Donnerstag, 2. November 2006
Sozialabbau: Der Stand der Dinge
che2001, 12:50h
Während Rüttgers, was zu erwarten war, sicharbeitsmarktpolitisch links der aktuellen SPD positioniert, so kann man auch wunderschön nachvollziehen, was uns schon alles genommen wurde. Als ich mein Studium beendete, gab es nach 6 Monaten beitragspflichtiger Arbeit bereits Arbeitslosengeld (ich glaube, auch für 6 Monate), und ab 5 Jahren für 12 Monate. Jetzt, wo der Bundeshaushalt nicht mehr prekär ist, würde es sich anbieten, für eine großzügigere Regelung Knete locker zu machen.
http://www.gmx.net/de/themen/nachrichten/deutschland/soziales/3143004,cc=000000160300031430041xSCEF.html
http://www.gmx.net/de/themen/nachrichten/deutschland/soziales/3143004,cc=000000160300031430041xSCEF.html
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Mittwoch, 11. Oktober 2006
Hartz 4 - Der Terror geht weiter
che2001, 10:20h
Habe gerade im Radio gehört, dass man mal wieder plant, Hartz 4 zu verschärfen. Geplant sei nun, dass nur noch Leistungen bezieht, wer in irgendeiner Weise gemeinnützig arbeitet. Wenn schon, dann sollte man ehrlich sei und das als Zwangsarbeit bezeichnen, oder vielleicht als Bundesarbeitsdienst.
Geschildert wurde die Problematik am Fall eines Mannes, der für 6 Euro bei einem Wachdienst gearbeitet hatte und dann arbeitslos wurde. 6 Euro? Zu meiner Studienzeit, als die Verbraucherpreise im Schnitt halb so hoch lagen wie heute, war das der Tarif für einen Studentenjob beim Pizzakurden. Die Umverteilung von unten nach oben und die Schaffung eines Subproletariats als industrielle Reservearmee schreitet rasant voran.
Geschildert wurde die Problematik am Fall eines Mannes, der für 6 Euro bei einem Wachdienst gearbeitet hatte und dann arbeitslos wurde. 6 Euro? Zu meiner Studienzeit, als die Verbraucherpreise im Schnitt halb so hoch lagen wie heute, war das der Tarif für einen Studentenjob beim Pizzakurden. Die Umverteilung von unten nach oben und die Schaffung eines Subproletariats als industrielle Reservearmee schreitet rasant voran.
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Freitag, 15. September 2006
Von allen guten Geistern verlassen
che2001, 20:38h
Eben noch hatte Statler die klassische theologische Bildung des Papstes gelobt, und jetzt ein solcher Faux pax - angesichts der angespannten Nahost-Situation begeht der Papst einen Affront gegen den Islam, wobei er nicht mit Augustinus argumentiert, sondern mit dem Kaiser Manuel Paläologos. Dieser war einer der bedeutendsten byzantinischen Theologen, als Kaiser aber zugleich ein Türkenschlächter. Wie klug war da hingegen die kürzliche deutsche Rabbiner-Inauguration, die sich in freundschaftlichem Kontakt mit Geistlichen christlicher und muslimischer Provenienz abspielte. Taktgefühl können die Katholen von anderen Religionen lernen.
http://www.diepresse.at/textversion_article.aspx?id=585548
http://www.schandmaennchen.de/ticker.html
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Samstag, 5. August 2006
Weblog-Demo gegen PI
che2001, 21:37h
Wurde auch Zeit:
http://www.bluejax.net/2006/08/03/der-protest-rollt-weblog-demonstration-gegen-pi-%e2%80%93-fur-toleranz-gegen-rassismus/
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Sonntag, 30. Juli 2006
SPD sozialpolitisch am Ende der Fahnenstange
che2001, 23:54h
Friedhelm Fahrtmann sagt sehr offenherzig, warum die SPD ihre alte sozialpolitische Linie nicht fortsetzen kann.
http://www.welt.de/data/2006/07/27/975260.html
Ich habe Fahrtmann einmal persönlich kennenlernen können und hatte bei dieser Begegnung der Eindruck,l einen ausgesprochen ehrlichen und aufrichtigen Menschen vor mir zu haben, was bei Politikern ja durchaus nicht so häufig ist. Insofern glaube ich ihm, dass er genau meint , was er sagt. Dennoch offenbart der Beitrag auch die Fantasie- und Perspektivlosigkeit der politischen Diskussion in Deutschland und noch mal besonders in der Sozialdemokratie. Der Globalisierungsdruck ist nichts, was wie eine Naturgewalt über Deutschland gekommen wäre. Zwar ist die Schaffung eines einheitlichen Weltmarktes als Grundtendenz essentielles Merkmal der politischen Ökonomie, wie schon Marx erkannte und zwangsläufige Folge des tendenziellen Falls der Profitrate im Weltmaßstab. Aber auf der anderen Seite ist dieser Globalisierungsdruck von Seiten des Kapital (oder besser gesagt, der in internationalen Institutionen führenden Kapitalfraktionen, für den Mittelstand sieht das völlig anders aus) politisch erwünscht, und mit Hochdruck wird in G8, WTO, IWF und Weltbank seit anderthalb Jahrzehnten die Schaffung eines weltweiten freien Marktes und eines weltweiten Angebots nicht nur von Waren sondern auch Dienstleistungen forciert, sichern längst internationale Verträge den globalisierten Markt ab. Aber auch internationale Verträge können aufgekündigt oder gebrochen werden, es könnte auch sein, dass negative Folgen der Globalisierung die führenden Industriemächte zurück zum Protektionismus bringen werden und dazu, ihre Interessen in abgeschotteten geografischen Großräumen zu organisieren, auch wenn es zurzeit danach überhaupt nicht aussieht. Angenommen, Deutschland baute seinen Sozialstaat auf Basis höherer Steuern wieder aus und sicherte sich gegen Abwanderung von Unternehmen ins Ausland durch ein knallhartes Standortsicherungsgesetz ab, das die Beschlagnahme und Enteignung von Produktionsmitteln bei Betriebsschließung und Verlagerung ins Ausland vorsieht, wie würde die Welt "draußen" dnen reagieren? Etwa Truppen schicken? Wohl kaum. Versteht mich recht: Ich will solche politischen Abenteuer gar nicht vorschlagen, mich stört die Eindimensionalität der aktuellen politischen Debatte. Offensichtlich sind soziale Leistungen in Deutschland auch immer nur in einem bürokratischen Rahmen vorstellbar. Angenommen, man würde AlG2-Empfänger einfach in Ruhe lassen, sie nicht zwingen, ihre angesparten Vermögenswerte aufzubrauchen, ihnen die Knete ohne Arbeitszwang und Ein-Euro-Jobs infinitum auszahlen und dafür die Arbeitsagenturen dicht machen und Sozialämter auf ein Minimum verkleinern (oder gleich ganz die garantierte soziale Grundsicherung einführen), es würde mich nicht wundern, wenn wir damit einen sehr sozialen Sozialstaat bekämen, der nicht teuer ist als der Jetzige, oder unterm Strich sogar billiger. Aber Fantasie in der sozialpolitischen Diskussion, das will hierzulande niemand.
