Dienstag, 4. März 2014
Der Kampf um die Subsistenz ? Anmerkungen zu einer hier fast unbekannten Debatte.
Als ich mich hier zum Thema der Subsistenz im Kontext entwicklungs- und migrationspolitischer Debatten äußerte


http://che2001.blogger.de/stories/2375353/#2376153


verstand niemand, was ich eigentlich meinte. Das ist insofern bemerkenswert, als es seit 30 Jahren einen eigenen Theoriestrang gibt, der sich weltweit mit dieser Thematik beschäftigt (z.B. bei den Diskussionen um die Weltwirtschafts- und Weltsozialforen von Davos und Porto Alegre) und seinen Weg von den äußeren linken Rändern (Redaktionsgruppe Autonomie, Wildcat) bis hin in die etablierte Sozial- und Geschichtswissenschaft geschafft hat und dort inzwischen paradigmengebend für verschiedene Forschungsansätze ist. In dem Kontext wurde mir Eskapismus vorgeworfen im Sinne einer Romantisierung von vormodernen Gesellschaftsentwürfen. Das genaue Gegenteil ist der Fall ? ich suche vielmehr sehr empirisch-realitätsorientiert nach Anknüpfungsmöglichkeiten für sozialrevolutionäre Perspektiven, und hierbei ist die Debatte um die Subsistenz eine Schlüsseldebatte. Der Theorieansatz der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus ist ja an sich eine Kombination aus marxorientierter (nicht: marxistischer) Geschichtsphilosophie, Max Weber, Dependenztheorie und Foucault. Im absoluten Gegensatz zum Traditionsmarxismus stehen hier drei Fluchtpunkte (oder Betrachtungsweisen) im Vordergrund oder Mittelpunkt, die an Foucaults Kategorie der Bio-Macht anknüpfen und philosophisch eher im Existenzialismus verwurzelt sind, zugleich aber an Diskursen der extremen Linken der 70er und 80er anknüpfen:


1) Der Kampf um das unmittelbare Existenzrecht
2) Subsistenz als Voraussetzung, soziale Kämpfe überhaupt führen zu können
3) Kapitalstrategien gegen das unmittelbare Existenzrecht, gegen die Subsistenz und die Inwertsetzung menschlichen Lebens als Grundlage der Kapitalakkumulation einschließlich der Triage, d.h. Ausmerzung unverwertbarer Existenzformen bis hin zur Vernichtung ?überflüssiger Esser?.

Sowohl die neuere Forschung zum Vernichtungskrieg der Nazis und der Shoah als auch die linke Kritik an westlicher Entwicklungspolitik hat diesem Ansatz sehr viel zu verdanken, die Schriften von Detlef Hartmann, Karl-Heinz Roth, Angelika Ebbinghaus, Susanne Heim und Götz Aly (und, kleineres Licht, von mir) sind ohne die Kenntnis dieses Grundzusammenhangs gar nicht zu verstehen.

Einen Schlüsselansatz lieferten Forschungen des Historikers Ahlrich Meier, der Anfang der 1980er der Frage nachging, ob es strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Brotpreisrevolten oder "Anti-IWF-Riots" in Entwicklungs- und Schwellenländern und den Armutsrevolten des Vormärz, den sog. "Emeuten", Weberaufstand usw. geben würde. Diese Frage wurde in einer Art und Weise bejaht, die Meier selbst sehr erstaunte. Es zeigte sich nämlich, dass nicht nur soziale Zusammensetzung der revoltierenden Bevölkerungsgruppen und die Dynamik der Proteste starke Parallelen aufwiesen, sondern dass ein Faktor bestimmend war, um in Gesellschaften ohne soziale Sicherungssysteme längeranhaltende Sozialproteste überhaupt erst möglich werden zu lassen: Das Vorhandensein rudimentärer Subsistenzwirtschaft neben dem eigenen Dasein als ArbeiterIn oder sonstwie prekär beschäftigte Person. Nun waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Unterschiede zwischen landlosen Bauern, umherziehendem Bettel und Industrieproletariat noch fließend (das war die Welt von Büchners Woizech, Dickens Oliver Twist und Hugos Les Miserables), die entstehende Industriegesellschaft noch stark agrarisch geprägt - und es war selbstverständlich, dass Arbeiterfamilien nebenher ein wenig Ackerbau betrieben oder Kleinvieh züchteten. In geringerem Umfang sollte dies bis weit ins 20. Jahrhundert der Fall sein, noch bis in die 1960er Jahre. In einer Welt ohne Streikkasse, ohne Sozialversicherung und ohne Krankenkasse sicherte die "nebenberufliche" Subsistenzwirtschaft das unmittelbare Überleben in Notzeiten. Meier stellte fest, dass es, reine Hungerrevolten mal außen vor, immer eine Korrelation zwischen dem Vorhandensein solcher Subsistenzstrukturen und Revolten gab, und umgekehrt eine Strategie des Kapitals, Subsistenzstrukturen zu vernichten.

