Donnerstag, 15. Juli 2021
Impfpflicht wie Frankreich?
Impfmüde junge Männer; Ein Viertel Moderna schützt auch; Schnelltests erkennen nur hohe Virustiter
Aus der Medscape-Redaktion


Die Impfmüdigkeit nimmt zu ? das sind die Gründe

Impfpflicht in anderen EU-Nationen: Deutschland unter Druck

Moderna-Vakzin: Eine geringere Dosis könnte ausreichenden Schutz bieten

Sputnik V: Starke Immunreaktion bereits nach 1 Dosis

DGN zum Guillain-Barré-Syndrom nach Impfungen: Kausalität nicht sicher

Schnelltests: Vor allem niedrige Sensitivität ist problematisch

Wichtige Kennzahlen der Pandemie steigen erneut an. Laut Robert Koch-Instituts (RKI) liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 8,0 Fällen pro 100.000 Menschen. Am Vortag gab das RKI noch 7,1 an. Gesundheitsämter haben dem RKI innerhalb von 24 Stunden 1.642 SARS-CoV-2-Neuinfektionen gemeldet (Vorwoche: 970). Und an COVID-19 sind innerhalb des letzten Tages sind 32 Patienten an COVID-19 gestorben (Vorwoche: 31).

Inzwischen sind 43,0% der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft, und 58,7% haben mindestens eine Dosis erhalten. Beherrschbar werde die Situation erst, wenn 85% der 12- bis 59-Jährigen beide Dosen bekommen hätten, so Angela Merkel bei einer Pressekonferenz. Bei Personen über 60 Jahren müsse man sogar 90% erreichen. Die Bundeskanzlerin bezieht sich dabei auf RKI-Schätzungen.

Die Impfmüdigkeit nimmt zu ? das sind die Gründe
Von solchen Werten ist Deutschland weit entfernt. Laut Dr. Prosper Rodewyk von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe seien es vor allem junge Männer zwischen 20 und 40 Jahren, die sich nicht impfen lassen. ?Die arbeiten den ganzen Tag, die haben keinen Hausarzt und die haben anscheinend nicht so den Drang, sich impfen zu lassen. Die müssen wir noch aktivieren?, sagt der Internist.

Gründe für das ?Schwänzen? von Impfterminen soll Befragungen zufolge unter anderen die Vermutung sein, COVID-19 sei nicht besonders gefährlich, und das eigene Ansteckungsrisiko sei ohnehin gering. Teilweise fehlt das Vertrauen in Politik und Wissenschaft. Sorgen vor Nebenwirkungen der Impfung kommen mit hinzu.

Impfpflicht in anderen EU-Nationen: Deutschland unter Druck
Doch Impfungen per Zwang sind der Bundeskanzlerin fern. ?Es gibt keine Absicht, eine solche Pflicht einzuführen?, stellt Merkel klar.

uf Twitter äußert sich auch Prof. Dr. Karl Lauterbach zur Impfpflicht: ?Das sollten wir nicht tun. Unsere Politik würde voll wortbrüchig, unsere Glaubwürdigkeit wäre verloren. Impfgegner würden sagen, dass es so beginnt.?

Dass solche Debatten in Deutschland an Fahrt gewinnen, liegt an europäischen Nachbarn. Frankreichs Regierung plant eine Impfpflicht für Mitarbeiter von Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen. Wer sich bis 15. September nicht schützen lässt, muss laut Staatspräsident Emmanuel Macron mit Sanktionen rechnen.

Kurz zuvor hatte bereits Griechenland eine Impfpflicht für den Gesundheitssektor angekündigt. ?Wir werden das Land wegen der Haltung einiger nicht wieder schließen?, sagte Premier Kyriakos Mitsotakis. Italien hat solche Regelungen schon im Mai eingeführt.