http://www.welt.de/data/2006/07/27/975260.html
Ich habe Fahrtmann einmal persönlich kennenlernen können und hatte bei dieser Begegnung der Eindruck,l einen ausgesprochen ehrlichen und aufrichtigen Menschen vor mir zu haben, was bei Politikern ja durchaus nicht so häufig ist. Insofern glaube ich ihm, dass er genau meint , was er sagt. Dennoch offenbart der Beitrag auch die Fantasie- und Perspektivlosigkeit der politischen Diskussion in Deutschland und noch mal besonders in der Sozialdemokratie. Der Globalisierungsdruck ist nichts, was wie eine Naturgewalt über Deutschland gekommen wäre. Zwar ist die Schaffung eines einheitlichen Weltmarktes als Grundtendenz essentielles Merkmal der politischen Ökonomie, wie schon Marx erkannte und zwangsläufige Folge des tendenziellen Falls der Profitrate im Weltmaßstab. Aber auf der anderen Seite ist dieser Globalisierungsdruck von Seiten des Kapital (oder besser gesagt, der in internationalen Institutionen führenden Kapitalfraktionen, für den Mittelstand sieht das völlig anders aus) politisch erwünscht, und mit Hochdruck wird in G8, WTO, IWF und Weltbank seit anderthalb Jahrzehnten die Schaffung eines weltweiten freien Marktes und eines weltweiten Angebots nicht nur von Waren sondern auch Dienstleistungen forciert, sichern längst internationale Verträge den globalisierten Markt ab. Aber auch internationale Verträge können aufgekündigt oder gebrochen werden, es könnte auch sein, dass negative Folgen der Globalisierung die führenden Industriemächte zurück zum Protektionismus bringen werden und dazu, ihre Interessen in abgeschotteten geografischen Großräumen zu organisieren, auch wenn es zurzeit danach überhaupt nicht aussieht. Angenommen, Deutschland baute seinen Sozialstaat auf Basis höherer Steuern wieder aus und sicherte sich gegen Abwanderung von Unternehmen ins Ausland durch ein knallhartes Standortsicherungsgesetz ab, das die Beschlagnahme und Enteignung von Produktionsmitteln bei Betriebsschließung und Verlagerung ins Ausland vorsieht, wie würde die Welt "draußen" dnen reagieren? Etwa Truppen schicken? Wohl kaum. Versteht mich recht: Ich will solche politischen Abenteuer gar nicht vorschlagen, mich stört die Eindimensionalität der aktuellen politischen Debatte. Offensichtlich sind soziale Leistungen in Deutschland auch immer nur in einem bürokratischen Rahmen vorstellbar. Angenommen, man würde AlG2-Empfänger einfach in Ruhe lassen, sie nicht zwingen, ihre angesparten Vermögenswerte aufzubrauchen, ihnen die Knete ohne Arbeitszwang und Ein-Euro-Jobs infinitum auszahlen und dafür die Arbeitsagenturen dicht machen und Sozialämter auf ein Minimum verkleinern (oder gleich ganz die garantierte soziale Grundsicherung einführen), es würde mich nicht wundern, wenn wir damit einen sehr sozialen Sozialstaat bekämen, der nicht teuer ist als der Jetzige, oder unterm Strich sogar billiger. Aber Fantasie in der sozialpolitischen Diskussion, das will hierzulande niemand.
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Samstag, 15. Juli 2006
Freiheit und Recht zu Tode schützen
che2001, 18:09h
oder auch: Wer so alles unsere Verfassung schützt findet sich hier: http://netbitch1.twoday.net/stories/2349444/
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Freitag, 14. Juli 2006
Fnords of War
che2001, 14:24h
So sehr ich nachempfinden kann, wie das israelische Volk unter den permanenten Terroranschlägen und Raketenattacken leidet, der Zwei-Fronten-Feldzug der Zahal besorgt mich doch sehr. Ist das das Ende des Nahost-Friedensprozesses? Dem Anlass ist ein solches Vorgehen eher unangemessen. Um einen bzw. zwei entführte Soldaten zurückzuholen mit Kampfhubschraubern, Panzerverbänden und schweren Haubitzen vorzugehen macht eher wenig Sinn, für so etwas gibt es normalerweise Sonderkommandos, aber die Stellungen von Kassam- und Katiuza-Raketen im Gaza-Streifen und Südlibanon auszuschalten ist durchaus legitim. Die massive Vorgehensweise im Augenblick erinnert allerdings fatal an den Libanon-Krieg von 1982, und eine Eskalation, die den Iran auf den Plan treten lässt ist durchaus denkbar - vielleicht sogar beabsichtigt.
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Samstag, 17. Juni 2006
Von der Dekade der Entwicklung zum Neoliberalismus - Teil III
che2001, 21:32h
Das Jahrzehnt der Entwicklung markiert zugleich Höhepunkt und Ende einer Phase, in der mit keynesianischen Rezepten Weltsozialpolitik betrieben wurde. Mit dem Ende des Kolonialismus hört ja der Imperialismus nicht auf. Die hohen sozialen Standards in den keynesianischen Wohlstandsgesellschaften der Triade waren nur finanzierbar durch hohe Werttransfers aus dem Trikont, insbesondere niedrige Rohstoffpreise. Während ein Teil der Nach-68er die Idiotie beging, Revival-Vereine für historisch längst überlebte kommunistische Parteien zu gründen, stellte ein eher avantgardistischer Flügel der westlichen Linken, die Antiimperialisten, einen Blickwinkel her, aus dem der Klassenwiderspruch einen geopolitischen Charakter annahm.
(Nicht grundfalsch, aber extrem verkürzt und schematisierend)
Demzufolge sei die Arbeiterschaft der Industriemetropolen kein Proletariat mehr, da es in sehr hohem Maße von der Ausbeutung der Menschen des Trikont profitiere. Ein sowohl objektives als auch subjektives Proletariat, d.h., sowohl verelendet als auch für die kapitalistische Wertschöpfung wichtiges Proletariat gäbe es nur noch im Trikont. Der schwarze südafrikanische Minenarbeiter in der Apartheid habe demzufolge ein anderes Klasseninteresse als der Ruhrpottkumpel, die Triade insgesamt sei die „imperialistische Bestie“. Linke „im Herzen der Bestie“ könnten demnach kein Interesse an Sozialpolitik oder Arbeiterkämpfen in den Metropolen haben („Abschied vom Proletariat“), sondern nur daran, den Militärisch-Industriellen Komplex, den Repressionsapparat und das Militär selber zu bekämpfen, um so den Handlungsspielraum des Imperialismus einzuschränken, was je nach persönlicher Geschmackslage dann von Engagement in der Friedensbewegung bis Unterstützung der RAF reichen konnte.
