Donnerstag, 27. Dezember 2018
Versuch, die Heilige Nacht vom Kopf auf die Füße zu stellen
Einen Stern von Bethlehem hat es nach dem Wissensstand der Astronomie nie gegeben, höchstens eine Konjunktion von Jupiter und Saturn. Hintergrund der "Jungfrauengeburt" war wohl die Tatsache, dass die 14jährige Maria bei der Hochzeit mit Josef bereits schwanger war und damit nach damaligem Gesetz zu Tode gesteinigt hätte werden müssen, wovor ihr Mann sie mit der Behauptung der Jungfräulichkeit rettete - signifikant auch für das Verhältnis des späteren Jesus zur Steinigung. Dieser wurde wahrscheinlich nicht in Bethlehem sondern in Nazareth geboren, Bethlehem war aber als Geburtsort des Messias angekündigt worden, ebenso gutes Marketing wie das Datum des Geburtstags, mit dem Wintersonnwende und das Geburtsdatum des persischen Sonnengottes Mithras zusammenfallen.

---- Jenseits solcher historischer Fakten liegt der eigentliche Wahrheitsgehalt des Christentums. Jesus, der zeitlebens Jude war, hat sich im Gegensatz zu allen bisherigen jüdischen Propheten, die stets sich an die Eliten, Klerus und Hochadel wendeten auf das einfache Volk bezogen, insbesondere die Ärmsten der Armen. Damit war er der erste proletarische Prophet. Die Botschaft der allgemeinen Menschenliebe, es war eben nicht nur Nächstenliebe und des Nichtakzeptierens vorhandener Hierarchien verband sich mit der Stoa und dem Römischen Bürgerrecht zur Basis von allem, was später Humanität und Menschenrechte begründete. Kein anderes Denksystem dieser Zeit brachte Vergleichbares hervor. Die Verbindung aus Buddhismus und Hellenismus im Graeco-Baktrischen Reich, später Kuschanreich hätte das auch schaffen können, schaffte das aber nicht. Die Bedeutung des Christentums liegt in dem geistigen, zivilisatorischen Kick, den es der Welt außerhalb seiner ursprünglichen theologischen Bezüge verpasste.


Randbemerkung: Das Matthäusevangelium entstand zur Zeit Neros in Rom, und eines der bedeutendsten Ereignisse zu seiner Zeit war der Empfang des neuen armenischen Königs Tiridates durch Nero, der von persischen Sterndeutern begleitet wurde und aufgrund des Erscheinens eines Kometen zum König ausgerufen worden war. Es kann also gut sein dass der Stern von Bethlehem ein reiner Marketinggag gegenüber den Zeitgenossen war.

... comment

 
das ist aber nur schwer verständlich: wie kann etwas "vom Kopf auf die Füße" gestellt worden sein, wenn "der eigentliche Wahrheitsgehalt des Christentums" hier näher bestimmt sein soll? Genau dieser "Wahrheitsgehalt" ist doch der Kopfstand! - Zumindest, wenn ich zeitgemäß (zunächst) davon ausgehe, dass "Wahrheit" eine Eigenschaft ist, die Sätzen zugesprochen werden kann. Diesem Schema folgend wäre der Wahrheitsgehalt (des Christentums) zusammengesetzt aus wahren Gehalten (von Sätzen), die das Christentum irgendwie transportiert oder seine Lehren beinhalten. Schauen wir uns also mal deine Charakterisierungen des Christentums - genauer der Lehren Jesu - an! Das wäre die einer "allgemeinen Menschenliebe" in Abgrenzung zu "nur Nächstenliebe" und "des Nichtakzeptierens vorhandener Hierarchien", wobei Jesus der erste "proletarische Prophet" gewesen sei. Hiervon abgezogen jene Wahrheit der Lehre, die unabhängig von ihrem Gehalt zustande kommt; ich meine hier, dass wir annehmen, dass die von dir vorgenommene Charakterisierung des Christentums zutrifft. Wir können aber noch weiter gehen: der Umstand, dass Jesus den Proleten predigte, oder diese Praxis - wie soll sich daraus ein "Gehalt" ableiten lassen, dem das Prädikat "wahr" zugesprochen werden könnte? Und die allgemeine Menschenliebe? Ist das nicht eher ein ethisches Prinzip? Ich sehe nicht, wie wir auf diese Praxis und Botschaft einen prädikativen Wahrheitsbegriff anwenden könnten. Und selbst wenn: Was wäre dann das zusätzliche Kriterium, dass die angenommenen Sätze wahr machen würde? Dieses könnte wieder nach Kriterien befragt werden usw. Es bleiben nur formale Kriterien, und hier schwebt dir - der Blick auf die Uberschrift gibt den Hinweis - offenbar die Universalität der Lehren Jesu vor! Ohne "proletarischen Propheten" ist einfach keine Wahrheit zu haben. Nichts gegen solche Universalität, die betreffen nicht meine Zweifel. Weit ab von einem prädikativen Wahrheitsbegriff hätten wir etwas wie eine "universelle Wahrheit":

