Dienstag, 22. Juni 2021
Leitlinie zur Akuttherapie des Schlaganfalls aktualisiert: Neues zum Post-Stroke-Delir und zu Geschlechtsunterschieden
Andrea Hertlein

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DGS) haben die S2e-Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls zusammen mit zahlreichen weiteren Fachgesellschaften aktualisiert und erweitert [1]. Neu sind unter anderem Aspekte des Post-Stroke-Delirs und der kardiovaskulären Diagnostik sowie ein Kapitel zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Schlaganfall-Patienten.

Die bisherige S1-Leitlinie stammt aus dem Jahr 2012; 2015 kam eine Ergänzung zu den Rekanalisationstherapien hinzu. Nun wurde eine komplette Überarbeitung und Aktualisierung der bisherigen Leitlinie publiziert, heißt es in einer Mitteilung der DGN.

Sprecher der Leitliniensteuergruppe sind Prof. Dr. Martin Köhrmann, Universitätsklinikum Essen, und Prof. Dr. Peter Ringleb, Universitätsklinikum Heidelberg. Viele Empfehlungen hätten sich aufgrund neuer Studiendaten verändert, so die Fachgesellschaft. Außerdem wurden verschiedene Aspekte neu in die Empfehlungen aufgenommen.

Gefäßdiagnostik vor mechanischer Thrombektomie
Alle akuttherapeutischen Maßnahmen wirken besser, je früher und zielgerichteter sie angewendet werden. Neuerungen betreffen daher auch die zerebrale Diagnostik, die sofort mit CT oder MRT erfolgen sollte, um zwischen Ischämie und Blutung zu unterscheiden und somit das therapeutische Prozedere festlegen zu können.

Wenn eine mechanische Thrombektomie in Frage kommt, müsse der Leitlinie zufolge immer auch eine Gefäßdiagnostik (vom Aortenbogen aufwärts) stattfinden.

Falls bei Ankunft in der Klinik das Zeitintervall von 4,5 Stunden überschritten sei, sollte eine erweiterte Bildgebung, etwa eine Perfusionsuntersuchung mit MRT oder CT erfolgen, lautet die Empfehlung.

Tenecteplase nur in Einzelfällen
Die Standardtherapie für die systemische Thrombolyse erfolgt in der Regel mit Alteplase. Tenecteplase könnte jedoch als modifiziertes Molekül eine noch bessere Wirksamkeit haben, heißt es in der aktualisierten Fassung.

In der EU ist diese Substanz bisher allerdings nur zur Behandlung des Herzinfarktes zugelassen. Dagegen ist die Studienlage beim Schlaganfall bislang nicht einheitlich. Gemäß der neuen Leitlinie soll Tenecteplase außerhalb klinischer Studien nur in Einzelfällen eingesetzt werden.

Post-Stroke-Delir: Screening mit etablierten Scores
Neuerungen betreffen auch das sogenannte Post-Stroke-Delir, welches bei bis zu 48% der Patienten auftritt. Ein solches Delir gehe einher mit einer fast fünffach erhöhten Sterblichkeit, längeren Klinikaufenthalten und häufigeren Entlassungen in Pflegeeinrichtungen, betonen die Autoren.

Die Leitlinien empfehlen daher das gezielte Screening mit etablierten Scores. Neben der Behandlung mit speziellen Medikamenten sei es außerdem besonders wichtig, frühzeitig die Reorientierung der Patienten zu stimulieren (Kommunikation, Mobilisation, Brille, Hörgeräte, Tag-Nacht-Rhythmus).

Eine duale antithrombotische Sekundärprophylaxe (ASS plus Clopidogrel oder Ticagrelor) sollte nicht routinemäßig erfolgen, heißt es in der aktualisierten Fassung. Sie könne bei ausgewählten Patienten nach TIA oder leichten Schlaganfällen über einen Zeitraum von 21 bis 30 Tagen Vorteile haben, möglicherweise jedoch zu Lasten des Blutungsrisikos bei insgesamt unveränderter Mortalität und nur geringem Einfluss auf bleibende Behinderung und Lebensqualität. Bei erhöhtem Blutungsrisiko sollte laut Leitlinie keine duale Plättchenhemmung erfolgen.

Frauen seltener auf Stroke Units behandelt
Die überarbeitete Leitlinie betont außerdem, dass die systematische Suche in Datenbanken keinen Anhalt dafür brachte, dass Frauen mit einem Schlaganfall anders behandelt werden sollten als Männer. Es zeigten sich jedoch je nach Studie variable epidemiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern: So waren weniger Frauen von Schlaganfällen betroffen als Männer.

Frauen waren jedoch durchschnittlich etwa 5 Jahre älter als Männer, hatten häufiger Bluthochdruck und Vorhofflimmern.

Alkohol- oder Nikotinkonsum sowie Hyperlipidämie und Diabetes mellitus waren indes bei Männern häufiger.

Bei uneinheitlicher Datenlage gebe es laut Leitlinie Hinweise darauf, dass Frauen seltener auf Stroke Units behandelt wurden, eine erhöhte Krankenhaussterblichkeit hatten (2017 starben 8,8% der Frauen und 5,8% der Männer) sowie ein schlechteres funktionelles Ergebnis.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.

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