Sonntag, 8. April 2012
Zu Ostern - Einmal positiv gedacht
Nein, ich werde ganz bestimmt nicht ins Lager der Klimakatastropheleugner überlaufen. Aber wenn ich so betrachte, wie sich hierzulande in den letzten Jahrzehnten die Umwelt erholt hat - bei weltweitem Artensterben - so bietet sich auch nicht unbedingt der Anlass, ausschließlich pessimistisch zu sein. Was hatte die alte Ökopaxbewegung 1977-84 nicht für Horrorvisionen an die Wand gemalt. Für 2000 stellte man sich das ganze Land als strahlende Industriebrache vor, abgesehen von Ökofundis, die von der Deindustrialierung und so einer Art Biobauernlandkommune als neuer Gesellschaftsform schwärmten. Es besang nicht nur Peter Maffay in "Eiszeit" den nuklearen Holocaust, es gab auch ein Lied, in dem orakelt wurde, in 2010 würden grüne Wiesen, Rehe und Greifvögel wie Feen und Elfen gehandelt werden. Noch weiter zurück, Anfang der Siebziger, half ich meinem Vater bei der Müllentsorgung nach einer größeren Renovierung. Er lieh sich einen Bulli, den wir mit Schuttsäcken volluden und brachten die auf die Müllkippe. Man lud dort einfach ab, Bauschutt, Hausmüll, Biomüll, alles völlig unsortiert. Das wurde dann von Bulldozern zu gleichmäßig geformten Halden zusammengeschoben. Hatten die eine bestimmte Größe erreicht, wurden sie komplett mit alten Autoreifen bedeckt, diese mit Benzin begossen und das Ganze angezündet. Das kokelte dann ein par Wochen vor sich hin und schrumpfte dabei auf etwa ein Viertel des bisherigen Haldenvolumens. War die verbliebene Schlacke-Asche-Halde komplett ausgekühlt wurde da neuer Müll draufgeschüttet, und immer so weiter, bis es nicht mehr ging. Dann wurde die Müllhalde mit Erde zugedeckt und das ganze mit Gras bepflanzt. Heute stehen da so eine Art grüne Deiche mitten in der modernen Mülldeponie mit sorgfältigster Mülltrennung und peinlicher Überwachung der Anlieferung. In der Umgebung gibt es auch zwei kleine Berge, die so etwa 50 bzw. 100 Meter hoch aufragen und von denen einer 2,5 km Seitenlänge hat - einer aus Hausmüll und einer aus Bauschutt aufgetürmt, bewaldet und beliebte Aussichtspunkte. Rundherum gibt es Teiche, in denen seltene Lurche und Muscheln leben, Füchse streifen umher (Ich traf auf einer Radtour sogar mal einen), der Müll wird heute recyclet oder in einem Kraftwerk mit Kraft-Wärmekopplung und zusätzlichen Gasturbinen verbrannt, die von Schwermetallen gereinigte Asche kommt als Dünger zum Einsatz. Noch zu meinen Oberstufenzeiten stellte bei Müllverbrennungsanlage die "Flugasche" ein Problem dar - die Asche wurde einfach aus den Schornsteinen in die Athmosphäre geblasen, und dabei waren die Müllverbrennungsanlagen gegenüber dem Abfackeln von offenen Müllhalden schon ein gewaltiger Fortschritt. Wer sich heute über die Umständlichkeit der Mülltrennung oder die genaue Prüfung der Art des angelieferten Mülls bei Beschickung der Deponie aufregt hat ein echtes Luxusproblem. Was eine Sauerei ist ist Mülltourismus - es gehen immer noch große Mengen deutschen Mülls in ärmere Länder, wo der Schitt so entsorgt wird wie bei uns in den frühen Siebzigern, auch eine Art Imperialismus. Dagegen ist dringend anzugehen, bessere Lösungsmöglichkeiten sind ja auch längst da. Es darf nicht sein, aber es ist so, dass Erholung und Renaturierung hiesiger Landschaften und Entlastung von Mülldeponien mit dem Vollschütten von Landschaften in Unteritalien und Nordafrika erkauft wird.


So um 1980 galten Seeadler als vom Aussterben bedroht, heute wächst die Zahl der Brutpaare kontinuierlich, Lachse werden in unseren Flüssen ausgewildert, die noch in den Achtzigern regelmäßig umkippten und dann so tot waren wie das Abflusswasser eines Fotolabors, auf einem Kirchturm unweit unseres Hauses (Innenstadt) horsten Wanderfalken, Milane und Bussarde sieht man fast täglich, in Berlin haben Wildschweine die Parks erobert. Die Öko-Apokalypse ist nicht eingetreten.

