Sonntag, 25. Januar 2009
Der tägliche Wahn
Das ist eine ganz absurde Geschichte, die sich in meinem erweiterten Bekanntenkreis zugetragen hat:


Eine mit summa cum laude promovierte Biologin bekommt partout keine Stelle. Mehrmals werden ihr ältere Bewerberinnen mit schlechteren Noten vorgezogen. Irgendwann erfährt sie auch warum: Weil sie in gebärfähigem Alter ist. Notgedrungen arbeitet sie als Verkäuferin in einer Bäckerei. Sie fühlt sich in dem Job wohl, ist ungeheuer beliebt bei den Kunden wegen ihrer freundlichen, aufmerksamen Art. Als der Chef aber erfährt, dass die Frau einen Doktortitel hat feuert er sie. Begründung: Gefährdung des Betriebsfriedens.

Die spinnen, die Germanen.

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Schon vor dem Antidiskriminierungsgesetz hätten die Arbeitsgerichte in beiden Fällen dem Arbeit'geber' die Leviten gelesen; im ersten Fall jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber eine öffentlich-rechtlich verfaßte Institution gewesen ist. Die nämlich sind per Gesetz gezwungen, den besten Bewerber zu nehmen, und das ist auch gerichtlich überprüfbar, im Gegensatz zur 'Privat'wirtschaft, die machen kann, was sie will, in dem Sinn, dass der Staat sagt, es geht mich nichts an, wenn eine Firma sich selber ins Bein schießt, indem sie einen schwachen Bewerber einstellt.
Seit Geltung des Antidiskriminierungsgesetzes gehen solche Sachen dann überhaupt nicht mehr, auch nicht 'privat'.
Entlassung wegen Promotion ging allerdings noch nie. Auch der Betriebsfrieden selbst ist nur dann ein Argument, wenn er faktisch, konkret und schuldhaft-aktiv seitens des Störers tangiert wurde. Das heißt, eine vermutete in der Zukunft liegende Störung ist kein Kündigungsgrund. Und das Haben eines bestimmten Bildungsabschlusses ist sowieso niemals eine Störung. Hoffentlich ist die Dame vors Arbeitsgericht gezogen.

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Ob sie das gemacht hat weiß ich nicht, kann es aber in Erfahrung bringen. Die ersten Arbeitgeber waren durchaus öffentlich-rechtlich: Unis.

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Und die Moral aud der Geschicht: Bildung ist böse, wer braucht denn diese ganzen Akademiker, ihr findet eh kenen Job. Lasst es sein, prekarisiert euch selbst und beisst die Hand nicht, die euch füttert! Wenn sie nach dem Bachelor aggegangen wäre wäre ihr das nicht passiert!

... und wieder wird mir übel...

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Bachelor in Bio? Sowas wie Diplom-Theologin (FH)?

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Ja, Bachelor in Bio. So was gibt es, leider bitter Ernst und kein Witz.

Nur etwa die Hälfte (Fächerabhängig) wird zum Master zugelassen. Richtig beschissen ist es für Lehrämtler: nach dem Lehramtsbachelor in 2 Fächern entscheidet sich anhand deiner Bachelor-Note, der Empfehlung von 1 bis 2 Dozenten und deinem Vorstellungsgespräch sowie deinem Motivations-Essay (alles fach- und fakultätsabhängig), ob du zugelassen wirst zum Master. Und ohne Master nix 1. Staatsexamen, also nix Referendariat. Da stehst du arme Socke dann mit etwas Pech da, hast deine 6 Semester durchgezogen, nun deinen Abschluss und NIEMAND wird dich einstellen, weil dein angeblich berufsqualifizierender Abschluss nix taugt.

Auf Verlangen mehr, was ein Bachelor-UFGler so alles nicht kann und warum der Dipl-Grabungstechniker von der FH besser ist.

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Uuuuups, ich bin noch mit Diplom-Biologe und nichts Anderes aufgewachsen, die besagte Frau auch.

