Mittwoch, 23. Januar 2013
Sprachregeln - Freiräume für Empowerment öffnen oder nervige Sprachhygiene?
Mit dem Sprache neu erfinden um Freiräume zu schaffen ist es ja so eine Sache. Ich habe dazu grundsätzlich ein zwiespältiges Verhältnis. Einerseits finde ich es durchaus respektabel, wenn etwa Zweisatz bei sich geschlechtsneutrale Personalpronomina einführt


http://highoncliches.wordpress.com/

Was heute abstrus anmuten mag kann morgen völlig normal sein. Ich erinnere mich daran, dass das Binnen I, heute schon im Amtsdeutsch gebräuchlich, in de Achtzigern nur in der taz und in feministischen bzw. undogmatsch linken Zusammenhängen zu finden war. Heute hat sich diese geschlechtergerechte Linguistik zumindest teilweise durchgesetzt, ich gebrauche sie selbst seit über zwei Jahrzehnten. Andererseits, die bei ihr und bei der Mädchenmannschaft übliche Schreibweise mit den vielen Asteriken ist für mich fast schon unlesbar. Und inwieweit die bewusst vorangetriebene Sprachumwandlung nun zur Überwindung gesellschaftlicher Unterdrückungsverhältnisse tatsächlich beiträgt ist zunächst mal noch offen.

Aus meiner Studienzeit erinnere ich mich an eine schöne Anekdote. Da machte sich Robert Gernhard in der Humorkritik in der Titanic über die Formulierung ErstsemesterInnen lustig, die in einem Text der Fachschaftsräteversammlung (FSRV) der Göttinger Uni auftauchte. Er wies darauf hin, dass das Wort Erstsemester ein Neutrum ist, es heißt das Erstsemester. Außerdem kritisierte er, dass das große I immer nur bei Menschen zur Anwendung käme, die positiv oder neutral wahrgenommen würden, niemals hingegen bei solchen, die eher negativ gesehen werden, er hätte zum Beispiel niemals etwas von PlünderInnen oder SprachschänderInnen gelesen. Ich teilte das Anliegen, eine antipatriarchale Linguistik zu gebrauchen, und fand zugleich Gernhards Artikel köstlich. Nicht so die FSRV, die an die Titanic eine im Tonfall moralinsaurer Empörung verfasste Protestnote richtete.


Viel Aufregung gibt es im Augenblick um die Frage des Umschreibens von Kinderbüchern bzw. die Eliminierung rassistischer und sexistischer, im heutigen Sprachgebrauch nicht mehr üblicher Formulierungen dort. Feridun Zaimoglu (den ich sehr schätze, und der zu jenen gehört, die, wie praktisch all meine migrantischen FreundInnen und KollegInnen, mit rassistischen Formulierungen nicht "politisch korrekt", sondern vielmehr mit beißender Ironie und sarkastischem Sprachwitz umgeht) nimmt dazu sehr deutlich Stellung, er sieht in der Debatte vor allem eine Zerstörung von gewachsener Sprache durch künstliche Eingriffe.

http://erenguevercin.wordpress.com/2013/01/20/die-sprachhygieniker-konnen-uns-schreiber-mal/


In der Frage, ob Kinderbücher umgeschrieben werden sollen oder nicht bin ich eher unentschieden, ich finde nicht, dass rassistisch konnotierte Redewendungen unbedingt drin bleiben sollten, kann aber bei Büchern wie Die Kleine Hexe oder Pipi Langstrumpf auch nicht unbedingt die große Gefährdung durch einen zeitbedingt vorhandenen latenten Rassismus wittern. Insofern bin ich bei Feridun, und nein, seine Polemik stellt keinen Freibrief für Rassismus aus, wie Momorulez meint. Der hat in anderer Hinsicht allerdings Recht, nämlich bezüglich der "Zensur"-Hysterie, die hinsichtlich der Umschreibereien gerade durch den Blätterwald rauscht und hat dankenswerter Weise einmal die historische Dimension von Zensur aufgestellt.


http://metalust.wordpress.com/2013/01/22/mal-kurz-was-zu-zensur/


Insbesondere die Anlehnung der Sprachumschreibungkritiker an
"das weiße, heterosexuelle, männliche Dominanzschema, das im Literaturbetrieb, an Universitäten, in Massenmedien sowieso regiert" ist hier Kern der Kritik. Hier hat Momo einen wichtigen Punkt, wobei sich mir allerdings die Frage stellt, ob dieses Dominanzschema, das ansonsten die gesamte Gesellschaft durchdringt ausgerechnet an Universitäten so mächtig ist. OK, wahrscheinlich an juristischen und medizinischen Fakultäten, die Sozialwissenschaften mit ihrem Nachweis von Genderkomepetenz als Einstellungsvoraussetzung und Bevorzugung weiblicher Bewerberinnen bei gleicher Qualifikation sind da eher einer der wenigen gesellschaftlichen Freiräume. Ich verfolge diese ganze Debatte ohne an ihr teilzunehmen. Und frage allerdings, ob es grundsätzlich Sinn macht, Sprachentwicklung steuern zu wollen. Verändern tut Sprache sich ohnehin. So wie die Mamsell, der Jüngling und der Oheim aus der Sprache verschwunden sind werden mit kolonialer Vergangenheit oder Frau-als-Heimchen-am-Herd-Rolle verbundene Bezeichnungen auch verschwinden. Es schadet nicht, dabei punktuell ein wenig nachzuhelfen, ein Sprachumbau im großen Stil macht keinen Sinn, findet aber ja gar nicht statt.

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Win-Win
In Sachen akademischer Sprachfetisch befand ich zu meinen Bewegungszeiten in einer pragmatischen "Realo"-Position (wobei ich die Realos bei den Grünen allerdings immer ziemlich verachtet habe - und ansonsten war ich mehr "Realo" in dem Sinne, wirklich etwas bewegen zu wollen, statt sinnlose Diskussionen zu führen).

Das heißt, für mich waren die geschlechtergerechten Sprachformeln vor allem eine Art Respektbezeugung für bestimmte politische Anliegen und Positionen. Also wurden diese, mit Absicht inkonsequent, auch von "meinem" Flügel verwendet. Durchaus häufig, aber eben in bunter Abwechslung mit anderen Formulierungen, man könnte sagen, in bester Undog-Marnier.

Das Ergebnis war ganz erstaunlich: In unseren Gruppen blieben längere Diskussionen um Sprachformen einfach aus. Die Frauengruppe fühlte sich ausreichend respektiert, hätte zwar gerne eine dogmatische Sprachvorgabe, aber fand es so halt auch ganz okay. Und angesteckt von unserem entspannten Verhältnis dazu öffneten sich Mittelbau und sogar die Professorenschaft gegenüber dem Großen I.

Völlig schmerzlos.

Allerdings blieben uns die Freuden ewig langer Prinzipiendiskussionen mit angeschlossener Moralhuberei damit verschlossen.

Ähem: Und übrigens auch einige der Leute, die (mitunter aufgrund persönlicher Macken) genau darauf Wert gelegt hätten. Und ein_e besonders, äh, "engagierte_r" feministischer Vollpfosten_in, blieb hochverstimmt unseren Treffen fortan fern - und begegnete mir erst viele Jahre später, als Beraterin (diesmal ohne Groß-I usw.) von McKinsey.

Wie sagt man in neoliberal?

Win-Win.

Und wieder habe ich dem Che seine Mails nicht beantwortet.

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