Eine "notwendige Wahrheit", die immer vorausgesetzt werden können muss (auf die immer der Rückschluss durführbar sein muss), ohne eigenes Kriterium wäre die "absolute" Wahrheit. Alle anderen Wahrheiten wären nur "angenäherte" Wahrheiten, Teilwahrheiten, die ihren Wahrheitswert qua Partizipation an jener gewinnen und, je umfassender, umso "wahrer" wären. Der "Wahrheitsgehalt" des Christentums wäre in seiner Universalität zu suchen. again: das wäre ein formales Kriterium.

Für meine Begriffe steht die Wahrheit hier immer noch idealistisch Kopf.

Wie dem auch sei, ich wollte nur darauf aufmerksam machen, dass gerade in der christlichen Lehre einer Formulierung wie "Wahrheitsgehalt des Christentums" Sinn abgewonnen werden zu können scheint, was mir anhand eines moderneren Wahrheitsbegriff nicht gelingt. - Weil ich durchaus annehme, dass Wahrheit kein Gehalt ist, sondern höchstens über einen Gehalt ausgesagt werden kann. In der Weihnachtsgeschichte wird, angeblich, die Form Gehalt, das Wort wird Fleisch - in Christus, der Wahrheit ist, weil er Wort ist, usw., "ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh. 14,6) ... Nun, was einen "Gehalt" betrifft, kann ich ja hier möglicherweise sogar zufrieden sein, denn ohne einen solchen kommt für mich die Wahrheit nie auf den Füßen zum Stehen.

... link  

 
Der Titel ist eigentlich ein geklautes Zitat, das zu kennen vom dialektischen Hintersinn meiner Leser ich voll klammheimlicher Freude erwartete:

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41651544.html

... link  

 
Religiöse Welten wie die des ursprünglichen Christentums gehen von einer Wirklichkeit aus, die nicht mit der physischen Realität identisch ist. Das heißt in der Konsequenz, die religiösen Vorstellungen müssen mit historischen, physikalischen, geologischen oder meteorologischen Tatsachen rückgekoppelt und anhand dieser Befunde korrigiert werden, oder man geht, wie die gläubigen Zeitgenossen Jesu, von der Existenz einer nicht körperlichen reinen Geisteswelt im mystisch-gnostischen Sinne aus. Demgegenüber hat der Wahrheitsbegriff des Christentums, im Sinne seiner intellektuellen und kulturhistorischen Bedeutung, nichts mit der unmittelbaren Faktenebene seiner Entstehungsumstände zu tun. Diese Zusammenhänge hielt ich allerdings für eine solche Selbstverständlichkeit dass man sie nicht eigens erwähnen müsste.

