Mittwoch, 28. Dezember 2005
Zum Gipfel nochmal
Da traf sich also die politische Elite dieser Welt in Hongkong, um neue Terms of Trade auszuhandeln. Für die Mehrheit der Weltbevölkerung ist ein WTO- oder IWF-Gipfel wie ein Ball in Draculas Turm. Kurz waren Fernsehbilder zu sehen, die zeigten, wie Demonstranten in maßloser Wut mit meterlangen Zaunlatten auf Hongkonger Polizeibeamte einprügelten, jedoch wurde über den Hintergrund nicht berichtet. Nicht etwa linksradikale Studenten waren das, sondern südkoreanische Bauern, denen mit der geplanten Öffnung des südkoreanischen Marktes für chinesische Agrarprodukte gerade die Existenzgrundlage wegverhandelt wurde. Anders als in Deutschland, wo außer den Zucker-Protesten deutscher Landwirte die Thematik keine größere Öffentlichkeit erreichte, war der Gipfel in Südkorea Thema vielfältiger und spektakulär vorgetragener Proteste, bis hin zu einem Bauern und Dorfbürgermeister (Chung Yong-Bum), der öffentlich seine eigenen Insektizide trank und damit aus Protest
gegen die Liberalisierung der Agrarmärkte seinem Leben ein Ende setzte.

Neben diesem Thema, das uns nach solchen Errungenschaften wie der Abfischung spanischer Küsten durch japanische Thunfabrikschiffe, die ihren Fang nach Japan transportieren, wo die spanischen Fischereikonzerne auf der Tokyoter Fischbörse dann Thunfisch für die spanische Gastronomie einkaufen können, während in uralten Thunfischerdörfern wie Zahara des los Athunes die arbeitslosen Fischer aufs Meer hinausstarren, künftig noch weit mehr Wahnsinn bescheren dürfte, den die EU zum Schutz der europäischen Bauern wahrscheinlich wieder durch ein neuerliches bizarres Subventionskarrussel konterkarieren wird, neben diesem handfesten Wahnsinn also, dem eine Regionalisierung der Märkte unter der Vorgabe der Nachhaltigkeit vorzuziehen wäre, erwartet uns eine von der westlichen Öffentlichkeit fast unbemerkte neoliberale Sauerei von katastrophaler Konsequenz für Dienstleister. Das Gats-Abkommen regelt die Aufgaben des internationalen Dienstleistungsverkehrs.
Hierzu gehört die Privatisierung
öffentlicher, zum Beispiel kommunaler Dienstleister weltweit. Künftig sollen öffentliche Verwaltungen verpflichtet werden, die Auftragsvergabe für Rechnungserstellung, Müllabfuhr oder Sozialhilfe, Schulbusbeförderung etc., wenn diese an private Dienstleister outgecourct werden soll, ausschließlich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien auszurichten, im Klartext:Bevorzugung des billigsten Angebots ohne autonomes Entscheidungsrecht der öffentlichen Auftraggeber. In Verbindung mit der Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsverkehrs bedeutet dies im Zweifelsfall, dass zum Beispiel us-amerikanische oder europäische Kommunen genötigt werden, IT-Dienstleistungen nach Bangalore oder Hyderabad auszulagern. Sowohl das Gats-Abkommen als auch alle anderen WTO-oder EU-Abkommen schließen eine Aufkündigung dieser Bestimmungen aus: eine Rücknahme der Bestimmungen verpflichtet vertraglich zur sofortigen Aufnahme von Verhandlungen über Ausgleichsmaßnahmen.

Ob das das letzte Wort ist, möchte ich dennoch bezweifeln. Es wird höchste Zeit, dass Regierungen es wagen, ein Primat der Politik wiederherzustellen. Angenommen, eine Bundesregierung, die allerdings aus ganz anderen Leuten bestehen müsste als unser jetziges politisches Personal, würde sich weigern, solchen Bestimmungen zu folgen, weigern, Verhandlungen über Ausgleichszahlungen und ein Gegenprogramm zum Neoliberalismus formulieren, was wollen WTO und US-Regierung dann eigentlich machen? Truppen gegen Berlin schicken? Na, vielleicht bekommen die stolzen Fregatten der Bundesmarine und die lautlosen neuen U-Boote ja dann mal einen Sinn :-)

Ehe ich jetzt ins nationalbolschewistische Horn stoße - eine Achse Berlin-Tripolis-La Havanna-Caracas ist meine Sache nun doch nicht, wenn auch eine lustige Idee - so hoffe ich doch, dass es ihnen gründlich misslingen wird. Es sind nicht die letzten Mollies, die in Hongkong geworfen wurden.

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Für Südkoreaner muss es besonders übel sein, 55 Jahre nach dem Koreakrieg diesmal erneut von den Chinesen überrollt zu werden - und diesmal helfen die Amerikaner auch noch der Kommies. Anything goes in der liberalisierten Marktordnung, auf SARS-komm-raus.

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Der Witz ist: Das ist eine per Machtproporz erzwungene Liberalisierung, also gewissermaßen liberale Planwirtschaft. Vom freien Markt kann ja gar keine Rede sein, es werden radikalen Konkurrenzmustern entsprechende Märkte künstlich geschaffen.

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