Mittwoch, 12. Juli 2017
Simon Teune in der Süddeutschen Zeitung zum Schwarzen Block in Hamburg
"Die Strategie der Polizei ist kolossal gescheitert"
Der Soziologe und Protestforscher Simon Teune erklärt, wer sich hinter dem Schwarzen Block verbirgt und wie die Lage beim G-20-Gipfel in Hamburg so eskalieren konnte. Seine Kritik an der Polizei ist deftig.
Der Soziologe Simon Teune, 40, von der TU Berlin, beschäftigt sich mit der Kultur des Protests. Er arbeitet auch im Institut für Protest und Bewegungsforschung, das die Demonstrationen und Veranstaltungen rund um den G-20-Gipfel in Hamburg beobachtet hat.
SZ: Herr Teune, der sogenannte Schwarze Block steht nach der Eskalation der Gewalt in Hamburg im Fokus. Wer verbirgt sich dahinter?
Simon Teune: Der Schwarze Block ist keine Gruppe, sondern eine Protesttaktik in Demonstrationen. Viele Demonstrationen sind in Blöcken organisiert, in denen man nach Zugehörigkeit mitläuft. Da stellt die Partei Die Linke einen Block auf, die Gewerkschaften, der Bund Naturschutz etc.
Und wer stellt den Schwarzen Block auf?
Der stellt sich selbst auf. Dort finden sich Kleingruppen zusammen, die autonome oder anarchistische Prinzipien teilen. Dieses Spektrum mobilisiert seine Leute zu einer Demonstration, die finden sich dann vor Ort.
Sind die Menschen im Schwarzen Block grundsätzlich gewaltbereit?
In Hamburg muss man sagen: die Menschen, die da Autos angezündet und Läden geplündert haben, würden bei einer Demonstration sehr wahrscheinlich im Schwarzen Block mitlaufen. Aber umgekehrt findet nicht jeder aus dem Schwarzen Block gut, was da passiert ist. Die Leute aus der Roten Flora zum Beispiel haben ein großes Problem damit, dass ihr Viertel auseinandergenommen wurde. Die Vielfalt innerhalb des Blockes ist größer als man denkt.
Wer läuft im Schwarzen Block mit?
Das sind die klassischen, an autonomen Prinzipien orientierten Gruppen, anarchistische Gruppen, aber je nach Anlass auch Gruppen aus der Interventionistischen Linken, die sich gerade nach einer Kritik an der konfrontativen autonomen Politik gebildet haben.
Wer ist denn da auf Radau aus?
Es gibt im Schwarzen Block viele Kleingruppen, die für sich entscheiden, wie sie in einer Situation vorgehen. Da gibt es solche, die offensiv die Auseinandersetzung mit der Polizei suchen. Die waren durch die Konstellation in Hamburg besonders mobilisiert. Aber es gibt auch post-autonome Strömungen, die haben einen anderen Ansatz. Sie stehen dafür, dass von ihnen keine Eskalation ausgeht und die Polizei nicht ihr Gegner ist.
Spielt der Schwarze Block nur bei linken Demos eine Rolle?
Es gibt auch bei einigen Neonazi-Aufmärschen Schwarze Blöcke, die autonomen Nationalisten haben von der Kleidung über die Slogans bis zum Schwarzen Block alles von der radikalen Linken kopiert. Das ist eine neuere Entwicklung.
Worin lag der Sinn, in Hamburg einen Schwarzen Block zu bilden? Man wusste doch, dass die Polizei nur darauf gewartet hat.
Die Ausschreitungen in Hamburg kann man ohne die Vorgeschichte nicht verstehen. Die Polizei hat von Anfang an Signale ausgesendet, dass Proteste in Hamburg keinen Raum haben. Sie hat die Übernachtungscamps nicht zugelassen. Sie hat eine Verbotszone eingerichtet, in der Protest nicht möglich sein sollte und am Donnerstag dann als Höhepunkt zerschlägt sie eine genehmigte Demonstration - aus nichtigen Gründen und in einer Form, die wahllos Menschen verletzt und gefährdet hat. Diese Vorgeschichte hat dazu geführt, dass die Leute, die die Polizei als Gegner sehen und ein Zeichen des Widerstands setzen wollen, angespitzt wurden.
Das rechtfertigt aber nicht die schweren Krawalle.
Ich sage nicht, dass die Polizei für die Handlungen der Randalierer verantwortlich ist. Das wäre ja blödsinnig. Aber die Polizei setzt in so einer komplizierten Situation Rahmenbedingungen, in denen sich das Protestgeschehen dynamisch entwickelt. Die Demonstration am Donnerstag durfte gar nicht loslaufen, sie wurde gestoppt und zerschlagen, obwohl die Einigung mit der Polizei erfolgt war. Große Teile haben die Vermummung wieder abgelegt. Und wenn die Polizei dann noch mit Wasserwerfern auf Leute spritzt, die auf einem Dach stehen, wenn sie eine Menschenmenge ohne Fluchtweg in die Zange nimmt und wahllos auf Demonstrierende und Unbeteiligte einschlägt, dann bringt das noch mehr Menschen gegen die Polizei auf.
"Seit Jahrzehnten hat man in Hamburg die Taktik, draufzuhauen"
Ihre Kritik an der Polizei ist deftig.
