Dienstag, 12. Juni 2012
Keine Gutscheine in Bremen
taz 11.06.2012

Unterbesetzte Ausländerbehörde
Bares für Flüchtlinge

Lebensmittelgutscheine sollen die Ausnahme bleiben. Alles gut ist damit
dennoch nicht: Viele bekommen kein Geld, weil das Ausländeramt sie
warten lässt.von Eiken Bruhn

Lebensmittelgutscheine für Flüchtlinge sollen in Bremen die absolute
Ausnahme bleiben. Dies stellte jetzt die Sozialbehörde klar. Zuvor hatte
ein Rechtsanwalt öffentlich gemacht, dass eine Mandantin von ihm das ihr
zustehende Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Form von
Gutscheinen ausgezahlt bekommen soll. „Der Fall ist noch nicht
abschließend geklärt“, sagte gestern der Sprecher der Sozialbehörde
Bernd Schneider. Grundsätzlich komme es aber nur sehr selten vor, dass
Gutscheine gerechtfertigt seien, „etwa wenn jemand wiederholt das Geld
verloren hat“. Die Sozialzentren seien daran erinnert worden, so
Schneider. „Das soll nicht zur Regel werden.“

Flüchtlingsorganisationen nahmen die Nachricht erleichtert auf. Bremen
würde aus gutem Grund auf diese in anderen Ländern gängige Praxis
verzichten, sagt Gundula Oerter von der Flüchtlingsinitiative Bremen.
„Das ist schlicht menschenverachtend“, findet sie. Die
„Kostenübernahmescheine“ könnten nicht überall eingelöst werden, man
könne mit ihnen weder Briefmarken, Zeitungen oder Medikament kaufen,
sondern nur das nötigste für den Lebensunterhalt. „Das heißt, dass diese
Menschen noch nicht einmal als Konsumenten mit anderen gleich gestellt
sind.“

Zudem bekämen die Betroffenen mit Gutscheinen weniger Geld, weil die
Geschäfte nicht mehr als zehn Prozent des Wechselgeldes auszahlen
müssten. Dabei ist die staatliche Hilfe für Flüchtlinge ohnehin schon
niedrig. Sie liegt ein Drittel unter dem, was Arbeitslose erhalten. Marc
Millies vom Flüchtlingsrat Bremen teilt Oerters Kritik an den
Gutscheinen und ist froh darüber, dass Bremen diese nicht ausgibt. Mit
einer Ausnahme: Wer in eine eigene Wohnung zieht, bekommt die
Anschaffung von Möbeln bezahlt – in Form von Gutscheinen, die bei
Gebrauchthändlern eingelöst werden können. „Das erschwert oft das
Einrichten einer Wohnung, weil man darauf angewiesen ist, dass in einem
Möbellager alles da ist, was man braucht.“

Jan Sürig, Anwalt der aus dem Irak stammenden und gerade aus Syrien
geflohenen Frau, hat jetzt Widerspruch eingelegt gegen den
Gutschein-Bescheid der Sozialbehörde. 554,97 Euro stehen der 1978
geborenen Frau für sich und ihre drei Kinder im Monat Juni zu. Und
selbst das hatte ihr der Sachbearbeiter erst bewilligt, nachdem Sürig
das in ihrem Auftrag verlangt hatte. „Sie sollte erst gar nichts
bekommen, weil sie ihre Duldung noch nicht schriftlich vorweisen konnte.“

Dieses Problem betrifft nach Einschätzung der Flüchtlingsorganisationen
viele Menschen. Der Grund ist die seit Jahren unterbesetzte
Ausländerbehörde, bei der Flüchtlinge derzeit bis zu drei Monaten auf
einen Termin warten müssen, um ihre Aufenthaltserlaubnis zu erhalten
oder auch nur zu verlängern. „Zu uns kommen immer wieder Leute, die
deswegen einen Job verlieren“, sagt Oerter von der
Flüchtlingsinitiative. Andere bekämen keine Versichertenkarte, mit der
sie zum Arzt gehen können oder haben keine Möglichkeit, sich eine
Geburtsurkunde für ihr Baby ausstellen zu lassen, wie Holger Dieckmann
berichtet, der in einem Gesundheitsprojekt der Inneren Mission arbeitet.

Den MitarbeiterInnen in den Sozialzentren sei das Problem bekannt, sagt
Bernd Schneider von der Sozialbehörde. „Die haben die klare Weisung, für
das Problem nicht die Flüchtlinge verantwortlich zu machen. Die sollen
ihr Geld bekommen.“ Bis es soweit sei, sagt Millies vom Flüchtlingsrat,
„müssen wir ziemlich viel telefonieren. Und wir wissen nicht, wie viele
sich keine Hilfe suchen.“

... comment