Donnerstag, 2. Dezember 2021
Impfstoffe wirken bei Frauen besser; warum die Lunge kaputt geht; ECMO-Todesrate bei 68%; mRNA-Orakel für schweren Verlauf
Michael van den Heuvel, Medscape

Heute meldet das Robert Koch-Institut 73.209 Neuinfektionen innerhalb der letzten 24 Stunden. Letzten Donnerstag waren es 75.961 Fälle. Die 7-Tage-Inzidenz verringerte sich leicht auf 439,2 Fälle pro 100.000 Einwohner. Gestern lag der Wert noch bei 442,9. 388 weitere Menschen sind in Zusammenhang mit COVID-19 gestorben (Vorwoche: 351). Als 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz nennt das RKI 5,61 Fälle pro 100.000 Einwohner, Stand 1. Dezember. Am Tag zuvor lag der Wert bei 5,73.

Laut DIVI-Intensivregister waren am 1. Dezember 4.690 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, 54 mehr als am Vortag. Aktuell sind 803 Betten im Low-Care- und 1.513 im High-Care-Bereich frei. Hinzu kommen 304 freie ECMO-Behandlungsplätze.

Scholz-Appell und geplante Maßnahmen der Politik

Unterschiedliche Wirksamkeit von Impfstoffen bei Frauen und Männern

ECMO: Mortalität in Deutschland liegt mit 68% vergleichsweise hoch

COVID-19: Abschätzung der Mortalität anhand der viralen RNA

Charité: Wie die Lunge durch COVID-19 vernarbt

Scholz-Appell und geplante Maßnahmen der Politik
Angesichts der Entwicklung haben sich Politiker beim heutigen Bund-Länder-Treffen dafür ausgesprochen, unabhängig von der Inzidenz im Einzelhandel die 2G-Regelung einzuführen. Das gilt auf für Kultur- und für Freizeitveranstaltungen. Clubs und Diskotheken werden ab einer 7-Tage-Inzidenz von 350 Infektionen pro 100.000 Einwohner geschlossen. Der Verkauf von Böllern und Feuerwerk zu Silvester wird erneut verboten. Zahnärzte, Apotheker und Pflegefachkräfte sollen künftig ebenfalls gegen COVOD-19 impfen. Und Zusammenkünfte für Ungeimpfte beschränken sich nun auf den eigenen Haushalt sowie auf höchstens 2 Personen eines weiteren Haushalts.

Ein besonderer Impfappell kam diese Woche vom designierte Bundeskanzler Olaf Scholz. Er nutzte beim Fernsehsender Pro7 in einer Sendung von Joko und Klaas die Gelegenheit für eine eindringliche und emotionale Rede (Video siehe YouTube ab Minute 11.00), um die Bevölkerung zum Impfen zu motivieren. Bis Weihnachten wolle er ?bis zu 30 Millionen Impfungen in die Oberarme? bekommen ? sei es als Erstimpfung oder als Booster: ?So kriegen wir es hin, die vierte Welle zu brechen.?

Unterschiedliche Wirksamkeit von Impfstoffen bei Frauen und Männern
Neue Daten gibt es zur Wirksamkeit von Impfstoffen. Auf seiner Website hat das Texas Research Institute Daten zu alters- und geschlechtsabhängigen Faktoren publiziert. Die Studie ist zur Veröffentlichung im Journal of Medical Biochemistry angenommen worden.


Wissenschaftler fanden heraus, dass die Gesamtantikörperspiegel gegen SARS-CoV-2 zwischen einzelnen Altersgruppen, aber auch zwischen Männern und Frauen variierten. So wiesen Personen unter 65 Jahren in den 6 Monaten nach der Impfung mehr als doppelt so hohe Antikörperspiegel auf wie Personen über 65 Jahren. Frauen wiederum hatten höhere Antikörperspiegel als Männer, insbesondere Frauen unter 65 Jahren. ?Wichtig ist jedoch, dass die Antikörperspiegel nach 6 Monaten bei allen Studienteilnehmern um mehr als 50% gegenüber dem Höchstwert gesunken waren?, schreiben die Autoren.

Ihre Ergebnisse basieren auf einer Gruppe von 787 Beschäftigten des Gesundheitswesens in Verona, Italien, die 2 Dosen des Impfstoffs von BioNTech/Pfizer erhalten hatten. Das Alter der Teilnehmer lag zwischen 21 und 75 Jahren. Ihre Antikörperspiegel wurden vor der Impfung, nach der 2. Dosis sowie 1, 3 und 6 Monate nach der 2. Impfung gemessen.

Als Hypothese formulieren die Autoren, dass Geschlechtsunterschiede mit Hormonen zu tun haben könnten. Testosteron, dessen Spiegel bei Männern bekanntlich höher ist, unterdrückt das Immunsystem, während Östrogen, das bei Frauen höher ist, Immunreaktionen verstärkt. Außerdem befinden sich einige Gene, die für bestimmte Immunproteine kodieren, auf dem X-Chromosom, und da Frauen 2 X-Chromosomen haben, könnte dies zur Steigerung der Immunaktivität beitragen.

ECMO: Mortalität in Deutschland liegt mit 68% vergleichsweise hoch
Die Sterblichkeit von COVID-19-Patienten, die in Deutschland mit einer ECMO behandelt werden, ist mit 68% höher als im internationalen Durchschnitt, wie Univadis auf Basis mehrerer Veröffentlichungen berichtet.

