Freitag, 4. November 2011
Schwesterherz
Meine Lieblingsschwester, seit 14 Jahren Single, unglückliche Mutter und bis vor kurzem der Meinung, kein Kerl käme ihr je wieder zu nahe, ist erfolgreich verliebt! Herzlichen Glückwunsch, was freue ich mich für sie!

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So geht´s auch! Mete Tuncer ist frei und Solidarität eine Waffe!
Die einwöchige Mobilisierung hat ihre Früchte getragen: Mete Tuncer wurde aus der Haft entlassen, wenn auch sein Auslieferungsprozess weiterhin fortgesetzt wird.
Mete Tuncer wurde auf Grund eines Auslieferungsantrages der Türkei am 25. Oktober 2011 in Recklinghausen verhaftet.

Mete Tuncer war im Rahmen des TIKB-Verfahrens (Bund revolutionärer Kommunisten der Türkei) bereits 11 Jahre lang im Gefängnis und kam im März 2009 frei, da sein Verfahren über 10 Jahre andauerte und er noch nicht rechtskräftig Verurteilt war. Im Mai 2010 wurde er von der türkischen Justiz zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Anschließend floh er im September 2010 nach Deutschland und beantrage politisches Asyl. Sein Asylprozess ist noch nicht abgeschlossen.

Nach seiner Inhaftierung wurde die „Freiheit für Mete Tuncer, Freiheit für alle politischen Gefangenen!“ Kampagne gestartet. Gemeinsam mit diesem Fall wurde gegen die Repressalien aufgerufen, die politische Asylbewerber der letzten Jahre erleiden mussten. Parteien und Abgeordnete, Juristen und Journalisten, Menschenrechtsbewegungen und Revolutionäre haben gemeinsam für die Freilassung Mete Tuncers mobilisiert.

Auch Mete Tuncer hat gegen diesen Angriff und diese Ungerechtigkeit protestiert, in dem er trotz seiner Diabetes-Erkrankung von dem ersten Tag seiner Inhaftierung an in einen Hungerstreik getreten ist.

Alle Anstrengungen und Bemühungen haben an diesem 2. November 2011 ihre Früchte getragen: Mete Tuncer wurde Freigelassen.

Wir danken allen Genossinnen und Genossen und unseren Freunden für die tatkräftige Unterstützung in diesem Fall. Wir danken all jenen, die mit ihrer Unterschrift ihre Stimme gegen diese Ungerechtigkeit erhoben haben und wir danken allen, die mit uns vor der JVA in Bochum Schulter an Schulter protestiert haben.

Dies ist unser gemeinsamer Sieg!

http://www.metetuncer.tk/

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Gazale Salame – die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie
Gazale Salame – die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie

Darf einem libanesischen Flüchtling, der im Vorschulalter mit seinen Eltern nach Deutschland floh und seit 26 Jahren in Deutschland lebt, unter Hinweis auf angebliche türkische Vorfahren ein Aufenthaltsrecht verweigert werden? Darf seiner ihm nach islamischem Ritus angetrauten Ehefrau, die im Jahr 2005 - nach siebzehnjährigem Aufenthalt in Deutschland - von ihrem Mann und ihren älteren Kindern getrennt und trotz einer bestehenden Schwangerschaft mit der einjährigen Tochter abgeschoben wurde, auch noch sieben Jahre später die Rückkehr zu ihrer Familie verweigert werden? Der Fall der Familie Siala / Salame aus Schellerten bei Hildesheim bietet einen tiefen Einblick in die Abgründe deutscher Ausländerpolitik. Die Geschichte handelt von dem Leid einer Flüchtlingsfamilie und von einem sozialdemokratischen Landrat, der auszuloten versucht, wie viel Unmenschlichkeit unser Rechtssystem zuzulassen bereit ist.