Dies heißt nun allerdings nicht unbedingt, dass die Vernichtung der Subsistenz durch das Kapital aus der strategischen Einsicht erfolgt, dass fragmentarisch vorhandene Subsistenzstrukturen den Rückhalt für Widerstand eröfnen, sondern aus einem ganz anderen Grunde. Es geht um die Inwertsetzung bisher nicht verwertbarer Strukturen für den Kapitalismus, die Aufbereitung neuen Terrains, um überhaupt Wertschöpfung zu ermöglichen. Ich mache das mal am Beispiel Yugoslawiens fest. Dort gab es auf dem Lande früher, d.h. vor Tito, sehr verbreitet die Zadrugas. Das waren landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, zugleich auch Lebenszusammenhänge, in denen es kein Privateigentum an Produktionsmitteln und auch bis auf persönliche Gegenstände wie Kleidung, Schmuck usw. kaum persönliches Eigentum gab. Eine Art archaischer Kommunismus, in mancher Hinsicht frühen Kibbuzim ähnlich, im krassen Gegenteil zu diesen aber nicht als politisches Projekt gedacht, auch nicht demokratisch strukturiert, sondern erzpatriarchal von Sippenältesten geführt und mit Einrichtungen wie der Blutrache. In den Zadrugas wurden Feldfrüchte angebaut und Vieh gezüchtet, die von den Zadrugas selbst wieder konsumiert wurden, es wurde höchstens für den Dorfmarkt verkauft, und eigentlich brauchte man dort kein Geld, Naturaltausch hätte gereicht, bei Geldentwertungen wurde dazu auch übergegangen. Die Zadrugas ernährten sich selbst, wenn auch auf ärmlichem Niveau. Mit ihnen war keine grüne Revolution, keine Modernisierung der Landwirtschaft für die Cash-Crop-Produktion zu haben. In den Dreißiger Jahren entwickelten NS-Ökonomen Strategien zur Modernisierung des Balkan, bei denen die gewaltsame Zerschlagung der Zadrugas und die Einführung moderner Landmaschinen für eine neu zu schaffende Schicht von Großbauern, die sich zunächst einmal über lange Zeiträume zu verschulden hatten um sich die Landtechnik überhaupt leisten zu können im Mittelpunkt stand. Der später real stattfindende Vernichtungskrieg sorgte dafür, dass die Zadruga-Zerschlagungen erstmal ohne ökonomische Modernisierungen stattfanden, das Modell wurde aber z.B. von der Rockefeller-Stiftung als Blaupause für entwicklungspolitische Strategien im Zeitalter der Entkolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen: Die Zerschlagung von Subsistenzwirtschaftsstrukturen als Motor der schöpferischen Zerstörung traditioneller Agrargesellschaften im Trikont wurde zu einem der Eckpfeiler westlicher Entwicklungspolitik. Die ja keineswegs, wie sie in ihrer eigenen Propaganda behauptete, ein humanitäres Unterfangen war, sondern vielmehr der Aufrechterhaltung der westlich-kapitalistischen Kontrolle über die Ökonomien der nun unabhängig gewordenen ehemaligen Kolonien und ihrem Ausbau als künftige Absatzmärkte für europäische und nordamerikanische Produkte sowie Cash-Crop-Lieferanten dienen sollte. "Entwicklungspolitik" -das war von Vornherein Vernichtung traditioneller Strukturen im Interesse kapitalistischer Erschließung mit der dazugehörigen Vertreibung großer Bevölkerungsgruppen, der Produktion von neuem Hunger und der Vernichtung der überflüssigen Esser.


