Samstag, 8. August 2020
Wikipedia und die Hippies
che2001, 21:15h
Einerseits ist die Wikipedia längst die umfangreichste Enzyklopädie der Welt. Und andererseits ist sie bis heute über einige ihrer Anfangsschwierigkeiten - oder Kinderkrankheiten - nicht hinausgekommen. Das zeigt sich etwa beim Eintrag über die Hippiebewegung, der in der großen Linie richtig, im Detail aber in vielen Fällen falsch ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hippie
Der Ärger beginnt schon damit, dass die Begriffe Hippie und Acidhead gleichgesetzt werden. Ein Acidhead war jemand, der getreu dem Motto: "Turn on, drop out and get experienced" mit halluzinogenen Drogen, vorzugsweise LSD, Meskalin und Magic Mushrooms experimentierte. Das betraf mit Sicherheit nicht die Gesamtheit oder Mehrheit der Hippie-Bwegung.
Ich greife mal ein paar weitere Dinge auf: Jim Morrison war kein Vertreter der Hippie-Bwegung, sondern ihr Gegner. Entsprechend waren die Doors auch keine Hippie-Band,typische Hippie-Bands waren Gratefull Dead und Jefferson Airplane. Morrison machte sich etwa in einem Song über den Lebensstil der Hippies lustig. (Five to one: "Ya walk across the floor with a flower in your hand
Trying to tell me no one understands
Trade in your hours for a handful of dimes")
Er verachtete das in freiwilliger Armut auf der Straße leben und stellte dem das Konzept eines sowohl subkulturell als auch politisch Engagiertseins entgegen.
Dass die Dreadlocks von indischen Sadhus aus ihren Eingang in die Hippie-Bewegung fanden halte ich für gewagt. Westliche subkulturell-protestbewegte Menschen trugen erst in größerem Umfang Dreadlocks (oder viel häufiger gepflegte Afrolocken, denn echte Dreadlocks sind nicht geflochten, sondern verfilzt und dürfen nie gewaschen werden), als diese durch die Reggae-Musik und die Rastafari, diese wiederum Anhänger eines messianischen Erlösungskults mit dem letzten Kaiser von Äthiopien, Haile Selassie, als Messias, was dieser ablehnte (was ist an einem solchen Kult links?) in den Siebziger Jahren populär wurden.
Als subkulturelle, meist kiffende, politisch grün oder links orientierte Menschen häufiger Rasta- oder Afrolocken trugen gab es eigentlich schon keine Hippieszene mehr.
Offensichtlich wurde in dem Artikel alles, was 60er bis frühe 80er Jahre, bunt, langhaarig, pazifistisch und Anti-Establishment war als Hippies subsummiert. Hinter diesem Erscheinungsbild standen aber noch andere Bewegungen: Freaks, Yippiehs, Blueser, Stadtindianer, Spontis. Würde man all die als Hippies subsummieren wie der Artikel es tut dann wären synonym Skinheads, Hooligans, Headbanger und Psychobillys alles Untergruppen der Punks. Etwas Ähnliches hat ja Jan Schwarzmeier in seiner sehr ärgerlichen Dissertation Die Autonomen gemacht, in der er die autonome Bewegung unter Ausklammerung aller Entwicklungen der linken Bewegungen der Siebziger Jahre als aus dem Punk hervorgegangen charakterisierte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hippie
Der Ärger beginnt schon damit, dass die Begriffe Hippie und Acidhead gleichgesetzt werden. Ein Acidhead war jemand, der getreu dem Motto: "Turn on, drop out and get experienced" mit halluzinogenen Drogen, vorzugsweise LSD, Meskalin und Magic Mushrooms experimentierte. Das betraf mit Sicherheit nicht die Gesamtheit oder Mehrheit der Hippie-Bwegung.
Ich greife mal ein paar weitere Dinge auf: Jim Morrison war kein Vertreter der Hippie-Bwegung, sondern ihr Gegner. Entsprechend waren die Doors auch keine Hippie-Band,typische Hippie-Bands waren Gratefull Dead und Jefferson Airplane. Morrison machte sich etwa in einem Song über den Lebensstil der Hippies lustig. (Five to one: "Ya walk across the floor with a flower in your hand
Trying to tell me no one understands
Trade in your hours for a handful of dimes")
Er verachtete das in freiwilliger Armut auf der Straße leben und stellte dem das Konzept eines sowohl subkulturell als auch politisch Engagiertseins entgegen.
