Montag, 13. Dezember 2021
Impfdurchbrüche durch Omikron nach Booster; 2G-Plus: Erleichterung für Geimpfte; Internisten für Impfpflicht; neuer Expertenrat
Michael van den Heuvel, Medscape




Heute meldet das Robert Koch-Institut 21.743 Neuinfektionen innerhalb der letzten 24 Stunden. Vor 1 Woche waren es 27.836 weitere Fälle. Die 7-Tage-Inzidenz sinkt auf 389,2 Infektionen pro 100.000 Einwohner; am Vortag lag der Wert noch bei 390,9. Weitere 116 Menschen sind in Zusammenhang mit COVID-19 gestorben (Vorwoche: 81). Auf dem Dashboard schreibt das RKI, aufgrund technischer Probleme seien gestern und vorgestern aus Niedersachsen keine Daten übermittelt worden.

Als 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz nennt das RKI 5,71 Fälle pro 100.000 Einwohner, Stand 10. Dezember. Am Tag zuvor lag der Wert bei 5,75.

Laut DIVI-Intensivregister waren am 7. Dezember 4.905 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, sprich 3 mehr als am Vortag. Aktuell sind 895 Betten im Low-Care- und 1.568 im High-Care-Bereich in Deutschland frei. Hinzu kommen 267 freie ECMO-Behandlungsplätze.

Auf Twitter berichtet Prof. Dr. Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters: ?Unter welchem Druck stehen die Intensivstationen? Aus der Notfallreserve sind, wenn man die Daten betrachtet, alleine schon mind. 693 High-Care Betten rekrutiert worden. Und das, bevor Omikron auf uns zurollt!? Er gibt zu bedenken, die Aktivierung der Notfallreserve bedeute Einschränkungen in anderen Bereichen.

?Erhebliche Impflücken?: Internistische Fachgesellschaften fordern allgemeine Impfpflicht

2G-Plus-Regel: Erleichterungen für Geimpfte mit Booster-Shot?

Neuer Expertenrat der Bundesregierung

Omikron: Impfdurchbrüche bei deutschen Urlaubern

COVID-19: WHO rät von Rekonvaleszenten-Plasma ab

FDA-Zulassung von Antikörpern als Präexpositionsprophylaxe

EMA: Impfstoffe allein reichen nicht aus

COVID-19 und Adipositas: Studie zeigt möglichen Pathomechanismus

?Erhebliche Impflücken?: Internistische Fachgesellschaften fordern allgemeine Impfpflicht
Schon letzte Woche hat der Bundestag weitere Vorschriften in Zusammenhang mit der Pandemie beschlossen. Wie geplant haben Mitarbeiter im Pflege- und Gesundheitswesen ab 16. März 2022 eine vollständige Impfung gegen SARS-CoV-2 nachzuweisen. Experten bezweifeln jedoch, dass das Maßnahmenpaket ausreichen wird.


?Alle verfügbaren Daten deuten momentan darauf hin, dass die Omikron-Variante sich rasch ausbreiten und zu einem weiteren Anstieg der SARS-CoV-2-Infektionen führen wird?, erklärt Prof. Dr. Bernd Salzberger, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. ?Diese weitere Welle droht das System endgültig zu überlasten.? Er verweist auf ?erhebliche Impflücken in der Bevölkerung?. Offiziellen Zahlen zufolge sind in Deutschland 69,5% der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft.

Deshalb fordern 10 internistische Fachgesellschaften eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland ? und stellen sich hinter Pläne von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). ?Die Impflicht nur für im Gesundheitssystem Tätige reicht da nicht aus ?, sagt Prof. Dr. Georg Ertl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. ?Neben Kontaktbeschränkungen, die helfen, die Inzidenzen kurzfristig zu senken, ist die konsequente Impfung zumindest der erwachsenen Bevölkerung der einzige anhaltend wirksame Weg, das Infektionsgeschehen wieder unter Kontrolle zu bekommen.

2G-Plus-Regel: Erleichterungen für Geimpfte mit Booster Shot?
Am morgigen Dienstag wollen Gesundheitsminister der Länder darüber beraten, ob bei Personen, die neben einer Grundimmunisierung auch eine Auffrischungsimpfung erhalten haben, Erleichterungen möglich sind. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat dazu einen Vorschlag vorbereitet. Seine Idee ist, dass diese Gruppe bei der 2G-Plus-Regel künftig keine Tests mehr benötigt. In einigen Bundesländern ist dies bereits jetzt der Fall; einheitliche Regelungen gibt es nicht.

