Donnerstag, 22. April 2021
Kritik an 7-Tage-Inzidenz als einzigem Orientierungspunkt
Einige Wissenschaftler kritisieren am "Notbremse"-Programm, dass sich die im Infektionsschutzgesetz verankerten Maßnahmen bislang ausschließlich an der 7-Tages-Inzidenz orientieren. Die Inzidenz der Neu-Infektionen sei nämlich dabei, sich ?zunehmend von der Krankheitsaktivität zu entkoppeln?, argumentierte Prof. Dr. Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig, bei einem Briefing des Science Media Center Germany.

Gründe dafür seien z.B. die steigenden Testzahlen, aber auch die zunehmenden Infektionszahlen in Bevölkerungsschichten, die weniger ernst erkranken, etwa bei Schülern und Jugendlichen. Auch die steigenden Impfzahlen tragen nach seiner Aussage dazu bei, die Krankheitslast insgesamt zu senken. Die Aussagekraft der Inzidenz sei aber vor allem stark gekoppelt an die aktuellen Teststrategien in den Regionen und bildeten so die relevante Infektionslage nicht sinnvoll ab.

Ein Gegenvorschlag für einen nach Ansicht vieler Experten besser geeigneten Parameter ist die Anzahl der täglichen Neuaufnahmen auf den Intensivstationen: Die COVID-19 Data Analysis Group (CODAG) der LMU München hat nun ein eigenes Schätzverfahren für einen neuen Schwellenwert präsentiert, der aus regionalen Neuaufnahmen auf Intensivstationen errechnet wird. Danach würden etwa 5 Hospitalisierungen pro Woche pro 100.000 Einwohner einer derzeitigen Inzidenz bei den Neu-Infektionen von 100 entsprechen.

Legt man diesen neuen Schwellenwert an, zeigt sich laut Hauptautor Prof. Dr. Helmut Küchenhoff, Institut für Statistik, Leiter des Statistischen Beratungslabors, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München, dass aktuell bereits zahlreiche Bundesländer bzw. Regionen den Grenzwert überschreiten, etwa Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Berlin und Brandenburg, Sachsen und Thüringen. In anderen Regionen liegt man noch darunter.

Pflegepersonal mit ?unglaublich hoher Belastung?
Auch wenn es aktuelle nach einer Stagnation der Infektionszahlen aussieht, laufen die Intensivstationen in Deutschland weiter voll, hieß es beim Presse-Briefing: Weder für Ärzte und Ärztinnen noch Pflegekräfte sei eine Entlastung in Sicht. Prof. Dr. Uta Gaidys, Pflegewissenschaftlerin und Leiterin des Departments Pflege und Management an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), stellte Umfrage-Ergebnisse unter dem Pflegepersonal während der 3. Welle vor.


Diese zeige ?nach wie vor eine unglaublich hohe Belastung?. 80% der Befragten sagten, die Belastung sei gestiegen ? und 84% sagten, die resultiere bereits in Einbußen in der pflegerischen Versorgungsqualität. Auch der Intensivmediziner Prof. Dr. Christian Karagiannidis, Klinikum Köln-Merheim, Medizinisch-Wissenschaftlicher Leiter des DIVI Intensivregisters, bestätigte: ?Was uns im Moment am meisten beunruhigt ist die enorme Belastung des Personals ? auch psychisch durch die vielen Todesfälle.?

Aus der Klinik entlassen, heißt nicht gesund: viele Wiederaufnahmen
Derzeit meldeten nur noch rund ein Drittel der deutschen Intensivstationen, dass sie noch weitere Patienten aufnehmen könnten. Rund 650 der etwa 1.300 Intensivstationen könnten wegen des Personals keine zusätzlichen Intensiv-Patienten mehr versorgen ? und viele der Kliniken hätten bereits den Regelbetrieb eingeschränkt. Dies sei auch dem Umstand geschuldet, dass beatmete Patienten ? sowohl invasiv beatmete, als auch solche, die eine Maskenatmung erhalten ? besonders betreuungsintensiv seien.