Bedenken kommen vom Ethikrat. Im ZDF sagt die Vorsitzende Prof. Dr. Alena Buyx, eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen sei in Deutschland unnötig. Zwar habe der Ethikrat vorsichtig erklärt, unter bestimmten Umständen könnte man über solche berufsbezogenen, sehr eng begrenzten Impfpflichten nachdenken. ?Allerdings würde ich sagen, dass diese Umstände gar nicht zutreffen?, so Buyx weiter. Sie will ?Impfungen dorthin bringen, wo Leute sind?. Gleichzeitig warnt die Expertin vor schnellen Lockerungen: ?Ich würde sagen, wir sollten da ein Stückchen zurückhaltender sein.?

Der Humangenetiker Prof. Dr. Wolfram Henn, ebenfalls Mitglied im Ethikrat, fordert jedoch eine Impfpflicht für Lehrer und Erzieher, denn manche würden sich derzeit weigern. ?Wir brauchen eine Handhabe gegen diese wenigen renitenten Leute, die dann auch andere gefährden?, so Henn. Buyx erklärte, es handele sich seine private Meinung ? und nicht um die Sichtweise des Ethikrats.

Moderna-Vakzin: Eine geringere Dosis könnte ausreichenden Schutz bieten
In Deutschland sind Lieferengpässe derzeit nicht mehr das Problem; andere Nationen haben durchaus Schwierigkeiten, Vakzine zu beschaffen. In diesem Zusammenhang ist eine neue Studie zu betrachten.

Wissenschaftler fanden heraus, dass 2 Injektionen, die jeweils nur ein Viertel der Standarddosis des COVID-19-Impfstoffs von Moderna enthielten, bei 35 Probanden zu langanhaltenden schützenden Antikörpern und neutralisierenden T-Zellen führen. Ihre Ergebnisse weisen auf die Möglichkeit hin, Teildosen zu verabreichen, um in kurzer Zeit mehr Menschen zu schützen.


Ihre Idee ist nicht neu. Seit 2016 hat eine solche Dosisreduktionsstrategie dazu beigetragen, Millionen Menschen in Afrika und Südamerika erfolgreich gegen Gelbfieber zu impfen. Aber trotz der Impfstoffknappheit in vielen Ländern wurde bislang kein ähnlicher Ansatz bei COVID-19 untersucht.

?Es gibt eine enorme Voreingenommenheit?, sagt Alex Tabarrok von der George Mason University in Fairfax, Virginia. ?Hätten wir dies ab Januar getan, hätten wir Dutzende, vielleicht Hunderte Millionen Menschen mehr impfen können.?

Sputnik V: Starke Immunreaktion bereits nach 1 Dosis
Daten zur Dosisreduktion gibt es auch für Sputnik V. Bereits 1 Dosis kann signifikante Antikörperreaktionen gegen SARS-CoV-2 hervorrufen, berichten Forscher jetzt in Cell Reports Medicine.

Zuvor wusste man, dass 2 Dosen zu einer Impfeffektivität von 92% führen. Dass der One-Shot-Ansatz bei Sputnik V funktionieren könnte, ist nicht abwegig. Beim AstraZeneca-Vakzin führt 1 Dosis zur Wirksamkeit von 76%. Und Impfstoffe von Moderna bzw. Pfizer können bei zuvor infizierten Personen nach 1 Dosis eine ausreichende Immunität hervorrufen, ohne dass eine zusätzliche Dosis erforderlich wäre.

In der Studie verglichen Wissenschaftler die Effekte von 1 Dosis versus 2 Dosen Sputnik V auf SARS-CoV-2-spezifische Antikörperreaktionen bei 289 Beschäftigten im Gesundheitswesen in Argentinien.

Rund 3 Wochen nach der 2. Dosis hatten alle Probanden hohe Titer virusspezifischer Immunglobulin G (IgG)-Antikörper im Blut. Aber selbst innerhalb von 3 Wochen nach Erhalt der 1. Dosis entwickelten 94% IgG-Antikörper gegen das Virus, und 90% hatten speziell neutralisierende Antikörper im Blut. Eine 2. Dosis erhöhte die Produktion neutralisierender Antikörper in der Subgruppe zuvor infizierten Probanden nicht.

?Dies unterstreicht die robuste Reaktion auf die Impfung zuvor infizierter Personen, was darauf hindeutet, dass die natürlich erworbene Immunität durch 1 Dosis ausreichend verstärkt werden könnte, in Übereinstimmung mit neueren Studien mit mRNA-Impfstoffen?, sagt Senior-Autorin Dr. Andrea Gamarnik vom Fundación Instituto Leloir-CONICET in Buenos Aires, Argentinien.