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"Die Öko-Apokalypse ist nicht eingetreten"
Stimmt, aber doch sicher auch nicht, weil einiges getan wurde, um sie zu verhindern, und daran hat auch der Alarmismus der 70er Anteil.

Die nukleare Apokalypse hätte z.B. 1983 (mal Operation RYAN googeln) durchaus eintreten können. Hier haben wir einfach Glück gehabt.

Und hätte der Putsch gegen Gorbatschow Erfolg gehabt, würden wir vielleicht heute noch in einem sehr gefährlichen Kalten Krieg leben.

Mit der Klimakatastrophe habe ich auch so meine Probleme. Gerade weil der Zeitraum doch weitaus langfristiger ist als die damals sehr unmittelbar gefühlte Gefahr. In 30 Jahren werden fossile Brennstoffe kaum noch eine Rolle spielen.

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Völlig richtig. Ich denke auch weder an Entwarnung noch daran, dass die Öko-Bewegung falsch liegt. Es wird immer noch viel zu wenig getan. Nur: Die erreichten Erfolge sind zumindest hierzulande wahrnehmbar. Das sollte Ansporn sein, mehr zu tun. Ich kenne so einige Leute, die die Apocalypse für unabwendbar halten, und das ist falsch.

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Postwachstum
http://www.cinerebelde.org/wake-up-freak-out-then-get-grip-p-83.html?language=de

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An den Tipping Point glaube ich nicht
Die Erde ist schon viel kälter und auch viel wärmer als heute gewesen. Es geht kaum darum, wieviel mehr CO2 die Erde verträgt, sondern wieviel Temperaturanstieg die Menschheit verkraftet.

Der Erde ist es egal, ob New York absäuft. Es braucht übrigens nur ein Supervulkan ausbrechen und die Klimaerwärmung ist Geschichte.

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Massensterben im Perm, das Ende der Kreidezeit... aber das sind Faktoren, die wir nicht kontrollieren können, menschgemachte Zerstörungen schon.

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"Die Öko-Apokalypse ist - hier - nicht eingetreten."

Lokale Varianz vs. globaler Trend.

Something wicked comes around... Methan, aus auftauenden Permafrostgebieten Nordsibiriens.

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Dazu das passende Bild aus einem russischen Magazin

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@lokale Varianz vs. lokaler Trend: Die Crux bei allem ist ja ohnehin, wie die Großen, China, Indien, USA, Russland dazu zu bringen sind, Standards einzuhalten, die in der EU längst gelten. Die daraus abgeleitete Schlussfolgerung "Eh alles egal, auch unser eigener Umweltschutz, im Weltmaßstab wird sich nicht drum gekümmert" können wir uns allerdings nicht leisten.

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Super Text, danke. Du sprichst hier m.E. zwei Komplexe an. Erstens den medialen Hype, der in Aufmerksamkeitsökonomien, also in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften generell, immer existent ist. Mir fällt eine Stern-Reportage aus den frühen 80ern ein: Jeweils eine Doppelseite mit einem (damals) aktuellen Foto einer bekannten deutschen Waldlandschaft, Neuschwanstein, Schwarzwald und sowas. Und auf der nächsten Doppelseite dieselbe Perspektive mit Bildbearbeitung, wie es angeblich im Jahr 2000 aussehen wird: Es sah jeweils aus wie auf dem Mond.

Das Problem ist, dass solche Szenarien in vollem Umfang ernst genommen wurden und dass damit ein apokalyptisches Moment in Deutschland bedient wird.

Und zweitens: Damals waren es reale, spürbare ökologische Bedrohungen: Der verdreckte Rhein, heute baden Kinder drin, die Luft, heute sauber. Es ist auf dieser Ebene heute eigentlich alles in Ordnung. Die Klimakatatstrophe mag es geben, aber wir spüren es nicht und verhandeln das alles auf fiktiven Ebenen, auf Prognosen fürs Jahr 2100, das läuft dann schnell auf einem ähnlichen Niveau wie die Demografie-Debatten, die nur dazu dienen, der Masse heute neoliberale Zumutungen aufzudrücken. Es ist der antiemanzipatorische Effekt, auf den man da achten muss.

