Donnerstag, 1. Juli 2021
Praxistest: Wie gut mRNA-Impfstoffe vor Corona-Symptomen schützen; neuartige Vakzine hochwirksam; Long-COVID macht Sorgen
Michael van den Heuvel, Medscape


In der aktuellen Ausgabe des NEJM fassen mehrere Autoren zusammen, was sich bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2 bislang getan hat ? und was auf die Gesundheitssysteme noch zukommen wird [1,2,3]. So zeigen Studien, dass die zugelassenen mRNA-Impfstoffe auch unter Real-World-Bedingungen hochwirksam sind. Und in einer Phase-3-Studie erwies sich die neuartige Vakzine NVX-CoV2373 von Novavax als sehr effektiv. Impfungen verhindern zudem nicht nur schwere COVID-19-Verläufe. Sie leisten auch einen Beitrag gegen Long-COVID. Dieses kaum verstandene Postinfektionssyndrom gilt als die große Herausforderung nach der Pandemie.

mRNA-Impfstoffe im Alltag: Gegen welche Symptome sie ab wann schützen
?Es gibt nur wenige Informationen über die Wirksamkeit der mRNA-Impfstoffe BNT162b2 (Pfizer-BioNTech) und mRNA-1273 (Moderna) zur Prävention von Infektionen mit SARS-CoV-2 und zur Abschwächung von COVID-19 unter realen Bedingungen?, schreiben Dr. Mark G. Thompson von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC), Atlanta, und Kollegen. Sie haben daher eine prospektive Kohortenstudie gemacht.

Eingeschlossen wurden 3.975 Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Ersthelfer und weitere Angestellte. Vom 14. Dezember 2020 bis zum 10. April 2021 untersuchte Thompsons Team bei allen Probanden wöchentlich Nasenabstriche per RT-PCR.

Dabei wurde SARS-CoV-2 bei 204 Teilnehmern (5%) nachgewiesen, von denen 5 vollständig geimpft waren. Sprich: Die Infektion trat mindestens 14 Tage nach der 2. Dosis auf. 11 Personen mit positivem Nachweis hatten einen teilweisen Impfschutz; sie befanden sich also im Zeitfenster mindestens 14 Tage nach Dosis 1 und weniger als 14 Tage nach Dosis 2. Und 156 Personen waren nicht geimpft worden. 32 Teilnehmer mit unklarem Status schlossen die Forscher aus.

Viruslast reduziert, weniger Fieber, kürzere Krankheitsdauer
Als Impfeffektivität nennen sie 91% (95%-Konfidenzintervall [KI] 76% bis 97%) bei vollständiger Impfung und 81% (95%-KI 64% bis 90%) bei teilweisem Schutz. Selbst ohne 2. Dosis hatten Personen in der Kohorte einen Vorteil. Ihre mittlere virale RNA-Last war um 40% (95%-KI 16% bis 57%) niedriger als bei ungeimpften Teilnehmern. Darüber hinaus war das Risiko für fieberhafte Symptome um 58% geringer (relatives Risiko 0,42, 95%-KI 0,18 bis 0,98). Personen verbrachten auch 2,3 Tage weniger zu Hause im Bett (95%-KI 0,8 bis 3,7).

?Die zugelassenen mRNA-Impfstoffe waren bei Erwachsenen im arbeitsfähigen Alter hochwirksam zur Prävention von SARS-CoV-2-Infektionen, wenn sie unter realen Bedingungen verabreicht wurden?, fassen die Autoren zusammen. ?Vakzine verringerten auch die virale RNA-Last, das Risiko fieberhafter Symptome und die Krankheitsdauer bei Personen, die trotz Impfung eine Durchbruchinfektion hatten.?

Vakzine verringerten auch die virale RNA-Last, das Risiko fieberhafter Symptome und die Krankheitsdauer.


