Freitag, 5. Juni 2009
Was ist eigentlich eine Identitätsdebatte?
Die FAZ fragt, ob die Nahostdebatte in Deutschland nicht in Wirklichkeit eine deutsche Identitätsdebatte sei und meint damit eigentlich, ob der Nationalsozialismus/Antisemitismus uns heute noch immer tief in den Knochen stecke, es eine deutsche Kollektivschuld gäbe oder aber nichts von Beidem, dies das eigentliche Motiv sei, wenn Deutsche sich mit der Nahost-Problematik beschäftigten und verbindet dies mit einer "deutschen" Identität, die ich für mich ganz zurückweisen würde, da ich mich nicht über ein nationales Kollektiv identifiziere. Die autonomen Studis (Bolschewiki) schrieben einmal, die radikale Linke müsste über die Identitätsdiskurse und Identifizierungen hinaus kommen, was ich damals damit gleichsetzte, die geborgten Identitäten, die sich in Palästinensertuch, Dritte-Welt- oder Proletkult usw. auswirken würden loszuwerden und zu einer rationalen materialistischen Analyse als Ausgangspunkt zurückzufinden. Diverse antideutsche Merkwürdenträger verbinden diese Kritik an Identitätskonzepten mit dem Adorno´schen Begriff des Nichtidentischen, wobei ich das Gefühl habe, da werden einfach Begriffe zusammengebracht, die nur sprachlich, nicht aber semantisch etwas miteinander zu tun haben, und man ins Sinnfreie abgleitet. Momorulez spricht öfter davon, dass linke Theoriedebatten häufig als Identitätsdebatten geführt würden oder warum er sich weigere, eine Identitätsdebatte zu führen, hat für mich aber kein einziges Mal [inzwischen doch, lesenswerter Beitrag drüben. Was den verlinkten Sen-Artikel angeht findet sich da sogar das Einzige wieder, das ich mit den Antideutschen gemein und wo diese Recht haben, nämlich die Kritik am Identifizieren von Menschen über ihre Community] klar umreißen können, was er nun wieder mit Identitätsdebatte meint. Wenn ich den Begriff gebrauchen würde, dächte ich zuerst an eine Debatte um Authenzität, um das eigene weltanschauliche Selbstverständnis, die Frage, wie glaubwürdig man dies selber lebt oder auch die eigene Klassenzugehörigkeit, sexuelle Orientierung oder ethnische Verwurzelung und wie wichtig diese für einen selber sind - bin mir aber nicht sicher, ob Andere damit Anderes meinen. Was also ist das, eine Identitätsdebatte?

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Ich schätze mal, dass für alle, die irgendwo queer sind, die Genderdefinition als Solche eine Identitätsdebatte darstellt. Damit wäre dann so etwa das hier gemeint:

http://www.dgti.org/identitaetsdebatte_1000_fragen.htm


Was hingegen Leute, die laut Nick außer sich selbst sind mit Identitätsdebatte meinen, vor allem unter Bezug auf merksame bis seltwürdige Adornopseudoanwendungen ist mir völlig nebulös. Aber bei denen habe ich ja ohnehin öfter das Gefühl, die haben das falsche Kraut geraucht.

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Ok, "Sind wir das Produkt kultureller Prägung oder unserer Gene" wäre dann sogar in einem sehr unmittelbaren Sinn eine Identitätsdebatte. Und natürlich spielt das dann auch in alle Biomachtdiskurse rein. Es gäbe dann also unterschiedliche Arten von Identitätsdebatten, die miteinander nicht viel zu tun haben.

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Lasst uns doch einmal ein neues Spiel starten: Wie definierst Du Deine Identität? Das wäre mal eine schöne Identitätsdebatte!

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Auf "Wie definierst Du Deine Identität?" hielte ich "Nee, bitte keine neue Genderdebatte!" als Antwort für angemessen. Falls einer der antideutschen Trottel über "Identität" sprechen möchte, massiere ich sein Trommelfell mit: "Ich bin Zionist, und genau deshalb sind Antideutsche für mich das Allerletzte".

Hey, und das stimmt sogar.

Aber der Punkt ist, fernab meiner eigenen Befindlichkeiten, dass diese Gerede über "Identität" in diesen hochspeziellen Kreisen doch nur Tünche ist. Das aschfahle Grau eines im Kern anti-progressiven Kurses soll durch pseudoakademisches Wortgeklingel aufgehellt werden.

Adorno hätte diese Leute verflucht.