Wird fortgesetzt.

Hinweis an Willy und Sozi ohne Partei: Das ist hier gerade eine sehr konsequente Foucault-Anwendung in Kombination mit Marx.

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Interessantes Thema, ich verstehe aber immer noch nicht ganz, worum es geht. "Subsistenz" gibt es unter heutigen Bedingungen doch höchsten auf einem ganz einfschen Niveau, etwa bei den Amazonas-Indinanern, sofern sie noch keinen Kontakt zur "Zivilisation" haben.

Aber das kann doch für uns kein Vorbild sein, oder?

Die Jivaros in Ecuador z.B. pflegen jedes Kind, das mit irgendeiner Behinderung geboren wird, umgehend zu töten. Nicht weil sie besonders grausam wären, sondern weil jemand der nicht laufen, schwimmen, jagen kann für ihre Lebensweise (jagen, sammeln, Wanderfeldwirtschaft) einfach ungeeignet ist.

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Mit Subsistenz ist in diesem Fall etwas Anderes gemeint.Lass es mich im Kontext erläutern, es braucht ein wenig, weil der Zusammenhang sehr komplex ist und ich sehr viel zu tun habe.

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Dein Eingangsstatement fasste sich bei mir im Kopf folgendermaßen zusammen:

* Subsistenz als Empoweringstrategie

Okay, bin gespannt, was du dazu schreibst. Ich gebe allerdings zu, dass ich bei deinem Text gelesen hatte (freudscher Verleser): "ich suche vielmehr sehr empirisch-revolutionssorientiert...".

Realitätsorientiert stand da aber...
;-)

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"Erfahrung und Revolution"

Wär doch ein Superbuchtitel. ;-)

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Es erstaunt doch sehr, wie bereits im zweiten Thread zum Thema das von Che klar Dargelegte in einer Weise nicht verstanden wird, welche den Eindruck mir aufgenötigt, dass das vorliegende Nichtverstehen einen größeren intellektuellen Aufwand erfordert, als man zum Zwecke des Verständnisses ihn hätte treiben müssen.

Die Kommentatoren des Fortschritts haben ein einziges Argument: den Fortschritt. Auf ihrer Seite haben sie, was Walter Benjamin als den „Sieger, der zu Siegen nicht aufhört" bezeichnet. Für Benjamin war das das Kontinuum der Katastrophe. Für Dean, Willy und lemmy caution, jene begriffslos-reflexhaften Clowns dessen, was bloß ist, bildet es das Fundament der Ignoranz gegen Ches Argumentation.

Während Che einen kritisch-historischen Begriff der Subsistenz entfaltet, stehen jene Kommentatoren mit beiden Beinen fest auf dem Fundament des akuten und aktuellen kapitalistischen Resultats, von welchem Marx sagt, „dass die Genese im Resultat erloschen ist". Zwar sind Lemmy, Dean und Willy fern jeder Kenntnis der Marxschen Theorie, doch sie folgen brav dem von Marx Analysierten, wie sie bereits Benjamin folgten, den sie auch nicht kennen.

Kennte man allein nur den ersten Band des „Kapital“, so wäre bekannt, warum und wie die Subsistenzwirtschaft vernichtet wird, denn Marx erläutert dies am Modell der militärgestützten Vernichtung der bäuerlichen irischen Subsistenz-Schafwirtschaft als der Voraussetzung der Entstehung und des Erfolges des englischen Kapitalismus.

Dieses von Marx analysierte Modell ist die Blaupause für den bis heute anhaltenden Prozess, der aktuell unter dem Label des "Land Grabbing" firmiert: Gigakonzerne kaufen Gigaareale.