Diese Art “Klassenanalyse“ beinhaltet zwar ein Fünkchen Wahrheit, verkürzt aber gesellschaftliche Komplexität holzschnittartig, von den teilweise mörderischen Konsequenzen mal ganz abgesehen.
Wie alle reduktionistischen Ansätze erschlug dieses Denken die sich emanzipierenden Subjekte (was bei Leuten, die teilweise ganz real Andere erschiessen wollten, nicht so sehr verwundert ;-) ), es korrespondiert aber mit einer Denkhaltung höchster militärischer Führungsebenen in den USA. Wollte auf der einen Seite die Stadtguerrilla den Staat mit quasi militärischen Mitteln bekämpfen, sah man im Pentagon für sozioökonomische Probleme militärische Lösungen vor. Che Guevara (dessen Positionen ich in keiner Weise folge, ich sagte ja schon, dass es sehr spezielle Gründe gibt, weshalb ich diesen Spitznamen trage) mit seiner Focus-Theorie (die Avantgarde schafft sich selbst, Guerrillakämpfe können revolutionäre Prozesse auslösen, solange die Revolutionäre nur entschlossen genug sind) und die US-Adminstration mit ihrer Domino-Theorie (wird ein Staat, z.B. Vietnam, kommunistisch, wird ein Nachbarstaat nach dem Anderen das früher oder später auch, das muss mit militärischen Mitteln verhindert werden) sagten im Grunde das Gleiche: Politische und soziale Prozesse werden auf militärische Auseinandersetzungen reduziert, die Weltrevolution, von den Einen herbeigesehnt, von den Anderen befürchtet, könne mit militärischen Mitteln herbeigeführt bzw. verhindert werden. Mit dieser Logik führte man dann auch in Vietnam einen Vernichtungskrieg gegen ein armes Bauernvolk, was allerdings gründlich nach hinten losging.
Zur Finanzierung des Krieges verschuldete sich die US-Regierung, man gab die Golddeckung des Dollars auf und verkaufte Teile des Schatzes von Fort Knox, schließlich wurde die Notenpresse angeworfen. Die Finanzierung des Krieges führte zu einer Hyperinflation mit dem Resultat einer Talfahrt des Dollars. Da dieser die Weltleitwährung war, im damaligen Bretton-Woods-System aber zugleich alle Währungen über stabile Wechselkurse fest miteinander verrechnet wurden, drohte der Zusammenbruch des Weltwährungssystems. Die neoliberalen Konzepte Milton Friedmans waren ursprünglich entwickelt worden, um diesem Problem Abhilfe zu schaffen. Dazu muss noch ein Blick auf die Weltkonjunkturlage insgesamt geworfen werden.
Der Nachkriegsaufschwung der westlichen Wirtschaft ist teilweise erklärbar aus der Tatsache, dass man nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs quasi von Stunde Null aus startete, teils durch die Anschubfinanzierung des Marshallplans, durch den Boom, den der Koreakrieg für die westliche Wirtschaft bedeutete, und überhaupt zu einem großen Teil durch die Bedeutung der Rüstungsindustrie in Zeiten des Kalten Krieges: Garantierte Abnahme absolut hochwertiger Produkte zu Hochpreisen und deren garantierte Ausmusterung und Ablösung in kurzen Zeiträumen schuf natürlich für das Kapital in der Rüstungsindustrie und allen ihr zuliefernden Bereichen (also praktisch die gesamte Rohstoff- und metallverarbeitende sowie Elektronik- und Anlagentechnik-Industrie) traumhafte Bedingungen.
Dennoch holte Ende der 60erJahre das eigentliche Principium Movens der Weltwirtschaftsentwicklung allmählich diese künstlich angeheizte Dauerkonjunktur wieder ein: Der Tendenzielle Fall der Profitrate.
Das akkumulierte Weltkapital hatte eine quasi natürliche Expansiongrenze erreicht, der Nachkriegsaufbau mit seiner Dauerkonjunktur in fast allen Branchen der produzierenden Industrie und des produzierenden Gewerbes hatte einen hohen Sättigungsgrad erreicht. Das bedeutete, das weitere profitable Wertschöpfung nur noch durch Einschnitte beim variablen Kapital, d.h. der menschlichen Arbeitskraft möglich waren – Entlassungen, Verlängerung der Arbeitszeit, Lohnpausen etc. Der stark korporatistische Charakter der meisten keynesianischen Wohlfahrtstaaten mit ihren starken Gewerkschaften ließ dies zunächst kaum zu. Auf der anderen Seite bedeuteten die Wohlfahrtsprogramme steigende Staatsschulden, die bei nachlassender Konjunktur und zugleich auftretender Finanzkrise zu einer ernsten Belastung wurden. Vor diesem Hintergrund entwickelten Friedman und Kollegen an der Chicago School of Economy ihr Konzept der Angebotsökonomie.
Seit Ende der 50er hatte Friedman den Keynesianismus kritisiert. Ihm zufolge sei nicht der Faktor der Nachfrage entscheidend, sondern der der zirkulierenden Geldmenge und die Stabilität der Währung (Monetarismus). Entsprechend empfahl Friedman zur Lösung der Dollarkrise die Aufgabe der festen Wechselkurse. Diesem Rat wurde gefolgt, und tatsächlich führte die Freigabe der Kurse (Währungen konnten damit wie Papiere an der Börse gehandelt werden, was beim Bretton-Woods-System als unsinnig erschienen wäre) zu einer Gesundung des Dollarkurses, wobei allerdings auch in Rechnung gestellt werden sollte, dass die gleichzeitige Deeskalation des Vietnamkriegs und die Entspannung in der Ost-West-Politik das Vertrauen in den Dollar zeitgleich stärkten.