Mein zufällig aktueller Text zum Thema:

http://exportabel.wordpress.com/2012/04/05/german-angst-heute-katastrophen-in-kassel/

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Meine Kommentare sind schon da;-)

Als wir 1983 im Kunstunterricht ein Denkmal schaffen sollten war für mich klar, dass das ein Mahnmal werden müsste. Ich malte einen Perückenkopf hellbraun an und schnitt dann furchtbare Wunden hinein aus denen Blut floß, spickte das ganze mit MIG-Eagle- und F111-Modellen und formte aus gelb-rot-violett eingefärbter Watte einen Pilzwolke, die aus dem Schädel kam. So waren die Zeiten.

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Wir hingegen sollten
uns vor der Sperrmüll-Abholung irgendwelchen Schrott abgreifen und diese "objets trouvés" mit einem dazugehörigen Statement zu einem Artefakt adeln. Während sich einige Klassenkameraden stundenlang einen abbastelten, habe ich nur ein Stück Platine aus einem kaputten Fernseher gebrochen und ein Pamphlet über die Mediengesellschaft geschrieben. Gab eine 1-2, wohingegen die Fleißbastler mit eher undurchdachten Begleittexten mit Mühe eine 3-4 erreichten.

Aber das stimmt, so wie Du schreibst, waren die Zeiten, und dass wir die 80er überlebten, ist nachgerade als Mirakel zu begreifen.

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Straight onward with basics
Und hier wirkt sich, das ist Sinn und Zweck meiner ganzen Abhandlung, die Entwicklung des kollektiven Bewusstseins in der Linken nach dem Modell der Langen Wellen aus.

http://de.wikipedia.org/wiki/Kondratjew-Zyklus


Zuerst, 1967 ff., wurde hierzulande erst begeistert, dann verbissen, zuletzt verzweifelt versucht, die Versprechungen der bürgerlichen Demokratie von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit jetzt hier und sofort einzulösen und dabei zugleich den Schwerpunkt der Gesellschaft nach links zu verschieben. Diese Revolte war bereits zusammengebrochen und ihre Reste verhärteten sich in dogmatischen marxistisch-lennistischen Splittergruppen, als ein weltökonomischer Paradigmenwechsel die Basis dieses Aufbruchs hinwegfegte. Gleichzeitig drangen die Vorstellungen und Lebensentwürfe der 67er überhaupt erst in das Bewusstsein breiterer Massen ein. Ich würde sagen, dass sich die BRD-Gesellschaft bis noch nach Mitte der 80er Jahre soziostrukturell gesehen nach links entwickelte, solange nämlich die festgefügten konservativen Kernmilieus noch mit den Eliten verbunden waren und so etwas wie legere Kleidung, Konsum weicher Drogen, Abneigung gegen preußische Arbeitsdiziplin, sexuelle Libertinage, bestimmte subkulturelle Lebensweisen als strukturell links wahrgenommen wurden.


In den 70ern ging es weniger um den großen Aufbruch als vielmehr um die Verhinderung/Bekämpfung von Verschlechterungen, und anstelle des Sturm-und-Drang-Gefühls der APO entstand eine Stimmung der Apocalypse. Der erste neoliberale Schub (Reaganomics, Thatcherism, Felipismo, Verkohlung) verschärfte dies einerseits, brachte andererseits kurzfristig gegenkulturelle und politische Strömungen hervor, die radikaler waren als Linke bis dato und teilweise auch mit einer neuen, weniger von Hoffnung als von Wut geprägten Aufbruchsstimmung antraten, parallel dazu entstanden aber auch rechte Jugendsubkulturen und das Yuppietum. Dann waren die 80er zugleich auch hedonistische Partytime. Unter den Vorzeichen von Zusammenbruch des Kasernenhofkommunismus und Wiedervereinigung kam es in den 90ern dann zu einer ganz seltsamen Kombination: Eine Art Aufbäumen von dem, was von der radikalen Linken noch da war, Lichterketten und militante Auseinandersetzungen mit den Faschos, der Versuch eine bundesweite Antifaorganisation zu schaffen ebenso wie das Entstehen der ersten antideutschen Gruppen und parallel die Zunahme an rigider Moral, extremer "Antisexismus", PC-Linke usw, der Versuch, in einer Situation, in der alles was der Linken Halt gegeben hatte, selbst die Wand, zu der man mit dem Rücken stand wegzubrechen drohte die eigene Identität mit rigider Moral aufrechtzuerhalten, was aber den Verfall eher beschleunigte. Und davon erleben wir heute schon allerlei Recycling-Ausgaben.

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