Ich weiß nicht, Freunde, was ihr den ganzen Tag so macht. Ich jedenfalls schaue mir bisweilen TV-Features an, welche die Probleme südamerikanischer Bauern darstellen. Diese Probleme sehen beispielsweise in Brasilien so aus, dass die Regierung den Bauern per Dokument Landeigentum zugewiesen hat, dies jedoch Konzerne und Großgrundbesitzer nicht daran hindert, diese Bauern per Erschießung von ihrem Land zu vertreiben. Das ist die aktuelle Realität. Jede Woche, jeden Monat, jeden Tag, und in jeder Stunde und in jeder Minute, indem wir hier über dieses Thema sprechen, und während ich das hier schreibe, sterben Menschen, weil sie auf ihrem Recht auf Leben, ihrem Recht auf einer Existenz bestehen, und weil diese Existenz nur möglich ist auf der Basis der Subsistenzwirtschaft.

Das muss man gesehen haben, und da sind die Öffentlich-Rechtlichen doch besser als die Privaten, wie der Dorfvorsteher erklärt, dass einer der ihren schon wieder erschossen wurde.

Die Kapitalisierung ist der Todfeind der Subsistenz, und die Subsistenz ist der Todfeind der Kapitalisierung. Die tragen das dort gerade aus. Auch hier wird es ausgetragen: Es heißt Transatlantisches Freihandelsabkommen.

Es wäre wünschenswert, wenn die Standardkommentatoren hier nun endlich einmal auf Ches Argumente sich bezögen, anstatt ihrer vorgestanzten Parteiergreifung für den ökonomischen Terrorismus stets weiter zu willfahren.

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@ Noergler

Che hat hier versprochen, sich des Themas noch eingehender anzunehmen. Meine Position dazu: Das gucke ich mir an.

Wenn du nun schreibst:

"Für Dean, Willy und lemmy caution, jene begriffslos-reflexhaften Clowns dessen, was bloß ist, bildet es das Fundament der Ignoranz gegen Ches Argumentation"

(etc)

Dann möchte ich dazu Folgendes bemerken:

1. Als Clown bin ich viel zu traurig. Kategoriefehler also. Ähem, und ich bin auch zu klug, das sage ich angemessen trotz massiven Eigenlobes, um mein Urteil per se als lächerlich betrachten zu können. Der Witz daran ist Folgender:

2. Das gilt auch für Dich. Auch für Lemmy Caution etc. Wie wir alle wissen (also: auch du), verhindert Klugheit erschreckend selten, dass man sich vergalloppiert. Zum Beispiel, hier du, in deinem Urteil über andere.

3. Da ich nun zum Thema Subsistenz bereits gesagt habe, dass mir hier das Wissen und Urteilskraft fehlen, darum ist der Vorwurf, mir würde all dies fehlen, janun: Zugleich wahr wie gegenstandslos. Falls du ein Leben führen solltest, Nörgler, in dem du im Wesentlichen nirgendwo mehr etwas dazu lernen kannst - und darum diesen Willen bei anderen nur zu diskontieren in der Lage bist, dann sag nur ruhig Bescheid.

4. Was soll das nun heißen? Nunja, vielleicht solltest du eher das mittelhohe Ross satteln, Nörgler. Ganz ernsthaft und weil: Darauf siehst du besser aus, kommst besser vorwärts, die oberen Luftschichten, in denen sich dein Kopf befindet, sind nicht ganz so kühl, und nicht zuletzt: praktisch alles, was Verständigung beinhaltet, wird damit leichter.

5. Es mag nun sein, dass auch ich gelegentlich ein paar sehr hohe Rösser zum Ausreiten schicke, aber, ganz ehrlich, es hat sich meistens ziemlich fade angefühlt. Gut, die ersten hundert Meter, die machen da immer Spaß, auch wegen der guten Aussicht, aber nun, es wird auch schnell langweilig, und die Fallhöhe ist sogar ein hässliches Problem.

(die Versuchung indes, die zu groß geratenen Rösser wieder zu satteln, die fühle ich trotzdem immer wieder - ich denke, ich habe da ein kleines charakterliches Problem)

;-)

P.S.
Der Artikel wurde von Che nachträglich (und dankenswerter Weise!) deutlich ausgebaut, nachdem ich den Kommentar geschrieben habe, an dem du dich gerade gerieben hast.