In der Folge wurden von der Chicagoer Schule stammende Ansätze auf Entwicklungs- und Sozialpolitik angewandt. Für die Entwicklungspolitik bedeutet dies beispielsweise, dass Kredite nach dem Prinzip des Return of Investment vergeben werden. Schon im Jahrzehnt der Entwicklung war Entwicklungspolitik auch mit Massenmord, Vertreibung und Pauperisierung verbunden gewesen – die gleichermaßen von Regimen im Trikont wie westlichen Entwicklungshelfern vorangetriebene Grüne Revolution mit ihrer Ausrichtung auf die Produktion von Cash Crops, von Pflanzen für den Weltmarkt, bedeutete in vielen Fällen notwendigerweise die Enteignung und Vertreibung von Subsistenzbauern, die in den neuen urbanen Zentren des Trikont gigantische Armenghettos füllten. Die jetzt (d.h. im Verlauf der 70er und 80er) erfolgende Umstellung auf Entwicklungshilfe nach den Effizienzprinzip ist zwar angesichts der gigantischen Investitionsruinen und reinen Beschäftigungsprogramme, für die Entwicklungsgelder bisher verschwendet wurden verständlich, angesichts der sozialen Verhältnisse in den Ländern bedeutete sie für die ärmsten Länder und die ärmsten Bevölkerungsteile dort aber nichts Anderes als die Vernichtung der überflüssigen Esser.
(Nicht grundfalsch, aber extrem verkürzt und schematisierend)
Demzufolge sei die Arbeiterschaft der Industriemetropolen kein Proletariat mehr, da es in sehr hohem Maße von der Ausbeutung der Menschen des Trikont profitiere. Ein sowohl objektives als auch subjektives Proletariat, d.h., sowohl verelendet als auch für die kapitalistische Wertschöpfung wichtiges Proletariat gäbe es nur noch im Trikont. Der schwarze südafrikanische Minenarbeiter in der Apartheid habe demzufolge ein anderes Klasseninteresse als der Ruhrpottkumpel, die Triade insgesamt sei die „imperialistische Bestie“. Linke „im Herzen der Bestie“ könnten demnach kein Interesse an Sozialpolitik oder Arbeiterkämpfen in den Metropolen haben („Abschied vom Proletariat“), sondern nur daran, den Militärisch-Industriellen Komplex, den Repressionsapparat und das Militär selber zu bekämpfen, um so den Handlungsspielraum des Imperialismus einzuschränken, was je nach persönlicher Geschmackslage dann von Engagement in der Friedensbewegung bis Unterstützung der RAF reichen konnte.
Diese Art “Klassenanalyse“ beinhaltet zwar ein Fünkchen Wahrheit, verkürzt aber gesellschaftliche Komplexität holzschnittartig, von den teilweise mörderischen Konsequenzen mal ganz abgesehen.
Wie alle reduktionistischen Ansätze erschlug dieses Denken die sich emanzipierenden Subjekte (was bei Leuten, die teilweise ganz real Andere erschiessen wollten, nicht so sehr verwundert ;-) ), es korrespondiert aber mit einer Denkhaltung höchster militärischer Führungsebenen in den USA. Wollte auf der einen Seite die Stadtguerrilla den Staat mit quasi militärischen Mitteln bekämpfen, sah man im Pentagon für sozioökonomische Probleme militärische Lösungen vor. Che Guevara (dessen Positionen ich in keiner Weise folge, ich sagte ja schon, dass es sehr spezielle Gründe gibt, weshalb ich diesen Spitznamen trage) mit seiner Focus-Theorie (die Avantgarde schafft sich selbst, Guerrillakämpfe können revolutionäre Prozesse auslösen, solange die Revolutionäre nur entschlossen genug sind) und die US-Adminstration mit ihrer Domino-Theorie (wird ein Staat, z.B. Vietnam, kommunistisch, wird ein Nachbarstaat nach dem Anderen das früher oder später auch, das muss mit militärischen Mitteln verhindert werden) sagten im Grunde das Gleiche: Politische und soziale Prozesse werden auf militärische Auseinandersetzungen reduziert, die Weltrevolution, von den Einen herbeigesehnt, von den Anderen befürchtet, könne mit militärischen Mitteln herbeigeführt bzw. verhindert werden. Mit dieser Logik führte man dann auch in Vietnam einen Vernichtungskrieg gegen ein armes Bauernvolk, was allerdings gründlich nach hinten losging.
Zur Finanzierung des Krieges verschuldete sich die US-Regierung, man gab die Golddeckung des Dollars auf und verkaufte Teile des Schatzes von Fort Knox, schließlich wurde die Notenpresse angeworfen. Die Finanzierung des Krieges führte zu einer Hyperinflation mit dem Resultat einer Talfahrt des Dollars. Da dieser die Weltleitwährung war, im damaligen Bretton-Woods-System aber zugleich alle Währungen über stabile Wechselkurse fest miteinander verrechnet wurden, drohte der Zusammenbruch des Weltwährungssystems. Die neoliberalen Konzepte Milton Friedmans waren ursprünglich entwickelt worden, um diesem Problem Abhilfe zu schaffen. Dazu muss noch ein Blick auf die Weltkonjunkturlage insgesamt geworfen werden.
Der Nachkriegsaufschwung der westlichen Wirtschaft ist teilweise erklärbar aus der Tatsache, dass man nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs quasi von Stunde Null aus startete, teils durch die Anschubfinanzierung des Marshallplans, durch den Boom, den der Koreakrieg für die westliche Wirtschaft bedeutete, und überhaupt zu einem großen Teil durch die Bedeutung der Rüstungsindustrie in Zeiten des Kalten Krieges: Garantierte Abnahme absolut hochwertiger Produkte zu Hochpreisen und deren garantierte Ausmusterung und Ablösung in kurzen Zeiträumen schuf natürlich für das Kapital in der Rüstungsindustrie und allen ihr zuliefernden Bereichen (also praktisch die gesamte Rohstoff- und metallverarbeitende sowie Elektronik- und Anlagentechnik-Industrie) traumhafte Bedingungen.
Dennoch holte Ende der 60erJahre das eigentliche Principium Movens der Weltwirtschaftsentwicklung allmählich diese künstlich angeheizte Dauerkonjunktur wieder ein: Der Tendenzielle Fall der Profitrate.
Das akkumulierte Weltkapital hatte eine quasi natürliche Expansiongrenze erreicht, der Nachkriegsaufbau mit seiner Dauerkonjunktur in fast allen Branchen der produzierenden Industrie und des produzierenden Gewerbes hatte einen hohen Sättigungsgrad erreicht. Das bedeutete, das weitere profitable Wertschöpfung nur noch durch Einschnitte beim variablen Kapital, d.h. der menschlichen Arbeitskraft möglich waren – Entlassungen, Verlängerung der Arbeitszeit, Lohnpausen etc. Der stark korporatistische Charakter der meisten keynesianischen Wohlfahrtstaaten mit ihren starken Gewerkschaften ließ dies zunächst kaum zu. Auf der anderen Seite bedeuteten die Wohlfahrtsprogramme steigende Staatsschulden, die bei nachlassender Konjunktur und zugleich auftretender Finanzkrise zu einer ernsten Belastung wurden. Vor diesem Hintergrund entwickelten Friedman und Kollegen an der Chicago School of Economy ihr Konzept der Angebotsökonomie.