NVX-CoV2373: Impfstoff mit neuartigem Prinzip erweist sich als hochwirksam
Die klinische Entwicklung geht weiter. Forschende Hersteller untersuchen Impfstoffe, die auf anderen Prinzipien beruhen, etwa NVX-CoV2373 (Novavax). Es handelt sich um einen Totimpfstoff mit gentechnisch hergestelltem Virusantigen in Form von Nanopartikeln und einem Adjuvans auf Saponin-Basis.

?Frühe klinische Daten aus Studien ? zeigten, dass der Impfstoff sicher ist und zu einer robusten Immunantwort bei gesunden erwachsenen Teilnehmern führt?, berichten Forscher um Prof. Dr. Paul T. Heath von der University of London. ?Es wurden jedoch zusätzliche Daten zur Wirksamkeit, Immunogenität und Sicherheit dieses Impfstoffs in einer größeren Population benötigt.?

Jetzt liegen Ergebnisse einer randomisierten, verblindeten, Placebo-kontrollierten Phase-3-Studie vor, die an 33 Standorten in Großbritannien stattfand. Die Wissenschaftler rekrutierten Erwachsene im Alter von 18 bis 84 Jahren.

Alle Teilnehmer erhielten 1:1 randomisiert 2 intramuskuläre 5-μg-Dosen von NVX-CoV2373 oder Placebo im Abstand von 21 Tagen. Als primären Endpunkt definierten Heath und Kollegen eine virologisch bestätigte leichte, mittelschwere oder schwere SARS-CoV-2-Infektion frühestens 7 Tage nach der 2. Injektion bei Teilnehmern, die zu Beginn der Studie serologisch negativ waren.

Wirksamkeit von 86% gegen die Alpha-Variante, 96% gegen andere Varianten
Insgesamt wurden 15.187 Personen randomisiert, und 14.039 wurden in die Analyse eingeschlossen. 27,9% waren 65 Jahre oder älter, und 44,6% hatten Vorerkrankungen. Infektionen wurden bei 10 Teilnehmern in der Impfstoff- und bei 96 in der Placebo-Gruppe nachgewiesen, wobei die Symptome mindestens 7 Tage nach der 2. Injektion auftraten, was einer Wirksamkeit des Impfstoffs von 89,7% entspricht (95%-KI 80,2% bis 94,6%).

Alle 10 Fälle in der Impfstoffgruppe waren mild; kein Patient musste hospitalisiert werden oder starb. 5 Fälle mit schwerem COVID-19 traten in der Placebogruppe auf.

Laut Post-hoc-Analyse zeigte das Vakzin eine Wirksamkeit von 86,3% (95%-KI 71,3% bis 93,5%) gegen B.1.1.7 (Alpha). Für andere Varianten geben die Autoren 96,4% (95%-KI 73,8% bis 99,5%) an. Unerwünschte Reaktionen nach der Impfung waren mild. Die Inzidenz von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen war gering und in beiden Gruppen ähnlich.

?Eine Zweifach-Impfung mit dem NVX-CoV2373-Impfstoff, die erwachsenen Teilnehmern verabreicht wurde, gewährte einen Schutz von 89,7% gegen eine SARS-CoV-2-Infektion und zeigte eine hohe Wirksamkeit gegen die B.1.1.7-Variante?, fassen Heath und Kollegen zusammen.

Long-COVID: Von CFS, Fibromyalgie und dem Post-Borreliose-Syndrom lernen
Klar ist, dass Vakzine einen Weg aus der Pandemie öffnen. ?Jetzt, wo mehr als die Hälfte der Erwachsenen in den USA gegen SARS-CoV-2 geimpft sind, die Masken- und Distanzierungsvorschriften gelockert wurden und die COVID-19-Fälle zurückgehen, ist das Gefühl spürbar, dass das Leben wieder normal werden kann?, schreiben Dr. Steven Phillips und Dr. Michelle A. Williams in einem Kommentar im NEJM. Sie forschen an der COVID Collaborative, Washington DC, und an der Harvard T.H. Chan School of Public Health, Boston.