Grundlage der Analyse sind Daten aller in Deutschland von Anfang März 2020 bis Ende Mai 2021 per ECMO behandelten COVID-19-Patienten aus allen 213 intensivmedizinischen Abteilungen mit ECMO-Einheiten. Bei 3.397 Patienten, sie waren durchschnittlich 57 Jahre alt (+/- 11 Jahre), erfassten Forscher die Sterblichkeit. Alle Personen wurden von März 2020 bis Mai 2021 stationär therapiert.

Die Krankenhausmortalität betrug im Analysezeitraum von 15 Monaten 68%. ECMO-Überlebende waren durchschnittlich jünger als Verstorbene (53 vs. 59 Jahre), unabhängig von der pandemischen Welle. Die durchschnittliche Mortalität variierte teilweise stark zwischen verschiedenen Wochen, nämlich zwischen 15% und 75%.

Auch wenn Daten aus dem ELSO-Register aus den USA und Europa Schwankungen im Verlauf einer pandemischen Welle mit einer Mortalität bis zu 51,9% aufzeigten, sind die Überlebensraten international höher als in Deutschland. Dies gelte auch für Phasen der Pandemie, in denen das deutsche Gesundheitssystem nicht überlastet gewesen sei, so das Autorenteam.

Die Ergebnisse des deutschen Intensivregisters sollten Ärzten eine Warnung sein, so Prof. Dr. Christian Karagiannidis vom Klinikum Köln-Merheim und Koautoren. Möglicherweise werde die Indikation zu ECMO in Deutschland weiter gestellt als in anderen Ländern, mit bedingt durch finanzielle Fehlanreize der Vergütung. Es sei ein umfassendes zentrales Register in Deutschland erforderlich, auf dessen Basis sich klinische Ergebnisse der ECMO und die Versorgungsqualität differenziert beurteilen ließen.

COVID-19: Abschätzung der Mortalität anhand der viralen RNA
Trotz der Fortschritte bei der Behandlung von COVID-19 ist es für die Ärzte schwierig, Patienten zu identifizieren, die am meisten gefährdet sind ? und die von einer Maximaltherapie profitieren könnten. Ein von Forschern der Université de Montréal, Kanada, entwickeltes statistisches Modell verwendet virale RNA von SARS-CoV-2 als Biomarker im Blut, um Patienten zu identifizieren, bei denen das Risiko, an COVID-19 zu sterben, am höchsten ist.

Anhand von Blutproben, die 279 Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts wegen COVID-19 entnommen wurden und deren Schweregrad von mäßig bis kritisch reichte, maß das Team die Mengen an Entzündungsproteinen und suchte nach auffälligen Parametern.

Gleichzeitig bestimmten Forscher die Menge an viraler RNA und an Antikörpern gegen das Virus. Die Proben wurden 11 Tage nach Auftreten der Symptome entnommen. Die Patienten wurden danach mindestens 60 Tage lang beobachtet.

Wenig überraschend standen eine schwache Antikörperantwort und eine verstärkte Bildung von Zytokinen mit einem hohen Sterberisiko in Verbindung. Noch deutlich stärker war die Assoziation mit der Konzentration der Virus-RNA im Serum.

?Die Kombination aus viraler RNA sowie dem Alter und dem (männlichen) Geschlecht des Patienten lieferten den besten Vorhersagewert?, so die Autoren. Die Stärke der Virusreplikation sei ein entscheidender Parameter, wenn nicht sogar der wichtigste.

Charité: Wie die Lunge durch COVID-19 vernarbt
SARS-CoV-2-Infektionen können die Lungen von Patienten mit schwerem COVID-19 weit über die Dauer ihrer Erkrankung schädigen. Wissenschaftler der Charité haben jetzt zusammen mit Kollegen Lungen verstorbener COVID-19-Patienten anhand mikroskopischer Aufnahmen analysiert. Dabei fanden sie typische Merkmale einer Fibrose wie zerstörte Lungenbläschen, verdickte Wände und Kollagen-Ablagerungen. Alles deutet auf das sogenannte fibroproliferative akute Lungenversagen ARDS hin.

Der Grund für dieses Phänomen war zunächst unklar ? vor allem, weil Lungenversagen bei COVID-19 typischerweise erst in der 2. oder 3. Woche nach Symptombeginn auftritt, wenn die Viruslast schon stark gesunken ist. Damit, so die Hypothese, muss ein nachgelagerter Mechanismus von Bedeutung sein.

Methoden der Einzelzellanalyse zeigten, dass sich in der Lunge von COVID-19-Patienten, die ein Lungenversagen entwickeln, vor allem Makrophagen ansammeln, ähnlich wie bei Patienten mit idiopathischer Fibrose.

In der Zellkultur zeigten Forscher, dass SARS-CoV-2 die Fresszellen so beeinflusst, dass sie den Fibrose-Prozess möglicherweise triggern. Im Experiment isolierten sie Vorläufer von Makrophagen aus dem Blut gesunder Probanden und versetzten sie mit SARS-CoV-2. Analysen des Proteoms der Fresszellen folgten. Dabei zeigte sich, dass die Immunzellen verstärkt Botenstoffe produzierten, welche den Vernarbungsprozess in der Lunge triggern, vergleichbar mit der idiopathischen Lungenfibrose. Dieser Effekt trat nicht auf, wenn Forschende die Vorläuferzellen mit Influenza-Viren stimulierten.

Dennoch scheint es einen entscheidenden Unterschied zu geben. Bei COVID-19 gelingt es dem Körper, Schäden zu einem gewissen Maße selbst zu reparieren. Wie es dazu kommt, wollen Forscher im nächsten Schritt untersuchen.

... comment