Donnerstag, 1. Juli 2021
Lungen-Transplantation nach COVID-19: Für manche Patienten die einzige Chance und ethisch nicht unumstritten
Ute Eppinger, Medscape


Lungentransplantation nach COVID-19 ? für manche Patienten ist sie die letzte Option. Mayra Ramirez hat sie das Leben gerettet, berichtet Prof. Dr. Ankit Bharat, Chefarzt der Thoraxchirurgie und Leiter der Lungentransplantation am Northwestern in Chicago, in einem Interview, das jetzt im JAMA erschienen ist [1].

Bharat hatte am 5. Juni 2020 der 28 Jahre alten Rechtsanwaltsgehilfin als erster COVID-19-Patientin in den USA eine neue Lunge transplantiert. Ramirez hatte ein Akutes Lungenversagen (ARDS) entwickelt und wurde septisch, Nieren und Leber begannen ebenfalls zu versagen. Eine Entwöhnung von der künstlichen Lunge (ECMO) gelang nicht, so wurde sie für eine Transplantation gelistet.

?Wir sahen zu Beginn der Pandemie, wie bei einigen Patienten trotz bester medizinischer Behandlung schwerste katastrophale Lungenschäden auftraten. So begannen wir, Lungentransplantationen als lebensrettende Maßnahme für diese Patienten in Betracht zu ziehen?, berichtet Bharat.

Er selbst hat bislang 19 COVID-19-Patienten transplantiert. Nach Angaben des United Network for Organ Sharing (UNOS) wurden in den USA bis zum 21. Mai 2021 insgesamt 134 Lungentransplantationen bei Patienten mit COVID-19 gemeldet. Ende Mai befanden sich in den USA noch 22 Patienten mit COVID-19-assoziiertem ARDS auf der Warteliste für eine Transplantation.

Schon vor der Pandemie waren Spenderlungen knapp
Wie Prof. Dr. Jens Gottlieb, Oberarzt an der Klinik für Pneumologie der MHH, bestätigt, sind in Deutschland nach letzter Erhebung 5 COVID-19-Patienten in mindestens 3 Zentren transplantiert worden. Die Patienten waren ? ähnlich wie Patienten, die aufgrund von ARDS lungentransplantiert wurden ? in der Regel zwischen 30 und 40 Jahre alt, berichtet Gottlieb im Gespräch mit Medscape.

Es gibt viele Patienten, die schwer an COVID-19 erkrankt sind und deren Lungen stark geschädigt sind. Man kann aber nicht alle diese Patienten lungentransplantieren. Prof. Dr. Jens Gottlieb
?Das große Problem ist: Es gibt viele Patienten, die schwer an COVID-19 erkrankt sind und deren Lungen stark geschädigt sind. Man kann aber nicht alle diese Patienten lungentransplantieren.?

Gottlieb berichtet, dass in Deutschland schon im Jahr 2018, also vor der Pandemie, über 1.600 Patienten unter 60 Jahren aufgrund von ARDS eine ECMO benötigt hatten. Dieser Zahl stehen aber nur 350 Lungentransplantationen pro Jahr gegenüber (die Zahl ist seit etwa 10 Jahren konstant). ?Wir hatten schon prä-pandemisch einen deutlichen Mangel an Spenderlungen ? und circa 15% der Patienten auf der elektiven Warteliste vor Transplantation in Deutschland sterben?, berichtet Gottlieb.

Auch in den USA ging die Zahl der Organspenden während der Pandemie zurück. Im weiteren Verlauf der Pandemie sei die Zahl der Spenden dann langsam gestiegen, ?aber die Zahl der Spenderlungen ging immer noch deutlich zurück?, berichtet Bharat.

?Das lag zum Teil daran, dass die Kliniker anfangs Bedenken hatten, bei potenziellen Spendern wegen einer möglichen COVID-19-Infektion eine Bronchoskopie durchzuführen?, sagt Bharat. Er berichtet, dass die meisten lungentransplantierten COVID-19-Patienten am Northwestern 3 Monate oder länger auf eine Lunge gewartet hatten. ?Wir haben mehrere Patienten transplantiert, die seit etwa 5 Monaten an der ECMO waren.?

Wir hatten schon prä-pandemisch einen deutlichen Mangel an Spenderlungen ? und circa 15% der Patienten auf der elektiven Warteliste vor Transplantation in Deutschland sterben. Prof. Dr. Jens Gottlieb
In den USA wurden COVID-19-Patienten transplantiert, die ein ARDS oder eine Lungenfibrose entwickelt hatten. ?Die Patienten mit ARDS machten den Großteil der COVID-19-Patienten aus, bei denen wir eine Lungentransplantation durchgeführt haben. Wir haben uns auf sie konzentriert, weil sie keine anderen Optionen haben und sonst sterben würden.?

Nach COVID-19: Wer kommt für eine Transplantation infrage?
Patienten, die nach schwerer COVID-19-Erkrankung für eine Transplantation infrage kommen, müssen sehr sorgfältig ausgewählt werden, betont Gottlieb. Marcelo Cypel und Shaf Keshavjee haben in The Lancet Respiratory Medicine im August 2020 dazu 10 Empfehlungen für die Selektion solcher Patienten aufgelistet.

Dazu zählen u.a., dass Patienten nicht älter als 65 Jahre sein sollten, kein weiteres Organversagen aufweisen sollten und auch, dass der Lunge der infrage kommenden Patienten ausreichend Zeit gegeben worden sei, sich zu erholen. Auch sollte radiologisch der Nachweis einer irreversiblen Lungenerkrankung erbracht sein ? etwa das Anzeichen einer etablierten Fibrose.