Die Familien Salame und Siala gehören der Minderheit der Mhallami an. Viele Angehörige dieser ursprünglich aus der Türkei stammenden arabischen Minderheit flohen ab 1920 vor der agressiven Türkisierungspolitik unter Atatürk in den Libanon, wo sie (fälschlich) als Kurden betrachtet, aber geduldet wurden und sich niederließen.
Im Zuge der Eskalation des libanesischen Bürgerkriegs suchten in den 1980er Jahren viele Mhallami - Familien erneut ihr Heil in der Flucht: Manche kehrten in die Türkei zurück, andere flohen nach Syrien. Einige Familien, die es im Libanon zu Ansehen und Besitz gebracht hatten, kämpften um eine Perspektive im Libanon. Wieder andere flohen nach Europa.
Die Familien Salame und Siala versuchten Mitte der 80er Jahre, der „Hölle von Beirut“ zu entkommen. Während Familie Siala bereits 1985 eine damals bestehende Lücke im europäischen Flüchtlingsabwehrsystem nutzte und per Direktflug aus Beirut nach Berlin floh, begab sich die Familie Salame 1987/88 auf den weitaus mühseligeren Fluchtweg über die Türkei nach Deutschland. Als „staatenlose Kurden“ erhielten beide Familien hier im Rahmen der niedersächsischen Bleiberechtsregelung von 1990 ein Aufenthaltsrecht.

Gazale Salame und Ahmed Siala waren zum Zeitpunkt ihrer Flucht sechs bzw. sieben Jahren alt. Sie absolvierten in Deutschland die Schule, lernten sich kennen und lieben und gründeten eine Familie. Wahrscheinlich wären sie längst eingebürgert, wenn der Landkreis Hildesheim ihnen – wie andere Ausländerbehörden in vergleichbaren Fällen – ihr Aufenthaltsrecht weiter verlängert hätte. Der Landkreis Hildesheim jedoch witterte Betrug: In aufwendigen Recherchen suchte die Ausländerbehörde nach Belegen dafür, dass die Vorfahren der Familien Siala und Salame aus der Türkei stammen könnten – und wurde fündig: Auszüge aus dem türkischen Personenstandsregister belegten nach Auffassung des Landkreises, dass die Väter bzw. Großväter von Ahmed und Gazale in der Türkei registriert seien und daher (auch) die türkische Staatsangehörigkeit besäßen. Daraufhin verweigerte der Landkreis Hildesheim im Jahr 2000 bzw. 2001 – ein ganzes Jahrzehnt nach der erstmaligen Erteilung eines Bleiberechts – die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und drohte beiden Bürgerkriegsflüchtlingen samt ihren Kindern die Abschiebung an. Die Familie wurde fortan nur noch „geduldet“.
Die Eltern der beiden seien, so der Landkreis zur Begründung, in der Türkei registriert. Als Kinder eines türkischen Vaters seien sie dem Staatsangehörigkeitsrecht der Türkei zufolge ebenfalls als türkische Staatsangehörige anzusehen und hätten daher ein Bleiberecht im Jahr 1990 zu Unrecht erhalten, denn dieses habe nur für libanesische und staatenlose Flüchtlinge gegolten. Das Argument, die beiden seien als unschuldige Kinder nach Deutschland gekommen und könnten doch nicht für ein etwaiges Fehlverhalten ihrer Eltern haftbar gemacht werden, ließ die Behörde nicht gelten, ebenso wenig den Hinweis, dass die Familie Siala im Jahr 1994 – neun Jahre nach ihrer Flucht aus dem Libanon also – auf ihren Antrag aus dem Jahr 1953 hin im Libanon eingebürgert wurde: Entscheidend sei nicht die aktuelle Staatsangehörigkeit, so der Landkreis, sondern die Staatsangehörigkeit im Jahr 1990.