Dass die Dreadlocks von indischen Sadhus aus ihren Eingang in die Hippie-Bewegung fanden halte ich für gewagt. Westliche subkulturell-protestbewegte Menschen trugen erst in größerem Umfang Dreadlocks (oder viel häufiger gepflegte Afrolocken, denn echte Dreadlocks sind nicht geflochten, sondern verfilzt und dürfen nie gewaschen werden), als diese durch die Reggae-Musik und die Rastafari, diese wiederum Anhänger eines messianischen Erlösungskults mit dem letzten Kaiser von Äthiopien, Haile Selassie, als Messias, was dieser ablehnte (was ist an einem solchen Kult links?) in den Siebziger Jahren populär wurden.
Als subkulturelle, meist kiffende, politisch grün oder links orientierte Menschen häufiger Rasta- oder Afrolocken trugen gab es eigentlich schon keine Hippieszene mehr.
Offensichtlich wurde in dem Artikel alles, was 60er bis frühe 80er Jahre, bunt, langhaarig, pazifistisch und Anti-Establishment war als Hippies subsummiert. Hinter diesem Erscheinungsbild standen aber noch andere Bewegungen: Freaks, Yippiehs, Blueser, Stadtindianer, Spontis. Würde man all die als Hippies subsummieren wie der Artikel es tut dann wären synonym Skinheads, Hooligans, Headbanger und Psychobillys alles Untergruppen der Punks. Etwas Ähnliches hat ja Jan Schwarzmeier in seiner sehr ärgerlichen Dissertation Die Autonomen gemacht, in der er die autonome Bewegung unter Ausklammerung aller Entwicklungen der linken Bewegungen der Siebziger Jahre als aus dem Punk hervorgegangen charakterisierte.
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flavian,
Dienstag, 11. August 2020, 01:26
Was sind denn "Freaks, Yippiehs, Blueser, Stadtindianer, Spontis" in Abgrenzung zu Hippies?
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che2001,
Dienstag, 11. August 2020, 14:39
Am Problematischsten ist der Begriff Freak, der ja ganz allgemein jemanden bezeichnet der sehr extrem ist, bis hin zu bizarr deformierten Menschen, die in Freakshows ausgestellt wurden. Im Kontext der Sub- und Alternativkulturen der 60er-80er Jahre bezeichnet das Leute, die weitgehend der Hippie-Subkultur entsprachen, in wesentlichen Bereichen aber überhaupt nicht. Z.B. solche die die Love- and-Peace-Ideologie ablehnten oder etwas gegen Esoterik hatten. Der Begriff ist schwammig, man kann sagen dass Hippies und Freaks rein optisch ein etwa gleiches Erscheinungsbild hatten, bei den Hippies aber ein emotionaler Pazifismus bis zur Sanftheitsideologie und eine Neigung zur Esoterik im Vordergrund standen und die Freaks eher härter drauf waren, bis hin zu Übergängen zur Rockerszene. Yippiehs waren explizit politisierte Hippies mit linksradikalen Ideen, und die waren überhaupt nicht pazifistisch, sondern forderten während des Vietnamkriegs provokativ den bewaffneten Aufstand, auch wenn sich Zweifel stellen wie ernst das gemeint war. Jerry Rubin: "Wir werden ihre Hubschrauber vom Himmel holen". Jim Morrison würde ich zwischen Freaks und Yippiehs einordnen.
In den Siebziger und frühen Achtzigern gab es in Westdeutschland eine so bezeichnete Freakszene, die in abgewandelter Form die Tradition der ersten Hippiegeneration fortsetzte. Man kann die auch als Schnittmenge aus Kifferszene und dem jugendlichen Teil der Ökopax-Bewegung, aus der die Grünen hervorgingen bezeichnen. Markenzeichen waren eine Bekleidung, die nicht mehr dem Walla-Walla-Batik-Stil der eigentlichen Hippies entsprach. Typisch waren Fischerhemden, Halstücher, und zwar weniger Palästinensertücher als vielmehr die kleineren Afghantücher, pinkfarbene Jeansjacken, Streifenjeans, Tigerleggings und mit Domestos scheckengebleichte Jeans, die bevorzugte Musik Glamrock (Topact David Bowie), Opera Rock (Led Zeppelin, Deep Purple, Uriah Heep) und Psychedelic Pop (Pink Floyd).
