Montag, 6. Juni 2016
Der Größte ist von uns gegangen - Gedenken an Muhamad Ali
Er war nicht nur der wahrscheinlich beste Boxer aller Zeiten, er war auch Antirassist, Vietnamkriegsgegner und Kriegsdienstverweigerer, Ikone der Black-Power-Bewegung, Symbolfigur des "Anderen Amerika". Im Ring unerhört siegreich hat er seinen letzten, sehr langen Kampf gegen ein bisher unbesiegte Krankheit verloren. In Trauer mischen sich Hochachtung und ambivalente eigene Erinnerungen.

Den Rumble-in-the-Jungle-Kampf hatte ich, damals selber kleiner Junge, am Fernseher mitverfolgt.

Abgesehen vom dramatischen Charakter dieses sehr langen Boxkampfes ist mir noch der abschließende Kommentar im Ohr, der die politische Dimension dieses Fights zusammenfasste: "Muhamed Ali, der schwarze Bruder Afrikas, hat Foreman besiegt, den schwarzen Bruder Amerikas."

Meine Mutter, diese sanfte kleine Frau, bewunderte Ali über alle Maßen und sah jeden seiner im Fernsehen übertragen Kämpfe, kam durch ihn überhaupt nur dazu, sich fürs Boxen zu begeistern.

(Klammer auf: Dass Frauen sich fürs Boxen begeisterten war in meinen späteren linken Zusammenhängen, geprägt durch so eine Mischung aus Ökopazifismus, No-Future-Punk und Alice-Schwarzer-Feminismus absolut no go und igittebähbäh. Im Bewustsein dass dies so war gingen einmal drei Genossinnen aus einem antiimperialistischen und radikalfeministischen Umfeld zu einem Boxkampf und vertauschten ihr normales Outfit -Schweizer Armeejacken, Hoodies und Jeans - gegen Miniröcke, Strapsteile und Strasssteine und rauchten Zigarren. Was als Provokation gegen rigide Szenenormen angedacht war kam auch genauso an. Sie wurden als schwer verhaltensgestört denunziert. Kürzer und Besser lässt sich der Unterschied zwischen PCHausen äh Göttingen und Bremen und Moralspacken- und Linksironikerinnenfraktion kaum zusammenfassen. Klammer zu)

Wahrscheinlich hat im Boxsport niemand so provoziert wie er, sein bürgerrechtliches Engagement machte ihn in Deutschland ganz besonders auch zur Kultfigur für hier lebende TürkInnen, die in Black Power sich selbst repräsentiert sahen.

Rest in Peace.

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muss noch mal nachsehen, wo ich das gelesen habe, m.W. war der Boxsport in Doofland (oder zumindest in Preussen) in der Kaiserzeit illegal und galt nach seiner Legalisierung nach 1918 bei Vielen als unmoralisch (fuer gute moralische Deutsche gab es Pflichtmensuren und Pistolen-Duelle)

ansonsten gab es vor 1933 wohl auch so etwas wie eine linke Boxtradition, traf Ende der 1990er mal einen Altgenossen (Bierkutscher, KPD, DKP, entwickelte sich ab Mitte der 1980er zum Trotzkisten) der Anfang der 1930 als Jugendlicher in HH einem innerstaedtischen Boxverein angehoerte, wo es weit verbreitet war, abends nach dem Training noch einmal loszuziehen um SA-Maenner zu verpruegeln

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p.s.: eine Kommilitonin von mir vor knapp 20 Jahren, die im Verein boxte (und regelmaessig auf Demos ging) lief einmal einige Wochen mit Hijab rum: hatte keinerlei religioese oder kulturelle Konnotationen, der Grund war dass sie sich im Suff die Haare an einer Kerze (versehentlich) teilweise abgebrannt hatte ;-)

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*kicher*

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Tut mir leid, für mich geht das knapp am Kern vorbei.

Da opfert jemand die besten Jahre seiner sportlichen Karriere für seine Überzeugung. Verzichtet als sozialer Aufsteiger auf einen Riesenhaufen Geld. Und antwortet auf die Fragen, wieso er alles opfert und ob er jetzt pleite sei, dass er gar nichts geopfert, sondern seine Freiheit gewonnen habe.

Ich zweifle an dem Begriff "Antirassist". Freilich, er war kein Rassist, wie man sich den üblichen weißen Rassisten vorstellt. Aber er war ein sehr deutlicher Gegner der Bürgerrechtsgläubigen, weil er die Wirkung rechtlicher Gleichstellung in einer weißen Gesellschaft für aussichtlos hielt. Er wäre lieber Hilfsarbeiter in einem unabhängigen schwarzen Staat als Präsident in Washington, sagte er dazu. Er verachtete seine schwarzen Kollegen, die sich mit weißen Frauen schmückten. Den Weißen sagte er Auge in Auge ins Gesicht, mit 30 cm Abstand: mein Feind ist nicht der Vietkong, mein Feind steht direkt vor mir.