Neuer Expertenrat der Bundesregierung
Außerdem planen Scholz, Lauterbach und weitere Regierungsvertreter, sich bei Fragen rund um COVID-19 künftig von einem Expertengremium beraten zu lassen. ?Wir wollen als Bundesregierung die Pandemiebekämpfung stärker auf wissenschaftliche Expertise stützen?, so Lauterbach. ?Für mich wird die enge Zusammenarbeit mit diesen Wissenschaftlern Grundlage meiner Politik sein.?

In das Gremium wurden u.a. Prof. Dr. Christian Drosten (Direktor des Instituts für Virologie an der Charité-Universitätsmedizin, Berlin), Prof. Dr. Hendrik Streeck (Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Bonn), Prof. Dr. Thomas Mertens (Chef der Ständigen Impfkommission am RKI), Prof. Dr. Lothar H. Wieler (Präsident des RKI), Prof. Dr. Melanie Brinkmann (Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung), Dr. Viola Priesemann (Max-Planck-Institut) und Prof. Dr. Christian Karagiannidis (wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters) berufen. Bereits für kommenden Dienstag ist das 1. Treffen geplant.

Kontroversen sind jedenfalls vorprogrammiert. Zuletzt hatte Karagiannidis etwa gefordert, sich wieder stärker auf die 7-Tage-Inzidenz zu fokussieren. ?Die Inzidenz war und ist der maßgebliche Frühindikator?, erklärte der Forscher. ?Eine ohne Meldeverzögerung erhobene Hospitalisierungsrate und Intensivbelegung mit COVID-19 sind wichtige zusätzliche Faktoren. Aber die Grenzwerte können oder werden für Omikron andere werden.?

Omikron: Impfdurchbrüche bei deutschen Urlaubern
Die neue Variante bringt auch Fragen zur Effektivität von Impfstoffen mit sich. Wissenschaftler aus München und aus Kapstadt, Südafrika, berichten in einem Preprint von 7 Südafrika-Touristen aus Deutschland. Sie alle hatten 3 Dosen eines COVID-19-Vakzins erhalten:

Patient 1 bis 5: BioNTech, BioNTech, BioNTech

Patient 6: BioNTech, BioNTech, Moderna

Patient 7: AstraZeneca, BioNTech, BioNTech

Bei ihnen traten nach einem Aufenthalt in der südafrikanischen Provinz Westkap leichte Atemwegsbeschwerden und weitere Symptome auf, die für eine Infektion mit SARS-CoV-2 sprachen. Daraufhin führten Ärzte PCR-Tests durch, versuchten aber auch, Viren zu isolieren und zu sequenzieren. In 5 von 7 Fällen konnten sie Omikron nachweisen; bei Proben der anderen 2 Patienten gab es technische Probleme im Labor.

?Diese Serie beweist, dass selbst 3 Dosen von mRNA-Impfstoffen möglicherweise nicht ausreichen, um eine Infektion und symptomatische Erkrankung mit der Omikron-Variante zu verhindern?, schreiben die Autoren als Kommentar.

?Das darf man natürlich nicht falsch verstehen, dass die Impfung nicht hilft. Im Gegenteil: Das zeigt nur, dass auch die bestmögliche Impfung offensichtlich nicht ausreicht, um eine Infektion zu verhindern ? was wir ja schon geahnt haben?, sagte Prof. Dr. Wolfgang Preiser aus Südafrika. Er ist einer der Koautoren der Publikation und hat Omikron zusammen mit Kollegen entdeckt.

?Die jüngsten Daten aus Südafrika deuten auf ein erhöhtes Risiko einer Wiederansteckung? von Genesenen sowie einer Ansteckung von Geimpften hin, bestätigte der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Es gebe jedoch auch Hinweise auf weniger schwere Krankheitsverläufe als bei der Delta-Variante.

COVID-19: WHO rät von Rekonvaleszenten-Plasma ab
Von der Prävention zur Therapie. Experten der WHO-Leitlinien-Entwicklungsgruppe raten Ärzten davon ab, bei Patienten mit COVID-19 Rekonvaleszenten-Plasma einzusetzen, wie aus einer Veröffentlichung im BMJ hervorgeht.

Trotz anfänglich vielversprechender Aussichten zeigten aktuelle Daten, dass diese Behandlung weder das Überleben verbessere noch den Bedarf an mechanischer Beatmung verringere, so die Autoren. Außerdem sei die Therapie kostspielig und zeitaufwändig.

Die aktualisierten Empfehlungen beruhen auf den Erkenntnissen aus 16 Studien, an denen 16.236 Patienten mit leichtem, schwerem und kritischem COVID-19 teilnahmen. Auf Basis dieser Daten raten WHO-Experten von Rekonvaleszenten-Plasma ab.