Seit Ende der 50er hatte Friedman den Keynesianismus kritisiert. Ihm zufolge sei nicht der Faktor der Nachfrage entscheidend, sondern der der zirkulierenden Geldmenge und die Stabilität der Währung (Monetarismus). Entsprechend empfahl Friedman zur Lösung der Dollarkrise die Aufgabe der festen Wechselkurse. Diesem Rat wurde gefolgt, und tatsächlich führte die Freigabe der Kurse (Währungen konnten damit wie Papiere an der Börse gehandelt werden, was beim Bretton-Woods-System als unsinnig erschienen wäre) zu einer Gesundung des Dollarkurses, wobei allerdings auch in Rechnung gestellt werden sollte, dass die gleichzeitige Deeskalation des Vietnamkriegs und die Entspannung in der Ost-West-Politik das Vertrauen in den Dollar zeitgleich stärkten.
In der Folge wurden von der Chicagoer Schule stammende Ansätze auf Entwicklungs- und Sozialpolitik angewandt. Für die Entwicklungspolitik bedeutet dies beispielsweise, dass Kredite nach dem Prinzip des Return of Investment vergeben werden. Schon im Jahrzehnt der Entwicklung war Entwicklungspolitik auch mit Massenmord, Vertreibung und Pauperisierung verbunden gewesen – die gleichermaßen von Regimen im Trikont wie westlichen Entwicklungshelfern vorangetriebene Grüne Revolution mit ihrer Ausrichtung auf die Produktion von Cash Crops, von Pflanzen für den Weltmarkt, bedeutete in vielen Fällen notwendigerweise die Enteignung und Vertreibung von Subsistenzbauern, die in den neuen urbanen Zentren des Trikont gigantische Armenghettos füllten. Die jetzt (d.h. im Verlauf der 70er und 80er) erfolgende Umstellung auf Entwicklungshilfe nach den Effizienzprinzip ist zwar angesichts der gigantischen Investitionsruinen und reinen Beschäftigungsprogramme, für die Entwicklungsgelder bisher verschwendet wurden verständlich, angesichts der sozialen Verhältnisse in den Ländern bedeutete sie für die ärmsten Länder und die ärmsten Bevölkerungsteile dort aber nichts Anderes als die Vernichtung der überflüssigen Esser.
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Freitag, 16. Juni 2006
Von der Dekade der Entwicklung zum Neoliberalismus – Fortsetzung
che2001, 22:00h
Ich greife den letzten Absatz des ersten Beitrags noch einmal auf.
Ende der 60er setzte weltweit ein neuer Zyklus von Klassenkämpfen und allgemeinen sozialen Aneigungs- Emanzipations- und Umschichtungsprozessen ein. Es ist modisch geworden, heute 68 als reine westliche Studentenbewegung zu sehen, das wird dem Wesen der vielfältigen Bewegungen aber nicht gerecht. Dazu gehören ebenso wie der Pariser Mai, der mit seinem Generalstreik für einige Tage eine Revolution als an der Tagesordnung erscheinen ließ (ein gründlicher Irrtum) die Ghettoaufstände in den USA, zu denen Eldridge Cleaver gesagt haben soll: „Nicht Vietnam, Newark, Harlem, Bronx, das ist der wahre Krieg, ein Krieg, in dem Klasse gegen Klasse steht“, die Gründung der PLO, der Beginn der Guerrillakämpfe in Südamerika und Afrika, das Aufflammen bürgerkriegsartiger Unruhen in Nordirland, all dies bildet einen Gesamthorizont, der die bestehende Gesellschafts- und Weltordnung in Frage stellte. Als sich die Niederlage der USA in Vietnam abzeichnete, der Kurs des Dollar ins Bodenlose stürzte und die OPEC die Ölpreise erhöhte, da zeichnete sich ab, dass die Vorherrschaft der Triade (USA, Japan, EG-Europa) über den Trikont nicht mehr aufrechtzuerhalten war.
Diese Entwicklung macht sehr deutlich, dass die Verelendungstheorien, wie sie von Trotzkisten bis zur RAF viele linksversprengte Gruppierungen vertraten ins Leere gehen, eine Erkenntnis, die übrigens bei Gramsci und Poulantzas schon angelegt ist (sorry, der musste sein, ich halte mich ansonsten mit Theoretiker-Namedropping zurück). Nicht Unerträglichkeit der eigenen Situation führte zu weltweiten Rebellionen und Emanzipationsbewegungen, sondern Blochs Prinzip Hoffnung im Zusammenwirken mit vorhandenen Missständen. Von den Metropolen bis zum Trikont (Sonderfälle wie Vietnam spielten hier eine Rolle, auf die ich gleich zu sprechen komme), eines hatten die Bewegungen in den 60ern weltweit gemein: Sie spielten sich in einer Zeit ab, in der die Perspektive der Menschen im Fortschreiten bestand, das generelle Lebensgefühl war „die Gegenwart ist besser als die Vergangenheit, und die Zukunft wird noch besser sein.“, aber das war nicht mit Zufriedenheit verbunden, sondern mit dem Anspruch auf mehr: „We don´t want just one cake, we want the whole fucking bakery!“. Parallelen zur Französischen Revolution zeichnen sich ab, wo eine Krise nach einer Hochblüte der barocken Zivilisation und der bürgerlichen Aufklärung Ausgangspunkt der Bewegung war, nicht hingegen eine Situation absoluten Elends. Auf die Rebellion, in den Metropolen wie im Trikont, wie auch auf das gestiegene Selbstbewusstsein der Öl- und Schwellenländer, reagierten die Eliten auf sehr verschiedene Weise. Vereinfacht kann gesagt werden, dass die Reaktionsmuster teils aus Integration, teils aus Repression bestanden, teils auch aus der Kombination von Beidem. Beispiel für eine fast ausschließlich integrative Lösung ist Dänemark. Anders als in Deutschland, gelangten die 68er hier nicht erst Ende der 90er Jahre an die Hebel der Staatsmacht, sondern schon in den 70ern. Dies bedeutete zwar keine Revolution, aber gründlichere und unbürokratische Reformen als in Deutschland, wobei gesagt werden muss, dass die gesellschaftlichen Widersprüche in Dänemark von Vornherein weniger ausgeprägt waren als in Westdeutschland. Sozialen Frieden durch staatliche Wohlfahrtsprogramme einzukaufen hat in Dänemark seit 1848 Tradition, und die Generation der jungen Protestler setzte sich nicht mit Nazi-Tätern in Amt und Würden auseinander, zwei Ausgangspunkte, die die ganze Sache weitaus konfliktärmer machten als die Situation in der BRD. Die Entwicklung, die Dänemark in den 70ern nahm, war die zu einem Sozialstaat, der weitaus üppigere soziale Leistungen zu bieten hatte als Deutschland bei vergleichbar weniger Bürokratie und mehr Demokratie (siehe die plebiszitären Elemente im politischen Geschäft Dänemarks). Zwei Beispiele exemplifizieren ganz gut, dass der dänische Linksliberalismus einen völlig anderen Charakter hatte als der westdeutsche Betonstaat der rot-gelben Koalition: Als Hausbesetzer ein leerstehendes riesiges Marinekasernengelände besetzten und dort die „Freie Sadt Kristiania“ ausriefen, schenkte ihnen der Staat das Gelände einfach. Es kommt auch von, dass ein Punk, der sich arbeitslos meldet, vom Sachbearbeiter auf dem Arbeitsamt so angesprochen wird: „Du bist doch Punk, hast Du da keine Lust, Punk-Musik zu machen, um Dir den Lebensunterhalt zu verdienen? Du kannst von uns ein Existenzgründungsdarlehen für die Gründung einer Band bekommen, und das Arbeitsamt vermittelt Dir einen Plattenvertrag.“ Die Revolution war gestorben, doch alle hatten sich schrecklich lieb.