Am 10. Februar 2005 ließ die Ausländerbehörde die zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alte Gazale Salame in die Türkei abschieben. Die Polizei überraschte die schwangere Frau in ihrer Wohnung, während ihr Ehemann gerade die Töchter Nura und Amina (7 und 8) zur Schule brachte. Gazale habe bei ihrer Einreise nach Deutschland im Jahr 1988 über ihre Identität getäuscht und ihre türkische Staatsangehörigkeit verschleiert, so der Landkreis in einer Presseerklärung. Allein mit der kleinen Tochter Schams (1) konnte Gazale nichts gegen die Abschiebung ausrichten. Am Abend lag sie bereits bei der Istanbuler Flughafen-Polizei auf dem nackten Betonfussboden, ohne ihren Mann und die beiden Töchter noch einmal gesehen zu haben. Gazale kam zunächst bei entfernten Bekannten der Eltern in Izmir unter. Unter erbärmlichen Umständen brachte sie am 31. August 2005 ihren Sohn Gazi zur Welt.

In Gazales Heimat Hildesheim wurde die Botschaft ihrer Deportation mit Erschrecken aufgenommen. Das Auseinanderreißen einer jungen Familie, die Situation des Vaters und der Töchter, die nach Hause kamen und das Verschwinden der Mutter und der kleinen Schwester feststellen mussten, rief spontanes Mitgefühl vieler Menschen und Empörung über die Ausländerbehörde hervor. Dieselbe gab sich allerdings vollkommen ungerührt. Die Abschiebung der jungen Frau sei vollkommen rechtmäßig gewesen, hieß es. Protesten und Demonstrationen begegnete die Behörde mit kaltschnäuziger Ignoranz. Auch die Trennung der Familie sei rechtmäßig gewesen, so der Landkreis. Vater Ahmed Siala und die verbliebenen Töchter müssten ebenfalls bald das Land verlassen. Offensichtlich spekulierte die Ausländerbehörde darauf, dass die Abschiebung Gazales ihren Ehemann zu einer „freiwilligen Ausreise“ in die Türkei bewegen würde. Dessen Verfahren war nämlich beim Verwaltungsgericht Hannover noch anhängig.

In vielen anderen Fällen wäre der Plan des Landkreises wahrscheinlich aufgegangen, und der Ehemann wäre seiner Frau in das ihm fremde Land gefolgt, dessen Sprache er nie gelernt hat. Aber Ahmed, der in Deutschland mit großen Begriffen wie Demokratie und Rechtsstaat aufgewachsen ist, entschloss sich, nicht klein beizugeben und für seine Rechte und die seiner Familie zu kämpfen – natürlich in der Hoffnung, vor Gericht Recht zu bekommen und eine Rückkehr von Gazale bald auf juristischem Weg zu erreichen.

Am 21. Juni 2006 entschied das Verwaltungsgericht Hannover zu seinen Gunsten: „Das ist sehr dünn“, urteilte der Vorsitzende Richter über die vom Landkreis angegebenen Gründe für den Entzug der Aufenthaltserlaubnis. Zur Herkunft der Familie führte das Verwaltungsgericht in bemerkenswerter Klarheit aus, dass aufgrund der vorliegenden Dokumente von einem jahrzehntelangen Aufenthalt der Familie im Libanon auszugehen sei. Auch sei die Aussage des vaters plausibel, dass er im Libanon geboren sei. „Daraus, dass die Nationalität der Eltern des Klägers in deren libanesischen Reiseausweisen mit „a l’étude“ eingetragen worden ist und diese Reiseausweise zur Rückkehr in den Libanon berechtigten, kann geschlossen werden, dass die Großeltern des Klägers sich und ihre Kinder im Anschluss an die Aufforderung bei der Volkszählung der Jahre 1951/1952 in die in den Jahren 1952/1953 angelegten Spezialregister für Staatsangehörigkeitsbewerber bei der Generaldirektion der Sicherheit (Sûreté Générale) in Beirut haben eintragen lassen ...“

