Donnerstag, 23. Februar 2017
Abschiebungen - ein Zwischenbericht
Abschiebung nach Afghanistan: Flug aus München wirft in Kabul Fragen auf



Erneut sind abgelehnte Asylbewerber von Deutschland nach Afghanistan abgeschoben worden. Das Flugzeug mit 18 Flüchtlingen an Bord erreichte Kabul aus München kommend am Donnerstagmorgen um kurz nach 7.15 Uhr (Ortszeit). Nach Angaben von Quellen, die die Ankunft beobachteten, wirkte einer der Passagiere krank oder geschwächt, er musste von zwei Helfern gestützt werden.

Wird Deutschland zum Abschiebeland?
Der großen Koalition geht die Verschärfung der Asylpolitik zu langsam voran.
Bis zum Schluss waren afghanische Behörden nicht voll im Bild über die Zahl der Ankömmlinge. Beobachter des Geschehens sagten, dass Vertreter des Flüchtlingsministeriums erst kurz vor Ankunft des Fluges eine Liste mit allen Passagieren bekamen. Die Flughafenpolizei ging noch am Morgen von 30 Passagieren aus.
Zu wenige Informationen über Abschiebeflüge
Afghanische Behörden hatten bereits zuvor über unzureichende Informationen über die Abschiebeflüge von deutscher Seite geklagt. Von deutscher Seite waren aber auch Klagen über die verspätete Bearbeitung von Papieren der Afghanen zu hören gewesen.
Von den 18 abgelehnten Asylbewerbern an Bord waren nach Angaben des bayerischen Innenministeriums fünf aus Bayern, vier aus Baden-Württemberg, vier aus Hessen, zwei aus Hamburg, zwei aus Sachsen-Anhalt und einer aus Rheinland-Pfalz. Alle sollen demnach alleinstehende junge Männer sein, darunter auch Straftäter.
Es ist die dritte Sammelabschiebung nach Afghanistan seit Ende vergangenen Jahres. Sie stieß bundesweit auf große Kritik, weil in dem Krisenland islamistische Taliban die afghanische Regierung bekämpfen und landesweit Anschläge verüben. Mehrere Bundesländer lehnen eine Beteiligung an Sammelabschiebungen ab. In München hatten am Abend etwa 250 Menschen gegen die Abschiebungen protestiert.
Mit den ersten beiden Flügen waren im Dezember und Januar insgesamt 59 Afghanen abgeschoben worden - jeweils weit weniger als die mit Afghanistan verabredete Obergrenze von bis zu 50 Passagieren pro Flug.

Abschiebung eines afghanischen Staatsangehörigen gestoppt
Kurzbeschreibung: Der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg hat mit soeben den Beteiligten per Fax zugestelltem Beschluss die für den heutigen Abend geplante Abschiebung eines türkisch-afghanischen Staatsangehörigen nach Kabul gestoppt.
 
Der Antragsteller ist im Besitz der türkischen und der afghanischen Staatsangehörigkeit. Er reiste im Herbst 2000 in die Bundesrepublik Deutschland ein und betrieb erfolglos ein Asylverfahren. Einen Asylfolgeantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Dezember 2016 ab. Das Klageverfahren ist derzeit beim Verwaltungsgericht Karlsruhe anhängig, ein Eilantrag gegen das Bundesamt wurde dort mit Beschluss vom 18. Januar 2017 abgelehnt.

Der Antragsteller hat gemeinsam mit einer türkischen Staatsangehörigen zwei minderjährige Kinder, die ebenfalls türkische Staatsangehörige sind. Der 14jährige Sohn ist schwerbehindert und leidet an einer psychomotorischen Entwicklungs- sowie an einer Sprachstörung. Weder die Mutter noch die Kinder sind im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland.

Mit dem heutigen Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof eine gegenteilig lautende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Februar 2017 geändert und dem Regierungspräsidium Karlsruhe die Abschiebung vorläufig untersagt. Zur Begründung führt der 11. Senat des VGH in seinem Beschluss aus, es stehe dem Antragsteller aus dem Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG ein Duldungsgrund (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) zur Seite. Bei einer Abschiebung nach Afghanistan wäre angesichts der aktuellen gerichtsbekannten Lage in Afghanistan sorgfältig zu prüfen gewesen, welche voraussichtliche Dauer dann eine Trennung von den Kindern als Folge der Abschiebung haben könnte. Eine solche Prüfung sei unmittelbar verfassungsrechtlich vorgegeben, was aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folge. Dass eine solche Prüfung durch das Regierungspräsidium vorgenommen worden sein könnte, sei nicht ersichtlich. Bei dieser erforderlichen Bewertung wäre auch der Frage nachzugehen, welche Gründe dafür maßgeblich seien, die Abschiebung gerade zum jetzigen Zeitpunkt und gerade nach Afghanistan - und nicht etwa in die Türkei - durchzuführen. Gründe von hinreichendem Gewicht seien für den Senat nicht erkennbar und seien auch nicht nachvollziehbar dargelegt. Allein die Tatsache, dass der Antragsteller derzeit nicht über einen gültigen türkischen Reisepass verfüge, genüge als Rechtfertigung nicht.

Der Beschluss vom 22. Februar 2017 ist unanfechtbar (11 S 468/17).

Abschiebung einer suizidgefährdeten Frau nach Mazedonien gestoppt
Kurzbeschreibung:
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit einem den Beteiligten bekannt gegebenen Beschluss von heute die Abschiebung einer suizidgefährdeten Frau nach Mazedonien gestoppt. Ihr Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hatte Erfolg, der ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 3. Februar 2017 wurde vom VGH abgeändert.
 
Zur Begründung führt der 11. Senat des VGH in seinem Beschluss aus, es bestehe ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG), wenn die konkrete Gefahr gegeben sei, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung selbst wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtere und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden könne. Die mit der Abschiebung betraute deutsche Behörde habe die aus Art. 2 Abs. 2 GG (Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) erwachsende Pflicht, durch eine hinreichende Ausgestaltung der tatsächlichen Durchführung der Abschiebung erhebliche Gefahren für Leib und Leben des Betroffenen abzuwenden.

Die an die mazedonischen Behörden gerichtete schriftliche Bitte sicherzustellen, dass die abzuschiebende Person nach Ankunft am Flughafen Skopje von einem Arzt in Empfang genommen werde, reiche nicht aus, wenn die deutsche Behörde auf dieses Schreiben nur eine automatisch generierte Antwort eines Servers in Mazedonien erhalte, dass „die Zustellung an diese Empfänger oder Gruppen…abgeschlossen [ist] und…vom Zielserver…keine Zustellungsbenachrichtigung gesendet [wurde]“. Denn dieses System kenne keine Vorkehrungen gegen technische Pannen oder menschliches Versagen, die dazu führen könnten, dass die Ankündigung nicht oder nur unzureichend wahrgenommen oder den Aufforderungen nachgekommen werde.

Der Beschluss vom 22. Februar 2017 ist unanfechtbar (11 S 447/17).
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