In Deutschland hingegen gab es Integration und Repression im Kombipack: Bildungsoffensive, „mehr Demokratie wagen“, neue Ostpolitik, Ausbau des Sozialstaats (auf eine typisch preußisch bürokratische Art und Weise), Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen, zugleich aber auch Notstandsgestze, Berufsverbote, Antiterrorgesetze, Militarisierung der Polizei. Letztlich kamen klare materielle Vorteile für die breite Mehrheit der Bevölkerung heraus, aber aus „mehr Demokratie wagen“ wurde eher „mehr Bürokratie wagen“. In den USA schließlich bestand Nixons Gegenrevolution hauptsächlich aus Repression – Streichung der großzügigen Sozialprogramme Johnsons, COINTELPRO, das Counterinsurgency Intelligence Program, das aus einer Welle von Desinformation, Geheimdienstaktivitäten, politisch willkürlichen Verurteilungen bis hin zur vom FBI lancierten Einschleusung harter Drogen in die Ghettos der Afroamerikaner bestand und Black Power erfolgreich zerschlug. Unter dem gleichen Horizont ist auch der vom CIA herbeigeführte Putsch in Chile zu sehen. Wenn wir jetzt noch einmal die Voraussetzungen der weltweiten Revolte rekapitulieren – steigende Ansprüche bei steigendem Wohlstand, zugleich aber überaus grausame postkoloniale Kriege, Wettrüsten und die Verschränkung von Ost-West- und Nord-Süd-Konflikt, dann stellt sich die Frage, ob der Neoliberalismus, d.h. die Rezepte der Chicago Boys, nichts Anderes waren als der Versuch, die steigenden Ansprüche zu suspendieren, indem die Lebenschancen der Unterprivilegierten und der Arbeiterklasse systematisch beschränkt werden. Dies muss noch nicht einmal in denAbsichten Friedmans gelegen haben, sondern kann eine objektive Funktion der Angelegenheit sein, die sich unter den eben genannten sonstigen Zeitumständen und den strategischen Interessen der Herrschenden als historische Notwendigkeit ergibt.
So, und jetzt bitte nicht wild draufloskommentieren, ich mache hier wieder einen Cut, um keine Bleiwüste entstehen zu lassen, der dritte Teil folgt also in Kürze. Also bitte spart Euch Eure Kommentare bis zum dritten Teil, Es lässt sich auch beim Bau des Schiffsrumpfs niemand über die Segeleigenschaften einer Yacht aus.
Ende der 60er setzte weltweit ein neuer Zyklus von Klassenkämpfen und allgemeinen sozialen Aneigungs- Emanzipations- und Umschichtungsprozessen ein. Es ist modisch geworden, heute 68 als reine westliche Studentenbewegung zu sehen, das wird dem Wesen der vielfältigen Bewegungen aber nicht gerecht. Dazu gehören ebenso wie der Pariser Mai, der mit seinem Generalstreik für einige Tage eine Revolution als an der Tagesordnung erscheinen ließ (ein gründlicher Irrtum) die Ghettoaufstände in den USA, zu denen Eldridge Cleaver gesagt haben soll: „Nicht Vietnam, Newark, Harlem, Bronx, das ist der wahre Krieg, ein Krieg, in dem Klasse gegen Klasse steht“, die Gründung der PLO, der Beginn der Guerrillakämpfe in Südamerika und Afrika, das Aufflammen bürgerkriegsartiger Unruhen in Nordirland, all dies bildet einen Gesamthorizont, der die bestehende Gesellschafts- und Weltordnung in Frage stellte. Als sich die Niederlage der USA in Vietnam abzeichnete, der Kurs des Dollar ins Bodenlose stürzte und die OPEC die Ölpreise erhöhte, da zeichnete sich ab, dass die Vorherrschaft der Triade (USA, Japan, EG-Europa) über den Trikont nicht mehr aufrechtzuerhalten war.