Die Hildesheimer Landrätin Ingrid Baule kündigte nach Prüfung der Entscheidung an, eine möglichst schnelle und unkomplizierte Rückkehr seiner Frau und seiner beiden Kinder zu ermöglichen. Sie schrieb persönliche Briefe an den Innenminister und bat ihn dringend, eine Familienzusammenführung zuzulassen. Doch die Landrätin und die erleichterten Unterstützer hatten die Rechnung ohne den Wirt, Innenminister Schünemann, gemacht. Der wies den Landkreis kurzerhand an, gegen das Urteil Berufung zu beantragen, da es sich um einen „Präzedenzfall“ handele. Gegen daraufhin öffentlich laut werdende Vorwürfe setzte er sich in der lokalen Presse mit den Worten zur Wehr, er sei weder „eiskalt“ noch „erbarmungslos“, aber er müsse „eine rechtsstaatliche Lösung umsetzen“.

Zunächst sah freilich alles danach aus, als würde die Familie schnell zu ihrem Recht kommen: Nachdem Gazales Anwältin deren kurzfristige Wiedereinreise beim Verwaltungsgericht Hannover beantragt hatte, schlug der Richter am Verwaltungsgericht der Ausländerbehörde am 09. November 2006 vor, die Rückkehr aus verfassungsrechtlichen Gründen zu ermöglichen und Frau Salame sowie ihren Kindern eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG zu erteilen. Dies war nach der Rechtsauffassung des Gerichts verfassungsrechtlich geboten, da der inzwischen 15 Monate alte, in der Türkei geborene gemeinsame Sohn Gazi seinen Vater Ahmed Siala noch nie gesehen hatte. Diese Zeitspanne der Trennung sei, so das Verwaltungsgericht, nicht mehr mit Art. 6 GG (Schutz der Familie) vereinbar, da eine bisher nicht vorhandene Vater-Sohn-Beziehung die Entwicklung des Kindes nachhaltig stören könne.

Diesem richterlichen Hinweis hätte der neue Landrat Reiner Wegner, der noch im Wahlkampf öffentlich versprochen hatte, zugunsten der Familie „politisch Druck zu machen und mal energisch mit dem Innenminister zu verhandeln“, schlicht folgen und damit eine schnelle Deeskalation herbeiführen können. Stattdessen bat er den Innenminister um eine Stellungnahme, die erwartungsgemäß negativ ausfiel: Die Erteilung eines Aufenthaltsrechts an Gazale oder ihre Kinder komme „nicht in Betracht“, so das Land. Verfassungsrechtliche Bedenken des Richters bezüglich der Familientrennung würden nicht geteilt. Ahmed Siala habe „jederzeit die uneingeschränkte Möglichkeit“, die Beziehung zu seinen Kindern in der Türkei aufzunehmen. Er sei somit „selbst für die Familientrennung verantwortlich“, so der Innenminister. Der Landkreis schloss sich der Stellungnahme des Innenministers an und erklärte sich bereit, Ahmed Siala „bei der Beschaffung der notwendigen Ausreisepapiere zu unterstützen“.

Daraufhin verpflichtete das Verwaltungsgericht Hannover am 30. November 2006 den Landkreis Hildesheim, Gazale mit ihren Kindern die Einreise zu ermöglichen und ihr eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Da das Verfahren von Ahmed Siala sich weiter in die Länge ziehen könne, sei eine Trennung das Familie nach Auffassung des Gerichts nicht mehr vertretbar. Gazale Salame und die Kinder sollten daher, so das Gericht, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, bis das Verfahren von Ahmed Siala abgeschlossen und entschieden sei, ob ihm ein Aufenthaltsrecht zustehe.

Auch gegen diese Entscheidung erhob der Landkreis Hildesheim nach Rücksprache mit dem Innenministeriums Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht – und hatte damit Erfolg: Im Dezember 2006 hob das niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wieder auf und urteilte, dass Gazale nur im Rahmen der originären Visumsverfahrens – über einen Antrag an die deutsche Botschaft – nach Deutschland zurückkehren könnte. Ein Familiennachzug sei jedoch nur möglich, wenn ihr Mann Ahmed ein gesichertes Aufenthaltsrecht besitze. Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht ohne jede Begründung nicht zur Entscheidung angenommen.