... link  

 
oder wir halten´s mit Pilatus ...
Vielleicht solltest du tatsächlich deine Voraussetzungen vorher klarmachen. Die Selbstverständlichkeiten, die du voraussetzt, scheinen wieder Voraussetzungen zu haben, über die ich nur spekulieren kann. Denn du implizierst, jedenfalls wenn ich die ersten eiden Sätze deines letzten Kommentars lese, metaphysische Annahmen der Neuzeit, die zu verfehlten Rückprojektionen - oder zumindest missverständlichen Formulierungen - führen. Dass z.B. die Wirklichkeit mit der physikalischen Realität identisch sei, ist eine relativ neue, szeintistische metaphysische Annahme, die ihrerseits nicht falsifizierbar ist.


die Frage nach dem Wahrheitsbegriff sehe ich auch vor Hintergrund von Jan Assmanns "mosaischer Unterscheidung", aus der er einen "absoluten Wahrheitsbegriff" ableitete. Assmann hätte sich den ganzen Stress aber auch sparen können: (Joh. 18): 37 J: ... Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. 38 Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit? Nachdem er das gesagt hatte, ging er wieder ... Noch knapper (Joh. 14,6) - Kategorienfehler!

richtig ist, dass in der römisch-katholisch-scholastischen Tradition in der Folge daraus ein ontologischer Wahrheitsbegriff abgeleitet wurde (z.B. Augustinus), den Thomas mit einer wissenschaftstauglichen Wahrheitstheorie (Korespondenztheirie) verband, und der bis heute in der kath. Kirche unter Verweis auf 2 Mose 3,14 propagiert wird, 13, Mose: "(...), Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen sagen? 14 Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin, der ich bin." (Wahrheit = Sein)

ich frage mich nur, wie unter Bedingungen vor Th. v. Aquin, B. Russell, G.E. Moore, G. Frege etwas wie "Wahrheitsgehalt des Christentums" auf etwas anderes, jedenfalls Assmann zufolge, als einen "absoluten Wahrheitsbegriff" hinauslaufen kann. - bzw. ich wollte dich darauf aufmerksam machen, dass diese Implikationen durchaus mitgelesen werden.

... link  

 
Vielleicht werden meine Implikationen klarer, wenn wir das Thema von der Frage her betrachten "Was für einen Wert kann eine Religion für uns heute haben, deren fundamentale Erzählung auf der reinen Faktenebene teilweise falsifiziert ist?". Und dann bleibt ein Wahrheitskern übrig der etwas mit dem zivilisatorischen und ethischen Wesen zu tun hat.


BTW. der absolute Wahrheitsbegriff den Assmann referiert stellt sozusagen die "Kopernikanische Wende" der mosaischen Religionen gegenüber dem Polytheismus und chtonischen bzw. mysterienzentrierten Kulten wie dem Mithras-Kult dar, hat aber mit einem kritisch-materialistischen Wahrheitsbegriff, der die ethische, kultursoziologische und sittliche Botschaft des Christentums als Wahrheit ansieht, die Gotteslehre, physikalisch unbeweisbare Dinge wie die Auferstehung usw. hingegen als Mythos zurückweist nichts zu tun.

... link  

 
ah ja, jetzt wird´s ja auch klarer. obwohl sich mir noch eine Reihe Fragen stellt. Auch sehe ich mich in meinem Verdacht des Idealismus erstmal bestätigt. Was ich als Begriffsverwirrung anzusehen geneigt bin, verdankt sich also humanistischen(?) Auffassung des Christentums, Bloch(?), ist mir aber nicht unsympathisch ...

meine Erwähnung Assmanns war natürlich etwas provokativ. Ihm scheint es ja eher um Absolutheitsansprüche zu gehen. Man kann durchaus etwas für wahr halten, ohne eine Wahrheitstheorie zu haben. Objektiv kann man dabei sogar richtig liegen; demgemäß kann man auch irgendwelche Ansprüche erheben, vermeintlich gerechtfetgt durch etwas, was man für wahr hält (und gleichwohl sich dabei irren) und dabei einer irrigen oder gar keiner Wahrheitstheorie anhängen.

