Dienstag, 10. Mai 2016
Antikriegstag
Fast verpennt, war am 08. Mai, Befreiung vom Faschismus. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Welt heute, also im Weltmaßstab, friedlicher ist als 1945. Wir haben eigentlich wieder einen Weltkrieg, nur wird der anders ausgetragen: Als bis zum Maximum eskalierter Guerrilla- oder Partisanenkrieg auf der einen und als Low Intensity Warfare auf der anderen Seite. Das eigentlich Erschreckende ist die öffentliche Wahrnehmung: Verharrte noch im Korea-Krieg die Weltöffentlichkeit in Schockstarre, löste der Vietnamkrieg weltweite massive Proteste aus, die mit Bürgerrechtsbewegung, Forderungen nach mehr Demokratie und dem Wiederaufflammen von Klassenkämpfen zu einer weltweiten linken sozialen Bewegung führten, so bedeutete der 1991er Golfkrieg, der Zweite Golfkrieg zumindest eine internationale Empathiewelle für die Opfer und eine letzte starke Mobilisierung der Friedens- bzw. Antikriegsbewegung. Verglichen damit sehen alle heutigen Reaktionen hilflos aus. Objektiv, d.h. an den Ereignissen orientiert, gerade auch in Koinzidenz mit Panama-Papers und gesamtwestlichem Rechtsruck müssten eigentlich ideale Bedingungen für ein linkes Levée en Masse herrschen. Ist aber nicht so.

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Stephen Pinker ist anderer Meinung:

„Die Zahlen der Kriegstoten sind heute auf ihrem tiefsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Todesraten machen nur noch einen Bruchteil dessen aus, was sie in den frühen Fünfzigern, den Sechzigern oder den Siebzigern während des Vietnamkriegs betrugen. Viele gewaltsame Einrichtungen, die jahrtausendelang zur Gesellschaft gehörten, gibt es nicht mehr, zum Beispiel Tod durch Folterung oder die Hinrichtung für Verbrechen ohne Opfer wie Blasphemie, üble Nachrede oder Ketzerei. Sklaverei ist heute auf der ganzen Welt illegal, früher war sie überall erlaubt.“

http://www.taz.de/!5106502/

Besonders bemerkenswert erscheint mir dieser Absatz:

„Im Übrigen ist jede Weltanschauung falsch, derzufolge alles, was in den vergangenen 300 Jahren geschehen ist, ein schrecklicher Fehler war - die Aufklärung, die wissenschaftliche Revolution, Demokratie und Kapitalismus. Wenn die Angriffe auf diese modernen Begriffe auf der Annahme fußen, dass wir gewalttätiger werden, dann sind sie verfehlt, sodass wir sie noch einmal überdenken und die Entwicklungen der Moderne würdigen sollten. Denn zusätzlich dazu, dass sie unser Leben länger und angenehmer machen, haben sie unser Leben auch weniger gewalttätig gemacht.“

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@"„Im Übrigen ist jede Weltanschauung falsch, derzufolge alles, was in den vergangenen 300 Jahren geschehen ist, ein schrecklicher Fehler war" ----- Von der IS-Ideologie mal abgesehen wüsste ich keine Weltanschauung, die dies in solcher Ausschließlichkeit behauptet. Nicht einmal die Nazis oder Pol Pot. Der Pinker argumentiert da selbst in einem Realitätstunnel, der auf seine eigene Art talibanesk anmutet.

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Nunja, dass die Aufklärung Wurzel aller Übel unserer Zeit ist, ist ja keine so ganz selten Auffassung.

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Dass die Aufklärung Wurzel aller Übel unserer Zeit ist behauptet in dieser Totalität, wie gesagt, außer dem IS und vielleicht noch Al Qaida und Taliban wirklich niemand.

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(etwas off-topic)
Aufklärung als der Anfang davon, - das ist ja schon beinahe "modernistisch" ... Los ging´s damit, sich die Erde Untertan zu machen, bekanntlich mit der Renaissance (auch Stichwort frühes Bürgertum und dessen wirtschaftliches Erstarken - frag´ aber deswegen besser nen Marxisten o.Ä.), der Mensch (Europäer) als Macher auftretend, weiter zurück natürlich antike Philosophie als Initialzündung, ja, und dann hätten wir natürlich das pöhse begriffliche Denken, das die ganzheitliche Wirklichkeit zerschnitt als Folge der Erfindung der Logik und des Wahrheitsbegriffs, welcher ineins gesetzt wird mit dem Alleinanspruch des Monotheismus und der mosaischen "großen Trennung", die Jan Assmann proklamierte, postmoderne oder "postmodern" nachgeplapperte Gemeinplätze anscheinend aufgreifend.