Bei so einem Gipfel ist klar, innerhalb der Demonstrationen ist ein kleiner Teil dabei, der es auf eine Konfrontation mit der Polizei anlegt. Die sind immer da. Also stellt sich die Frage: Wie gehen wir damit um? Seit Jahrzehnten hat man in Hamburg die Taktik, draufzuhauen. Jetzt wurde beim G-20-Protest die Schraube noch einmal weitergedreht, bis zum Einmarsch von Bewaffneten in einen Straßenzug. Wir können von Glück sagen, dass es keinen Toten gab. Ich denke, die Strategie ist kolossal gescheitert.
Wer trägt Ihrer Ansicht nach dafür die Verantwortung?
Einsatzleiter Hartmut Dudde fährt diese Strategie seit Jahren. Der Ansatz ist immer wieder im Nachhinein von Gerichten gerügt worden. Das hat seiner Karriere nicht geschadet. Wenn also Innensenator Andy Grote und Bürgermeister Olaf Scholz ihn als Einsatzleiter einsetzen, dann weiß man, woran man ist. Das war Eskalation mit Ansage. Jetzt sitzt der Senat buchstäblich vor einem Scherbenhaufen.
Wieso war die Strategie falsch?
Das präventive Draufschlagen funktioniert einfach nicht. Das hätte man in Berlin sehen können. Da gab es jahrelang zum 1. Mai Krawalle auf Knopfdruck. Die Berliner Polizei hat es zwischendurch auch mal mit der Taktik versucht, Demonstrationen zu zerstreuen und aufzulösen. Das hat aber nicht geklappt, das Ergebnis waren noch mehr Verletzte und Zerstörung. Bei Gipfelprotesten ist die Situation noch unberechenbarer, weil auch Gruppen aus dem Rest Europas dazu kommen.
Wie hätte denn eine erfolgversprechende Strategie der Polizei ausgesehen?
Man kann es vergleichen mit dem 1. Mai oder der Demonstration in Rostock zum G-8-Gipfel 2007. Da hat ein deeskalierendes Konzept dafür gesorgt, dass die Ausschreitungen im Vergleich gering blieben. Das Konzept heißt: die Demonstration zulassen, ihr Raum geben, kleinere Verstöße ignorieren. Vor allem muss das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gewährleistet werden. Wenn man versammlungsfeindlich agiert, verhärtet das die Fronten.
In Rostock wurde die Polizei damals auch hart kritisiert.
Weil es auch 2007 viele Verletzte und Sachbeschädigungen gab. Das war ja tatsächlich schlimm. Es gab aber damals auch einen Schwarzen Block, der war zwei oder dreimal so groß wie jetzt in Hamburg. Das Potenzial war größer. Nach der Demonstration lief aber alles in geordneten Bahnen ab.
Gibt es innerhalb der Szene eine Debatte, ob es den Schwarzen Block weiter geben soll?
Es gibt wohl kaum eine Diskussion über die Taktik des Schwarzen Blocks. Aber die Aktionen der letzten Tage werden sehr wohl kritisch diskutiert. Viele Leute sind nicht davon begeistert, was in Hamburg passiert ist. Da wurden auch szeneintern einige rote Linien überschritten: Angriffe auf Journalisten, Feuer in einem Wohngebiet und ich weiß nicht, was noch mehr.
Was droht denjenigen, die nun in Hamburg festgenommen wurden?
Die Frage ist, wie vielen man gerichtsfest eine Straftat nachweisen kann. In Rostock 2007 hatte die Polizei über 1000 Demonstranten festgesetzt, am Ende gab es aber nur sehr wenige, die wirklich verurteilt wurden.
Das erhöht nicht gerade die abschreckende Wirkung auf Randalierer.
Der Gesetzgeber hat gerade beschlossen, dass Angriffe auf Vollstreckungsbeamte schärfer geahndet werden. Das wird auf viele der Festgenommenen angewandt werden. Vielleicht hilft es der Polizei, dass heute überall gefilmt und fotografiert wird, da könnten noch einige mehr überführt werden. Viele werden es nicht sein.
Die Öffentlichkeit verlangt von den friedlichen Demonstranten, dass sie sich vom Schwarzen Block distanzieren.
Das findet ja statt. Bei der Demonstration am Samstag ist das für sehr viele ein Anliegen gewesen zu sagen: unser Protest sieht anders aus. Man kann schlecht Teilnehmer in schwarz von der Demonstration ausschließen. Dafür ist wie gesagt die Zusammensetzung im Schwarzen Block zu heterogen. In Rostock sind damals Leute aus der Demonstration zwischen die Fronten gelaufen, um die Konfrontation zwischen den Steinewerfern und der Polizei zu stoppen.
Trotzdem bleibt aus Hamburg vor allem die Gewalt hängen. Das kann den anderen Demonstranten nicht recht sein.
Am Freitag gab es auch Blockaden, eine Fahrrad- und eine Bildungsstreik-Demonstration. Es ist ermutigend zu sehen, dass sich viele Menschen auch in einer angespannten Situation das Demonstrieren nicht verbieten lassen. Aber das geht tatsächlich fast unter. Das liegt aber auch daran, dass die Vorfälle so noch nicht dagewesen sind: dass Randalierer durch die Straßen ziehen und reihenweise Autos anzünden; dass die Polizei militarisierte Einheiten einsetzt. Das drängt sich in den Vordergrund. Damit sind wohl alle unglücklich.