Diese Entwicklung macht sehr deutlich, dass die Verelendungstheorien, wie sie von Trotzkisten bis zur RAF viele linksversprengte Gruppierungen vertraten ins Leere gehen, eine Erkenntnis, die übrigens bei Gramsci und Poulantzas schon angelegt ist (sorry, der musste sein, ich halte mich ansonsten mit Theoretiker-Namedropping zurück). Nicht Unerträglichkeit der eigenen Situation führte zu weltweiten Rebellionen und Emanzipationsbewegungen, sondern Blochs Prinzip Hoffnung im Zusammenwirken mit vorhandenen Missständen. Von den Metropolen bis zum Trikont (Sonderfälle wie Vietnam spielten hier eine Rolle, auf die ich gleich zu sprechen komme), eines hatten die Bewegungen in den 60ern weltweit gemein: Sie spielten sich in einer Zeit ab, in der die Perspektive der Menschen im Fortschreiten bestand, das generelle Lebensgefühl war „die Gegenwart ist besser als die Vergangenheit, und die Zukunft wird noch besser sein.“, aber das war nicht mit Zufriedenheit verbunden, sondern mit dem Anspruch auf mehr: „We don´t want just one cake, we want the whole fucking bakery!“. Parallelen zur Französischen Revolution zeichnen sich ab, wo eine Krise nach einer Hochblüte der barocken Zivilisation und der bürgerlichen Aufklärung Ausgangspunkt der Bewegung war, nicht hingegen eine Situation absoluten Elends. Auf die Rebellion, in den Metropolen wie im Trikont, wie auch auf das gestiegene Selbstbewusstsein der Öl- und Schwellenländer, reagierten die Eliten auf sehr verschiedene Weise. Vereinfacht kann gesagt werden, dass die Reaktionsmuster teils aus Integration, teils aus Repression bestanden, teils auch aus der Kombination von Beidem. Beispiel für eine fast ausschließlich integrative Lösung ist Dänemark. Anders als in Deutschland, gelangten die 68er hier nicht erst Ende der 90er Jahre an die Hebel der Staatsmacht, sondern schon in den 70ern. Dies bedeutete zwar keine Revolution, aber gründlichere und unbürokratische Reformen als in Deutschland, wobei gesagt werden muss, dass die gesellschaftlichen Widersprüche in Dänemark von Vornherein weniger ausgeprägt waren als in Westdeutschland. Sozialen Frieden durch staatliche Wohlfahrtsprogramme einzukaufen hat in Dänemark seit 1848 Tradition, und die Generation der jungen Protestler setzte sich nicht mit Nazi-Tätern in Amt und Würden auseinander, zwei Ausgangspunkte, die die ganze Sache weitaus konfliktärmer machten als die Situation in der BRD. Die Entwicklung, die Dänemark in den 70ern nahm, war die zu einem Sozialstaat, der weitaus üppigere soziale Leistungen zu bieten hatte als Deutschland bei vergleichbar weniger Bürokratie und mehr Demokratie (siehe die plebiszitären Elemente im politischen Geschäft Dänemarks). Zwei Beispiele exemplifizieren ganz gut, dass der dänische Linksliberalismus einen völlig anderen Charakter hatte als der westdeutsche Betonstaat der rot-gelben Koalition: Als Hausbesetzer ein leerstehendes riesiges Marinekasernengelände besetzten und dort die „Freie Sadt Kristiania“ ausriefen, schenkte ihnen der Staat das Gelände einfach. Es kommt auch von, dass ein Punk, der sich arbeitslos meldet, vom Sachbearbeiter auf dem Arbeitsamt so angesprochen wird: „Du bist doch Punk, hast Du da keine Lust, Punk-Musik zu machen, um Dir den Lebensunterhalt zu verdienen? Du kannst von uns ein Existenzgründungsdarlehen für die Gründung einer Band bekommen, und das Arbeitsamt vermittelt Dir einen Plattenvertrag.“ Die Revolution war gestorben, doch alle hatten sich schrecklich lieb.
In Deutschland hingegen gab es Integration und Repression im Kombipack: Bildungsoffensive, „mehr Demokratie wagen“, neue Ostpolitik, Ausbau des Sozialstaats (auf eine typisch preußisch bürokratische Art und Weise), Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen, zugleich aber auch Notstandsgestze, Berufsverbote, Antiterrorgesetze, Militarisierung der Polizei. Letztlich kamen klare materielle Vorteile für die breite Mehrheit der Bevölkerung heraus, aber aus „mehr Demokratie wagen“ wurde eher „mehr Bürokratie wagen“. In den USA schließlich bestand Nixons Gegenrevolution hauptsächlich aus Repression – Streichung der großzügigen Sozialprogramme Johnsons, COINTELPRO, das Counterinsurgency Intelligence Program, das aus einer Welle von Desinformation, Geheimdienstaktivitäten, politisch willkürlichen Verurteilungen bis hin zur vom FBI lancierten Einschleusung harter Drogen in die Ghettos der Afroamerikaner bestand und Black Power erfolgreich zerschlug. Unter dem gleichen Horizont ist auch der vom CIA herbeigeführte Putsch in Chile zu sehen. Wenn wir jetzt noch einmal die Voraussetzungen der weltweiten Revolte rekapitulieren – steigende Ansprüche bei steigendem Wohlstand, zugleich aber überaus grausame postkoloniale Kriege, Wettrüsten und die Verschränkung von Ost-West- und Nord-Süd-Konflikt, dann stellt sich die Frage, ob der Neoliberalismus, d.h. die Rezepte der Chicago Boys, nichts Anderes waren als der Versuch, die steigenden Ansprüche zu suspendieren, indem die Lebenschancen der Unterprivilegierten und der Arbeiterklasse systematisch beschränkt werden. Dies muss noch nicht einmal in denAbsichten Friedmans gelegen haben, sondern kann eine objektive Funktion der Angelegenheit sein, die sich unter den eben genannten sonstigen Zeitumständen und den strategischen Interessen der Herrschenden als historische Notwendigkeit ergibt.
So, und jetzt bitte nicht wild draufloskommentieren, ich mache hier wieder einen Cut, um keine Bleiwüste entstehen zu lassen, der dritte Teil folgt also in Kürze. Also bitte spart Euch Eure Kommentare bis zum dritten Teil, Es lässt sich auch beim Bau des Schiffsrumpfs niemand über die Segeleigenschaften einer Yacht aus.
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Donnerstag, 15. Juni 2006
Brief eines Genossen
che2001, 10:41h
Ich möchte aus einem Brief zitieren, den ich gerade erhielt:
"Ich habe schon häufig davon gesprochen, daß die Exekutoren, unsere Politiker,
des Willens jener, welche in den Schlüsselpositionen der Wirtschaft Macht
ausüben, uns auf deren Geheiß, in Zeiten zurückführen werden, die noch vor
der Zeit anzusiedeln sind, in welcher der Kanzler des Deutschen Reiches, Otto
von Bismarck, aus lauter Angst vor dem Zorn des Proletariats, Segnungen, wie
die Sozialversicherung, über selbes ergoß, um die Revolution in Deutschland
zu verhindern. Dies ist scheinbar nicht mehr notwendig, Alternativen haben
sich mit dem Scheitern des Kommunismus in Osteuropa erledigt, eine Analyse
desselben ist eher störend und nun frönt man der Restauration, wie einst der
Metternich auf dem Wiener Kongress, als der Code Zivil der Französischen
Revolution, als etwas für die dummen Menschen schädliches deklariert wurde
und Menschen deshalb als anständig eingestuft wurden, weil sie die
"natürliche von Gott gegebene Ordnung" nicht in Frage stellten.