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Das ziwonsiche Untier könnte aber ein konsequentes Alkoholverbot gut gebrauchen.

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Anlaß der "Indentitäts"-Geschwätz-Kritik bei den Autonomen Studis damals war das penetrante Beharren auf "politischer Identität" von Seiten der damaligen Antiimps (obwohl sie in der Regel noch nicht mal das Wort richtig schreiben konnten). So Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre gab's den Versuch einer Amnestiekampagne zugunsten der "politischen Gefangenen" (von Wolfgang Pohrt u.a.), um den unseligen Kreislauf von Hungestreikkampagnen, Solidarisierungserpressung, Neurekrutierung etc. zu zerbrechen. Das war natürlich schwachsinnig, weil die Antiimps gar nicht wollten, daß ihre Genossen amnestiert würden, weil damit ihre ganze Daseinsberechtigung den Bach runtergegangen wäre. Voraussetzung für eine Amnestie wäre natürlich gewesen, daß die Idioten von der RAF klipp und klar gesagt hätten: "Okay, wir haben Scheiße gebaut, tut uns leid. Würdet ihr uns bitte rauslassen?" Aber nein, stattdessen schwafelten sie permanent davon, sie wollten sich ihre politische Identität nicht rauben lassen, weil das offensichtlich schlimmer ist, als im Knast zu sitzen. Meine Güte, sie hätten wenigstens versuchen können zu lügen. Und die meisten Autonomen nickten brav dazu und sagten: "Ja, ja, denen darf man ihre politische Identität nicht nehmen." Ich könnte mich heute noch aufregen.

Inzwischen würde ich allerdings, als alter Dialektiker, nicht nur das Geschwätz von der "politischen Identität" kritisieren, sondern gleichzeitig auch noch die "Kritik von Identitätsdiskursen" unter Ideologieverdacht stellen.

Was die Antideutschen betrifft: Bei denen finde ich's übrigens ganz lustig, wenn sie sich auf Adorno berufen, um ihre Kritik an Identitätskonstrukten zu formulieren. Denn eigentlich ist das ja ein Topos der von ihnen so gehaßten Postmodernen, aber die stehen als Autoritäten nicht zur Verfügung (und der gemeine Antideutsche braucht Autoritäten), weshalb halt ein nicht verstandenes Nicht-Identisches bei Adorno herhalten muß.

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Ja richtig, an dieses Identitäts-Getröte bei den Antiimps erinnere ich mich auch noch (echt ein Treppenwitz, dass die heutigen Antideutschen nicht einmal mehr wissen, dass Antiimps RAF-Sympis bedeutet und heute jeden antiimperialistischen Linken so bezeichnen, was selbst von der Wikipedia mitgemacht wird), und als ich erstmals darauf stieß, wie die heute den Begriff des Nichtidentischen verwenden war ich zutiefst irritiert. Das ist ja eigentlich ein Kategorialbegriff für das positiv-Utopische, vergleichbar dem Absoluten bei Schelling, und die gebrauchen es im Sinne des sich nicht über nationale Identitäten definieren. Regressiv ist das gleich in verschiedener Hinsicht.

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@workingclasshero, wie soll das denn gehen? Welche Identität denn überhaupt? Meine Identität als Bergsteiger? Die wird in wenigen Wochen wieder intensiv gelebt, aber nichts bedarf so wenig der Diskussion. Meine politische Identität? Da graust es mir, aus den gleichen Gründen wie dem Alten Bolschewiken, dessen Text "Identitäterä" ich seinerzeit mit Gewinn gelesen hatte. Als Mensch?

Ich lege hohen Wert darauf, ausgeglichen und in mir ruhend rüberzukommen, wirke aber oft schroff und rau, ohne das überhaupt zu merken. Ich hänge sehr an allen möglichen Dingen und lebe deshalb z.T. stark in meiner eigenen Vergangenheit, trete Leuten oft zu nahe, bin zu ehrlich, zu grundsätzlich und normalerweise sehr treu (irgendwie liebe ich noch all meine verflossenen Lieben, und Freunde, die ich 15 Jahre nicht gesehen habe sind für mich gefühlt immer noch Freunde), kann nicht loslassen, ich halte mich für großherzig, eitel, klopfe mir gern selbst auf die Schulter und finde das auch völlig legitim, da ich ein sich-an-sich-selbst-aufgeilen für einen richtigen Weg zu Zufriedenheit und innerer Ausgeglichenheit halte. Ich bin ironisch bis zur Selbstverarsche, ein Besserwisser, dies allerdings aus einer Art Leiden an der Wahrheit, der Gewalt angetan wird, wenn jemand Unzutreffendes behauptet. Und ansonsten bin ich eine ambivalente Mischung aus Cliquen/Gruppenmensch und Eigenbrötler.