http://www.sueddeutsche.de/politik/protestforscher-ueber-g-chaos-die-strategie-der-polizei-ist-kolossal-gescheitert-1.3579457

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Was ist eigentlich mit den Bürgern, die den Gesamtansatz der akutellen Anarchisten in Deutschland für punktuell interessant, aber dann doch nicht so relevant halten?
Diese ganze Aufregung für vielleicht 1% des Meinungsspektrums. Wieso da "kleinere Verstöße ignorieren"? Wieso leistet sich dieses Land, dass riesige Immobilien in sehr guten Innenstadtlagen von radikalen politischen Mini-Gruppierungen besetzt sind, deren Vorstellungen von 90% der Bürger in keinster Weise geteilt werden. Ich glaub auch, dass die hiesige Praxis der Unterstützungsräume für Radikale der Linken eher schadet. Red hier über bestimmte Uni-Fakultäten (in Frankfurt hatte ich da mal bei einer öffentlichen Veranstaltung eine Begegnung der dritten Art), sogenannten "Kulturzentren" und auch von manchen vom Gesetz her eigentlich "gemeinnützigen Sponsoren" (aus meiner subjektiven Sicht etwa eine bestimmte Lottogesellschaft).
Da sind in den 80ern Strukturen entstanden, die der Staat mal überdenken sollte.

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@Da sind in den 80ern Strukturen entstanden, die der Staat mal überdenken sollte. --Ja, das hieß mal "Freiräume erkämpfen". Und die gilt es dann auch zu verteidigen. Die Welt des deutschen Mehrheitsspießers ist durchaus eine Welt die ich als feindlich, oder zumindest wesensfremd ansehe.

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Zentren schließen ist imho komplett daneben
@Lemmy

Wer diese linken und radikallinken Räume und Kulturzentren als "Unterstützungsräume" oder gar Planungszentralen für gewalttätigen Protest einschätzt/imaginiert, der geht imho sehr weit fehl.

Sicherlich gibt es in dem einen oder anderen dieser Räume Personen mit sehr fragwürdigen politischen Haltungen, es mag da sogar ganze Plenen geben, von denen aus dann nochmals fragwürdige Aktionen organisiert werden.