In der Tat: Das ist nicht einfach zu erkennen. Was das Thema Subsistenz betrifft, so werde ich mir in der nächsten Zeit dazu Gedanken machen. Weder in meinem Studium, noch später ist mir da etwas Substantielles über den Weg gelaufen, auf dem ich aufbauen könnte. Ich muss das alles noch durchdenken.

Das Thema ist ziemlich neu für mich. Sorry. Habe aber nie etwas anderes behauptet.

Okay?

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Was soll ich machen, lieber nörgler? Ich schaffe es ja gerade einmal, meine eigene Petersilie, eigenen Hanf oder Kresse auf dem Balkon bzw. im Keller anzubauen. Mehr Subsistenzwirtschaft bringt das Industrieproletariat, der doppelt freie Lohnarbeiter also, überhaupt nicht zustande. Wie kann das eine Perspektive für das Industrieproletariat oder für irgendeine andere Klasse oder Schicht in den Stammländern des Kapitals sein? Und von dorther, wo es noch Reste agrarischer Lebensformen gibt oder gab, wie etwa in Rußland in Form der Semstwo, oder in China, Indien, auf dem Balkan, in Kurdistan, im Kaukasus, in Mittelamerika kommt entweder der Stalinismus oder ein reaktionärer Kampf für die Verteidigung der agrarischen Wirtschaftsweise gegen die kapitalistische Weltwirtschaft, so eine Scheußlichkeit wie das Pol-Pot-Regime z.B.

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Lieber Dean, Du weißt doch, wie sehr ich Deine Beiträge und Positionen und Deinen Intellekt insgesamt von jeher schon schätze. So werden Deine Kritiken currenter Wirtschaftstheorien hier unter dem Label des Legendären geführt.

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SOP fragt, der Nörgler antwortet
Lieber Sozi ohne Partei,

du möchtest von mir wissen, was du machen sollst. Dir selbst erscheint es, als ob diese Frage äußerst schwierig zu beantworten sei.
Deine Schwierigkeit gründet jedoch lediglich in den von dir selbst imaginierten Szenarien, deren Phantasma du uns allein zu jenem Zwecke hier vorstellen möchtest, um etwas, das dir nicht gefällt, künstlich in den Bezirk des Bizarren zu verschieben.
Was du machen sollst, wäre die Lektüre des von Che Dargelegten unter Verzicht auf jene Projektionen, welche allererst es dir erlauben, jenen sach- und debattenfernen Käse zu produzieren, den du mit deinem letzten Kommentar vorlegst.

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noergler, lies mal weniger Marx und Hegel und fahr mal dahin wo Menschen Subsistenzwirtschaft betreiben und schau dir das an. Dir würde ein Licht aufgehen.

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Nicht von der nackten, reinen Subsistenzwirtschaft als solcher war bei Che die Rede, sondern von der Rolle, die die verbliebenen Reste der Subsistenz innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise spielen und inwieweit die Anknüpfungspunkte für Widerstand sind oder das historisch irgendwann mal waren. So weit mir geläufig dehnt zum Bleistift die englische Schule der Sozialgeschichte den Begriff der Subsistenz durchaus auf Dinge aus wie Schattenwirtschaft (Beamte mit offiziell nicht vorhandenem Gewerbe in Schwellenstaaten, Diebstahl am Arbeitsplatz als "Zuverdienst" und Werksabotage als Pausenbringer) und rechnet dies zur "moralischen Ökonomie", mit der sich Leute für entfremdete Arbeit sozusagen revanchieren und das subjektiv als gerecht empfinden. Gibt eigenständige Forschungsansätze zu dem Thema.

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Willy the Killy
Ich schaue mir gerade meine Finger an, die vom Pfetzen ins Horn gewisser Ochsen schon blutig sind.

Als Besucher subsistenzwirtschaftlicher Dörfer würde Willy mich darum gerne sehen, weil er hofft, dass die von den Grundbesitzern beauftragten Profikiller den Nörgler gleich miterledigen.
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Was Netbitch anspricht, ist das, was die Personalfachwirte als "Payback" bezeichnen. Das ist zwar ein interessantes Thema, hat aber mit dem, worum es hier geht, nichts zu tun.

Bin ich denn hier der einzige, der begreift, worum es Che überhaupt geht? Seine Position ist selbstverständlich offen für die Kontroverse. Aber die Thematik als solche sollte doch zuvor verstanden sein.