Als Blues bezeichneten sich Blues hörende, Cannabis und LSD konsumierende, oftmals kleinkriminelle junge Leute in den USA und Westberlin, in der DDR im Freakmodus gekleidete Systemoppositionelle in den Achtzigern.
Stadtindianer waren eine Protestbewegung mit Schwerpunkt in Norditalien, aber auch in München, Frankfurt und Berlin anzutreffen, die wie Apachenkrieger herumliefen und vor allem in der Hausbesetzerbewegung aktiv waren. Die hatten sogar in Deutschland ihre eigenen Bands: Cochise und Swinging Mescalero.
Damit sind wir fast schon bei den Spontis, die sich Mitte der Siebziger als Gegenbewegung zu den spießigen orthodoxen Marxisten-Leninisten formierten und die sich trotz militanter Aktionsformen durch sarkastisch-ironischen Unernst ("Die Scheibe klirrt, der Sponti kichert, hoffentlich Allianz versichert", zu Wahlen Spaßlisten mit Namen wie LOLA -Liste ohne lästige Ansprüche, WAHL-Liste - Wahrhaft alternative Hochschulliste) auszeichneten. Teilweise transformierte sich der Blues in die Spontis, teilweise gingen die Autonomen aus den Spontis hervor.
In den Siebziger und frühen Achtzigern gab es in Westdeutschland eine so bezeichnete Freakszene, die in abgewandelter Form die Tradition der ersten Hippiegeneration fortsetzte. Man kann die auch als Schnittmenge aus Kifferszene und dem jugendlichen Teil der Ökopax-Bewegung, aus der die Grünen hervorgingen bezeichnen. Markenzeichen waren eine Bekleidung, die nicht mehr dem Walla-Walla-Batik-Stil der eigentlichen Hippies entsprach. Typisch waren Fischerhemden, Halstücher, und zwar weniger Palästinensertücher als vielmehr die kleineren Afghantücher, pinkfarbene Jeansjacken, Streifenjeans, Tigerleggings und mit Domestos scheckengebleichte Jeans, die bevorzugte Musik Glamrock (Topact David Bowie), Opera Rock (Led Zeppelin, Deep Purple, Uriah Heep) und Psychedelic Pop (Pink Floyd).
Als Blues bezeichneten sich Blues hörende, Cannabis und LSD konsumierende, oftmals kleinkriminelle junge Leute in den USA und Westberlin, in der DDR im Freakmodus gekleidete Systemoppositionelle in den Achtzigern.
Stadtindianer waren eine Protestbewegung mit Schwerpunkt in Norditalien, aber auch in München, Frankfurt und Berlin anzutreffen, die wie Apachenkrieger herumliefen und vor allem in der Hausbesetzerbewegung aktiv waren. Die hatten sogar in Deutschland ihre eigenen Bands: Cochise und Swinging Mescalero.
Damit sind wir fast schon bei den Spontis, die sich Mitte der Siebziger als Gegenbewegung zu den spießigen orthodoxen Marxisten-Leninisten formierten und die sich trotz militanter Aktionsformen durch sarkastisch-ironischen Unernst ("Die Scheibe klirrt, der Sponti kichert, hoffentlich Allianz versichert", zu Wahlen Spaßlisten mit Namen wie LOLA -Liste ohne lästige Ansprüche, WAHL-Liste - Wahrhaft alternative Hochschulliste) auszeichneten. Teilweise transformierte sich der Blues in die Spontis, teilweise gingen die Autonomen aus den Spontis hervor.
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netbitch,
Donnerstag, 13. August 2020, 21:06
An der Stelle wird es jetzt für mich interessant, denn für mich ging das alles erst 1989 los. Was war dazwischen?
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che2001,
Donnerstag, 13. August 2020, 21:35
Oh, das wird aber lang werden. Wäre ein eigener Thread, kein Kommentar. Hier wird es aber in den nächsten Wochen vor allem viele Berge geben.
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