Derzeit werden laut Karagiannidis rund 20% der wegen COVID-19 in die Kliniken eingelieferten Patienten intensivpflichtig. Hier mache sich auch die erhöhte Krankheitsschwere der britischen b.1.1.7-Variante bemerkbar. Der Intensivmediziner machte auch darauf aufmerksam, dass rund ein Viertel der Patienten, die nach einer COVID-19-Infektion die Klinik verlassen, nicht wirklich gesund sind und innerhalb der folgenden 6 Monate erneut stationär aufgenommen werden müssen. Auch wegen dieser bislang noch gar nicht diskutierten Langzeitfolgen, sei es wichtig, jede zusätzliche Infektion so weit möglich zu vermeiden.

Nochmals Appell an Politiker
Der DIVI-Präsident, Prof. Dr. Gernot Marx, vom Universitätsklinikum Aachen, berichtet in seinem Tages-Update, dass die Lage auf den Intensivstationen in Deutschland nach wie vor angespannt ist. Knapp 5.000 COVID-19-Patienten würden dort derzeit behandelt. Das DIVI-Register gibt es jetzt seit einem Jahr. Im Unterschied zur 1. und 2. Welle handle es sich derzeit bei den Neuaufnahmen oft um junge Patienten in den 30ern und 40ern, berichtet er und appelliert nochmals an die Politiker, morgen die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes zu beschließen. ?Wir brauchen dringend Ihre Unterstützung, damit das Gesundheitssystem nicht weiter überlastet wird.?

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Schizophren
Im Interview mit "Welt live" hat sich Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger erneut zur Corona-Notbremse geäußert. Bei einer Pressekonferenz wurde die geplante Verfassungsbeschwerde der Freien Wähler zur Notbremse vorgestellt. "Diese Pauschalität des Bundesgesetzes wird der Lage nicht gerecht," so seine Meinung. "Dieses Gesetz dürfte gar nicht verabschiedet werden."

"Die Ausgangssperre wird in dieser ausdifferenzierten Form der Lage nicht gerecht. Es ist ein enormer Eingriff in die Freiheitsrechte." Ausgangsbeschränkungen gemessen an einer Inzidenz unabhängig von möglichen Clustern vor Ort gingen "an der Sache vorbei. Das kann nicht richtig sein". Der Bund habe in vielen Punkten "grandios versagt," findet Aiwanger. Der Eindruck, "Berlin könne es besser", wäre eine "Entmachtung der eigenen Seele". Bayerns Wirtschaftsminister wirft dem Bund vor, "fachfremd" und weit weg von den Bürgern "vor Ort" zu entscheiden. Manche Regeln der Corona-Notbremse seien "schizophren".

https://www.merkur.de/bayern/corona-bayern-aiwanger-csu-notbremse-herrmann-news-aktuell-verfassungsbeschwerde-zr-90470466.html

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heute im bundesrat ohne ausnahme von jeder partei
wir stimmen zu aber es wird ein grausen weil an die praktischen auswirkungen hat überhaupt keiner gedacht im kanzleramt

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Bei manchen Klagen halte ich Kläger und Richter zwar für sehr abartige formal­juristische Besser­wisser, doch würde ich mich ausnahms­weise freuen, wenn demnächst einer Schadens­ersatz erhält, weil in seinem Landkreis die Notbremse zu spät angezogen wurde, da das RKI noto­risch zu geringe Werte berechnet.

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inzidenz ist nich immer gleich inzidenz
auf die schnelltests gehen 20% der pcr-tests die wären sonst unentdeckt geblieben
also entspricht eine inzidenz von 120 einer inzidenz von 100 vor den schnelltests
so heute im bundesrat von den ministerpräsidenten und die sollten es ja von ihren gesundheitsministern wissen
man hätte die länder vielleicht vor dem verfassen unsinniger bundeseingriffe in die länderrechte mal fragen können

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Das ganze Andere-Kriterien-Gerede ist mir verdächtig. Will man sich damit raus­reden? Will man sich wie die Wildsau anstecken und trotzdem frei herum­laufen, weil irgend­eine Zahl günstiger erscheint? Und welche über­haupt? Wer glaubt denn wirk­lich, es gäbe Zahlen, die zu deutlich anderen Schlüssen Anlaß geben könnten? Das erinnert mich an das Gerede der Industrie, die bei jeder Ober­grenze mehr oder minder verheim­lichte Ausnahmen durch­setzt und lange Diskus­sionen darüber anfängt, wie ihr Dreck gemessen werden darf. Die Kritiker der Bundes­bremse sollten von VW lernen, sich ruhig verhalten und freuen, daß das RKI ständig zu kleine Sieben­tageinzi­denzen berechnet.

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