Montag, 26. März 2018
Willkürliche Abschiebepraxis - eine Pesseerklärung des AK Asyl Göttingen
Presseerklärung


Drohende Abschiebung einer Familie aus Göttingen nach Rumänien


Beim ersten Abschiebeversuch soll Familie T. nach Bulgarien abgeschoben
werden. Beim Zweiten soll es Rumänien sein. Welches Land soll es beim
dritten Mal sein? Das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge)
scheint die Dublin-Regelung sehr freizügig auszulegen - sehr zum
Nachteil einer afghanischen Familie, die in Göttingen lebt und die
Leidtragende dieses Lotteriespiels ist.

Familie T. floh 2017 vor den unmenschlichen Bedingungen in Afghanistan.
Zunächst landete das Ehepaar mit ihren drei kleinen Töchtern (heute 7, 6
und 3 Jahre alt) in Bulgarien. Dort wurden sie gezwungen, ihre
Fingerabdrücke abzugeben und Asyl zu beantragen. Dort wurden sie 7 Tage
in einem Haus festgehalten. Alle Habseligkeiten wurden ihnen
weggenommen. Dann mussten sie aufs Polizeirevier zur Registrierung. Die
Familie wurde voneinander getrennt verhört, 3 Tage lang ohne Essen, bis
die Frau ohnmächtig zusammenbrach. Sie wurden für 28 Tage in das Lager
Harmanli* eingesperrt.
Nach 5 Monaten gelang es ihnen, weiter zu fliehen. In Serbien wurden sie
erneut in ein Flüchtlingslager gezwungen. 6 Monate verbrachten sie dort.
Diesmal unter Aufsicht des UNHCR. Dann ging es wieder weiter. Sie
durchquerten in einer Nacht Rumänien und gelangten nach einem Jahr auf
der Flucht im August 2017 nach Deutschland. Hier wollten sie endlich zur
Ruhe kommen, hofften auf Sicherheit und Erholung von den Strapazen. Die
Ehefrau war hochschwanger.

Aber am 14.02.2018 klopfte es mitten in der Nacht an der Tür. Die
Polizei wollte die Familie nach Bulgarien abschieben. Die Polizei hatte
einen Wohnungsschlüssel und kam mit mehreren Beamt_innen in die kleine
Wohnung, weckten die Kinder auf, auch das inzwischen in Göttingen
geborene Baby. Alle haben geweint, hatten wahnsinnige Angst, konnten
kaum verstehen, was geschehen sollte. Der Vater rief einen Freund an,
der am Telefon dolmetschte. Unterdessen durchsuchten 2 Polizist_innen
die ganze Wohnung, schauten selbst unter den Teppichen nach. Warum sie
das taten, ist nicht bekannt, sie erklärten überhaupt nichts. Auch der
Bruder des Vaters telefonierte mit der Polizei, erklärte, dass die
Familie gar keinen Bescheid bekommen habe. Die Situation muss so unklar
gewesen sein, dass die Polizei die Abschiebung abbrach. Vielleicht war
es auch die Verzweiflung und die weinenden Kinder, die die Polizei
abhielt. Sie sagten nur, das nächste Mal würden sie sie mit Sicherheit
mitnehmen. Zurück blieb die völlig verzweifelte und aufgelöste Familie.
Die eingeschaltete Anwältin stellte einen Eilantrag bei Gericht, der
aber abgelehnt wurde. Das Gericht hatte festgestellt, dass der
Abschiebebescheid vom BAMF zugeschickt worden sei. Dass der jedoch die
Familie nicht erreicht hatte, weil die Adresse in der Europaallee nicht
an das BAMF weitergeleitet worden ist, könne nicht dem Bundesamt zur
Last gelegt werden. Inzwischen hatte das BAMF auch mitgeteilt, die
Familie solle jetzt nach Rumänien abgeschoben werden. Auch hierzu gab es
keinerlei Begründung.

Dann kam der zweite Abschiebeversuch - auch dieses mal scheiterte die
Abschiebung. Aus Verzweiflung und purer Angst unternahm der
Familienvater kurz dannach einen Suizidversuch, den er überlebte.

Der AK Asyl verurteilt das Vorgehen von BAMF, Ausländerbehörde und
Polizei aufs Schärfste. Die Praxis des Dublin-Abkommens ist unmenschlich
und völlig sinnlos. Das Hin- und Herschieben quer durch Europa ist
zahlenmäßig für die beteiligten Staaten eher ein Nullsummenspiel, ist
aber für die Betroffenen eine Qual, die sie nicht zur Ruhe kommen lässt.
Bei Familie T. verstoßen die Behörden auch noch gegen ihre eigenen
Regeln. Nach dem Dublin-Abkommen ist dasjenige Land zuständig, in dem
die Geflüchteten das erste Mal registriert werden. Und das ist in diesem
Fall Bulgarien. Erst Anfang des Jahres hat das OVG Lüneburg die
Abschiebungen nach Bulgarien für unzulässig erklärt. „Es ist mit Art. 3
EMRK unvereinbar, wenn sich ein Asylbewerber, der von staatlicher
Unterstützung vollständig abhängig ist und sich mit einer gravierenden
Mangel- oder Notsituation befindet, staatlicher Gleichgültigkeit
ausgesetzt sieht.“

Da hat das BAMF anscheinend kurzerhand umdisponiert. Da die afghanische
Familie auch in Rumänien ihre Fingerabdrücke abgeben musste, soll sie
jetzt nach Rumänien abgeschoben werden. So einfach und willkürlich kann
eine Entscheidung sein.

Dass die Situation in Rumänien für geflüchtete Familien auch alles
andere als gut ist, ist nicht unbekannt. Es gibt einige wenige
entsprechende Urteile dazu etwa aus Köln oder Schwerin. Schilderungen
von Haft und Misshandlung durch die rumänische Polizei, Geldleistungen
von 80 Cent pro Tag für Geflüchtete, Obdachlosigkeit und keine
eingehende Prüfung von Asylanträgen etwa waren Gründe für diese
Gerichte, systemische Mängel zu konstatieren und Abschiebungen nach
Rumänien zu unterbinden.

Da die Dublin-Frist (6 Monate) für Familie T. bald vorbei ist und damit
Deutschland für das Asylverfahren zuständig werden würde, hat die
Ausländerbehörde Göttingen, die für die Durchführung der Abschiebungen
zuständig ist, der Familie eine Hausarrestverfügung geschickt. Sie
sollen nachts zwischen 24.00 und 7.00 Uhr zu Hause bleiben, damit die
Abschiebung durchgeführt werden könne.

Wir werden einem dritten Abschiebeversuch nicht tatenlos zusehen. Eher
werden wir nachts Wachen aufstellen, um die Familie vor der Abschiebung
zu schützen.

Wir fordern das BAMF und die Ausländerbehörde Göttingen dazu auf, diese
Abschiebungen endlich zu unterlassen und für die Familie T. von ihrem
Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen!

Wir fordern die Polizei und die Ausländerbehörde dazu auf ihre Praxis zu
beenden mit Schlüsseln in die Wohnungen von Geflüchteten einzubrechen!

Bleiberecht und gleiche Rechte für alle!




Bündnis gegen Abschiebung, März 2018





*Weitere Infos zur Situation im Lager Harmanli findet ihr unter anderem
unter:
https://www.amnesty.de/2013/11/21/den-grenzen-europas-keine-herzliche-begruessung-fuer-fluechtlinge-bulgarien

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