Seine Haltung war radikal auf eine Art, die damals wie heute selten, aber dringend nötig ist.

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Nun, er war Antimperialist
Und zwar jener Richtung, der auf einer intellektuelleren Ebene Stokely Carmichael, Angela Davis und Eldridge Cleaver und auf einer Zwischenebene Malcolm X angehörten. "Wir werden die Unterdrückten, Ausgebeuteten, Ausgepeitschten auf die Straße treiben, bis sie alles niederreißen, was Menschen zu Sklaven macht. Wir werden keine Nigger, Rothäute, Proletarier, Chics und Gooks mehr sein sondern Menschen. Wir werden Menschen sein, oder die ganze Welt wird dem Erdboden gleichgemacht bei unserem Versuch, es zu werden." Das war die Message 1968. Und als in Chikago die Barrikaden brannten und in Stanford die Studis Schützengräben aushoben, sich Winchesters besorgten und auf den Angriff der Nationalgarde warteten dachte mein Genosse Peter, die revolutionäre Situation wäre gekommen.

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Ging er von einer schwarzen Rasse aus oder ganz selbstverständlich von Ethnien? Dann war er kein Antirassist, sondern hat gut von den Weißen gelernt. Antirassistisch kann er sich trotzdem verhalten haben.

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Es ist etwas schwierig, diese Begrifflichkeiten auf die USA der Spätsechziger anzuwenden. Auch wenn das UN Statement on race schon älter war war damals der Rassenbegriff noch gang und gäbe. Jedes Lexikon verwendete bis Ende der Siebziger völlig selbstverständlich den Begriff "Menschenrassen" ohne den irgendwie zu problematisieren, und die verwendeten "Rassendefinitionen" gehen auf Anthropologen die im NS von Einfluss gewesen waren wie Eickstedt und Mühlmann zurück. Dass der Rassenbegriff selbst rassistisch ist, dass menschliche Populationen im genetischen Sinne nichts mit räumlich, politisch oder schichtmäßig definierbaren Gruppen zu tun haben, all dies sind Fakten - oder Diskurse - die im Zuge einer langen Dekonstruktion altüberkommener biologischer, politischer und sozialer Begriffe herausgebildet wurden. 1968 war das alles Andere als eine anerkannte Tatsache. Wer damals also mit dem Begriff "Rasse" operierte ist mit anderen Augen zu betrachten als jemand, der das heute tut.

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Naja ist ja die Frage, wie man sich heute drauf bezieht, wo man mehr Wissen hat und wo die richtigen Vorbilder sind.

Denke schon, dass man damals erkennen konnte, dass der Bezug auf Rasse, Ethnie, Kultur gegen Unterdrückung ne schlechte Idee ist, weil man das Spiel der Rechten mitspielt.

"Wir werden die Unterdrückten, Ausgebeuteten, Ausgepeitschten auf die Straße treiben, bis sie alles niederreißen, was Menschen zu Sklaven macht. Wir werden keine Nigger, Rothäute, Proletarier, Chics und Gooks mehr sein sondern Menschen. Wir werden Menschen sein, oder die ganze Welt wird dem Erdboden gleichgemacht bei unserem Versuch, es zu werden." Dagegen hab ich ja nichts einzuwenden.

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Völlig richtig, wobei die Extremformen von Critical Whiteness letztlich auch auf eine allerdings sublimierte Form von reversem Rassismus hinauslaufen. Die Black Muslims, d.h. die Nation of Islam lebte diesen 1968 ganz unmittelbar aus, und praktiziert ihn meines Wissens auch heute noch.

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Critical Whiteness ist dein Film und nicht meiner.

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Hm, die Schwarzen dich ich kenne, halten sich durchaus für Angehörige einer Rasse. Sie wollen deswegen nur nicht benachteiligt. werden.

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Stand der aktuellen Biologie ist aber, dass es bei Menschen keine Rassen gibt, und als der Rassenbegriff in der Humanbiologie zuletzt zur Anwendung kam, bezeichnete er Gruppen, die anhand bestimmter Eiweißmarker und Blutgruppen, nicht nach dem äußeren Erscheinungsbild definiert wurden.

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Nochmal zu Ali: Hier ein höchst interessantes Interview von ihm:

https://www.youtube.com/watch?v=6nPbCiinTDM

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Ja, das ist dann die Schattenseite. Übrigens ist die Beschlagwortung hier falsch: Multikulti beinhaltet durchaus das Nebeneinander unterschiedlicher ethnischer Gruppen ganz so wie Ali das richtig fand. Antirassismus ist dann etwas anderes, melting pot das Gegenteil zu dem multikulturalistischen Ansatz. Der Streit zwischen diesen beiden Richtungen durchzieht ja mein halbes politisches Leben.

