Mittwoch, 14. Januar 2009
Mark sagt, wie es ist
An anderer Stelle gefunden:

"Ich weiß gar nicht, ob DIE Neoliberalen als solche tatsächlich existieren im Sinne einer kohärent agierenden Gruppierung mit einer klar erkennbaren dauerhaften Agenda. Oder ob dieses Paradigma ein paar Opportunisten beim Streben nach Macht, Geld und Einfluss einfach nützlich erschien und jetzt, wo es sich allmählich überlebt hat, von genau den Leuten, die es propagiert haben, stillschweigend beerdigt wird. Ein Problem haben sicher die Nachbeter der neoliberalen Mantras, aber nicht die Vorturner. Die sind eventuell schon einen Schritt weiter und machen einfach weiterhin, was ihnen nützt. Ob man das dann neokeynesianischen Softstamokap oder wie auch immer nennt, ist denen doch völlig hurz."


Und ich erneure die Einladung: Join Shifting Reality!

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Gerne,
es ist mir eine Ehre (trotz meines eklatanten Theoriedefizits) eingeladen zu sein in diese illustre Runde. Was genau muss ich tun (gerne auch per Mail, Adresse steht in der drüben in der Dunkelkammer in der linken Spalte unter "Rohrpost")?

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Ist es so wichtig das es eine kohärente mit einem politischen Projekt identische Gruppe gibt die dieses trägt? Das graduelle "Scheitern" eines Projektes ist doch integraler Teil eines jeden Hegemoniebildungsprojektes. Die Frage ist doch ob sich zentrale Bestandteile des neoliberalen Projekts durchgesetzt haben, bspw. der Einsatz von Marktsteuerung innerhalb von Unternehmen oder auch in der staatlichen Verwaltung.

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Das mag stimmen. Nur, mein eigenes politisches Umfeld diskutiert seit geraumer Zeit, ob der Neoliberalismus nicht ein längst überholtes Stadium in der Entwicklung kapitalistischer Gouvermentalität darstellt, und führt dazu als Argumente Dinge an wie einen neu entstehenden Korporatismus, die Verwischung der Grenzen zwischen staatlich und privat in PPP-Projekten und eine Refeudalisierung von Öffentlichkeit (Repräsentation ersetzt Diskurs). In diesem Szenario war der Neoliberalismus die einleitende Phase zu einer neuen Form kapitalistischer Staatlichkeit, die allmählich Konturen annimmt. Und da ist Marks Sichtweise ein interessanter neuer Aspekt.

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Naja,
der Kontext obiger Äußerung war ein Kommentar in einem Thread, der (jetzt mal ganz verkürzt dargestellt) behauptete, die Deutsche Bank könne ihren Frontmann Ackermann nicht feuern, ohne dass die Systemfrage gestellt würde, und das wäre der neoliberalen Agenda der Regierung Merkel eher abträglich, somit gebe es auch politischen Druck auf das Geldinstitut, an Ackermann festzuhalten. Oder auf die Post, der Dt. Bank beim Kauf der Postbank preislich entgegenzukommen. Oder so ähnlich.

Mir schien es jedenfalls bisschen weit hergeholt, diese ganzen Einzelthemen so eng und eindimensional mit dem neoliberalen Paradigma zu verknüpfen. Oder mit der Frage, ob diese oder jene Einzelentscheidung nun unter der Fragestellung erwogen werde, ob sie das neoliberale Ding irgendwie gefährdet oder weiterbringt.

In der Betrachtung des Großen und Ganzen habe ich ja nicht bestritten, dass das neoliberale Paradigma die Matritze für weitgehende Umbaumaßnahmen der Gesellschaft geliefert hat.

Aber ich behaupte, wenn jetzt unter geänderten Bedingungen andere Rezepte mehr Profit und Einfluss für die bisherigen Nutznießer des neoliberalen Umbaus versprechen als das Festhalten an der reinen Lehre des segensreichen Wirkens wegfallender Markthemmnisse, dann werden sich weite Teile des bisherigen Befürworter des neoliberalen Projekts problemlos einem neuen Paradigma zuwenden und wenn es ihnen nützt auch einem neokeynesianischen Softstamokap oder gemäßigtem Staatsinterventionismus das Weihrauchfass wedeln.

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@che: das ist auf jeden fall extrem spannend und ich bin mir da auch nicht sicher, für beide seiten der argumentation scheint es gute argumente zu geben und das mit der periodisierung funktioniert ja sowieso erst retrospektiv wirklich gut und ist ansonsten immer begründete spekulation und politische intervention - sprich: man wird sehen. Kannst du entsprechende Diskussionen bitte verlinken (danke :) ). Zu PPP wäre ja eine Frage, warum das nicht als Form indirekter Steuerung darstellt die Kontexte schafft die ökonomisches Handeln befördern und 'man' sich dann nur noch indirekt einzumischen braucht (was ja neoliberales regieren wäre).

