Freitag, 25. Mai 2018
25 Jahre Brandanschlag in Solingen
Da habe ich meine persönlichen Erinnerungen, die mit Wangerooge zusammenhängen, aber das ist ein Thema für sich bzw. ein eigenes Posting. Hier also zur Gedenkveranstaltung:


GEDENKVERANSTALTUNG ZUM 25. JAHRESTAG DES SOLINGER BRANDANSCHLAGS
STELLTE DIE PERSPETIVE DER OPFER IN DEN MITTELPUNKT

Bei der Gedenkveranstaltung am 23. Mai „Solingen 1993 * Niemals
vergessen - Unutturmayacağız!“ im Konzertsaal des Solinger Theater und
Konzerthauses stand die Perspektive der Opfer von rassistischen
Brandanschlägen der 90er Jahre und des NSU im Mittelpunkt.
Die Veranstaltung war mit mehr als 300 Teilnehmer*innen sehr gut
besucht.

Ali Dogan vom Türkischen Volksverein eröffnete die Veranstaltung: „Wir
gedenken heute besonders den 5 Kindern und Frauen, die am 29.05.1993
durch einen feigen und durch Hass motivierten Brandanschlag in Solingen
ihr Leben verloren haben. Nicht vergessen sollten wir die vielen Opfer,
die ebenfalls durch rechtsgerichtete Anschläge gegen Migrantinnen und
Migranten ihr Leben verloren haben. (…) Leider zeigen die Zahlen, dass
auch 25 Jahre nach dem Brandanschlag in Solingen, gewalttätige
Übergriffe gegenüber ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger
deutschlandweit zugenommen haben.“
Es wurde eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer durchgeführt

Dietmar Gaida vom Solinger Appell berichtete, dass sehr viele Menschen
in Solingen seit dem Anschlag für eine veränderte Politik eintreten. Er
nannte Erfolge und Rückschläge für die antirassistische Bewegung in
Solingen. Er führte u.a. aus: „Noch erschreckender aber ist, dass heute
die Hetze deutschlandweit in Medien und Politik gegen Flüchtlinge und
Migranten wieder ein Ausmaß erreicht hat wie zur Zeit des
Brandanschlags, als die gesellschaftliche Stimmung zugunsten einer
weitgehenden Einschränkung des Grundrechts auf Asyl aufgeheizt wurde.“
Er erinnerte an die Forderungen nach dem Brandanschlag: Schluss mit der
rassistischen Hetze, gleiche politische und soziale Rechte für alle hier
lebenden Menschen, Bekämpfung statt Unterstützung rassistischer und
faschistischer Strukturen durch die staatlichen Institutionen. Diese
Forderungen seien heute so aktuell wie vor 25 Jahren. Deshalb dürfe es
keinen Schlussstrich geben.

Ibrahim Arslan, dessen Schwester, Oma und Kusine bei dem rassistischen
Brandanschlag vom 23.11.1992 in Mölln starben und der selbst als
7-Jähriger nur knapp gerettet wurde, erklärte, dass häufig die Opfer von
der Gesellschaft als Täter*innen beschuldigt werden. Er sagte: „Es ist
wichtig die Betroffenen-Perspektive in den Vordergrund zu rücken und die
Betroffenen zu motivieren, ihre Geschichte zu erzählen.“ Er plädierte
dafür, auf das Wissen der Migrant*innen zu hören und erinnerte an einen
Schweigemarsch im Jahr 2006, organisiert von Opfern der NSU-Morde, mit
der Forderung “Kein 10. Opfer!” Erst fünf Jahre später enttarnte der NSU
sich selbst, ein 10. Opfer wurde von ihm ermordet.