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Ihr habt beide Recht
Payback ist mit Subsistenzkämpfen durchaus verbunden, und beides im Zusammenhang zu betrachten eine der zentralen Perspektiven des Operaismus und der "anderen Arbeitergeschichte", aber es ist keineswegs das Gleiche. Dazu später mehr.

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nach der Lektüre von Ches Blog fiel mir diese Sendung ein; in Afrika (ich glaube, Westafrika) ist (als Entwicklungs-Projekt) ein (riesen) Staudamm gebaut worden. Die Leuten, denen vorher unbelastetes Wasser zur Verfügung gestanden hatte, konnten nun aufgrund der neuen industriellen und geographischen Bedingungen nur noch verseuchtes trinken oder mussten sich halt welches kaufen.

Es gab zwar noch gutes Wasser, das "gehörte" ihnen jetzt aber nicht mehr.

Dann gab es gestern eine Sendung zu einem bekannten Thema: Die Verbreitung nichtnachbaufähigen, nicht-samenfesten Saatguts. Samenfestes Saatgut wird weltweit immer seltener; Bauern dürfen also nicht nur nicht ihr eigenes Saatgut nachzüchten (in Europa), sondern sie können es nicht einmal mehr oder kaum noch (Indien). Link zu Arte

Klarerweise wird so die Grundlage subsistierender Landwirtschaft entzogen.

BTW kam in dieser Diskussion indirekt der Unterschied von Subsistenz in der philosophischen Bedeutung, die; -, -en (lat.) : 1. (ohne Plural; Philos.) das Bestehen durch sich selbst, das Substanzsein (in der Scholastik) und 2. (veraltet) (a) [Lebens]unterhalt, materielle Lebensgrundlage; (b) (ohne Plural) materielle Existenz, bzw., Englisch: subsistent=unterhaltend zur Sprache.

Städtischer Anbau von Pflanzen bzw. Zierzucht wäre wohl in keinem dieser Sinne eine denkbar mögliche Option.

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Noch meine Eltern hielten in den Fünfziger Jahren in einem mehrstöckigen Mietshaus in der Innenstadt Kaninchen als Fleischreserve und züchteten Tomaten, Erdbeeren, Rhabarber und Kartoffeln im Garten, in dem auch ein Birnen- ein Apfel- und mehrere Kirschbäume standen. Das war bis die EU-subventionierten Nahrungsmittel aufkamen eine Selbstverständlichkeit.


Das Stadtviertel in dem ich lebe ist innenstadtnah (Großstadt), 3-5 stöckige Mietshäuser um 1900 erbaut, und hinter jedem Haus gibt es einen Garten,meistens entsprechen die Gärten exakt der Fläche von Haus und Hinterhof davor (bei uns sind das je 400 Quadratmeter). Heute sind das reine Lustgärten, bei uns z.B. voller Blumenbeete, aber ursprünglich waren das Gemüsegärten, die der Selbstversorgung dienten, und es gab durchaus Leute, die sich im Schuppen neben der Gartenlaube ein Schwein hielten.


Und die Schrebergarten- Angler- und Taubenzüchtervereine, bis so etwa 1975 ein Kernmilieu der Arbeiterkultur dienten der proletarischen Subsistenz.

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ein bisschen zu Schrebergärten, Realismus und einigen Literaturverfilmungen
ja, che, ist mir nämlich nicht entgangen, dass Du oben Woyzeck, Dickens und umherziehendes Bettel- und Industrieproletariat erwähntest. Als ich dann vor gar nicht zu langer Zeit zum ersten Mal (es muss wohl gelegentlich eines dieser Interviews/Gesprächen, die Alexander Kluge bis vor einiger Zeit immer in der Glotze brachte, gewesen sein) von der "ursprünglichen Akkumulation" hörte, wurde mir einiges bei George Orwell klar. (die Lehranstalt Internet tat später einiges dazu, sieh an, sie an!) Er erzählt, wie er in den 30ern als Tramp in der Gegend um London umherzog, von den Suppenküchen, wo die armen Teufel religiös indoktriniert, terrorisiert wurden, von Zwangswaschungen usw. Wie ich es verstanden habe, war es nicht erlaubt, an irgendeiner Stelle zu verweilen. D.h., dass jedes Asyl immer nur eine Übernachtung gestattete. Die Tramps sollten also immer "auf Trapp" gehalten werden. Ich interpretierte, was Orwell schildert, eben als Fortsetzung jener im 19. Jh. praktizierten "Biopolitik".