Am 27. September 2007 ereilte die Familie die nächste juristische Niederlage: Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hob die Entscheidung der Verwaltungsgerichts auf und erklärte die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis an Ahmed Siala mit der Begründung für rechtmäßig, Ahmed habe türkische Vorfahren und dies auch gewusst. Insofern habe er über seine Herkunft „getäuscht“ bzw. müsste das entsprechende Handeln seiner Eltern sich zurechnen lassen. Den Beweisantrag der Rechtsanwältin auf Feststellung, dass libanesische Dokumente den tatsächlichen, jahrzehntelangen Aufenthalt der Familie seit 1952 im Libanon belegten, lehnte der Vorsitzende Richter mit dem Hinweis ab, die Echtheit dieser Dokumente könne unterstellt werden. Auch ein Bleiberecht käme nicht in Frage, weil Ahmed im Jahr 2004 wegen Schlachtens ohne Hinzuziehung eines Veterinärs zu einer Strafe von 100 Tagessätzen verurteilt wurde. Mit einer perfiden, fast bösartigen Zirkelschlusslogik hielt das Gericht ihm ein fragwürdiges Verhältnis zum Rechtsstaat vor, weil er sich starrsinnig weigere zu akzeptieren, dass er Türke sei. Gegen diese verheerende Entscheidung legte die Anwältin Silke Schäfer Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht fand am 27.01.2009 statt. In der mündlichen Verhandlung drängte Gerichtspräsidentin Frau Eckertz-Höfer darauf, Ahmed Siala nach den eindeutigen Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die erstrebte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, um weitere jahrelange Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. “Der Fall schreit geradezu nach einer Lösung im Wege des Vergleichs”, so die oberste Verwaltungsrichterin. Wer seit 24 Jahren im Bundesgebiet lebe und sein Herkunftsland gar nicht kenne, habe ein nachvollziehbares Interesse daran, im Lande zu bleiben.

Als Revisionsinstanz befasste sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit der Feststellung der Sachlage, sondern nur noch mit ihrer juristischen Bewertung. Die vom Oberverwaltungsgericht festgestellte „Täuschung“ über eine angebliche türkische Staatsangehörigkeit wurde vom Bundesverwaltungsgericht insofern als Faktum unterstellt, dürfe jedoch, so das BverwG, nicht herangezogen werden, um dem Sohn die Aufenthaltserlaubnis ohne eine Prüfung und Bewertung der Verwurzelung in Deutschland und der Bindungen an das angebliche Herkunftsland zu verweigern. Es könne und dürfe nicht sein, dass eine gut integrierte Person durch alle Maschen des humanitären Aufenthaltsrechts falle. Im Hinblick auf die bislang versäumte konkrete Bewertung der Integrationsleistungen von Ahmed Siala wies das Bundesverwaltungsgericht den Fall wieder an das Oberverwaltungsgericht zurück.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hinterließ bei Ahmed und Gazale wie auch bei den UnterstützerInnen eine gewisse Ratlosigkeit: Sollte man weitere Jahre ins Land gehen lassen und auf eine neue, diesmal vielleicht positivere Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts hoffen? Der Rechtsstreit könnte sich weitere Jahre hinziehen, wenn das Oberverwaltungsgericht bei seiner äußerst restriktiven Linie bleiben und – vielleicht mit etwas anderer Begründung – an einer Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis festhalten würde. Nach monatelangen Verhandlungen kam es Ende 2009 endlich zu einem Kompromiss mit dem Innenministerium zur Ermöglichung einer politischen Lösung über die niedersächsische Härtefallkommission: Sollte diese eine Annahme empfehlen, würde der niedersächsische Innenminister sich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht widersetzen, so die Vereinbarung.

