Freitag, 30. März 2012
Einmal global betrachtet
Ständiges Thema in meinem Blog ist die Frage, wieso die Linke, speziell die radikale Linke insgesamt schwach und politischer Durchsetzungsmöglichkeiten beraubt ist. Meine Beiträge zu den Themen „Gewesene Linke“, „Antideutsche“, und „Elemente der Gegenaufklärung“ befassten sich damit, während es bei der Antira-Thematik eher darum geht, über laufende antirassistische Aktionen und Kampagnen zu berichten und zur Teilnahme zu mobilisieren. Indes bezieht sich meine aktuelle PC-Kritik wieder auf Ersteren Bereich, allerdings offensichtlich unter Wahrnehmung aller denkbaren Missverstehungsmöglichkeiten beim kommentierenden Publikum. Daher mache ich hier noch einmal eine Gesamtverortung, die einen klaren Unterschied zu der von mir sonst gewählten anekdotischen, aus meiner eigenen Lebenswirklichkeit geschöpften biografischen Betrachtungsweise vornimmt.

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kam es zum bislang letzten Mal zu einem weltweiten Aufbruch einer sozialrevolutionären Bewegung. Die Gründe hierfür waren äußerst heterogen und an unterschiedliche länder- oder globalregionspezifische Bedingungen geknüpft. Im Trikont standen Revolutionen und Revolten in der Fortsetzungslinie antikolonialer Befreiungskämpfe, in den Metropolen war es eine Gemengelage, die sich auf den Gesamtnenner „Gleichzeitigkeit in der Ungleichzeitigkeit“ (Bloch) ausrichten lässt. In den USA führten die Bürgerrechtsbewegung, die, durchaus im Einverständnis mit der Reformpolitik Kennedys und Johnsons 100 Jahre nach dem Bürgerkrieg nicht nur die formale, sondern auch die gesellschaftsreale Gleichberechtigung der Schwarzen (und der Frauen, vgl. Womens Lib) mit subversiven, aber gewaltfreien Aktionen durchzusetzen versuchte, der Protest gegen den Vietnamkrieg mit dem Aspekt der Kriegsdienstverweigerung amerikanischer Männer und die subkulturellen Beatnik- und Hippiebewegungen dazu, dass linksliberales politisches Engagement, Antirassismus, Pazifismus und Antiimperialismus ein Bündnis eingingen: The New Left.

In Frankreich stand die einerseits autoritäre, restaurativ-konservative, andererseits die Kontinuitätslinien zu Kolonialkriegen überwindende und soziale Mindeststandarts durchsetzende Politik deGaulles im offenen Widerspruch einerseits zu den rassistisch-kolonialistischen Positionen der alten Algerienkämpfer und andererseits zu den emanzipativen Forderungen von ArbeiterInnen und StudentInnen, die sich um existenzialistische, traditionskommunistische, maoistische und anarchistische Positionen formierten.

In der Bundesrepublik Deutschland bestand die Ungleichzeitigkeit in einer historisch beispiellosen Wohlstandsentwicklung in einer jungen Demokratie einerseits mit sukzessivem Ausbau des Systems sozialer Leistungen, eingebunden in eine Integration der Gewerkschaften ins Herrschaftssystem („Konzertierte Aktion, „formierte Gesellschaft“) und dem restaurativen, die NS-Vergangenheit erfolgreich verdrängenden Klima der Republik andererseits, auch „motorisiertes Biedermeier“ genannt. Die 67er-Revolte war im Ausgangspunkt die von Studierenden und Azubis, welche gegen die selbstgerechte Elterngeneration und die bigotten Legitimationsmuster des Nach-Adenauer-Staats aufbegehrten.

Ähnlich war die Situation in Japan, allerdings mit einer noch viel weiter reichenden Korruption und Geschichtsblindheit der politökonomischen Eliten. Entsprechend militanter als in der BRD fand die Mobilisierung der studentischen und proletarischen Protestbewegungen dort statt. Die Zengakuren (gesprochen: Shingakua) führten seit den Frühsechzigern Straßenschlachten gegen die Polizei, die in der Härte der körperlichen Auseinandersetzungen die des Pariser Mai oder späterer Bauzaunkämpfe der westdeutschen Anti-AKW- und Startbahn-West-Bewegungen übertraf.


