussparty. Später dann Antifa und direkte Konfrontation mit den Nazis, nachts Patrouillen mit blankem Knüppel, die BürgerInnen hielten uns für eine Bürgerwehr und fragten, ob wir "im Dienst" seien. In den Neunzigern dann Kurdistan-Solidarität, Antira und das hier:

http://wolfwetzel.wordpress.com/2008/01/20/die-abschaffung-des-asylrechts-1993-%E2%80%93-ein-ruckblick/

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@Bersarin: "Mit einigen Frauen hat es nicht so gut geklappt, bei anderen gab es Scheitern und bei manchen merkte ich erst etwas, als es zu spät war. Bei einer jungen Filmemacherin war ich derart dämlich: wir haben Video-Filme geschaut, sie lag bereits auf einem Sofa, fragte, ob ich mich nicht zu ihr legen wollte. Da ich aber in den Film und in Gedanken vertieft war, sagte ich: „Später!“ Es wurde dann nur noch ein Godard-Abend mit anschließender Trunkenheitsfahrt nach Hause. Aber ich bin lernfähig." ---- So was Ähnliches hattest Du schon bei Netbitch geschrieben, oder?

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Ja, das war in Bordeaux, mit einer anderen Frau, etwas später.(Auch schwarzhaarig. Es war damals eine ziemlich cineastische Zeit. Viel Geld trug ich in Kneipen, viel zum Buchhändler, manches ins Kino.) Ich bin leider Wiederholungstäter. Netbitch hatte dafür ein schönes Wort gewählt, welches ich leider in einem Fall von Gedächtnisschwund oder Verdrängung vergessen habe.

Bommi Baumann stimmt, ich erinnere mich, und bei Wagenbach Meinhof "Die Würde des Menschen ist antastbar."Alex Schubert "Stadtguerilla". Ich hatte jedoch kein Umfeld, die Dinge bauten sich nicht aus.

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Und ich wurde nachts festgenommen, vermummt, mit RAF-Texten in der Tasche, und dann kamen monatelang die Briefe zwei Stunden später als im übrigen Haus geöffnet an.

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Die Netbitch-Formulierung lautete, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, "Mösenverpasser".

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Stimmt, schamvoll und schuldbewußt wollte ich das Wort nicht aussprechen. Nun setzt die Anamnese ein. Traurig schlendere ich zum Weinregal und überlege, was ich öffnen soll. Einen Arbeitsgeschenk-Chianti, den ich nicht kenne, oder einen Wein meines "Hauswinzers"? Um all die Fehler, die ich einst tat, fortzuspülen. Das Versäumte zu vergessen. Es passierte mir ein solche auch noch ein drittes und viertes Mal. Aber damit will ich nun niemanden behelligen.

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Im Nachtrag muß ich noch sagen: ziemlich bewegte Geschichte, die Du hattest (und hast). Ob ich die Traute dazu hätte, weiß ich nicht. Eher nicht. Ab einem bestimmten Punkt war ich auch zu sehr in den Texten drin. Diese Novembertage 1989 (Mauerfall) habe ich nicht einmal richtig mitbekommen, weil ich mich mit Kants Transzendentaler Apperzeption und Hegels Wiss. d. Logik in einer Arbeitsgruppe herumschlug.

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Habe ich auch nicht, da war ich erst in Ägypten und interpretierte die Fragen der Einheimischen nach deutscher Wiedervereinigung als empathische Übertragung von Palästina-Frage auf unsere Verhältnisse, und dann kam der Tod von Conny Wessmann und die daran anknüpfenden Auseinandersetzungen. Die Vereinigungsgeschichte war für uns erst ab Januar 1990 wirklich auf dem Schirm, obwohl wir im November eine Diskussionsveranstaltung mit Karl-Otto Dill zur Entwicklung in der DDR organisiert hatten.

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"Diese Novembertage 1989 (Mauerfall) habe ich nicht einmal richtig mitbekommen, weil ich mich mit Kants Transzendentaler Apperzeption und Hegels Wiss. d. Logik in einer Arbeitsgruppe herumschlug."