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Und wieder mal merke ich den Altersunterschied :)

Das heisst Bologna-Prozess und soll ganz toll sein, internationaler und so. Ist aber ziemliche Bolognese wenn du mich fragst.

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Was der Bologna-Prozess ist weiß ich auch. Nur war mir neu, dass der mittlerweile auch die harten Naturwissenschaften erfasst hat. Als ich gerade dabei war, an der Uni die Kurve zu kratzen, so als sich neu orientierender junger Dr., da planten sie gerade bachelor- und Master-Studiengänge für Geschichte und SOWI. Bio, Physik und Chemie auf Diplom, das anzugreifen, davon war noch nicht die Rede.

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Traurig aber wahr.

Die einzigen die sich bislang noch vehement wehren sind die Theologen und die Mediziner. Ja, es soll Jura-Bachelor geben. Keine Ahnung was man wird ohne seinen Maser zu haben in Jura, jedenfalls nicht Anwalt.
Zumindest mein letzter Stand

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Damit wird man Rechtspfleger, Personalchef, Projektentwickler oder Kriminalkommissar.


Arzt-Bachelor, das wird ja ganz spaßig. Sind das dann Oberpfleger, die eine Apotheke betreiben dürfen, oder werden HartzIVer und Asylis künftig nur von Bachelor-Ärzten behandelt statt von Vollmedizinern in der Hoffnung, dass nicht alle die Behandlung überleben?

Wg. "sozialverträgliches Schnellableben".

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die idee eines einheitlich(er)en europischen hochschulraumes würde ich nicht so negativ sehen.
weder ects, diploma supplement oder ein konsekutives studium sind grundsätzlich schlechte ideen.

die ausführung ist das problem. genau genommen eine vernichtende katastrophe.

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ich habe kein Problem mit einer Neustrukturierung der Lehrinhalte. Als ich Geschichte in Gö studierte brauchte man genau 4 Scheine: jeweils ein Mittelalter- und Neuzeitschein in Grund- un Hauptstudium. Da konnte man nun einmal "Klöstergründungen der Ottonen" besucht haben und bekam den Schein für "Die Gebetsverbrüderung des Klosters Reichenau" und "Die Stadt Münster in der Frühen Neuzeit". im GS. Nach der Zwischenprüfung, zu der man 2 bis 3 Aktenordner auswendig gelernt hatte besuchte man im Hauptstudium "Kolonialpolitik Großbritaniens im 19. Jahrhundert" und für's Mittelater "Ostkolonisatin Ottos III" und fertig war man.

Das das keine solide Ausbildung ist sehen wir denke ich alle.
Dass die Bachelor-Studis heute aber eher noch weniger lernen und Dozenten heute in Grundseminaren gesagt bekommen "ich mach keine Literaturliste, ich brauch die Creditspoints nicht" verbessert die alte Situation aber nicht wirklich.

Dazu kommt, dass es irgendwie geschaft wurde, in 6 Semestern zwar mehr Lernstoff, aber gleichzeitg weniger Inhalt zu packen.

Das alte Grundstudium war kein "berufsqualifizierender Abschluss", und das hat auch keiner behauptet. Jetzt passiert aber genau das.

Und was mit den bachelorn, die ohne Master auf den Arbeitsmarkt kommen eigentlich passieren soll weiss auch niemand.

Aber: juchhu, wir haben reformiert!

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@"Und was mit den bachelorn, die ohne Master auf den Arbeitsmarkt kommen eigentlich passieren soll weiss auch niemand." ---- Zu meiner Zeit wurde gesagt, die werden Journalisten und keine Fachhistoriker.

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die öh hatte mal ein schönes kampagnenbild:
"lass uns eine käferreform machen - reissen wir ihm die flügel aus." (pdf, S.58).

und wehe, es lacht jemand über den claim
"politik, die wirkt. service, das hilft"...
ich sagte Öh...!

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