Mitat Özdemir, Geschäftsmann auf der Keupstraße in Köln und Mitglied der
Initiative „Keupstraße ist überall“, die anlässlich des
Nagelbomben-Attentats vom 9.6.2004 gebildet wurde, berichtete: „Anwohner
der Keupstraße haben gegenüber der Polizei direkt gesagt, dass es
Rassisten waren, aber das wollte die Polizei auf keinen Fall hören. Man
wollte uns zu Kriminellen stempeln.“ Erst nach sieben Jahren wurde
bekannt, dass der NSU den Anschlag verübt hatte. Auch die Medien hatten
zuvor die Opfer zu Tätern gemacht. Özdemir dazu: „Ich kann heute den
Medien nicht verzeihen. Ich frage mich, wo waren sieben Jahre lang die
Medien?“ Die Initiative fordert ein Denkmal zum Anschlag, aber: „Man
baut alle Mauern dagegen. Man möchte das nicht, man versucht das unter
den Teppich zu kehren. Das dürfen wir nicht zulassen. Die Stadt stellt
sich quer, das Denkmal dorthin zu bauen, wo wir es errichten wollen.
Wenn der Fall Keupstraße einfach vergessen wird, dann haben wir in
Deutschland weniger Demokratie.“

Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied der Internationalen
Liga für Menschenrechte forderte u.a. die Auflösung der
Verfassungsschutzbehörden als Geheimdienste. „Erinnert sei gerade hier
in Solingen an den V-Mann Bernd Schmitt, dessen Kampfsportverein ‘Hak
Pao’ Treffpunkt und Trainingscenter der militanten Neonazi-Szene in
Solingen war; aus diesem Kreis stammten drei jener jungen Männer, die
für den Solinger Brandanschlag verurteilt wurden.“ Er fasste zusammen:
„Der ‘Verfassungsschutz’ hat nicht nur im NSU-Komplex, sondern insgesamt
Neonazi-Szenen und -Parteien über seine bezahlten Spitzel mitfinanziert,
rassistisch geprägt, gegen polizeiliche Ermittlungen geschützt und
gestärkt, anstatt sie zu schwächen. Über sein kriminelles und
unkontrollierbares V-Leute-System verstrickt er sich heillos in
kriminelle und mörderische Machenschaften der Nazi-Szenen. Auf diese
Weise, so mein Fazit, ist er selbst integraler Bestandteil des
Neonazi-Problems geworden.“

Doğan Akhanlı, Autor aus Köln, der als politisch Verfolgter aus der
Türkei in Deutschland Asyl fand, sagte: „Ich habe zwei verschiedene
Deutschlands gesehen. Eines von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen und
eines der 100.000 Menschen, die in Köln gegen Rassismus und Neonazismus
demonstriert haben.“ Er zog den Bogen von den rechtsextremen Anschlägen
der frühen 90er Jahren in Deutschland über das Sivas-Massaker von
islamistischen Fanatikern bis hin zu den NSU-Morden und dem heutigen
Rechtspopulismus. Er sagte: „Das Wiedererstarken von Rassismus und
Nationalismus zeigt, auch in Europa sind zu viele Menschen vergesslich.“
Und: „Jede Generation muss sich eine staatskritische Erinnerungskultur
erarbeiten.“

Ismail Kaya ist der Vater von zwei bei einem alevitischen Kulturfest in
Sivas in der Türkei ermordeten Kindern. Dies geschah einen Monat nach
dem Solinger Brandanschlag. Tausende Islamist*innen hatten das Hotel mit
TeilnehmerInnen des Kulturfestes umzingelt. Kaya: „Wir konnten den
Menschen nicht zu Hilfe eilen. Die Polizei schickte uns weg. Die
Umzingelten baten per Telefon um Hilfe und sagten: ‘Gerade findet ein
Pogrom statt.’ Die Sicherheitsbehörden griffen nicht ein. Acht Stunden
lang wurde das Hotel von Islamisten angegriffen.“ Schließlich wurde das
Hotel angezündet, 35 Menschen starben dabei. „Heute wird dieses
Anschlags gedacht. Es finden jährlich Gedenkveranstaltungen zentral in
Sivas statt. Es kommen dabei Aleviten und Demokraten zusammen. Alle
Veranstaltungen sind nur von Zivilorganisationen, staatliche Vertreter
sind nicht präsent. Man versucht, Demonstrationen zu unterbinden.“ Kaya,
der auch Musiklehrer von weiteren ermordeten Kindern war, sieht heute
seine Aufgabe darin: „Es geht darum, Mensch zu sein. Darum zu kämpfen,
dass das Blut, das in Sivas geflossen ist, nie wieder fließt. Keine
Gewalt mehr im Namen von Nationalismus, Ideologien, Religion!“