Ist das jetzt eine Identität? Ist es nicht, sondern eine Momentaufnahme. Jeder Mensch verändert sich ständig, und ich halte das Bewusstsein für eine Art Programm, das sich selber reprogrammiert; in diesem Sinne gibt es für mich auch keine feststehenden Charaktereigenschaften.


Ein politisches Selbstverständnis würde ich auch an keinem So-Sein festmachen, sondern an Inhalten. Das ist bei mir so eine Verbindung aus dem Ansatz der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus bzw. aus dem, was Götz Aly und Susanne Heim schrieben, bevor Aly so seltsam abdrehte, wie er heute schreibt, der Kritischen Theorie, in die ich durchaus Fromm und Marcuse einbeziehe, Baudrillard, Bourdieu und Foucault. Ach ja, und die operaistische Grundauffassung, die die Arbeit im Kapitalismus nicht als Selbstverwirklichung in der Selbstverdinglichung ansieht, sondern als feindlichen Gewaltakt gegenüber der Unterklasse. Und gefühlt würde ich, gäbe es neben dem Freudomarxismus einen Jungobakunismus oder einen Reichokropotkinismus diesem sicherlich sehr viel abgewinnen und für ein notwendiges Korrektiv halten.

Was daraus nun wieder politisch-praktisch folgt ist noch einmal etwas ganz Anderes, kommt aber alles ohne Identitätsdebatte aus. Und schau ansonsten mal zu Momorulez rüber, der spricht da sehr Wahres zum Thema Identität und Identifizierung aus. Oder um mit den Autonomen Studies zu sprechen: wir brauchen nichts so wenig wie Identitäterä.

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Vielfalt der Identitäten
Ohne bei m.rules gelesen zu haben:

Es ist ein wenig heikel, die bei den A-Deutschen gemeinten Identitäten mit a) linksradikalem Selbstverständnis (dort immer wieder, ähm, beliebt: Selbstverständnisdebatten), b) der individuellen Identität (Beispiel: Che als Bergsteiger und Frauenbesteiger) und c) irgendwelche Gruppenidentitäten zu verbinden.

//* Spottmodus: on *//

Die A-Deutschen, sofern sie auf Adorno Bezug nehmen, meinen wohl in erster Linie c) und dort bevorzugt das, was sie ablehnen, z. B. "Palis", Rassisten und Patrioten. Die deutsche Nationalmannschaft ist ungeil, und, da den A-Deutschen der Feind des Gegners als intimster Freund gilt, sind steht die englische Nationalelf für alles Gute und Ertrebenswerte in der Welt. Das Abfeiern von englischen Fußball ist sei demnach ein gelungenes Beispiel für Nicht-Identität, ebenso auch der geradezu auf uniformierte Weise stattfindende antideutsche Partybetrieb, ein Beispiel für übelste Identität sei hingegen die Popband Mia und deren Fanschar, was wiederum Gewaltmaßnahmen und Prügel vollauf rechtfertige. Die Identität einer Frau ist cool (sofern diese dem neuesten a-deutschen Chic folgt und das dortige Mackertum brav hätschelt), die Identität eines Mannes eigentlich ziemlich uncool, außer vielleicht, er ist ein gewaltbereiter A-Typ, der gerne mal andere Linke mit abweichenden Gedankengut verprügelt. Die uniforme und austauschbare Maschinenmusik, die von einigen ihrer Anhänger als "antideutsche Musik" produziert wird, sei "nicht-identisch", während der übrige Rest unterschiedslos Ausdruck einer hegemonialen Kulturindustrie sei.

(so in etwa - ich habe aber keine wirkliche Ahnung, wie diese Jungs die Kurve zu Adorno kriegen - aber, das muss man wohl auch nicht wissen)

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Die Kurve zu Adorno kann sich jeder selber bauen
http://chr-reuter.de/adorno.php

Meinen Beobachtungen nach macht das der gemeine AD auch nicht anders. Selber gelesen und geschweige denn verstanden haben denn die wenigsten.
Aber so ein paar Satzbausteine sorgen immer wunderbar für die AD-Seminarcredibility.

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