Das Richtige denken und die Deppen da draußen ignorieren ist die letzte noch verbliebene Möglichkeit zur Wahrung der intellektuellen Integrität.

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1989 war für uns ein Krisen- ebenso wie ein Kampfjahr, in dem ein Hochschulstreik, der letzte Hungerstreik der RAF-Gefangenen, gewalttätige Auseinandersetzungen mit Neonazis, die Anti-Gentechkampagne, Vergewaltigungen in der autonomen Szene, der Tod von Conny, das Herrhausen-Attentat und für mich persönlich auch noch zwei Strafverfahren, eines davon politisch und eine abenteuerliche Ägyptenreise im Vordergrund standen. Der Zusammenbruch der DDR war da Nebensache;-)

Das, was dieser perspektivisch für die Linke in the long run bedeutete und die Richtungen, in denen sich Auseinandersetzungen für Linke in Göttingen, Hamburg und Bremen dynamisierten liefen diametral entgegengesetzt. 1989 war für uns ein Jahr großer linker Massenmobilierung, die sich bis zur Abschaffung des Asylrechts 1993 fortsetzen sollte.

Die Bundestagsblockade hatten wir mitorganisiert. Einen Tag später war der Brandanschlag von Solingen. Noch einen Tag später sahen wir im Urlaub auf Wangerooge, dass da jemand die Reichskriegsflagge aufgezogen hatte. Wir sofort auf sein Grundstück, den Fetzen einholen. Das waren bewegte Zeiten.

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das Jahr, wo der Stress mit den Faschos wirklich einsetzte, meiner Wahrnehmung nach im Frühjahr, also als die DDR noch stabil erschien ... ansonsten zwei wichtige Punkte für mich das Tiananmen-Massaker Anfang Juni und die letztendlich abgebrochene Grossoffensive der FMLN im Herbst (gefolgt von der Wahlniederlage der FSLN einige monate danach), beides Ereignisse, welche wie das Ende der DDR in gewisser Hinsicht Wendepunkte (Endpunkte?) markierten wobei ich mit meiner Gymnasiastenwahrnehmung dass damals noch nicht so klar sah

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Und die Konferenz von Malta 1988, bei der wir davon ausgingen, das sie weltpolitisch neue Paradigmen setzte. "Nach Jalta kommt Malta" war da unser geflügeltes Wort. Und ich las in einem Memorandum des Pentagon mit dem Titel "Differenzierte Abschreckung", zu dessen Autoren Samuel Huntington gehörte, was über diesen Autor wohl alles sagt.

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@che, 7. Dezember 2010, 15:47
Die 1985 so klagten waren zum überwiegenden Teil selbstgerechte 68er oder Deutscher-Herbst-geprägte Altspontis

ich habe mal im rahmen sozialer-bewegungsbeschau presseartikel zu den studierendenprotesten 97/98 gefräst: alles voll mit hämischen und verächtlichen 68er-bezügen, besonders aus dem liberalkonservativen spektrum. entweder weil man mit "68" noch eine rechnung offen hatte oder weil man die kleine revolte herunterwürdigen wollte.
das hat erst aufgehört, als autobahnen besetzt wurden, die bannmeile durchbrochen uswusf.

interessanterweise haben sich gerade "echte" 68er schön zurückgehalten mit klugen ratschlägen...

(aber vielleicht waren die o.g. "selbstgerechte[n] 68er oder Deutscher-Herbst-geprägte[n] Altspontis" gut zehn jahre später auch einfach nur im neoconfahrwasser angekommen...)

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Sehr viele von denen waren das tatsächlich, abgesehen davon, dass diese Tempo-Wiener-Zeitgeist-Mischpoche in der Zwischenzeit massivst gewirkt hatte. Entscheidend ist der zeitliche Abstand zwischen 1985 und 1997: Dazwischen liegt die Ära Kohl. Die Protestgeneration von 1985 war noch durch eine gegen die Militärdoktrin einer SPD-Regierung gerichtete Friedensbewegung und eine radikal antietatische Anti-AKW-Bewegung geprägt gewesen.

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