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@gramsci: Stimmt,
vermutlich werden es die Zeitgeschichtler mit einigem Abstand besser datieren können, wann genau die Ära des Neoliberalismus endete und was dann kam. Die Indizien, die Che nennt, sind jedenfalls nicht einfach wegzuwischen, dass der Kapitalismus in einem Häutungsprozess steckt und die neoliberale Oberfläche zum Teil schon eine leere Hülle ist, unter der etwas anders zum Vorschein kommt. Etwas, das zwar einerseits auf den vermeintlichen "Errungenschaften" des Neoliberalismus aufbaut - wie etwa der Ökonomisierung nahezu aller Lebensbereiche - aber ansonsten deutlich autoritäreren Charakter hat als der verschlankte Staat vorher.

Ich habe so ein bisschen die Befürchtung, dass vieleicht manche noch eine Weile reflexhaft auf die inzwischen immer leerer werdende Hülle mit der Aufschrift Neoliberalismus eindreschen, während die viel entscheidenderen Schlachten womöglich in anderen Feldern zu schlagen wären, innere Sicherheit, staatliche Absicherungen und Bürgschaften für Bankengezocke, neuer Korporatismus, was weiß ich.

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Zorry. Ich find diese Art von linker Theorie-Diskussion fast schon autistisch.
Auf die durchaus nachvollziehbaren Gruende, die viele marktwirtschaftliche Oekonomen dazu brachte, stark auf Wettbewerb und weniger auf staatliche Koordination (Keynesianismus) zu setzen, wird gar nicht eingegangen (Stagflation in den USA, Scheitern der Importsubstitution in vielen Schwellenlaendern, Stagnation in UK).
Die sind sowieso alle gekauft.
Wer die Ursache des Entstehens nicht kennt, wie kann der dann gute Kritikpunkte am Neoliberalismus finden?
Etwa die Tatsache, dass es in Staaten mit stark neoliberal gepraegten Wirtschaftssystemen eine Tendenz zur Verfestigung und Verstaerkung von Einkommensunterschieden (Gini Koeffizient) gibt, obwohl man in der sogenannten Armutsbekaempfung (Personen unter Armutsschwelle) Erfolg hat.

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Ich denke,
die Auswirkungen des neoliberalen Projekts auf viele Bereiche der Gesellschaft wird man durchaus kritisieren können auch ohne im Einzelnen die Entstehungsbedingungen zu kennen oder nochmal en detail aufzuarbeiten. Ein Amerikaner würde sagen "that's history", was frei übersetzt soviel heißt wie "unerheblich".

Und um platte Neoliberalismus-Kritik ging es ja hier nicht so sehr wie um die Frage, ob sich dieses Paradigma jetzt überlebt hat und in welche Richtung das Pendel stattdessen aussschlagen wird.

Im Übrigen ist das keine "linke" Diskussion, zumindest würde ich mir das Etikett "Linker" nicht aufkleben lassen.

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Phasenfrage
In der Argumentation von Hartmann oder der arranca! beinhaltet Neoliberalismus einerseits eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik der Staaten, andererseits eine postfordistische Produktionweise der Unternehmen. Konkret ausgeformt heißt das: Abbau sozialer Leistungen, Freigabe reglementierter Preise, Privatisierung von Staatsunternehmen, wirtschaftspolitische Deregulierung. Und auf der Ebene von Unternehmen: Rationalisierung durch Personalabbau und Konzentration auf Kernabteilungen. Es gab in den alten fordistischen Industrien z.B. kein Outsourcing im heutigen Sinn, es war für jedes größere Unternehmen eine Frage des Prestiges, dass man Produkte mit dem eigenen Fuhrpark auslieferte und keine Spedition beauftragte usw. Übertragen auf die Entwicklungspolitik bedeutete es die Kopplung der Vergabe von Entwicklungskrediten an Auflagen wie Freigabe des Brotpreises und Öffnung der Ökonomien von Entwicklungs- und Schwellenländern für westliche Investoren. Angesichts der Verbindung staatlicher und privater Strukturen in PPP-Projekten und des Aufbaus von Billiglohn-Firmen, mit denen Konzerne wie VW sich selber Konkurrenz machen, um Druck auf die Belegschaften auszuüben, aber auch angesichts der Tatsache, dass z.B. mit HartzIV kein Geld gespart wird, sondern dass der Staat es sich mit seinem bürokratisch aufgeblähten Fallmanagement sich sogar etwas kosten lässt, Menschen zu entmündigen stellt sich die Frage, ob der Neoliberalismus lediglich die einleitende Phase zu einem historischen Umbau der Sozialsysteme und der Wirtschaftspolitik war, für den es noch keinen Namen gibt.

Auf der Ebene der staatlichen Wirtschaftspolitik wäre der Neoliberalismus dann eine historische Phase, für die Namen wie Hernan Büchy in Chile, Thatcher, Reagan, Özal und Gonzalez stehen, eine Phase von den späten 1970ern bis etwa 1990.

