Dienstag, 15. November 2022
Bücher-Neuerscheinungen zur Corona-Krise
Mittlerweile sind zu dieser Thematik eine ganze Reihe Bücher erschienen, und drei davon, die ich für recht lesenswert halte, möchte ich hier vorstellen. Diesmal keine Rezension, nur eine allgemeine Charakterisierung.

CORONAVIRUS PANDEMIE 2020
Krankheit und Drama der Menschheit. Dramen 2021/2022
Autor: Rainer König-Hollerwöger
Weltbild


"Mitten im Geschehen der seit Ende 2019 von China ausgehenden, sich 2020 tsunamihaft in ganz Europa, den USA, Indien,Türkei, Russland, letztlich auf allen Kontinenten ausbreitenden Pandemie des Coronavirus SARS-CoV-2 begann sich der in Wien lebende Sozialforscher, Kulturphilosoph, Autor, Historiker, Klaviervirtuose und Komponist Rainer König-Hollerwöger in das dramatische Geschehen der neuen Viruserkrankung zu vertiefen.

Wie im Fluss einer mitfühlenden, nicht endenden Musik schreibt Rainer König-Hollerwöger aus den Erschütterungen, Ängsten, Fragen, Nöten einer menschlichen Dramatik der Ereignisse. Ein seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr da gewesener Shutdown des größten Teils der Wirtschaft, der Kultur, des Sports, der Universitäten, Schulen, Heime, aller Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderer Orte religiösen und spirituellenLebens führte zu einer unvergleichbaren Situation, für die erst Begriffe, Gefühle, Vorstellungen gefunden werden mögen. Lebensrettende, lebensschützende Maßnahmen stehen an erster Stelle in dieser Situation. Neue, alte Gefahren lauern da und dort, aber auch Chancen, durch diese weltbewegende Krise menschlicheres Verhalten zu entwickeln und ein Bewusstsein einer verantwortungsvollen Menschheit zu erlangen." (Klappentext)


Notrecht in der Corona-Krise
Hugendubel
Beiträge aus der Wissenschaft

Mehrere Autoren.
Eine Problematisierung der Thematik mit Schwerpunkt auf der Rechtswissenschaft, Verwaltungspraxis und Schulpraxis

Staatsrechtliche Herausforderungen Bernhard Waldmann

Verwaltungsrechtliche Herausforderungen Felix Uhlmann / Martin Wilhelm

Legistische Herausforderungen Stefan Höfler

Beiträge aus der Praxis Erfahrungsbericht aus dem Gesundheitsbereich Mike Schüpbach / Marion Stauffer

Erfahrungsbericht aus dem Bildungsbereich Franziska Gschwend

Erfahrungsbericht aus dem Polizeibereich August Mächler

Erfahrungsbericht aus der Rechtsetzungsbegleitung der Bundesverwaltung Markus Nussbaumer / Miriam Sahlfeld

Dann hat meine Wiener Historkerkollegin Andrea Komlosy aus einer Vorlesungsreihe an der Wiener Universität ein Buch gemacht, das sich mit der Instrumentalisierung der Coronakrise als Katalysator für Digitalisierung, kapitalistische Modernisierung und Wertschöpfung für die Pharmaindustrie beschäftigt.

Zu diesem Komplex hatte ich ja auch einen kurzen Text verfasst und die Thematik auch aus einer von der dahinterstehenden Kapitalismuskritik her gesehen ähnlichen Perspektive wie Komlosy betrachtet.


https://netbitch1.twoday.net/stories/1022684253/#comments

Ihr Werk jedenfalls ist umfangreich und kommt zu einer profunden Systemkritk. Man erkennt in der Herangehensweise den Einfluss Foucaultscher Körpergeschichtstheorie und Bio-Macht-Kritik.
Sie überschreitet allerdings an einigen Stellen die Grenze zu den Gedankenwelten der Querdenker und ist leider auch nicht von medizinischer Kenntnis getragen. Der Analyse der Kapitaloffensive im Pharmabereich ist zuzustimmen, andererseits wird von der Autorin die ursprüngliche Gefährlichkeit des Virus eher verharmlost.

So muss es dann auch nicht verwundern, wenn die Autorin zum Angriffskrieg gegen die Ukraine in Richtung PutinversteherInnen abdriftet. Das allerdings ist ein anderes Thema, das mit dem Buch nichts zu tun hat. Hoffe ich, leider feiert das Ticketdenken ja fröhliche Urstände. Ich möchte dieser im Ansatz von Foucault geprägten Sozialhistorikerin allerdings auch keine Zugehörigkeiten unterstellen, für die mir die Nachweise fehlen.


Andrea Komlosy, Zeitenwende. Corona, Big Data und die kybernetische Zukunft
Promedia, Wien 2022

Auszüge:
"Corona-Ausnahmezustand als Datentreiber
Die Corona-Lockdowns dienten als wesentliche Treiber der Verdatung. Dies betraf sowohl die individuellen Nutzerdaten, die aufgrund der Distanzierungsverordnungen bei Information, Kommunikations-, Beratungs- und Behandlungsdienstleistungen sowie im Online-Handel hochschnellten. Hier war ? außer dem Zwang der Verhältnisse ? kein direkter Zwang im Spiel. Anders bei der Ablieferung persönlicher Gesundheitsdaten bei Tests, Kontaktnachverfolgung und Impfung. In der Frage der Preisgabe persönlicher Daten an Behörden und medizinische Institutionen lässt sich ab Beginn der Maßnahmen ein rasanter Einstellungswandel beobachten. Was anfänglich kaum jemand für möglich hielt, wurde binnen Wochen zum Normalzustand."