Berivan Aymaz, MdL NRW aus Köln, moderierte die Veranstaltung mit großer
Umsicht und Empathie. Sie übersetzte auch den Beitrag von Ismail Kaya
aus dem Türkischen. Am Schluss fasste sie zusammen: „Das Erinnern ist
schmerzhaft. Aber wir brauchen das Erinnern, damit so etwas wie in
Solingen, Mölln, Köln, Sivas … nie wieder passiert. Das Gedenken ist
Ermahnung, das Gedenken ist politisch.“

Uli Klan und Asli Dila Kaya rundeten mit ihren ergreifenden und
engagierten musikalischen Beiträgen die Veranstaltung ab.

Die Veranstaltung wurde finanziell unterstützt vom Zuwanderer- und
Integrationsrat der Stadt Solingen sowie vom Bundesprogramm Demokratie
Leben!

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GEDENKDEMONSTRATION AM KOMMENDEN SAMSTAG, 26. MAI FINDET IMMER MEHR
UNTERSTÜTZUNG

Nachdem bereits 35 Organisationen dazu aufgerufen hatten, erhalten wir
in den letzten Tagen zunehmend weitere Unterstützung für unsere

Gedenkdemonstration am kommenden Samstag, 26. Mai.
Zeit: 12:00 Uhr, Ort: Am Südpark, Solingen (Bahnhof Solingen-Mitte)

Wir freuen uns darüber, dass auch der Solinger DGB, das Regionalbüro
Arbeit und Leben des DGB/VHS Berg.-Mark., der Landesverband NRW der
Deutschen Friedensgesellschaft DFG/VK und die Föderation Demokratischer
Arbeitervereine e.V. DIDF unseren Aufruf unterstützen. Anbei die
aktuelle Liste der Erstunterzeichnenden und Unterstützer*innen

Erstunterzeichnende

• Solinger Appell – Forum gegen Krieg und Rassismus
• Türkischer Volksverein Solingen und Umgebung e.V.
• Alevitische Kulturgemeinde Solingen und Umgebung e.V.
• Antifa Solingen
• Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Solingen
• NaturFreunde Deutschlands OG Solingen-Theegarten
• tacheles – Zeitung für Solidarität und Emanzipation
• AGIF (Föderation der ArbeitsmigrantInnen in Deutschland e.V.)
• Anatolische Föderation
• Antifaschistische Aktion LEVerkusen [AALEV]
• BaSo Wuppertal – Basisinitiative Solidarität
• Köln gegen Rechts
• Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant*innen
• Haziran Hareketi NRW (Juni-Bewegung NRW)
• Initiative „Keupstraße ist überall”
• Umbruch (Bergische Studierende gegen Patriarchat, Rassismus und
Kapitalismus)
• Emanzipatorische Antifa Wuppertal
• Tacheles Wuppertal
• alles.anders. – antiautoritäre gruppe düsseldorf
• Wuppertaler Bündnis gegen Nazis
• VVN-BdA Landesverband NRW
• Antifaschistische Aktion Remscheid (Remscheid gegen Rechts)
• so ko wpt – soli-komitee wuppertal
• welcome 2 wuppertal (w2wtal)
• We Stay United Wuppertal
• i Furiosi [organisiert in der interventionistischen Linken]
• FAU Solingen

Unterstützer*innen

• Kulturausbesserungswerk – Autonomes Zentrum für Kultur & Politik
• Leverkusen Nazifrei – Bündnis gegen Rechts
• Antifaschistischer Arbeitskreis an der Hochschule Düsseldorf
• Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken Kreisverband
Leverkusen
• Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken Kreisverband
Bergisch Land
• Regionalbüro Arbeit und Leben DGB/VHS Berg-Mark
• Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş
• DFG-VK Landesverband NRW
• DIDF – Föderation Demokratischer Arbeitervereine e.V.
• DIDF Jugend – Jugendverband der Föderation Demokratischer
Arbeitervereine e.V.
• LabourNet Germany
• DGB Stadtverband Solingen

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