Mittwoch, 4. November 2020
Virologin Melanie Brinkmann aus Braunschweig zur aktuellen Situation in der Corona-Krise
Dieses Virus macht uns allen das Leben schwer. Allen, die infiziert werden, aber auch denen, die nicht angesteckt werden, weil wir Maßnahmen treffen, die dieses Virus eindämmen.

Das Problem liegt in den Eigenschaften dieses Virus. Es macht eben nur relativ wenige Menschen schwerkrank. Trotzdem verbreitet es sich. Weil viele Patienten durch SARS-CoV-2 nicht so stark erkranken, bewegen sich diese Menschen frei in der Gesellschaft. Sie nehmen sich natürlich nicht zurück – warum sollten sie auch? Sie merken ja gar nicht, dass sie infiziert sind. Und genau das macht es so schwer, dieses Virus einzudämmen.

SARS-CoV-2 ist daher eigentlich viel gefährlicher als ein Virus, das Menschen richtig krank macht. Denn die würden dann zu Hause bleiben und niemanden anstecken. Und ein solches Virus könnte nicht so leicht weiterverbreitet werden.

SARS-CoV-2 wird uns leider immer wieder in so eine Situation zwingen, in der wir uns jetzt befinden. Prof. Dr. Melanie Brinkmann

SARS-CoV-2 wird uns leider immer wieder in so eine Situation zwingen, in der wir uns jetzt befinden. Wir müssen das exponentielle Wachstum stoppen und die Welle brechen. Zu diese Notwendigkeit wird es immer wieder kommen in nächster Zeit. Das macht SARS-CoV-2 so gefährlich.

Und ehrlich gesagt, bin ich es leid. Wir haben den Sommer damit verschwendet, darüber zu diskutieren, wie gefährlich SARS-CoV-2 eigentlich ist. Oder ob die PCR-Tests funktionieren. Ich erzähle doch auch dem Automechaniker nicht, wo der Motor am Auto ist, das er reparieren soll. Stattdessen müssen wir uns jetzt wirklich klarmachen, was wir erreichen wollen.

Wir wollen natürlich auch die Krankheits- und Sterbezahlen reduzieren. Wir reden häufig nur von Menschen, die sterben. Aber wir müssen auch an die Menschen denken, die ans COVID-19 erkranken und sehr lange Zeit brauchen, um sich wieder zu erholen.


Von daher sollten wir uns jetzt darauf konzentrieren, Lösungen zu finden. Konstruktive Lösungen, pragmatische Lösungen. Dafür müssen wir diese Zeit nutzen, die wir uns gerade durch diesen Lockdown erkaufen.

Wir werden hier jetzt gleich über die Zahl der Intensivbetten sprechen. ( Anm. d. Red.: Prof. Dr. Uwe Janssens , Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung der Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), ging auf der Bundespressekonferenz im Anschluss auf das Thema Intensivbetten ein). Aber ich frage mich manchmal, über was reden wir hier eigentlich? Wir wollen doch diese Intensivbetten gar nicht füllen. Das sind schwerkranke Menschen, die dort versorgt werden. Eigentlich wollen wir doch, dass sie gar nicht in diese Situation kommen.

Aber ich frage mich manchmal, über was reden wir hier eigentlich? Wir wollen doch diese Intensivbetten gar nicht füllen.
Ich sage ja auch nicht, wir brauchen keinen Anschnallgurt mehr, weil es Chirurgen mittlerweile echt gut draufhaben, Leute zusammenzuflicken. Eine solche Argumentation wäre völlig absurd.

Prävention läuft noch nicht optimal

Also ist die Prävention eigentlich das beste Mittel, was wir in der Hand haben. Die müssen wir verbessern. Sie läuft bisher nicht optimal. Da ist noch viel Luft nach oben.

Ich beschreibe eine solche suboptimale Situation immer gerne mit dem Schweizer-Käse-Modell. Das Schweizer-Käse-Modell besagt, dass jede Scheibe Käse auch Löcher hat. Das sind Imperfektionen.

Vergegenwärtigen Sie sich die Maßnahmen, die wir gegen SARS-CoV-2 in der Hand haben: die AHA-L-Regel, das Contact Tracing, die neuen Antigen-Tests, die Impfung. Das sind – auf den Vergleich bezogen – alles neue Käsescheiben. Sie haben alle ihre Imperfektionen – ihre Löcher. Aber: Wenn wir diese Präventionsmaßnahmen alle hintereinanderschalten, können wir uns immer besser vor diesem Virus schützen.

Wir können uns auch schützen, indem wir versuchen, die Löcher vom Käse zu verkleinern. Auf das Corona-Virus übertragen heißt das zum Beispiel, dass wir das Contact Tracing wieder in den Griff bekommen müssen. Wir müssen die Nachverfolgung verbessern, indem wir darin schneller werden. Wir laufen ja immer hinterher. Wir müssen schlauer werden und die nächsten Wochen klare, neue Konzepte entwickeln.


Um zu begründen, warum wir jetzt diesen Lockdown als Wellenbrecher brauchen, will ich nochmal auf die Intensivbetten eingehen. Wir konnten auch in unseren Nachbarländern beobachten, dass sie vor kurzem noch gesagt haben: „Wir werden wohl kaum noch einen Lockdown haben“. Auch sie gehen jetzt in den Lockdown, weil sie nicht mehr anders können. Weil ein Gesundheitsnotstand besteht.

Viele Länder kommen durch die Pandemie in die Triage-Situation. Was heißt Triage? Sie ist eine Maßnahme, die wir aus dem Krieg kennen. Das heißt in der Praxis: Ein Arzt kriegt mehrere Patienten. Er schaut sie sich an und bestimmt, wer die beste Chance hat, zu überleben. Der eine darf also ans Beatmungsgerät. Die anderen haben Pech gehabt. In diese Situation wollen wir nicht kommen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir jetzt die Infektionswelle bremsen. Besser wäre gewesen, wir hätten sie noch früher gebremst.

Besser wäre gewesen, wir hätten die Welle noch früher gebremst. Prof. Dr. Melanie Brinkmann
Wenn nur 80% der Bevölkerung jetzt mitmachen und die Regeln befolgen, ist das schon nicht schlecht. Die Mehrheit geht mit und versteht die Notwendigkeit auch, das sehen wir. Noch besser wäre natürlich, wenn 100% mitmachen. Dann dauert der Lockdown-Light mit seinen Einschränkungen einfach weniger lang.

Jeder, auch derjenige, der an das Virus bisher nicht glaubt, dem kann ich noch 10-mal erklären, dass SARS-CoV-2 existiert. Selbst der Leugner wird irgendwann verstehen, dass es ihm nutzt, wenn er jetzt mitmacht und sich alle Menschen an die Regeln halten und Kontakte reduzieren – soweit es irgendwie geht.

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