Sie weisen aber darauf hin, dass zwischen 10% und 30% aller genesenen COVID-19-Patienten auch Monate nach ihrer Infektion noch unter Symptomen leiden. Oft sind Menschen im Alter von um die 40 Jahre betroffen, die mitten im Berufsleben stehen, was dem Krankheitsbild auch eine starke volkswirtschaftliche Bedeutung verleiht.

?Leider deuten die aktuellen Zahlen und Trends darauf hin, dass Long-COVID unsere nächste Katastrophe im Bereich der öffentlichen Gesundheit ist?, so die Einschätzung von Phillips und Williams. Sie raten, das Ausmaß der Erkrankung besser zu erfassen und Lehren aus Fehlern der Vergangenheit im Umgang mit chronischen Krankheitssyndromen nach einer Infektion zu ziehen.

Leider deuten die aktuellen Zahlen und Trends darauf hin, dass Long-COVID unsere nächste Katastrophe im Bereich der öffentlichen Gesundheit ist. Dr. Steven Phillips und Dr. Michelle A. Williams
Problematisch ist nur: Derzeit gibt es keine klar umrissene Definition von Long-COVID, keine objektiven Tests und keine Biomarker. Niemand weiß, wie der zeitliche Verlauf ist oder wie viele Patienten langfristige Symptome haben. Die Pathophysiologie ist ebenfalls unbekannt. Hypothesen reichen von persistierenden Viren bis hin zu Autoimmunreaktionen oder sonstigen chronisch-inflammatorischen Vorgängen.

?Um zu verstehen, warum Long-COVID eine drohende Katastrophe darstellt, müssen wir nichts weiter als auf historische Vorläufer schauen, nämlich ähnliche Postinfektionssyndrome?, schlagen die Autoren vor. Sie nennen das chronische Erschöpfungssyndrom (​chronic fatigue syndrome, CFS), Fibromyalgie, das Post-Borreliose-Syndrom oder langfristige Beschwerden nach einem Pfeifferschen Drüsenfieber.


Medizinisch-wissenschaftlich sind die Krankheitsbilder umstritten, was auch für Long-COVID gilt. Manche Forscher vermuten pathophysiologische Ursachen, andere sehen eher nicht-physiologische Gründe, womöglich im psychischen Bereich.

Was ist jetzt zu tun? ?Es besteht daher ein dringender Bedarf an koordinierten nationalen gesundheitspolitischen Maßnahmen und Reaktionen, die unserer Meinung nach auf 5 wesentlichen Säulen aufgebaut sein sollten?, schreiben die Autoren.

Impfungen helfen, COVID-19 ? und damit auch Long-COVID ? zu vermeiden. Gegen die Impfmüdigkeit sollten Regierungen in allen Ländern Kampagnen entwickeln.

Wichtig seien internationale, ausreichend finanzierte Programme, um Long-COVID zu erforschen.

Bei wissenschaftlichen Projekten sollten Erkenntnisse aus Studien zu anderen Postinfektionssyndromen mit einbezogen werden.

Um Patienten mit Long-COVID zu versorgen, seien spezialisierte Behandlungszentren erforderlich. In den USA haben mehr als 30 Krankenhäuser interdisziplinäre Einrichtungen eröffnet.

Ärzte sollten Patienten Glauben schenken, wenn sie über solche Symptome berichten. Betroffene verdienten es, dass man ihnen Empathie entgegenbringe und sie ? soweit möglich ? medizinisch unterstützt.

Die Autoren sind sich einig, dass es sich bei Long-COVID medizinisch und wissenschaftlich um ein langwieriges Unterfangen handele. ?Aber insgesamt können diese 5 Strategien einen großen Beitrag dazu leisten, die zunehmende menschliche Belastung durch Long-COVID zu mindern?, schreiben sie

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