Und endlich stellt sich auch die Frage, ob eine liberale Institutionenkritik angesichts der jetzigen Stärkung des Staates und dr Gängelung von Menschen z.B. durch die ARGEn und Beschäftigungsgesellschaften nicht ein hoher Stellenwert zukommt, den man sich verbaut, wenn man sich unentwegt am Feindbild Neoliberalismus abarbeitet.

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"en neu entstehenden Korporatismus, die Verwischung der Grenzen zwischen staatlich und privat in PPP-Projekten und eine Refeudalisierung von Öffentlichkeit (Repräsentation ersetzt Diskurs)"

Aber ist es nicht gerade das, was durch den Neoliberalismus gefördert wurde. Ich meine unten drunter. In "Der Markt frißt seine Kinder" ist doch schon vor 10 Jahren konstatiert worden, dass wir in einer kooperatistischen Gesellschaft leben (die Angaben sind nicht so genau, ich bin grad zu faul es nachzuschlagen, das Buch kann auch älter sein).

Ansonsten beobachte ich schon länger den Umbau dessen, was man unter Staatbürgerschaft (citizenship) versteht. Ich bin absolut der Meinung, dass es nicht nur um den Umbau der Gesellschaft geht, sondern auch um eine radikale Umdeutung staatsbürgerlichen Verständnisses, die gerade in den Köpfen der "Masse" stattfinden soll. Dieser immer weiter fortschreitende Prozess, in dem in die privaten Leben tief eingegriffen wird. Ich habe darüber schon 2005 noch auf meinem alten Blog geschrieben, ist bei unter "merken" verlinkt aber leider nicht mehr kommentierbar.

Es kann natürlich sein, dass der Neoliberalismus sich damit selbst überholt und nun so langsam etwas eintritt für das wir noch keinen Namen haben. Wenn ich in diesem Kontext Foucault und Arno Gruen zusammen bringe, was sicherlich machbar ist, kommt dabei eine sehr düstere Dystopie, die schon fast Gegenwart ist, heraus.

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Ich kann mir dennoch immer noch nicht abgewöhnen, Hoffnung auf Veränderung zu haben. Dass es dieses neoliberale und jetzt irgendwie anders zu benennende Projekt der Herrschenden (des Systems, des sich selbst neu erfindenen Kapitalismus) überhaupt gibt ist auch noch immer das Ergebnis von Klassenkämpfen, auch wenn die sich zunehmend nicht mehr als disziplinierte Form kollektiver Solidarität in Form von Streiks artikulieren, sondern in Form aller möglichen Anspruchs- und Verweigerungshaltungen, Diebstahl und Sabotage am Arbeitsplatz. Fest steht, dass die menschliche Subjektivität der abhängig Beschäftigten die Produktionskosten mit in die Höhe treibt. In diesem Sinne war der Neoliberalismus und ist das, was sich daran anschließt ein kapitalrevolutionäres Projekt, Revolution von oben. Und der Kampf, der da geführt wird, lässt sich als kampf Mensch versus Apparat, lebendige Arbeit gegen Maschine kennzeichnen. Und das bedeutet immer, dass es auch eine Perspektive für widerstand gibt, es wird nur immer schwieriger zu erkennen, wo dieser anzusetzen hat. It´s no mystery making history, it´s only a mystery, how we get the victory.

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Mark wäre in mancherlei Hinsicht der Liberale bei Shifting Reality - und ich spreche hier von echtem Liberalismus

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Noch nicht mal die technische Hürde der Co-Autorenschaft genommen und schon schubladisiert. ;-) Ich denke mal, so komplett verkehrt ist das Etikett vielleicht auch gar nicht. Tatsächlich sorge ich mich schwerpunktmäßiger um die Freiheits- (und Bürgerrechte) des Individuums als darum dass der Markt schalten und walten kann wie es ihn gelüstet. Wenn das echter Liberalismus ist, bin ich dabei.

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Du bist dabei - im doppelten Sinn. Viel Spaß!

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Das ist ja eh eher ein Zirkel der Solitäre als eine einheitliche Gruppe. Und das ist gut so!

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Hernan Buechi in Chile
Schreib zur Zeit mit dem Compi eines 5.75 jaerigen Chilenen mit Wifi von Villa Los Platanos nahe La Serena. Sebas Vater und Mutter sind Mittelschicht.
So schlecht war es also nicht. Zumal hier auch viele Peruaner und Anden-Argentinier (Mendoza, Neuquen) Arbeitsmigranten sind.
Trotzdem hat das neoliberale Modell viele Erwartungen nicht erfuellt. Vor allem, dass die Reichen eben relativ genauso reich bleiben. Und damit angesichts der Wachstumsraten der letzten 25 Jahre die Mittel- und Unterschicht weniger Wohlstandszunahme abbekommen als wuenschenswert waere.
Fragt sich halt nur, mit welcher Politik dies zu erreichen ist. Das wird im Land auch diskutiert.
Ich denke, es ist letztlich nur mit staatlichen Spielregeln moeglich.

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