Nur - so realistisch muss man sein - sollte man dabei imho drei Dinge bedenken:

1) Die gewalttätigen, äh, "Proteste" aka Schanzenrandale wurden ganz sicher nicht in der Flora organisiert. Die dürften zwar durchaus vernetzt sein mit anderen autonomen Zentren europaweit, aber es ist ein komplettes Fehlverständnis dieser Szene, dass sich diese zentral lenken oder organisieren ließe. Ich bin ganz sicher: Die Flora und ihr Umfeld waren eher nur sehr am Rande bei der Schanzenrandale ein Faktor. Teils haben die Leute aus diesem Umfeld versucht, Schlimmeres (weitere Plünderungen, Anzünden von Wohnhäusern) zu verhindern. Die waren auch nicht alle glücklich darüber, wie es gelaufen ist.

2) Die Kriminellen und die massiv Gewaltorientierten unter den Autonomen benötigen keine Zentren. Das ist denen ohnehin viel zu politisch - kein Witz! Denen genügt ein ganz normales Hool-Umfeld - und dagegen hilft dann auch nicht die Schließung von Flora etc.

3) Es wird ausgeblendet, welche teils hervorragende (!) Stadtteil- und Kulturarbeit in diesen Zentren geleistet wird. Ganz ohne Scheiß: Billiger kann der Staat Kultur nicht fördern. Teils wird da auch hervorragende AntiFa-Arbeit organisiert, und zwar auch in Form/Inhalt so, dass z.B. du damit gut leben könntest.

Insofern stelle ich mich ganz klar und massiv gegen die Forderungen, aus Gesinnungsgründen linke Zentren zu schließen. Was soll das bringen?

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Was da im Kontext der Aufarbeitung teilweise gesagt wird, schockiert mich.

I. Da ist dieses "Argument": Kein Gipfel in der Stadt mit der größten Autonomen-Population.
1. Wie viel Prozent der Hamburger verstehen sich als Autonome?
2. Wird es demnächst auch keine Gedenktage an die Judenvernichtung in Dresden geben, weil es wohl die Großstadt mit der größten Rechtsradikalen-Population ist?
3. Welche ausländischen Staatsgäste dürfen eigentlich Hamburg betreten?
Raúl Castro, Nicolas Maduro, Lenin Moreno, Evo Morales, das Oberhaupt des südindischen Bundesstaats Kerala, der Präsidente von Nepal, der Präsident von Portugal und sonst?

II. Der Leiter der "Roten Flora" beschwert sich, dass über eine anderweitige Verwendung des Grundstücks nachgedacht wird. Das wäre "Symbolpolitik".
Er meint der Wert, der von ihm verwalteten Immobilie wäre "symbolisch"? Außerdem bildet Symbolik IMMER einen integralen Bestandteil der Politik. Es ist eine wichtige Form der Kommunikation zwischen Mandatsträger und Wähler. Mit einer Schließung der Roten Flora würden die Politiker Steuerzahlern wie mir dokumentieren, dass unsere Anliegen ernst genommen werden.

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Und in einer solchen Republik will ich nicht leben. Wir gehören der Gesellschaft nur insoweit an wie wir uns gegen sie auflehnen.

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Wird es demnächst auch keine Gedenktage an die Judenvernichtung in Dresden geben, weil es wohl die Großstadt mit der größten Rechtsradikalen-Population ist?

Grenzkontrollen für Kölner die nach Düsseldorf einreisen wollen und umgekehrt, dito für
Hannover-Braunschweig-Wolfsburg.


Punkt 3. ist ein guter Vorschlag.

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@che2001:
Wir gehören der Gesellschaft nur insoweit an wie wir uns gegen sie auflehnen.

Wie kommst Du denn auf dieses schmale Brett?

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Ist ein situationistisches Traditional;-)

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Es wird auch keine Empfänge reaktionärer Prälaten durch den Erzbischof von Köln mehr geben, weil in Köln die größte Schwulenpopulation Deutschlands lebt. Ich bezweifle dass die größte Autonomenpopulation in Hamburg lebt, die gibt es in Berlin. Allerdings sehen die Kreuzberger, Neuköllner und Friedrichshainer den jeweils eigenen Bezirk als eigene Stadt an. Die kleinste Autonomenpopulation lebt in Alfeld/Leine. Die qualitativ hochwertigsten sind in Bremen und Göttingen.

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