Donnerstag, 4. Juli 2013
Die Obi-Bauhaus-Variante politischer Philosophie oder Komplexitätsreduktion mit der Stichsäge
Da ist jemand, der lange Jahre einer meiner intensivsten Blogdiskussionspartner war, bis er sich vor anderthalb Jahren mit lautem Holterdipolter erst mit mir und dann nach und nach mit praktisch allen, die hier kommentieren überwarf. Anlass waren verschiedene intersubjektive Konflikte, die auch so einiges mit Missverständnissen zu tun hatten, aber auch ganz konkrete Vorwürfe. Z.B.WHM könnten generell keine PoC auf Augenhöhe akzeptieren, ich mache da keine Ausnahme. Meine Solidarität mit Geflüchteten sei paternalisierend, ich sei nur dann mit PoC solidarisch, wenn diese in Not seien, möglichst gefoltert, gleich auf gleich könne ich sie nicht anerkennen. Das ist zwar völliger Blödsinn, in den Kreisen, in denen ich mich bewege, organisieren Flüchtlinge, überwiegend PoC, sich selbst, und einige sind für unsereins sogar Vorbilder. Doch es ist eine der Standardpositionen in den Cultural Studies mit denen er sich so beschäftigt, und so manchesmal hatte ich schon den Eindruck, er wendet Theoriehypothesen bloggenderweise empiriefrei auf andere Personen an, mit denen er auch einfach im Gespräch hätte klären können, wie sie wirklich zu etwas stehen. Von Bedeutung war hier wohl auch die Tatsache, dass er das vom Braunen Mob vertretene Critical Whiteness-Konzept in den höchsten Tönen gelobt und ich mich diesem gegenüber reserviert verhalten hatte und erklärte, dass ich den sozialrevolutionären Antirassismus der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus für die Kämpfe zu denen ich Berührung habe anwendbarer, theoretisch tiefgehender und zielführender halte. Na ja, zugegeben unterhalte ich mich mit Mbangu nicht auf Augenhöhe, der ist 1,98;-)

Damit habe ich noch nichts gegen CW gesagt, ich hatte selbst vor Jahren mal im Flüchtlingsrats-Rahmen ein Revue-mäßig aufgezogenes CW-Awareness-Training mit Noah Sow mitgemacht und dabei sowohl Erkenntnisgewinn als auch sehr viel Spaß gehabt, mir ist die Thematik also gar nicht fremd. Aber die Antira-Perspektive der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus, die soziale Frage, Imperialismus und Strategien zur Revolte als Fluchtpunkte einbezieht halte ich halt für das interessantere Modell. Und um das mal klarzumachen, scheinbar erschien es Einigen bisher ja nicht klar: Dies ist keineswegs eine WHM-Perspektive,sondern eine, die aus international geführten Debatten entwickelt wurde, einer ihrer Begründer ist z.B. Ambivalaner Sivanandan, und der ist ungefähr so WHM wie Angela Davis.

In den frühen Neunzigern waren Debatten zum Rassismus und Sexismus der so in uns weißen Deutschen wohnt in der linken Szene ein Hauptthema, das war alles sehr berechtigt und angebracht, führte aber auch zu merkwürdigen Konstellationen und Schlussfolgerungen. Während das amnesty-international-und Pro-Asyl-Spektrum und auch die klassische Antifa Flüchtlinge oftmals paternalisierend als arme zu unterstützende Opfer behandelten und die Antira überhaupt erst aus der Perspektive, gemeinsam mit denen etwas zu machen entstand machte unser Lager einen anderen Fehler: Die Geflüchteteten wurden mitunter als so etwas wie Heilsbringer angesehen, die VeteranInnen sozialer Revolutionen, von denen wir Sozialrevolution zu lernen hätten. Die linke Guerrilla-Romantik, der ich meinen Spitznahmen verdanke spielte da ebenso hinein wie ein Tierremondisme, der an Frantz Fanon, Kwame Nkrumah und Leopold-Sedar Senghor anknüpft, nur: Die sind untereinander nicht vereinbar.

Parallel dazu entwickelte sich eine Art „positiver Rassismus“, der Eigenschaften in PoC-Menschen hineinprojizierte, die ihnen zugeschrieben wurde, bis dahin, dass so eine Art Bild vom „edlen Wilden“ plötzlich umgedreht auf Flüchtlinge angewendet wurde.