1848/1849 gab es noch eine Revolution, weil die Fabrikbesitzer der Ansicht
waren, daß der Adel gar kein Recht hatte das Bürgertum in der Ausübung seiner
Geschäfte zu stören. Nun, da brauchte man auch das Proletariat. Aber nur für
den Kampf gegen die Monarchie. Später arrangierte das Bürgertum sich mit dem
Adel und eine Art Restauration feierte fröhliche Urständ. Speziell in
Deutschland, in Frankreich behielt man bis zur Etablierung des Kaisers
Napoleon III die Republik bei. Nutzte dem Proletariat aber auch nichts. Im
Sommer 1849 protestierte es gegen die Erhöhung der Brotpreise und ein paar
andere Nickeligkeiten. Dann kam, von der bürgerlichen Regierung
herbeigerufen, die gleiche Armee, gegen die vornehmlich die Arbeiter auf den
Barrikaden des Jahres 1848 gekämpft hatte, um die Arbeiter im Auftrag der
bürgerlichen Regierung mit Kartätschenfeuer davon zu überzeugen, daß ihr
Protest ungerechtfertigt ist, es gelang.
Na ja, seid den erfolgreichen Protesten der Franzosen gegen den CPE, der
gesetzlichen Regelung, welche Firmen erlauben sollte, junge Menschen 2 Jahre
auf Probe einzustellen, so ähnlich hätte man es hier in Deutschland auch
gerne, sehnt sich einige Widerständler nach französischen Verhältnissen. Nun,
bitte sehr, bekommen wir doch, wie im 49Jahr im 19. Jahrhundert.
Tja, Bismarck wird auch abgeschafft, wer jetzt Assoziationen zu diversen
Sicherheitspacketen, zum Schutz der Bevölkerung, natürlich, zieht, dem wird
sicherlich jovial, hm, vielleicht auch anders, mitgeteilt das er fehlgeleitet
ist, von linker Demagogie, zum Beispiel. Anderseits, wenn die
Wirtschaftsmagnaten, in der Regel konservativ, nicht mal mehr ihren Bismarck
hochhalten, muß man doch mit dem Schlimmsten rechnen.
Mal sehen, was als nächstes kippen soll, ich hätte ein Vorschlag, vielleicht
sollte man Amerika analysieren, also noch konsequenter als es bisher getan
wird. Der Herr Koch, seines Zeichens Ministerpräsident des Bundeslandes
Hessen, ist ja sehr rührig Vorschläge zu konzepieren, die etwas mir der
sozialen Struktur der USA zu tun haben. Es gäbe da noch das Vorbild der
Konföderierten Staaten von Amerika, ja, die Bevölkerung hier ist weiss, also
überlegen, aber letztendlich muß man doch nicht so pingelig sein. Errichten
wir ein Sklavensystem und die Kosten für Arbeit verringern sich drastisch und
Unfälle während der Arbeit sind die Folge der Dummheit der Sklaven und von
denen gibt es genug.
Die Demokratie ließe sich auch aufrecht erhalten, ist dann wie im antiken
Griechenland Sache der Oberschicht, also der richtigen Menschen."
"Ich habe schon häufig davon gesprochen, daß die Exekutoren, unsere Politiker,
des Willens jener, welche in den Schlüsselpositionen der Wirtschaft Macht
ausüben, uns auf deren Geheiß, in Zeiten zurückführen werden, die noch vor
der Zeit anzusiedeln sind, in welcher der Kanzler des Deutschen Reiches, Otto
von Bismarck, aus lauter Angst vor dem Zorn des Proletariats, Segnungen, wie
die Sozialversicherung, über selbes ergoß, um die Revolution in Deutschland
zu verhindern. Dies ist scheinbar nicht mehr notwendig, Alternativen haben
sich mit dem Scheitern des Kommunismus in Osteuropa erledigt, eine Analyse
desselben ist eher störend und nun frönt man der Restauration, wie einst der
Metternich auf dem Wiener Kongress, als der Code Zivil der Französischen
Revolution, als etwas für die dummen Menschen schädliches deklariert wurde
und Menschen deshalb als anständig eingestuft wurden, weil sie die
"natürliche von Gott gegebene Ordnung" nicht in Frage stellten.
1848/1849 gab es noch eine Revolution, weil die Fabrikbesitzer der Ansicht
waren, daß der Adel gar kein Recht hatte das Bürgertum in der Ausübung seiner
Geschäfte zu stören. Nun, da brauchte man auch das Proletariat. Aber nur für
den Kampf gegen die Monarchie. Später arrangierte das Bürgertum sich mit dem
Adel und eine Art Restauration feierte fröhliche Urständ. Speziell in
Deutschland, in Frankreich behielt man bis zur Etablierung des Kaisers
Napoleon III die Republik bei. Nutzte dem Proletariat aber auch nichts. Im
Sommer 1849 protestierte es gegen die Erhöhung der Brotpreise und ein paar
andere Nickeligkeiten. Dann kam, von der bürgerlichen Regierung
herbeigerufen, die gleiche Armee, gegen die vornehmlich die Arbeiter auf den
Barrikaden des Jahres 1848 gekämpft hatte, um die Arbeiter im Auftrag der
bürgerlichen Regierung mit Kartätschenfeuer davon zu überzeugen, daß ihr
Protest ungerechtfertigt ist, es gelang.
Na ja, seid den erfolgreichen Protesten der Franzosen gegen den CPE, der
gesetzlichen Regelung, welche Firmen erlauben sollte, junge Menschen 2 Jahre
auf Probe einzustellen, so ähnlich hätte man es hier in Deutschland auch
gerne, sehnt sich einige Widerständler nach französischen Verhältnissen. Nun,
bitte sehr, bekommen wir doch, wie im 49Jahr im 19. Jahrhundert.
Tja, Bismarck wird auch abgeschafft, wer jetzt Assoziationen zu diversen
Sicherheitspacketen, zum Schutz der Bevölkerung, natürlich, zieht, dem wird
sicherlich jovial, hm, vielleicht auch anders, mitgeteilt das er fehlgeleitet
ist, von linker Demagogie, zum Beispiel. Anderseits, wenn die
Wirtschaftsmagnaten, in der Regel konservativ, nicht mal mehr ihren Bismarck
hochhalten, muß man doch mit dem Schlimmsten rechnen.
Mal sehen, was als nächstes kippen soll, ich hätte ein Vorschlag, vielleicht
sollte man Amerika analysieren, also noch konsequenter als es bisher getan
wird. Der Herr Koch, seines Zeichens Ministerpräsident des Bundeslandes
Hessen, ist ja sehr rührig Vorschläge zu konzepieren, die etwas mir der
sozialen Struktur der USA zu tun haben. Es gäbe da noch das Vorbild der
Konföderierten Staaten von Amerika, ja, die Bevölkerung hier ist weiss, also
überlegen, aber letztendlich muß man doch nicht so pingelig sein. Errichten
wir ein Sklavensystem und die Kosten für Arbeit verringern sich drastisch und
Unfälle während der Arbeit sind die Folge der Dummheit der Sklaven und von
denen gibt es genug.
Die Demokratie ließe sich auch aufrecht erhalten, ist dann wie im antiken
Griechenland Sache der Oberschicht, also der richtigen Menschen."
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