DGN zum Guillain-Barré-Syndrom nach Impfungen: Kausalität nicht sicher
Noch ein Blick auf die Sicherheit. Am 9. Juli gab die europäische Arzneimittelagentur EMA bekannt, Produktinformationen bei Vaxzevria® (AstraZeneca) anzupassen, um Ärzte auf das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) hinzuweisen. Die EMA erfasste bis Ende Mai 2021 insgesamt 156 Fälle. Darüber hat Medscape berichtet.


Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), hat dazu ein Editorial verfasst. Wie er schreibt, liege die Inzidenz des GBS in Deutschland bei 1,6 bis 1,9 Fällen pro 100.000 Menschen. Das heißt, bundesweit ist bei 83,13 Millionen Einwohnern mit 1.300 bis 1.570 Patienten pro Jahr zu rechnen. Geht man davon aus, dass 50% aller Personen geimpft werden, sind in dieser Population zwischen 1.300 und 1.570 GBS-Erkrankungen zu erwarten.

?Es wird deutlich, dass die von der EMA erhobene Zahl keine besorgniserregende Erhöhung der GBS-Rate darstellt und es derzeit auch keinen Beleg für einen kausalen Zusammenhang gibt?, kommentiert Berlit in einer Meldung. ?Hinzu kommt, dass natürlich die Fälle des impfassoziierten GBS denen bei COVID-19-Infektion gegenübergestellt werden müssten.?

Schnelltests: Vor allem niedrige Sensitivität ist problematisch
Neben Impfungen haben Schnelltests einen festen Platz zur Kontrolle der Pandemie. Nur leisten sie im Alltag wirklich, was Hersteller versprechen, sprich eine Sensitivität von rund 90%?

Das darf laut einer Studie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg bezweifelt werden. Daten kamen aus insgesamt 5.068 Untersuchungen. Bei Teilnehmern wurde neben einem ein Antigen-Schnelltest generell auch ein PCR-Test durchgeführt. Demnach liegt die Sensitivität der Antigen-Schnelltests im klinischen Praxiseinsatz mit knapp 43% signifikant unter Herstellerangaben. Die Spezifität erreichte fast 100%.

?Unsere Auswertung zeigt, dass SARS-CoV-2-Infizierte mit sehr hoher Viruslast ? potenzielle ?Superspreader? ? sehr zuverlässig mittels Antigen-Schnelltests als positiv erkannt werden?, kommentiert Studienleiter Dr. Manuel Krone. ?In SARS-CoV-2-Proben mit niedrigen Viruslasten hingegen werden Infektionen so gut wie nicht erkannt.? Problematisch sei dies aus Sicht der Forscher vor allem zu Beginn einer Infektion. ?Dann liefern Antigen-Schnelltests möglicherweise erst später als ein PCR-Test die richtige Diagnose und können so den Betroffenen eine falsche Sicherheit geben?, sagt Krone.

Remdesivir: Hinweis auf Zusatznutzen bei bestimmten Patienten
Von der Diagnostik zur Therapie. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen fand bei Remdesivir Hinweise auf einen ?beträchtlichen Zusatznutzen?, allerdings nur bei bestimmten Subgruppen. COVID-19-Patienten mit Pneumonie, die noch keine High-Flow-Sauerstofftherapie benötigen, profitieren von Remdesivir. Für schwerer erkrankte Erwachsene mit Pneumonie, die zu Therapiebeginn bereits eine High-Flow-Sauerstofftherapie oder eine andere nicht invasive Beatmung benötigten, sei ein Zusatznutzen hingegen nicht belegt, heißt es weiter. Für an COVID-19 erkrankte Jugendliche lagen keine Studiendaten vor.

Remdesivir ist in Europa seit Juli 2020 bedingt zugelassen zur COVID-19-Behandlung bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren mit einer Pneumonie, die zusätzlich Sauerstoff, aber keine invasive Beatmung benötigen.

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