Damit wurden Not leidende Menschen nicht nur völlig überfordert, es führte auch zu seltsamen Hierarchisierungen in der linken Szene: Je mehr jemand Opfer ist, desto authentischer, vorbildhafter ist sie oder er. Die charismatische Wortführerin meines damals wichtigsten Politzusammenhanges, von mir die „Kleine Vorsitzende“ genannt brachte das mal ironisierend so auf den Punkt: „Das wahre revolutionäre Potenzial ist die behinderte schwarze jüdische Frau.“

Unsere eigene Entwicklung ging dann in eine völlig andere Richtung, da ging es dann darum, einerseits in Flüchtlingskämpfe zu intervenieren und die zu unterstützen, andererseits auch mit Arbeitsloseninitiativen zusammenzuarbeiten, wir verfolgten aber diese merkwürdige Entwicklung in Hinsicht auf Identidfikation mit den Schwächsten weiterhin. Als Linksradikale plötzlich Tierrechte oder sexuell mißbrauchte Kinder als Identifikationsobjekte für sich entdeckten war unsere Kritik daran, dass sie da die besten Objekte zum Bemuttern hatten: Die idealen Opfer. Ich denke, der Höhenflug des Veganismus in der linken Szene der zweiten Hälfte der Neunziger hat weniger mit sinnvoller Kritik an Ernährungsgewohnheiten zu tun als mit dieser Opferidentifikation, letztlich, wie mein Genosse Matti das mal ausdrückte „linkes Frömmeln.“ Netbitch schrieb verschiedentlich etwas darüber, dass in feministischen Zusammenhängen Szene-Lesben automatisch als die „besseren“ Feministinnen angesehen wurden, weil sie per se konsequenter als Hetenfrauen wären.

Der oben erwähnte frühere Diskussionspartner wehrte sich regelmäßig gegen Texte, die sich auf diese Verhältnisse bezogen, hielt so etwas wie das Aufstellen von Opferhierarchien für undenkbar und meinte ganz allgemein, dass es keinen Sinn mache oder sehr kontraproduktiv sei, so etwas überhaupt zu veröffentlichen, da es nur winzige linke Subkulturen ohne jede gesellschaftliche Relevanz beträfe und es Vertretern der Normalität nütze, solche Peinlichkeiten linker Szenezusammenhänge mitzuteilen. Nun, inzwischen teilt er all diese Peinlichkeiten halt auch und vertritt ein schweineautoritäres Modell der Marginalisiertenhierarchisierung.

http://metalust.wordpress.com/2013/07/01/kiezheldinnen/#comment-19524

Freilich geht es mir aber nicht darum, aufzurechnen oder schmutzige Wäsche zu waschen. Sondern viel eher um die Frage, warum libertäre, antiautoritäre Ansätze regelmäßig nach einiger Zeit ins repressiv-moralische, selbstregressive abrutschen. Das war schon so, als aus der antiautoritären Revolte 1967-69 marxistisch-leninistische Kaderorganisationen hervorgingen, es war so, als sich aus der Besinnung auf die Grenzen des Wachstums eine supermoralinsaure Ökofundamentalismusbewegung herauskristallisierte, es war so, als aus feministischer Kritik an männerdominierten Szenestrukturen, in denen offene Beziehungen als vermeintliches Recht von Männern, sich beliebig bei Frauen sexuell bedienen zu dürfen missverstanden wurden eine repressive, gegen ausschweifenden Hetensex an sich gerichtete Weniger-Sex-Moral wurde. Galt mal in linken Zusammenhängen, um mit der verehrten Genossin Netbitch zu sprechen in linken Zusammenhängen mal eine hedonistisch-promiskuitive „Sodom-und-Gonorrha“-Mentalität als positive Norm, wird heute in linken Kreisen fast nur noch über Heterosex geredet, wen es sich um sexualisierte Gewalt dreht. Und dann verengen sich in poststrukturalistischen Kontexten die Perspektiven zunehmend. Foucault, Lyotard und Bourdieu hatten, als sie subjektivistische Perspektiven formulierten das Große Ganze sehr wohl im Auge. Foucault war an einer globalen sozialen Revolution sehr interessiert, seine Unterstützung der iranischen Revolution, deren Folgen er wie wir alle falsch einschätzte ist dafür ein beredtes Zeugnis. Sich mit Marginalisiertenperspektiven zu beschäftigen, etwa in der Geschichtswissenschaft Frauengeschichte, Alltagsgeschichte, Umweltgeschichte, oder, mein Steckenpferd, sogenannte andere ArbeiterInnengeschichte, d.h., Sozialgeschichte von unten, aus der Sicht der nicht organisierten ArbeiterInnen unter Einbeziehung der Erfahrungen aus kolonialisierten Ländern zu betreiben war als Korrektiv gedacht gegen ein Geschichts- und Gesellschaftsmodell, bei dem die Sichtweise weißer bürgerlicher heterosexueller Männer als einzige Realität angesehen wurde. Als multifaktorielle Betrachtungsweise, als Modell mit vielen Facetten. Inzwischen, Alter Bolschewik hat das gut rausgearbeitet,