http://de.wikipedia.org/wiki/Zengakuren


Matrix all dieser Prozesse war ein beispielloser ökonomischer Aufschwung in den kapitalistischen Metropolen, der sich als 15 Jahre anhaltender Dauerboom in allen relevanten Bereichen der Wirtschaft charakterisieren lässt. Mit der Wende von den 1960ern zu den 1970ern erreichte dieser sein jähes Ende. Die weltweite Überakkumulation führte zu einem plötzlichen Wachstumsstopp, der erstmals 1969 eine kleine Wirtschaftskrise bewirkte. Dann kamen zwei andere Faktoren hinzu: Die Ausgaben der USA für den bald nicht mehr finanzierbaren Vietnamkrieg wurden durch eine Kürzung von Sozialprogrammen und eine Aufgabe der Golddeckung des Dollar sowie Anwerfen der Notenpresse beantwortet, die zu einer rasanten Talfahrt des Dollar führte. Im fixen Verrechungssystem von Bretton Woods war dieser die Weltleitwährung, alle Währungskurse wurden mit dem Dollar verrechnet, so dass es zu einer weltweiten Inflation kam. Die Loslösung der Kurse von der bisherigen Weltleitwährung (oder auch Weltleidwährung) bedeutete kurzfristig Entlastung für andere Währungen, langfristig aber freie Konvertibilität aller Währungen auf dem Weltfinanzmarkt, da Währungen nun wie Kapitalwerte auf dem Finanzmarkt gehandelt werden konnten. Die Basis des Neoliberalismus wurde Anfang der 1970er gesetzt.

Zweiter Faktor war die sogenannte Ölkrise. Nach dem Yom-Kippur/Ramadan/Oktober-Krieg

http://de.wikipedia.org/wiki/Jom-Kippur-Krieg


erhöhte die OPEC die Ölpreise mit der Folge, dass die Energie- und Rohstoffpreise weltweit eklatant anstiegen. In Folge war die kapitalistische Weltwirtschaft mit dem Problem der Stagflation konfrontiert, also gleichzeitiger Stagnation und Inflation. Die Auswirkungen waren katastrophal: In den Ländern des Trikont kam es zur „Schuldenkrise“ der „Dritten Welt“, Entwicklungskredite konnten nicht zurückgezahlt werden mit dem zwangsläufigen Ergebnis von Massenverarmung, frühere Emanzipationskämpfe kippten in Verteilungskämpfe um. In den Metropolen ging es auf höherem Niveau ähnlich zu, soziale Auseinandersetzungen wie die großen Streiks bei Fiat und Ford zielten nicht mehr wie bisher auf höhere Partizipation sondern auf Besitzsstandsverteidigung ab, freilich noch mit einer Militanz und Kompromisslosigkeit, die heute nicht mehr denkbar wäre.


Die Auswirkung auf das Bewusstsein der politischen Linken war fatal. Das Lebensgefühl der 67er-Bewegung war geprägt durch die Vorstellung, dass die Gegenwart in allen materiellen und sozialen Angelenheiten besser war als die Vergangenheit und die Zukunft noch besser würde, dies angesichts des als anachronistisch angesehenen Fortbestands kapitalistischer Herrschaft aber nicht ausreiche. „We want the world, and we want it now!“, wie die Doors es ausdrückten, oder „We want not just one Cake, we want the whole fucking Bakery“, wie es die Black Panthers formulierten.

Der 1968 produzierte Science-fiction-Film „2001-Odyssee im Weltraum“ brachte das damalige Bewusstsein zum Ausdruck: 2001 fliegen wir zu den Monden des Jupiter, dann kommt der Sprung zu den Sternen. Kennedys eingelöste Parole „In einem Jahrzehnt zum Mond“ hatte eine Hightech-Erwartungshaltung im wahrsten Wortsinn beflügelt, die zu Projekten wie dem Überschall-Passagierflugzeug „Concorde“ und der noch schnelleren, nie in Serie gebauten Boeing 2707 führte und die sehr hochgesteckten Zukunftserwartungen eines veränderungseilen Jahrzehnts abbildete.

In den 1970ern war stattdessen die Haltung dominierend, nicht mehr die Weltrevolution zu wollen, sondern Widerstand gegen Schweinereien von oben zu leisten. Der Begriff Widerstand wurde dann auch zum Schlüsselwort, egal, ob es gegen AKWs, Luxussanierung oder Berufsverbote ging. Entsprechend zum Paradigmenwechsel igelte sich die Linke mehr und mehr ein. In Westdeutschland traten an die Stelle einer antiautoritären, rotzfrechen und hedonistischen Bürgerschreck-Linken spießige K-Gruppen, die sich alle höchst ähnlich waren, einander aber bis aufs Messer bekämpften. Es ging nicht mehr um empirisch entwickelte Befreiungsperspektiven oder konkrete Fragen des Klassenkampfs, sondern um Interpretationen marxistisch-leninistischer Glaubenssätze, die mit theologischer Imbrunst vertreten wurden.

Parallel entwickelten sich linke Szenen, die an konkrete Alltagsfragen und überkommene Diskriminierungen anknüpften: Die Frauen- Schwulen- Anti AKW- und Häuserkampfbewegungen, die Spontis, die als Abgrenzung zu den K-Gruppen linke Politik projektbezogen sahen und zunehmend kampagnebezogen, aber bis auf allgemeine Sympathie für den Anarchismus theorielos waren.

>>wird fortgesetzt>>

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