Um, was Orwell betrifft, eine Verfilmung zu nennen, gibt es eine recht Werktreue von Die Wonnen der Aspidistra, wo ebenfalls, allerdings ist es nur eine recht kurze Episode, die Verhältnisse in Londons Armenvierteln gezeigt werden. Auch hier schien mir, dass geschildert wird, wie im 20. das 19. Jh. fortlebte. Mit Richard E. Grant, engl. A Merry War dt. Liebe, Kunst und Zimmerpflanzen

Ich wohne in einer Vorstadtsiedlung, in den 50ern in die Landschaft gestellt, der ein gewisser schrebergartenartiger Flair eignet. Es sind 2-stöckige Häuser mit 6 Mietparteien (ich wohne unterm Dach, also eigentlich 3-stöckig, in der Wohnung mit den Dachschrägen). Drumherum recht viel Grün, Gärten, -- und Apfelbäume. Ein freund erzählte mir, in der Nachkriegszeit sei die Parole ausgegeben worden, es sollten Apfelbäume zur Vitamin C-Versorgung der Bevölkerung gepflanzt werden. Und in der Tat, im Herbst kaufe ich mir nur selten Äpfel: Ein Rundgang durch die Siedlung, einsammeln, was so über die Hecken hängt (oder was droht, im Gras zu vergammeln), und ich bin wieder ein bis drei Tage versorgt. Eine Freundin mit deutlich proletarischem Hintergrund (das merkt man übrigens an ihrer teilw. proletarischen Sprache, in der sich veraltete Formen erhalten haben, die aber genaugenommen lupenreinstes Hochdeutsch sind) sagte: "Wieso? Wir wohnen schließlich in einer Wohnungsbaugenossenschaft, die Äpfel gehören also uns allen."

Und was unternahm ne ehem WG-Mitbewohnerin (u. Freundin), die aus dem Ruhrgebiet (Herne) nach Hamburg gekommen war, als sie nirgends mehr unterkam? - Sie machte sich ein Schrebergartenhäuschen klar; wie ich es verstanden habe, im Ruhrpott eine viel ausgeprägtere Tradition. Wär ich nicht so selbstverständlich drauf gekommen.

Historisch ziemlich unbeleckt ist mir dieser von Dir angesprochene Hintergrund beim Woyzeck so nicht klar gewesen. Es gab hier also noch Nachholbedarf. Ich habe da eher eine Perspektive, die sich auf künstlerische Umsetzungen richtet. Weiter:

Obwohl Arno Schmidt voll auf Dickens abfährt (und ich auf Schmidt), hatte ich mich nie mit Dickens beschäftigt. Jetzt gerade liefen allerdings zwei "oppulent ausgestattete" Dickens-Verfilmungen auf Arte (O. Twist, Great Expectations). Herrlich!, fand ich: Endlich mal werden die Unterschiede zw. den Klassen in aller Drastik gezeigt. Endlich mal wurden keine Mühen gescheut, den Dreck zu schildern, in dem die unteren Klassen lebten, geradezu lustvoll die Brutalität der damaligen Gesellschaft ausgemalt. Um manche literarischen Werke zu verstehen, muss man einfach mal den Dreck sehen, zum Glück nicht riechen. Ich denke, da können Filmaustatter kaum überzeichnen. In den vielen Verfilmungen (oder Dokus dazu) des Jack The Ripper-Themas werden diese Armutsverhältnisse ja meist lediglich angedeutet oder gewissermaßen als (vermeintlich) allg. bekanntes Thema zitiert. Selbst in Lynchs Verfilmung des "Elefantenmenschens" haben wir es immernoch mit einer letztlich distanzierten Perspektive zu tun.