Sein sog. "absoluter Wahrheitsbegriff" hat in der Tat nichts mit dem von Aristoteles stammenden und in der kath. Kirche tradierten (Aquin) und immanent zu kritisierenden zu tun. Hier ist zu beachten, dass z.B. Aquin einerseits seinen Wahrheitsbegriff religiös entwickelte, andererseits philosophisch, wobei er es verstand, beide ziemlich kohärent mit einander zu verbinden und seine Begrifflichkeiten durchzuhalten.

d.h. es wäre die Begriffsgeschichte, der sich der kritisch-materialistische Wahrheitsbegriff verdankt, zu untersuchen. ich stecke da aber gerade mitten in Aquin und Aristoteles. natürlich denke ich auch an Marx, rückwärts, an Hegel ... die Kritik am Idealismus, wie ich sie oben angedeutet habe (in England war Bradley, und weniger Hegel vor hundert Jahren bestimmend), ist der Russells und Moores nachempfunden, wie diese, sich von Bradley abwendend, sie zur Geburtsstunde der analytischen Philosophie entwickelten.

damit traten aber wieder Wahrheitstheorien vom aquinatischen Typus auf den Plan. d.h. man kann bereits bei Aquin das Rüstzeug finden, um die Verwendungsweise von "Wahrheit" zu kritisieren, wie ich sie hier inkriminiere. Anstelle "absoluter Wahrheitsbegriff" würde man heute etwa sagen: das Prädikat "ist wahr" lässt sich nicht weiter analysieren. Mit Wahrheit wird die Richtigkeit des Verstandesurteils hinsichtlich des Referenten beschrieben. Die Ursache für diese Angleichung liegt im Verstand. Ursache von allem ist aber Gott. Für die "Wahrheit Gottes" gibt es also keinen Maßstab mehr (wie es das von Gott verursachte Ding für den Verstand ist). Die Absolutheit dieser Wahrheit folgt aus einer rein logischen Operation.

Nehme ich aber eine besondere Botschaft als Wahrheit, dann liegt die Analysierbarkeit dieser Wahrheit doch schon im Begriff selbst, oder nicht? Ohne Maßstab hätten wir wieder eine absolute Wahrheit? Aquin erklärt nun analog zu seiner Theorie der "Angleichung" die Rede von "wahrer Gerechtigkeit" als Angleichung der Werke an den Bedeutungsgehalt von "Gerechtigkeit". Worin hier besteht nun die Bezugsgröße? Eine Lehre "wahrer Humanität"? Aber dann kann man das doch gleich sagen.

Kurz zu "Wesen" - auch so ein Begriff, mit dem Schindluder getrieben worden ist. Es scheint, wir sind hier plötzlich ontologisch unterwegs, und hier würde ich zu Zwecken der Rekonstruktion bei Aristoteles anfangen. Bloß leider hat den die kath. Kirche für sich in Beschlag genommen, um von der "wahren Kirche", "wahren Gott" usw. zu sprechen. Passend, dass Jesus sagte, er sei die Wahrheit (offenbar ein Übersetzugsproblem). Auch hier interessant, auf welche Begriffsgeschichte sich kritisch-materialistisch berufen wird. Es finden sich hier (z.B. in Sachen Würde) ein paar interessante Stellen bei Aristoteles.


Für mich ist es ein Mythos, dass Wahrheitskern, wahrer Gott usw., wenn nicht aufkösbar in Wahrheitsprädikate ("S ist wahr") überhaupt irgendetwas bedeuten.

Der Vorteil an einem prädikativen Wahrheitsbegriff ist, dass sich mit ihm im Gegensatz zu idealistischen realistische Wahrheitstheorien formulieren lassen. Ich sehe es als eine Sache des Humanen an, "den Dingen da draußen" tatsächlich Wahrheitsprädikate zuzubilligen.

... link  


... comment