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Achja ich würde das mit der "Menschwerdung" nicht formulieren, aber ich verstehe es im Kontext.
Niemand sollte Mensch sein wollen, auf Menschlichkeit berufen, siehe die Taten der menschlichen Spezies. Mein Augenmerk war auf "Wir werden keine Nigger, Rothäute, Proletarier, Chics und Gooks mehr sein".

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@che: das Video stammt ja auch aus einer dubiosen Quelle, ist aber meiner Ansicht nach authentisch.

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Gehört eighentlich nicht hierher, finde ich aber höchst beeindruckend:

https://www.youtube.com/watch?v=zJGSUqP94p4&feature=youtu.be

Ein Video aus Caracas/Venezuela vom 10.6.

Ein lastwagen mit Huhn kommt im Viertel La Vega an, die Leute stehen schon länger schlange vor den Geschäften. Dann kommt ein Gerücht auf, dass das Fleisch in dunkel Kanäle umgeleitet werden soll, statt in die Läden zu gelangen. Die Leute fangen an, zu plündern, die Polizei trifft ein und schießt mit Tränengas, aber sie lassen sich nicht einschüchtern und werfen Steine usw. bis die Polizei sich mit einem Verwundeten zurückzieht.

So stelle ich mir eine vorrevolutionäre Situation vor, wie 1788 in Paris.

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Sehr spannend, danke dafür!

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In Venezuela kommt auf jeden zweiten Einwohner eine Schusswaffe.
Die sind nun in einem Prozess, in dem sie ihre letzten leicht liquidisierbaren Reserven (Gold, Forderungen gegen Schuldner im Zusammenhang von Öllieferungen) nutzen, um laufende Zahlungen zu leisten.
Laut Apotheker-Verband und Ärzte-Verband gibt es schon heute bei 90% aller grundlegenden Medikamente einen Mangel. Pharma-Konzerne liefern nicht mehr, weil da 5 Mrd US Dollar an Schulden aufgelaufen sind.

Viele Menschen rennen inzwischen den ganzen Tag rum, um irgendwie an subventionierte Lebensmittel zu kommen. Es gibt viele Hunger-Demonstrationen.

Die Regierung klammert sich an die Macht, weil sie genau wissen, dass sie nach ihrer Regierungszeit mit Gerichtsprozessen und Gefängnis rechnen müssen.

Amnesty International Americas hat vorletzte Woche eine Kommission in das Land geschickt. Hier die englische Übersetzung des Berichts in kastilischer Sprache.
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2016/06/venezuela-stubborn-politics-accelerate-catastrophic-humanitarian-crisis/

Hier sieht man Hühner.
https://www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=UXRGXdCV1gI
Warum rennen die Hühner durch die tropische Landschaft? Die Besitzerin der Farm hat keine Devisen mehr für Hühnerfutter bekommen. Sie hat die Hühner freigelassen, damit sie vielleicht irgendwie durchkommen. Natürlich sterben viele Hühner.
Hier sieht man Menschen, wenn beim Supermarkt eine neue Ladung Hühner ankommt.
https://www.youtube.com/watch?v=XRAH0dftObI

Ich weiß nicht, ob ihr den Werner Herzog Film "Aguirre, der Zorn Gottes" kennt. Da gibt es gegen Ende, wo Aguirre sich mit seinem Floß alleine den Amazonas runtertreiben lässt. Das Floss wird von einer Menge an Rhesus Äffchen geradezu überschwemmt. Ein starkes Bild des Wahnsinns. Die Hühner erinnerten mich daran.

Venezuela liefert seit Jahren verlässlich sarkastische Bilder.
Das hier zum Beispiel. Das ist ein Zusammenschnitt der Aussagen der Ministerin für Gefängnisse (ja sowas gibts), dass das Feuerwaffen-Problem in den Gefängnissen gelöst sei sowie Bildern aus Gefängnissen eine Woche später, nachdem ein bekannter Bandenführer im Feuergefecht fiehl.
Das Dach, von dem die Herrschaften feuern ist das Dach eines Gefängnisses. Die Herrschaften sind Gefangene.
https://www.youtube.com/watch?v=e2W10I4p84o

Beliebt sind auch die rants von Popeye auf seinem youtube Kanal gegen den Chavismo. Popeye war eine Art Mitarbeiter von Pablo Escobar und lebt nach einer langjährigen Haftstrafe in den USA als freier Mann in Kolumbien.
Hier ein Zusammenschnitt aus dem wöchentlichen TV-Programms des Vizepräsidenten der Bolibananischen Republik, ehemaliger Gouverneur des Hauptstadtbezirks, Industrieminister und Präsident des Parlaments auf der einen sowie Popeye auf der anderen.
https://www.youtube.com/watch?v=RY5Z55qz0wM

Hab vor ca. 8 Jahren begriffen, dass der Chavismo aus dem "normalen" Muster eine populistischen latam Regierung mit anorganischer Geldschöpfung und massiver Festsetzung von Preisen rausläuft. Das hatte noch andere Elemente.

Die Spannung ist sehr düster.

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