Aufklärungskritische, postmoderne ggfl. auch konstruktivistische Ansätze sollen einen Ausweg bieten. Es handelt sich aber um eine mit heißer Nadel gestrickte Konstruktion von Geschichte, die uns die Konstruktivisten da eingebrockt haben.

interessant Reinhard Schulzes Erwiderung auf die Annahme einer dem Monotheismus "intrinsischen" Gewalttätigkeit. Zuförderst die Ausführungen zum Wahrheitsbegriff.

https://www.perlentaucher.de/essay/religion-wahrheit-und-gewalt.html

(Wir hatten hier ja neulich ne kleine Diskussion zum Monotheismus

https://che2001.blogger.de/stories/2580935/#2581377)

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Das ließe sich sinnvoll mit der Dialektik der Aufklärung zusammendenken.

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"Was jetzt noch radikale Kritik heißen will, kann sich nur mit Zorn und Ekel vom geistigen Gesamtmüll des Abendlands abwenden." Robert Kurz

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wobei, als ich - völlig theoriebefreit - erste (und letzte) zarte, anfängliche politische Überlegungen anstellte, mir wissenschafts- oder technikfeindliche Affekte, wie ich sie, klar, undifferenziert, gewissen "postmodernen", "relativistischen" oder "(sozial)konstruktivistischen" (wiederum undifferenziert) Erscheinungen unterstelle, eher fremd waren; denn schließlich resultierten jene aus meinem damaligen (Mitte der 80er) Involviertsein in naturkundlich, ökologisch interessierten, pro Naturschutz Kreisen (teilw. recht anarchistisch). Wir bestimmten in dieser Jugendgruppe Insekten usw., denn wir würden später durch solcherweise gewonnene Daten die Fakten liefern, die gebraucht werden würden, damit Naturschutzgebiete würden ausgewiesen werden können ...

Also, der Gemeinplatz hieß ja: "Aussteigen?" - Aussteigen geht nicht! Get real! - Abgesehen von der Eleganz der geschichtsphilosophischen These Horkdornos fand ich beim herumblättern in der DdA basically nichts neues. Dass die Aufklärung - hier mit ihren ökologischen Folgen - fatal war, war klar. Aber Ökoromantik, bescheuerter ging´s ja nicht.

Desh. von mir nix zur DdA. Abgesehen davon, dass ich Adorno immer noch drollig finde und dass mir seine Natur- bzw. Tierphilosophie über alle Maßen weiterhin zusagt. Der Geist sei frei, wenn „die äußerste Erhebung des Ichs (Geist=Ordnung) mit dem Abgrund des Ichs (Natur=Un/Anti-Ordnung) sich zusammenfindet.“ (die Klammern von mir, zigg.)

Der Hinweis auf das frühes Bürgertum (der Spätrennaissance oder Frühklassik) und dessen wirtschaftliches Erstarken speist sich aus meiner Lektüre von Horkeimers Kritische Theorie 1 & 2: Die Kritik, die Horkheimer dem Skeptizismus Monaignes unterzog (eben der bürgerliche Frühkapitalismus), war einfach stimmig, plausibel und einleuchtend - für den armen Hartz-IV-ziggev, der sich einfach mit zusätzlichem (theoretischen) Material versorgen wollte, um sich bei der Drittlektüre noch tiefer in diesen klassischen Autor versenken zu können. Ich sehe solche Monatigne-Träumereinen aber bis heute nicht nur als Flucht.

Lassen wir aber einmal etwa Platon oder Hegel weg, finde ich durchaus erhaltenswertes in der abendländischen Tradition, nämlich von den ersten naturwissenschaftlichen milesischen Experimenten über Aristoteles bis zu einem Pluralismus der Wahrheiten eben diesen, den ein prädikativer Wahrheitsbegriff ermöglicht hat. Dies ist wahr und das ist wahr und jenes ist wahr, auch hier ist etwas wahr und ...

Das wird bei diesen Pauschlverurteilungen immer gerne übersehen - und ich glaube, hier macht Reinhard Schulze einen Punkt in seiner Kritik an der dem Monotheismus intrinsischen, angeblichen Gewalttendenz.

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