Eine Lungentransplantation ist sehr ressourcenintensiv. Spenderlungen sind knapp, Prof. Dr. Ankit Bharat
Die Autoren weisen auch darauf hin, dass der Patient wach und in der Lage sein sollte, die Transplantation zu besprechen, um ihre Auswirkungen auf seine Lebensqualität zu verstehen.

?Eine Lungentransplantation ist sehr ressourcenintensiv. Spenderlungen sind knapp, also wollen wir keine Transplantation bei einem Patienten durchführen, der sich danach nicht an die medizinische Anleitung hält. Es ist wichtig, dass die Transplantationszentren sicherstellen, dass der Patient aus psychosozialer Sicht gut zu ihnen passt?, sagt Bharat.

Er berichtet, dass Patienten mit COVID-19, die für eine Lungentransplantation in Frage kommen, größtenteils jung und gesund sind und keine schweren Begleiterkrankungen aufweisen. ?Sie waren also noch nie in einer Situation, in der sie fast gestorben wären oder in der sie über eine Transplantation als einzig verbleibende Option nachdenken mussten?, so Bharat.

Typischerweise gelte ein Alter von 65 Jahren als Grenzwert für eine Lungentransplantation bei Patienten mit COVID-19. Aber ein Alter von bis zu 70 Jahren könne in Betracht gezogen werden, wenn der Patient vor der Erkrankung in außergewöhnlich gutem Zustand war, erklärt Bharat. Jedes Zentrum sollte mindestes 4 Wochen warten, bevor eine Transplantation bei einem Patienten mit COVID-19-assoziiertem ARDS erwogen werde.

?Hängt ein Patient nach 4 bis 6 Wochen immer noch am Beatmungsgerät oder an der ECMO, wird die Lunge aber besser, dann sollten Zentren die Transplantation nicht überstürzen, sondern diesem Patienten weiterhin eine Chance zur Lungenerholung geben?, stellte Bharat klar.

Die Hauptbotschaft ist, dass wir in speziellen Zentren hervorragende Ergebnisse erzielen können. Prof. Dr. Ankit Bharat
In einer Ende März 2021 in The Lancet Respiratory Medicine erschienenen Studie hatten Bharat und seine Kollegen von 12 Patienten mit COVID-19-assoziiertem ARDS, die lungentransplantiert wurden, den weiteren Verlauf untersucht. ?Die Hauptbotschaft ist, dass wir in speziellen Zentren hervorragende Ergebnisse erzielen können. Die 12 Patienten hatten ein 30-Tage-Überleben von 100%.? Auch das Langzeitüberleben habe sich nicht von lungentransplantierten Patienten ohne COVID-19 unterschieden.

Laut Bharat hat sich die Sterblichkeit von Patienten, die sich einer Lungentransplantation unterziehen müssen, nicht verändert: ?Wir können durchaus weiterhin Transplantationen bei Patienten ohne COVID-19 zusammen mit COVID-19-Patienten durchführen. Das erfordert allerdings eine gewisse Kreativität ? etwa indem wir erweiterte Spenderkriterien anwenden, wie zum Beispiel Spender mit Hepatitis-C-Infektion, die jetzt ja eine behandelbare Krankheit ist.?


In Deutschland vergleichsweise wenig COVID-19-Patienten transplantiert
In Deutschland werden ? verglichen mit anderen Ländern ? weniger COVID-19-Patienten transplantiert. ?In Österreich allein gab es 18 Lungentransplantationen bei Patienten nach schwerer COVID-19-Erkrankung?, berichtet Gottlieb. Das mag auch daran liegen, dass die Organverfügbarkeit in Österreich höher ist als in Deutschland ? die österreichische Regelung über die Organentnahme bei Verstorbenen ist die Widerspruchslösung.

?Es könnte aber auch sein, dass zentrumsspezifisch unterschiedliche Auswahlkriterien angewendet werden?, sagt Gottlieb. Er hält es für möglich, dass langfristig durch die Entscheidung, mehr Patienten nach COVID-19 zu transplantieren, und unverändertem Mangel an Spenderorganen, die Sterblichkeit aller Patienten auf der Warteliste für Lungentransplantationen steigen könnte.

Patienten, die aufgrund von COVID-19 lungentransplantiert werden müssen, haben ein höheres Risiko als Patienten, die aus anderen Gründen eine Lunge erhalten. ?In der Regel waren Patienten mit COVID-19 längere Zeit an mechanische Ersatzverfahren angeschlossen, also an künstliche Beatmung oder ECMO.?

Das 1-Jahres-Überleben solcher Patienten liegt bei ca. 70%, das 1-Jahres-Überleben von Patienten ohne mechanische Ersatzverfahren liegt hingegen bei ca. 90%?, berichtet Gottlieb. Beispielsweise Antikoagulanzien, die bei schwerem COVID-19-Verlauf besonders an der ECMO eingesetzt werden, und eine lange Liegezeit auf Intensivstationen erhöhen die Komplikationsrate.

Die Lancet-Studie von Bharat und seinen Kollegen hat unterschiedliche und auch kritische Reaktionen ausgelöst, berichtet Gottlieb. Die Tendenz, zunehmend Patienten nach schwerer COVID-19-Erkrankung zu transplantieren, sei ?ethisch nicht unumstritten, denn ein großer Anteil solcher Patienten könnte andere auf den Wartelisten benachteiligen. Dies ist auch relevant, weil in einigen Ländern das Spenderaufkommen während der Pandemie zurückgegangen ist.?

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