Freitag, 2. Januar 2009
Unmelodische Radau-Musik
Weihnachtsgespräche bringen echt seltsame Erkenntnisse. Die Generation 80+ hat wirklich andere Maßstäbe. Mit obenstehendem Begriff meinte mein Vater nicht etwa Punk oder Metal, sondern Celine Dion.

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Was heißt denn hier eigentlich autonom?
Ich glaube, hier scheint seit langer Zeit ein Klärungsbedarf zu bestehen, dem ich an dieser Stelle einmal nachkommen möchte.

Lieschen Müller, Klein Bruno und Georg August von Volksmund verstehen unter Autonomen normalerweise die schwarzvermummte ehrenamtliche Auftragsvergabe der Glaserinnung. Auch im engeren Umfeld bekam ich mit meiner Selbstverortung als Alt-Autonomer schon Schwierigkeiten, etwa, wenn ein Freund meinte, er hätte Probleme mit meinem Verhältnis zur Gewalt, obwohl wir uns darüber so richtig grundsätzlich überhaupt noch nie unterhalten hatten, er also gar nicht wissen konnte, was genau für ein Verhältnis zu Gewalt ich eigentlich habe. Bis weit ins linksliberale Lager hinein, für die meisten Leute sind Autonome einfach gewaltbereite Linke. Das ist insofern auch folgerichtig, als dass die meisten Straftaten im Zusammenhang mit linken Demos etwas mit Autonomen zu tun haben, sowohl im Sinne tatsächlicher Täterschaft als auch im Sinne von Kriminalisiert Werden. Dennoch lassen sich autonome Inhalte und autonome Politik nicht auf die Militanz reduzieren, abgesehen davon, dass Militanz und Gewalt auch nicht miteinander identisch sind. Wenn ich von autonomer Politik, autonomem Selbstverständnis und autonomer Theorie spreche, meine ich etwas Anderes als Schwarze Blöcke und Antifagruppen, auch wenn es da inhaltliche und personelle Überschneidungen gibt. Autonom in dem Sinne, wie ich den Begriff verwende meint in erster Linie den Operaismus, eine Auffassung von Klassenkampf, die nicht an Parteien oder Gewerkschaften, sondern der ganz unmittelbaren subjektiven Alltagserfahrung ansetzt. Operaistische Theoriebildung verbindet marx´sche Analyse mit teilweise anarchistischen Ansätzen, poststrukturalistischen Positionen und solchen der Kritischen Theorie und ist darüber hinaus auch für den Diskurs der Geschichtswissenschaft von Bedeutung (Alltagsgeschichte, Geschichte von unten, Mikro- und Makrohistorie).