Nun gut, ich bin vielleicht zu sehr ein Barockmensch. Aber, siehe Grimmelhausen, ich steh´ einfach auf sowas. Darin, den Dreck und die Verdreckheit der Leute zu zeigen, sind m.E. die Dickens-Verfilmungen gut gelungen. Wenn das mit "oppulent" gemeint ist - na gut. Als Beispiel fürs Überzeichnen der im Schlamm und Dreck lebenden unteren Klassen darf vielleicht Monty Pythons "Ritter der Kokusnuss" genannt werden.

Zum Thema Realismus darf ich vielleicht den absolut wunderbaren Film "Die verlorene Zeit" (es geht um einen gelungenen KZ-Ausbruch, mit wahrer Story dahinter) erwähnen. Ist insofern grenzwertig, als es wohl kaum zumutbar gewesen wäre, dass sich die Darsteller der Insassen nochweiter abhungerten. Aber wenigstens ein Versuch, - und mehr als redlich imho. Beispielsweise ist die Krabbat-Verfilmung (2008) da vollkommen unglaubwürdig.

Ich bin etwas vom Thema abgekommen, aber ich finde solche Verfilmungen machen doch recht anschaulich, dass ohne Subsistenzwirtschaft damals gar nichts gegangen wäre, und möchte dennoch aber noch auf den Fernsehfilm Teufelsbraten von Hermine Huntgeburth verweisen (ebenfalls eine Literaturverfilmung), der in den 50ern bis Anf. 60er im Ruhrgebiet im Arbeitermilieu spielt.

Ich halte mich an wiki: "Der Film ist eine charakteristische soziale Milieustudie der Zeit des Wirtschaftswunders (1950er und frühe 1960er Jahre) ..." "Anhand relativ authentisch rekonstruktierter Wohnräume, Krankenzimmer, Büros, Fabrikhallen, Schulklassen, eingeblendeter Musik und TV-Szenen ist der Film zugleich eine kultur- und zeitgeschichtliche Studie." Für meine Begriffe ebenfalls sehr gelungen.

Mit "Städtische(m)[r] Anbau von Pflanzen bzw. Zierzucht" meinte ich mehr die neue Mode, in (Groß)Städten wie Berlin auch winzigste Brachflächen zu begrünen, teilw. mit Nutzpflanzen. Ist ja auch gerade z.B. in New York City Trend und ganz groß in Mode.

Wer übrigens ne Erbschaft in Aussicht hat und sich eventuell Ackerland in Meckpomm zulegen will, der sollte sich beeilen. Großinvestoren haben den Braten längst gerochen und kaufen großflächig auf.

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Danke für diesen sehr schönen Kommentar!

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PS ... & miscellaneous
... und wenn ich mir die Schilderungen von ner Freundin aus der Hippie-Eso-Szene im Brasilien der 70er Jahre anhöre - und wie die damals nicht selten in Subsistenzwirtschaft betreibenden Kommunen lebten, - dann wird klar: das war - jedenfalls bis zu einem gewissen Grade - eher eine selbstverständliche Angelegenheit, als dass da irgendwelche Nähe zu heutigen grünen und Biobewegungen auszumachen wäre.

miscellaneous: Es gab radikalpietistische Bewegungen, auf die die berühmte webernsche Diagnose nicht zutrifft, wie etwa die von Eva von Buttlar, die eher in Richtung abgeschlossene ökonomische Einheiten, Verzicht auf Eigentum, eben Subsistenzwirtschaft, sogar Arbeitsverweigerung gingen.

Desh. bis ich immer etwas unzufrieden, wenn Prädikate wie "protestantisch-pietistisch" etwa im Kontext der "Moralinsauren", wie neulich bei Hartmut, gebraucht werden. Es ist immer bloß M. Weber gemeint, den jede/r zu kennen meint oder es damit bewenden zu lassen braucht, auf ihn zu verweisen (da zum linken Kanon gehörend), der Verweis auf den historischen Pietismus trifft es aber nicht immer.

Schauen wir in die (Vor)Geschichte (von Teilen) des Peitismus, stoßen wir auf solche Leute wie die Adamiten oder Pikarden, die rituellen Nudismus gepflegt haben.

( ... und schon meckert er wieder ;-) ... )

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