Der Versuch, die Tragödie der Familie durch diesen politischen Deal endlich zu beenden, endete in einem Fiasko: Von den sieben anwesenden Mitgliedern der Härtefallkommission stimmten in der entscheidenden Sitzung im Frühsommer 2011 vier für eine Annahme des Falls, zwei stimmten dagegen, ein Mitglied enthielt sich der Stimme. Das erforderliche positive Quorum von mindestens zwei Drittel der anwesenden Mitglieder war damit knapp verfehlt. Wie dies geschehen konnte ist ungeklärt. Es spricht viel für eine politische Intrige, da fünf Mitglieder der Kommission ihre Zustimmung zur Annahme des Falls erklärt hatten. Sicherlich spielte auch eine zweite Verurteilung von Ahmed Siala wegen „Nötigung“ zu 20 Tagessätzen eine Rolle – dieser lag eine verbale Auseinandersetzung mit der Lehrerin seiner Töchter zugrunde, deren Diskriminierung Ahmed beklagt hatte. Ein weiteres Nachbohren lohnt sich jedoch kaum: Die Mitglieder der niedersächsischen Härtefallkommission wurden vom Innenministerium mit Bedacht ausgewählt. Natürlich ist das Gremium politisch besetzt, und seine Entscheidungen spiegeln dies wider. Niedersachsen hat im Bundesvergleich weiterhin mit Abstand die geringste Quote an Härtefallentscheidungen: Nur rund 22 von 1 Mio. Einwohnern/innen in Niedersachsen sind Härtefälle. In Berlin sind es 592, im Saarland 266 und in Thüringen immerhin noch 184. Die Entscheidung der niedersächsischen Härtefallkommission im Fall Siala sagt insofern mehr über die fragwürdigen Kriterien der Entscheidungsfindung dieser Kommission aus als über den Fall selbst.

Erst nach der Entscheidung der Härtefallkommission wurden neue Fakten bekannt, die die Entscheidung der Härtefallkommission womöglich beeinflusst hätten und in jedem Fall für neuen Gesprächsstoff sorgten: Denn die Registrierung im türkischen Personenstandsregister, die nach Auffassung des Landkreises die türkische Herkunft von Ahmeds Vater Gazi belegen soll, enthält gravierende Fehler:

- ein DNA-Test kommt zu dem Ergebnis, dass ein auf dem Registerauszug genannter, angeblicher Bruder des Vaters kein Bruder sein kann,
- der Vater von Ahmed wird in dem Registerauszug als „ledig“ geführt, obwohl er zum Zeitpunkt seiner Registrierung längst verheiratet und Vater von sieben Kindern war, die alle im libanesischen Personenstandsregister geführt und registriert wurden.

Inzwischen liegt eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Bückeburg vom 13. September 2011 im Strafverfahren gegen einen im türkischen Register als Bruder von Ahmeds Vater geführten Mann vor. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Zeugenaussage sowie den Reisebericht eines Mitarbeiters der Hildesheimer Ausländerbehörde aus dem Jahr 2001 stellt das Landgericht fest, dass

- Einträge in türkische Personalregister auch von Dritten (z.B. Schulleitern) vorgenommen wurden,
- viele Personen offiziell gemeldet sind, die gar nicht in der Türkei gelebt haben,
- selbst Kinder in der Türkei registriert wurden, die in Deutschland geboren sind,
- das türkische Personenregister nicht verlässlich ist,
- der Vorwurf der „Identitätstäuschung“ daher unberechtigt und eine türkische Staatsangehörigkeit nicht gegeben sei.