FDA-Zulassung von Antikörpern als Präexpositionsprophylaxe
Die US Food and Drug Administration (FDA) hat AZD7442, einer Kombination von Tixagevimab und Cilgavimab, eine Notfallzulassung erteilt. Das berichtet AstraZeneca auf der Unternehmenswebsite. Evusheld®, so der Handelsname des Präparats, soll als COVID-19-Präexpositionsprophylaxe bei Erwachsenen und bei Jugendlichen ab 12 Jahren, die mindestens 40 kg wiegen, eingesetzt werden, die aufgrund einer moderaten bis schweren Immunschwäche besonders gefährdet sind. Das betrifft Patienten mit Immunsuppression oder mit Erkrankungen des Immunsystems. Hinzu kommen Patienten, denen von Impfungen abgeraten wird.

Grundlage der FDA-Entscheidung waren unter anderem Daten aus der laufenden Phase-3-Präexpositionspräventionsstudie PROVENT. Sie zeigten laut Hersteller unter Verum im Vergleich zu Placebo eine statistisch signifikante Verringerung des Risikos, an symptomatischem COVID-19 zu erkranken (77% in der Primäranalyse, 83% in der 6-Monats-Analyse), wobei der Schutz mindestens 6 Monate lang anhielt.

Derzeit laufen Studien, um herauszufinden, ob AZD7442 auch gegen Omikron effektiv ist. Laut präklinischen Assays gebe es keine Hinweise auf eine verringerte Wirksamkeit, schreibt AstraZeneca.

EMA: Impfstoffe allein reichen nicht aus
Trotz diverser Vakzine sieht die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) weiterhin Bedarf an Medikamenten zur COVID-19-Therapie. Sie hat sich deshalb einer Erklärung der International Coalition of Medicines Regulatory Authorities (ICMRA) angeschlossen, in der alle Beteiligten, darunter universitäre Forschungseinrichtungen und die pharmazeutische Industrie, aufgefordert werden, weiterhin in den Bereichen Therapie und Prävention zu forschen.

?Impfstoffe sind zwar nach wie vor die wichtigste Waffe im Kampf gegen die Pandemie, aber wir brauchen auch sichere, wirksame und qualitativ hochwertige Arzneimittel zur Behandlung und Vorbeugung von COVID-19 in all seinen Erscheinungsformen und in allen Bevölkerungsgruppen, einschließlich Kindern und Schwangeren?, sagt Emer Cooke, Vorsitzende der ICMRA und Exekutivdirektorin der EMA. ?Die ICMRA-Mitglieder setzen sich dafür ein, die regulatorischen Anforderungen für COVID-19-Arzneimittel weiter zu straffen, um die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von COVID-19-Therapeutika zu verbessern, welche Impfungen ergänzen, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.?

COVID-19 und Adipositas: Studie zeigt möglichen Pathomechanismus
Je besser Wissenschaftler verstehen, warum es zu schwerem COVID-19 kommt, desto eher finden sie Zielstrukturen für neue Arzneistoffe. Aktuellstes Beispiel ist die Adipositas.

SARS-CoV-2 infiziert Fettzellen, aber auch bestimmte Immunzellen im Körperfett, und löst eine Immunreaktion aus, die zu schweren Schäden führen kann, so eine aktuelle Preprint-Studie, über die auch Medscape berichtet hat.

Forscher der Stanford University School of Medicine untersuchten Fettgewebe von Patienten mit bariatrischen Operationen, um herauszufinden, ob sie sich mit dem Coronavirus infizieren können. Sie arbeiteten mit verschiedenen Zelltypen, mit Adipozyten und Prä-Adipozyten, die sich zu Fettzellen entwickeln, und mit Fettgewebsmakrophagen.

Dabei zeigte sich, dass SARS-CoV-2 Adipozyten infizieren kann, ohne dass übermäßig starke Entzündungen auftreten. An inflammatorischen Vorgängen sind jedoch Fettgewebsmakrophagen und Prä-Adipozyten beteiligt.

Die Forscher untersuchten auch Fettgewebe aus COVID-19-Toten. Sie fanden SARS-CoV-2 im Fettgewebe um verschiedene Organe herum, darunter das Herz und der Darm. Sie vermuten, dies könne Organschäden bei COVID-19 erklären.

Das Virus scheine sich der körpereigenen Immunabwehr zu entziehen und sich im Fettgewebe zu verstecken, wo es sich vermehre und eine schwere Immunreaktion auslösen könne, so Dr. David Kass, Professor für Kardiologie bei Johns Hopkins Medicine. Hier entstehe ?eine Art Reservoir? für SARS-CoV-2 ? vielleicht auch eine Erklärung für Long-COVID, wie die Studienautoren vermuten.

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