http://deu.anarchopedia.org/Operaismus

Projekte, die in diesem Sinne autonome Theorie betrieben haben oder betreiben sind die Schriftenreihen Autonomie Neue Folge. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft, E.Colibri, Materialien für einen neuen Antiimperialismus, Wildcat und Wildcat-Zirkular. Nun haben sicherlich die Durchschnittsautonomen weder das politische Selbstverständnis, das in diesen Schriften zum ausdruck kommt, noch überhaupt diese jemals gelesen, sind also nicht gemeint, wenn ich die Begrifflichkeit in diesem engen Sinne fasse. Dafür waren wir hinsichtlich der Selbstbezeichnung Autonome aber sozusagen auch das Original, dass andere Linke mit anderen Inhalten diese Bezeichnung für sich in Anspruch nehmen schafft eher Verwirrung. In den 1990ern bürgerte sich daher für im engen Sinne des ursprünglichen Begriffs autonom orientierte der Begriff Sozialrevolutionäre oder kurz Sozrevs ein, der inzwischen auch schon wieder vergessen sein dürfte. Zum anderen verwende ich den Begriff autonome Szene in einem viel weiteren Sinne, da er ein lebensweltliches Millieu umfasst, zu dem eigentlich die ganze nicht partei- oder gewerkschaftsförmige Linke dazugehört, einschließlich eines Großteils der Fanszene des FC St.Pauli oder diverser Fanprojekte in Niedersachsen und Bremen. Die autonome Szene reicht dann in diesem Sinne von Gruppen wie der Gewaltfreien Aktion/Graswurzelrevolution, Basisinitiativen im Umfeld von Organisationen wie Robin Wood oder Pro Asyl bis zur Antifa. Was nun die konkrete politische Praxis angeht, so ist es denunziatorisch, diese über ein bestimmtes Verhältnis zur Gewalt zu definieren. Ich bin in den 1980er und 90er Jahren oft im Schwarzen Block mitgelaufen, wie ich auch schon zwischen diesem und der Staatsmacht "Keine Gewalt!" rufend auf dem Straßenbelag gesessen habe, habe in vielen Fällen Gewalt als Gegenwehr gegen prügelnde Polizeibeamte oder Neonazis erlebt, eher als eine Form vorher kalkulierter kollektiver Notwehr oder Nothilfe denn als eine eigentlich aggressive Gewalt, und etwa da verläuft für mich auch die Grenze des Legitimierbaren. Solche hirnrissigen Aktionen wie den Kreuzberger Ersten Mai oder die Steinwolke von Rostock halte ich jedebnfalls in keinster Weise für unterstützenswert, und auch die großen Antifa-Bündnisdemos, die unsereins früher so organisiert hat waren keine Veranstaltungen, von denen unmittelbar physisch Gewalt ausging, vom Aufbau einer Drohkulisse gegenüber den Nazis einmal abgesehen. Das, was wir politisch früher so getrieben haben (und von mir auf einer ganz anderen Ebene, eher in Form punktueller ganz legaler Interventionen bei Medien oder Behörden fortgesetzt wird) war zum großen Teil nichts Anderes, als das, was ai, die Caritas, die Diakonischen Werke, Greenpeace und die DGB-Jugend zusammengenommen auch machen, nur mit einem ganz anderen Selbstverständnis und der Bereitschaft, sich gegen Gewalt auch körperlich zur Wehr zu setzen. Eine grundsätzliche Sache spielt dabei allerdings schon eine Rolle: Das Unkontrollierbar sein wollen hinsichtlich staatlicher Repression. Ich habe es Anfang der 1980er erlebt, wie sich Teile der Friedensbewegung, von Pax Christi bis hin zu grünen PolitikerInnen wie Petra Kelly und Gert Bastian nicht zu schade waren, dazu aufzufordern, die Militanten zu isolieren und sie der Polizei auszuliefern. Ich war zum damaligen Zeitpunkt ein überzeugt gewaltfreier Ökopazifist, aber dieses Denunziantentum brachte mich ab vom Lager der ideologisch überzeugt Gewaltfreien und erstmals in Dialog mit Autonomen. Und die, die ich kennenlernte, waren keine hirnlosen Steineschmeißer und auch keineswegs alle persönlich gewaltbereit, sondern vertraten den Standpunkt, dass in Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht ein breites Spektrum an Möglichkeiten offen stehen sollte, oder wie Robert Jungk es später ausdrückte "Egal ob friedlich oder militant, Hauptsache Widerstand!". Ich habe diese Auffassung im Wesentlichen als libertären Pluralismus erlebt. Und daher sind von mir keine Aufrufe zu Gewalt zu erwarten, aber eben auch nicht öffentliche Distanzierungen, da ich diese Spaltungsteile aus grundsätzlichen Erwägungen nicht mitmache.

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Gewesene Linke: Antiimps zum Zweiten
Ich finde nicht, dass die beiden Bände "Feuer und Flamme" des unter dem Pseudonym Geronimo schreibenden Autors besonders gute Bücher zur Geschichte der Autonomen sind. Der Autor blendet sehr zentrale und wichtige Bereiche autonomer Debatten komplett aus, wie Sexismus, Genderdiskussion und Kurdistan-Solidarität, und die flapsige Art, wie er dies begründet, lässt gewisse Zweifel an der intellektuellen oder auch politischen Redlichkeit aufkommen. Ich fand ihn auch nicht sonderlich sympathisch, als ich ihn einmal kennenlernte. Dennoch, wo er Recht hat hat er Recht, und diese Passagen hier machen hoffentlich ganz deutlich, warum ich sooooo einen Hals bekomme, wenn mal wieder Linke 25< irgendwelche Feld-Wald-Wiesen-Antiimperialisten oder Globalisierungsgegner mit der Kurzform "Antiimps" bezeichnen oder gar mein Umfeld da einsortieren.

Besonders hervorheben möchte ich diese Passagen hier:

"Im Mai 1982 wurde erstmals wieder von der RAF, nach über einem halben Jahrzehnt eine längere programmatische Schrift unter dem Titel »Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front in Westeuropa« verfaßt. Der Inhalt des in einem grauenhaften Sprachduktus verfaßten Papiers proklamierte, im Sinne eines affirmativ auf die Politik und Rolle der Sowjetunion bezogenen »proletarischen Internationalismus«, eine gemeinsame »Front« mit Teilen der radikal in den Bewegungen kämpfenden Militanten, in der die in der Illegalität lebenden RAF-Kommandos, verstanden als »Guerilla«, die politische Führung ausüben sollten.
Dieses Front-Papier übte in den 80er Jahren einen starken Einfluß auf die Diskussionen der Antiimperialisten, kurz: Antiimps, aus. Unter Antiimps ist innerhalb der 80er-Jahre-Szene der Linksradikalen ein politische Formation zu verstehen, die sich in ihrer politischen Praxis wesentlich auf die von der RAF verfolgte Politik bezog. Die Antiimps begriffen sich, ähnlich wie viele Autonome, als Teil einer revolutionären Bewegung. Von den Antiimps wurde eine intensive Öffentlichkeits-, Unterstützungs- und Soliarbeit für die gefangenen RAF-GenossInnen organisiert. Darüber hinaus waren antiimperialistische Gruppierungen immer wieder bei Mobilisierungen von Autonomen präsent, so z.B. in den Vorbereitungen und Aktionen gegen den Reagan-Besuch in West-Berlin im Sommer '82, bei der Krefeld-Demo im Sommer '83 oder bei der Durchsetzung der Hafenstraße in der zweiten Hälfte der 80er Jahre.
Seit dem Front-Papier gab es bei den Antiimps auch verstärkte Bemühungen, mit autonomen Gruppen zu einer engeren Zusammenarbeit zu kommen. Auch wenn es bei der Unterstützung der Forderungen der RAF-Gefangenen in ihren Hungerstreiks um die Jahreswende 1984/85 zu gemeinsamen »Hungerstreikplena« kam, so waren doch die politischen Gegensätze zu dem Politikverständnis der Autonomen unüberbrückbar groß. Kurz nach der ergebnislosen Beendigung des Hungerstreiks, bei dem die RAF die Mobilisierung auch aufgrund der Erschießung zweier Rüstungsmanager in der BRD und Frankreich als einen »qualitativen Sprung der Guerilla in die westeuropäische Dimension« bewertet haben wollte, zerfielen dann auch die Plena.
Als ein RAF-Kommando im Sommer '85 zur Durchführung eines Sprengstoffanschlages auf die US-Air Base auf dem Frankfurter Flughafen einen beliebig herausgesuchten und untergeordneten GI-Soldaten hinrichtete, wurde diese Aktion von weiten Teilen der Autonomen heftig abgelehnt und als »konterrevolutionär« verurteilt. Antiimps aus Wiesbaden hingegen wußten diese Position von Autonomen mit der brillianten Entgegnung, daß es sich dabei um einen »bankrotten moralisch-bürgerlichen Humanismus« handele, den es zu überwinden gelte, zu denunzieren. Die Widersprüche der Autonomen zu der politischen Strategie und der Praxis der RAF sowie den Antiimps spitzten sich schließlich im Januar 1986 auf einem in Frankfurt mit 1.000 TeilnehmerInnen durchgeführten Kongreß unter dem Titel »Antiimperialistischer und Antikapitalistischer Widerstand in Westeuropa« in zum Teil handgreifliche Auseinandersetzungen zu....Von antiimperialistischen Zusammenhängen wurde irgendwann in der Mitte der 80er Jahre, angelehnt an das Mai-Papier, die Parole: »Front entsteht als kämpfende Bewegung ­ Einheit im Kampf um Zusammenlegung« entwickelt. Diese Parole versuchte, einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen einer antiimperialistischen Befreiungspolitik, den Widerstand in den Metropolen und der Situation der antiimperialistischen Gefangenen in den Knästen herzustellen. Bereits in der Zuspitzung von »Bewegung« auf die »Front« schimmerte immer auch ein militaristisch reduziertes Verständnis von Politik auf. In dem von den Antiimps gewählten statischen politischen Koordinatenkreuz, in der die Politik der Sowjetunion als Bündnispartner im Kampf gegen den Hauptfeind US-Imperialismus angesehen wurde, war dieses Verständnis auch mehr als folgerichtig. In diesem Kontext war es Antiimps gegenüber Autonomen mehr als einmal problemlos möglich, die mörderischen Haftbedingung von RAF-Gefangenen im Sinne des von ihnen vertretenen sowohl militaristischen als auch marxistisch-leninistischen Politikverständnisses zu instrumentalisieren....Trotz allem blieb das Verhältnis der Autonomen zur RAF in den 80er Jahren in einer widersprüchlichen Art und Weise von einer stark moralisch geprägten Zustimmung zu der Zusammenlegungsforderung der RAF-Gefangenen bis hin zu einer entschiedenen Ablehnung des gesamten RAF-Guerilla-Konzeptes gekennzeichnet."

http://www.idverlag.com/BuchTexte/FeuerUndFlamme/FF4.html

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