Wenn jedoch die Einträge in das türkische Personenstandsregister derartig zwielichtig und fragwürdig sind, die libanesischen Papiere jedoch anerkanntermaßen den faktischen Aufenthalt der Familie Siala im Libanon belegen, wie kann dann noch der Vorwurf der „Täuschung“ aufrecht erhalten werden? Vor dem Hintergrund der neuen Fakten machten sich die Unterstützer/innen große Hoffnungen auf eine Neubewertung des Falls durch den Landkreis Hildesheim: Die Entscheidung aus dem Jahr 2001, der Familie die Aufenthaltserlaubnis wegen „Identitätstäuschung“ zu entziehen und Gazale im Jahr 2005 abzuschieben, musste nach Überzeugung der UnterstützerInnen aufgehoben werden.

Leider wurden diese Hoffnungen erneut enttäuscht: Auf 11 Seiten führte der Landkreis in einer Presseerklärung vom 20.10.2011 aus, warum der Landkreis trotz der o.g. Fakten an der Annahme einer türkischen Staatsangehörigkeit festhält (freilich ohne den infamen Täuschungsvorwurf zu wiederholen) und ein Aufenthaltsrecht nicht verdient habe. Auf die eigentlich entscheidende Frage aber gibt der Landkreis keine Antwort: Was hat Ahmed Siala mit der Türkei zu tun? Er hat dort nie gelebt, er hat das Land nie betreten. Der Landkreis behauptet dies auch gar nicht. Nach wie vor unwidersprochen ist die Feststellung des Verwaltungsgerichts Hannover aus dem Jahr 2006, dass die Familie Siala bereits Anfang der 50er Jahre im Libanon gelebt haben muss, und dass wahrscheinlich schon Ahmeds Vater 1945 im Libanon geboren wurde. Ahmeds Mutter und ihre Familie ist ausschließlich im Libanon registriert, es gibt hier keine Hinweise auf türkische Vorfahren (die, nebenbei bemerkt, natürlich alle früher einmal dem osmanischen Reich zugehörten). Belegt ist auch, dass alle 11 Geschwister von Ahmed in Beirut geboren sind, die Familie also durchgängig dort gelebt hat. Mit dem Verweis von Ahmed Siala auf das angebliche Herkunftsland seiner Großeltern verfolgt der Landkreis eine Vertreibungspolitik, die völkisch-rassistische Züge trägt und nach menschenrechtlichen Maßstäben inakzeptabel und verurteilungswürdig ist. Die Hauptleidtragende in diesem unerträglichen Drama ist Gazale Salame, die nach der Bekanntgabe der erneuten negativen Entscheidung vollkommen zusammengebrochen ist. Seit Jahren wird ihr erzählt, dass es bald zu einer Rückkehr kommen wird – vergeblich.

Was soll jetzt geschehen? Ahmed Siala hat immer wieder überlegt, zu seiner Familie in die Türkei zu gehen. Anfangs gab es die begründete, durch positive verwaltungsgerichtliche Entscheidungen beflügelte Hoffnungen auf eine schnelle Familienzusammenführung in Deutschland. Ein wesentlicher Hinderungsgrund war die in der Türkei fehlende Existenzgrundlage: Dem in der Türkei fremdem, sprachunkundigen und beziehungslosen Familienvater Ahmed Siala wäre eine Lebensunterhaltssicherung in diesem Land nicht möglich. Sämtliche weitere Geschwister, auch seine schwerkranken Eltern, leben in Deutschland. Vor allem aber wollen die mit Ahmed lebenden, mittlerweile 14- und 12-jährigen Töchter von einem Leben in der Türkei nichts wissen – auch sie fühlen sich als Deutsche.

Die Verantwortlichen im Landkreis Hildesheim, die die Abschiebung von Gazale im Jahr 2005 angeordnet haben, sind bis heute in ihren Funktionen. Sie werden vom Landrat und dem niedersächsischen Innenministrerium politisch gedeckt und führen ein Rückzugsgefecht um jeden Meter. Der Landrat selbst ist unerbittlich. Es ist nicht zu erwarten, dass er beim Tranchieren der Gänseleber über den eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes nachdenken und sich zu menschlichen Entscheidungen durchringen wird. Der politische Fall Gazale Salame geht also in die nächste Runde.

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