"Im April 2021 hat die Frankfurter Siemens-Tochter »Siemens-Healthineers« mit einer Produktionsstätte in Shenzhen den US-Medizintechnik-Konzern Varian übernommen. Die Liquidität resultierte nicht zuletzt aus dem Verkauf von Covid-19-Schnelltests in Deutschland, die 2020/21 die Kassen mit 750 Mio. Euro gefüllt haben. Mit der Übernahme des auf personalisierte KI-datenbasierte Diagnose und Krebsbehandlung spezialisierten Unternehmens soll ein Upgrading in eine höhere Wertschöpfungsklasse erzielt werden; das nicht so lukrative Ultraschallgeschäft wird dann abgestoßen werden oder in anderen Worten: »Wir optimieren das Set-up der Sparte«, so Siemens-Healthineers- Vorstandschef Bernd Montag.


Eine durch und durch kriegerische Rhetorik verwendet Novartis, um die Umgestaltung des Pharmariesen auf medizinische Spitzentechnologie zu beschreiben. Diese soll durch den Verkauf der Generika-Sparte und die Übernahme weiterer Anteile von »Alnylam Pharmaceuticals«, bekannt für sein Nobelpreis-ausgezeichnetes Programm zur gentechnischen Behandlung seltener genetischer Erkrankungen, erzielt werden, mit dem erklärten Ziel, die »Kriegskasse« anschwellen zu lassen. »Das ist es, was die Investoren wollen. Nicht diese ganzen Nebenkriegsschauplätze.« Es gelte, so der Novartis-Chef Vas Narasimhan, »Medizin neu zu denken.«


"Diese Ausdrucksweise spiegelt die Verachtung (der Investoren) für die Breitenmedizin wider. Das Augenmerk liegt auf körperlichen Eingriffen, die als Anwendungs- und Experimentierfeld für Gentechnik und Künstliche Intelligenz dienen, weil damit am meisten verdient werden kann."

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"Die von vielen Seiten geteilte Befürchtung, dass die Maßnahmen gravierendere Folgen für die Gesellschaften haben als die vom Virus ausgehenden Gefahren, ist unterdessen zur Punze für die Diffamierung von Meinungen geworden, die vom eingeschlagenen Mainstream abweichen." A. Komlosy in Kipppunkt ?Grüner Pass? ? Bewegungsfreiheit am historischen Scheideweg
https://www.nachdenkseiten.de/?p=74934

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Das ist einerseits richtig, wird andererseits in der Querdenkerszene mittlerweile aber auch als Standard-Totschlagargument gebraucht. Wie heftig ich auf dem eigenen Blog angegangen wurde, als ich in diese Richtung argumentierte habe ich noch lebhaft in Erinnerung.

https://che2001.blogger.de/stories/2761052/

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Mit Totschlagargumenten ist das so eine Sache.

"Michael Freissmuth missbraucht die Kritik der Nazi-Medizin genauso wie seine Gegner
In diesem Austausch über "Ganzheitsmedizin" und das "rechte Eck aus dem die ganzheitliche Medizin stammt" geht es nie um evidenzbasierten Daten, sondern nur um Meinungen und deren Auf-/Abwertung je nach Stimmungslage.

Viele Vertreter der "biologischen Medizin", "Ganzheitsmedizin" oder "Naturheilkunde" vor 1933 und nach 1945 gehörten ins braune, völkische oder Nazi-Eck. Soweit hat Michael Freissmuth durchaus recht.

Aber er schiesst übers Ziel hinaus, wenn er dies der gesamten "biologischen" oder "Ganzheitsmedizin unterstellt. Der Wiener und US-amerikanische Gynäkologe Bernhard Aschner, Martin Gumpert, der Österreicher Emil Klein (bis 1933 Vorgänger von Kötschau in Jena), Otto Leeser oder Friedrich Wolf wurden durch den NS vielmehr verfolgt."

Ein Kommentar zu einem Standard - Pro und Contra eine von Komlosy organisierte Wiener Ringvorlesung betreffend.
https://www.derstandard.at/story/2000130228791/forscherdiskurs-oder-schwurblerbuehne

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Ja, um diese Ringvorlesung ging es ja, das Buch ist deren Ergebnis.

BTW, dieser Begriff der Ganzheitlichkeit kommt eigentlich aus der Anthroposophie, die ein mystisch-gnostisches Welt- und Menschenbild zur Voraussetzung hat. Das ist weder faschistisch noch grün-alternativ, sondern wurzelt in Vorstellungen von einer ewigen, unzerstörbaren Geisteswelt, Seelenwanderung, dem Rad der Wiedergeburt usw.

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Also in jedem Fall Unsinn.

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So würde ich es nicht formulieren. Ich würde sagen, Glaubenssache in einem religiösen Sinn.


Wobei das wie bei allen esoterischen Großsystemen schon recht extreme Sachen sind, an die da geglaubt wird. Die Vorstellung einer ewigen Welt des reinen Geistes, aus der der Mensch stammt und in die er zurückkehren muss. Der Sturz Lucifers aus dem Himmel in die Hölle als Metapher für die Fleischwerdung eines jeden Menschen, der in die höhere, überirdische Welt zurückfinden muss.

Das ist der Glaubenskern, der letztlich hinter allen esoterischen Lehren steht.

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