http://shiftingreality.wordpress.com/2013/06/21/offentlichkeit-und-filterblasen-3/


geht es aber bei dem, was so gebloggt wird nicht mehr um alternative Sichtweisen in einem Multifaktor-Modell, sondern um Tunnel-Realitäten, um Binnensichtweisen in der Filterblase. Wobei ich Frau Zweisatz durchaus mit Sympathie und Empathie betrachte, dennoch keine Perspektive sehe, wie sich aus ihrem Ansatz eine gesamtgesellschaftliche Perspektive ableiten lässt.


Bei Alledem hier Zusammengefassten stellt sich die Frage nach einer Überwindung gesellschaftlicher Machtstrukturen zunehmend nicht mehr. Sie wird immer weniger denkbar. In Ägypten, Portugal oder Brasilien hingegen stellen sich solche Fragen sehr konkret

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„Das wahre revolutionäre Potenzial ist die behinderte schwarze jüdische Frau.“

Aber nicht, wenn sie hetero ist! ;)

Eigentlich, mit Verlaub, langweilt mich dieser xte Aufguss von - mit Verlaub again: wenig tiefgründiger - CW-Kritik, theoretischer wie praktischer Verortung und Aufarbeitung einer gescheiterten Beziehung (um das mal so zu nennen ;) ) ja ein wenig. Aber: SCNR. Und wenn ich bei MR schon wieder so ein devotes Getue lese wie "das habe ich nicht zu kommentieren", da schwillt mir der Kamm. Wenn mir etwa ein Hetero-Mann so käme, wenn ich, wie MR das nennen würde, eine schwule Perspektive formuliere, dann wäre der als ernstzunehmender Gesprächspartner für mich gestorben.

Ich finde es übrigens ziemlich albern, wenn du von "jemand" oder "der oben erwähnte frühere Diskussionspartner" sprichst, wo doch eh arschklar ist, wer gemeint ist...

Was du als autoritäre Wende zunächst antiautoritärer Strömungen ansprichst, ist imho erstmal die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass es, um Machtstrukturen aufzubrechen, Gegenmacht braucht, und dass man nicht immer nur einen Kuschelkurs fahren und sich auch nicht auf symbolische Aktionen beschränken kann, wenn man was erreichen will. Die daraus entstehenden Auswüchse und Absurditäten lassen sich als revolutionärer Exzesse sehen (die trotzdem kritisiert und nach Möglichkeit in vernünftige Bahnen gelenkt gehören).

Die Tendenz zur Selbstreferenzialität und zum Einigeln ist allerdings kaum als revolutionärer Exzess zu sehen, sondern im Gegenteil als Aufgabe einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive. Da gehe ich mit dir und dem Alten Bolschewiken durchaus mit.

Die Kiezheldinnen-Diskussion bei MR fand ich aber durchaus interessant, abgesehen von dem schon erwähnten devoten Getue und dem für mich eher abseitigen Bereich (Fußball und St.-Pauli-Kiez gehen mir irgendwo in Höhe des Saturns am Hinterteil vorbei). Das ist ja nur ein Beispiel eines immer bestehenden Spannungsfelds: Einerseits die Bemühungen um Überwindung von Sexismus (Rassismus, Heteronormativität) insgesamt, andererseits der Kampf für die Interessen marginalisierter Gruppen. Ersteres zielt auf die Aufhebung der Kategorisierungen, letzteres muss sich erstmal innerhalb derselben bewegen. Was in der einen Richtung produktiv erscheint, erweist sich manchmal als kontraproduktiv in der anderen Richtung.

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Earendil,
die symbolische Politik endete nicht mit dem Entstehen der K-Gruppen – da begann sie erst.
Ich stimme ebenfalls nicht Deiner These zu, dass man sich mit dem Angreifer erstmal identifizieren muß, um ihn abzuwehren.

Che zeigt doch sehr gut, wie es immer in die moralistische Repression abkippt. Nicht zufällig hat Momorulez die Killerphrase der "Entsolidarisierung" für sich entdeckt, das Highlight der moralischen Erpressung, abgeschaut bei den Maoisten der 70er.

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